Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (4. Senat) - L 4 B 33/06 KA ER

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 28. Juni 2005 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 101.500,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Beschwerdeführer begehrt mit der Beschwerde die Aufhebung einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet worden ist, den Antragsteller im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung als Facharzt für Chirurgie und Facharzt für Chirurgie, Schwerpunkt Unfallchirurgie, in E. zuzulassen.

2

Der Beschwerdeführer ist als Facharzt für Chirurgie in E. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

3

Der Antragsteller beantragte im Juli 2004 seine Zulassung als Vertragsarzt im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung für E. mit dem Ziel der Gründung einer Gemeinschaftspraxis.

4

Im Zulassungsverfahren wurden im Rahmen der Bedarfsprüfung Stellungnahmen der drei in E. niedergelassenen Chirurgen, darunter auch des Beschwerdeführers, eingeholt.

5

Der Beschwerdeführer und ein weiterer Facharzt für Chirurgie (Beschwerdeführer in dem Beschwerdeverfahren L 4 B 34/06 KA ER) äußerten sinngemäß, dass kein Bedarf für einen weiteren Chirurgen bestehe.

6

Mit Beschluss/Bescheid vom 3. November 2004/2. Dezember 2004 ließ der Zulassungsausschuss für Ärzte in Schleswig-Holstein den Antragsteller im Rahmen einer Sonderbedarfsstellung mit Wirkung ab 1. Januar 2005 als Facharzt für Chirurgie und Facharzt für Chirurgie, Schwerpunkt Unfallchirurgie, in E. zu.

7

Gegen diesen Bescheid legten die Beigeladene zu 5., der Beschwerdeführer und der Beschwerdeführer des Beschwerdeverfahrens L 4 B 34/06 KA ER Widerspruch ein sinngemäß mit der Begründung, dass kein weiterer Bedarf für die Zulassung eines Chirurgen in E. bestehe.

8

Der Berufungsausschuss für Ärzte in Schleswig-Holstein gab den Widersprüchen durch Beschluss/Bescheid vom 20. Januar 2005/ 8. März 2005 statt, hob den Beschluss/Bescheid des Zulassungsausschusses vom 3. November 2004/2. Dezember 2004 auf und lehnte den Antrag des Antragstellers auf Zulassung im Rahmen einer Sonderbedarfsfeststellung ab.

9

Der Antragsteller hat am 8. April 2005 Klage erhoben (S 14 KA 86/05 SG Kiel, später S 15 KA 86/05 SG Kiel).

10

Weiter hat der Antragsteller am 24. Mai 2005 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache als Facharzt für Chirurgie und Facharzt für Chirurgie, Schwerpunkt Unfallchirurgie, in E. zuzulassen (Verfahren S 14 KA 26/05 ER SG Kiel).

11

Der Antragsgegner und die Beigeladene zu 5. sind dem Begehren des Antragstellers entgegengetreten.

12

Mit dem im Beschwerdeverfahren angefochtenen Beschluss vom 28. Juni 2005 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, den Antragsteller mit sofortiger Wirkung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Rechtsstreit S 15 KA 86/05 als Facharzt für Chirurgie und Facharzt für Chirurgie, Schwerpunkt Unfallchirurgie, im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung für E. zuzulassen.

13

In dem Klageverfahren S 15 KA 86/05 ist der Antragsgegner zunächst dem Klagebegehren entgegengetreten.

14

Nach einer erneuten Beratung im Oktober 2005 hat der Antragsgegner im November 2005 gegenüber dem Sozialgericht erklärt, die Entscheidung des Sozialgerichts in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 14 KA 26/05 ER) als endgültige Regelung anzuerkennen (Schriftsatz vom 15. November 2005).

15

Dieses Anerkenntnis hat der Antragsteller im Dezember 2005 angenommen.

16

Am 6. Januar 2006 hat der Beschwerdeführer bei dem Sozialgericht Kiel zu dem Klageverfahren S 15 KA 86/05 den Antrag gestellt, ihn zu dem Rechtsstreit beizuladen. Er sei als niedergelassener Vertragsarzt befugt, die Sonderbedarfszulassung des Antragstellers anzufechten.

17

Das Sozialgericht Kiel hat dem Beschwerdeführer im Februar 2006 mitgeteilt, dass das Klageverfahren in der Hauptsache erledigt sei. Daher komme eine Beiladung in diesem Verfahren nicht mehr in Betracht.

18

Der Beschwerdeführer hat am 6. Januar 2006 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 28. Juni 2005 eingelegt.

19

Er weist darauf hin, dass er in dem Klageverfahren S 15 KA 86/05 nicht beigeladen worden sei.

20

Der Beschluss des Sozialgerichts vom 28. Juni 2005 sei ihm nicht zugestellt worden. Dieser Beschluss verletze ihn schon deshalb in seinen Rechten und sei aufzuheben, weil er nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2004 zu dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 75 Abs. 2 SGG notwendig beizuladen gewesen sei.

21

Der Beschluss des Sozialgerichts vom 28. Juni 2005 sei auch deshalb aufzuheben, weil die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vorgelegen hätten.

22

Der Beschwerdeführer beantragt,

23

den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 28. Juni 2005 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Zulassung als Vertragsarzt im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung abzulehnen.

24

Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen.

25

Die Beschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe keinen materiellen Schutz vor Konkurrenz durch Sonderbedarfszulassungen. Der Beschwerdeführer sei nicht anfechtungs- und beschwerdebefugt.

26

Der Beschwerdeführer begehre einstweiligen Rechtsschutz gegen die erfolgte Zulassung. Für derartigen einstweiligen Rechtsschutz fehle es nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache an der erforderlichen Eilbedürftigkeit. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren sei seit Monaten beendet. Das Hauptsacheverfahren sei abgeschlossen.

27

Der Antragsgegner weist darauf hin, dass er die vom Sozialgericht Kiel getroffene einstweilige Regelung (Beschl. v. 28. Juni 2005) als endgültig anerkannt habe.

28

Die Beigeladenen haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

29

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Gerichtsakte des Klageverfahrens S 15 KA 86/05, die Akte des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes S 14 KA 26/05 ER und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen. Diese Vorgänge waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

30

Die Beschwerde ist nicht zulässig; sie ist daher zu verwerfen.

31

Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist nicht zulässig, weil er nicht Beteiligter (§ 69 SGG) des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes des Antragstellers gegen den Antragsgegner ist bzw. war.

32

Beschwerde- bzw. rechtsmittelbefugt sind grundsätzlich nur die Verfahrensbeteiligten.

33

Der Antragsteller war und ist in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren des Antragstellers gegen den Antragsgegner nicht Verfahrensbeteiligter. Verfahrensbeteiligter hätte er nur über eine Beiladung (§ 75 SGG) werden können. Er ist jedoch nicht zu dem Verfahren beigeladen worden.

34

Als nicht Verfahrensbeteiligter und damit als Dritter ist der Beschwerdeführer nicht zur Rechtsmitteleinlegung gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 28. Juni 2005 berechtigt.

35

Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass nicht rechtsmittelbefugt im gerichtlichen Verfahren Dritte sind, die zu einem Verfahren nicht beigeladen worden sind. Dies wird auch dann angenommen, wenn der Dritte notwendig beizuladen gewesen wäre (s. Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, Vor § 143 Rdnr. 4a; Littmann in: Lüdtke, SGG, 2. Aufl. 2006, § 75 Rdnr. 14; Ulmer in: Hennig, SGG, § 75 Rdnr. 34; Kopp/Schenke, VwGO, 14 Aufl. 2005, § 146 Rdnr. 8; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 146 Rdnr. 4 und Vorb § 124 Rdnr. 38; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 124 Rdnr. 1; BSG, Beschl. v. 4. Juni 2002 - B 12 KR 36/01 B -, zitiert nach juris; BVerwG, Urt. v. 6. Juni 2002 - 4 CN 4.01 -, zitiert nach juris; BVerwG, Beschl. v. 4. April 2000 - 7 B 190/99 -, zitiert nach juris).

36

Danach bedarf es im jetzigen Beschwerdeverfahren auch keiner Entscheidung, ob und ggf. in welcher Form (einfache oder notwendige Beiladung) der Beschwerdeführer zu dem Verfahren des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hätte beigeladen werden können oder müssen.

37

Zu der Feststellung der fehlenden Rechtsmittelbefugnis des Beschwerdeführers ergibt sich kein Anlass zu einer geänderten Beurteilung durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 2004 (- 1 BvR 378/00 - SozR 4-1500 § 54 Nr. 4).

38

In der genannten Entscheidung, auf die sich der Beschwerdeführer auch in der Beschwerdebegründung beruft, hat das Bundesverfassungsgericht sinngemäß die Zulässigkeit der defensiven Konkurrentenklage im Vertragsarztrecht in erheblich weiterem Umfang angenommen als in der vorherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (s. dazu BSG, Urt. v. 29. September 1999 - B 6 KA 30/98 R - SozR 3-1500 § 54 Nr. 40; BSG, Urt. v. 10. Mai 2000 - B 6 KA 9/99 R - SozR 3-2500 § 101 Nr. 4; BSG, Urt. v. 11. Dezember 2002 - B 6 KA 32/01 R -, BSGE 90, 207).

39

In Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 2004 (a.a.O.) hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 28. September 2005 (- B 6 KA 70/04 R - GesR 2006, 15) die Zulässigkeit einer defensiven Konkurrentenklage bei Ermächtigungen angenommen.

40

Selbst wenn danach - voraussichtlich - weiter gehendere Möglichkeiten der Anfechtung von Zulassungsentscheidungen durch Dritte im Vertragsarztrecht bestehen mögen, folgt hieraus nicht, dass Vertragsärzte, die - wie hier der Beschwerdeführer - nicht zu einem gerichtlichen Verfahren beigeladen worden sind, in diesem gerichtlichen Verfahren rechtsmittelberechtigt sind.

41

Hieraus ergibt sich auch keine unzulässige Einschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten, da ein Dritter, der an einem gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt war, auch nicht der Bindungswirkung der Entscheidung aus einem abgeschlossenen Gerichtsverfahren unterliegt.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

43

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht für erstattungsfähig erklärt worden, da die Beigeladenen im Beschwerdeverfahren keinen Sachantrag gestellt und sich damit nicht an dem Kostenrisiko des Beschwerdeverfahrens beteiligt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO).

44

Rechtsgrundlage für die Streitwertfestsetzung ist § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

45

Da der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde das Verfahren des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes fortführt, ist für die Wertbestimmung abzustellen auf das Interesse des Antragstellers an der von ihm erstrebten Entscheidung; insoweit ist nicht maßgebend für die Streitwertbemessung im jetzigen Beschwerdeverfahren ein möglicherweise anders zu bemessendes Abwehrinteresse des Beschwerdeführers.

46

Im vertragsärztlichen Zulassungsverfahren wird das wirtschaftliche Interesse in der Regel durch die Höhe der Einnahmen bestimmt, die der Arzt im Falle der Zulassung aus seiner vertragsärztlichen Tätigkeit erzielen kann, wobei die erzielbaren Einkünfte um die durchschnittlichen Praxiskosten der jeweiligen Arztgruppe zu vermindern sind.

47

Zu Grunde zu legen sind die angestrebten Honorareinnahmen für einen Zeitraum von drei Jahren (s. BSG, Beschl. v. 1. September 2005 - B 6 KA 41/04 -, Breith. 2006, 161).

48

Für die Bestimmung der in einem Drei-Jahres-Zeitraum anzunehmenden Honorareinnahmen des Antragstellers legt der Senat die Angaben aus den sog. „Grunddaten 2004" zu Grunde. Danach haben Chirurgen im Jahr 2000 durchschnittlich Honorare in Höhe von 204.000,00 EUR erhalten. Dies ergibt in einem Drei-Jahres-Zeitraum durchschnittliche Honorareinnahmen von 612.000,00 EUR.

49

Von diesen anzunehmenden Honorareinnahmen sind die durchschnittlichen Praxiskosten abzuziehen, die bei Chirurgen 66,9 % betragen. Dies ergibt einen Abzugsbetrag von 409.428,00 EUR.

50

Damit würden dem Antragsteller in einem Drei-Jahres-Zeitraum Honorare von 202.572,00 EUR, aufgerundet 203.000,00 EUR verbleiben.

51

Dieser Wert ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (s. dazu Beschl. v. 4. Dezember 2003 - L 4 KA 2/03 ER - NZS 2005, 225) in Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren. Damit ergibt sich für die Streitwertfestsetzung ein Betrag von 101.500,00 EUR.

52

Angesichts des langen Zeitablaufs nach dem zwischen den Verfahrensbeteiligten rechtskräftigen Beschluss des Sozialgerichts vom 28. Juni 2005 sieht der Senat keinen Raum für eine Abänderung des Streitwertes, den das Sozialgericht festgesetzt hat (§ 62 Abs. 3 Satz 2 GKG).

53

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen