Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (5. Senat) - L 5 KR 156/15 B ER

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 30. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin tragen auch für das Beschwerdeverfahren jeweils die Hälfte der Kosten.

Der Streitwert wird auf 10.412,31 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt die gerichtliche Anordnung der vollständigen aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Beitragsbescheid.

2

Der Antragsteller ist Inhaber eines Eis-Cafe`s in B… . Nach Anzeige führte das Hauptzollamt Kiel Finanzkontrolle Schwarzarbeit Lübeck bei ihm eine Überprüfung vor und stellte für die Zeit von Dezember 2007 bis 31. Dezember 2012 fest, dass Lohnbestandteile in bar an die betroffenen Arbeitnehmer ausgezahlt worden seien, obwohl die für den gleichen Zeitraum erstellten Lohnabrechnungen einen wesentlich niedrigeren Bruttolohn ausgewiesen hätten. Gleichzeitig seien Unterkunft und Verpflegung nicht korrekt in der Lohnabrechnung berücksichtigt worden. Die sozialversicherungsrechtliche Auswertung der Ermittlungen durch die Antragsgegnerin führte dazu, dass diese mit Bescheid vom 11. Juli 2014 Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 62.473,86 EUR einforderte. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Antragstellers und den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung wies die Antragsgegnerin hinsichtlich der Aussetzung mit Bescheid vom 5. September 2014 und hinsichtlich des Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2015 zurück.

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Am 15. Februar 2015 hat der Antragsteller gegen die Bescheide beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben (S 5 KR 67/15) und am 25. März 2015 beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides auszusetzen. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 30. Juni 2015 dem Antrag bis zur Höhe von 31.236,93 EUR stattgegeben und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es handele sich um ein komplexes Verfahren, das insgesamt 13 Arbeitnehmer betreffe. Die angefochtenen Bescheide enthielten keine ausreichend spezifizierten Ausführungen und seien hinsichtlich der zugrunde gelegten Entgelte nicht ausreichend aufgeschlüsselt. Hierzu hat das Sozialgericht einige Beispiele hinsichtlich einiger Arbeitnehmer im Einzelnen aufgeführt. Bei einer stichprobenartigen Durchsicht der vom Hauptzollamt durchgeführten Ermittlungen ergäben sich diverse Fragen, die im Hauptsacheverfahren zu klären seien. Andererseits sei es aber auch nicht gerechtfertigt, die aufschiebende Wirkung der Klage insgesamt anzuordnen, da aus den Akten eindeutig hervorgehe, dass im Prüfzeitraum Schwarzarbeit in erheblichem Umfange geleistet und vom Antragsteller Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten worden seien. Nach summarischer Prüfung werde der Bescheid zumindest in Höhe der Hälfte der geltend gemachten Forderung wahrscheinlich Bestand haben.

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Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, eingegangen beim Sozialgericht Lübeck am 29. Juli 2015. Zur Begründung trägt er vor: Das Sozialgericht habe ohne jegliche Auseinandersetzung mit der detaillierten Antragsbegründung und ohne nähere Begründung in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, aus den Akten gehe eindeutig hervor, dass im Prüfzeitraum Schwarzarbeit in erheblichem Umfange geleistet worden seien. Anhaltspunkte dafür habe das Sozialgericht allerdings nicht genannt. Im Rahmen des § 86b Abs. 1 SGG seien die Belange des Zahlungspflichtigen und die der Versicherungsträger gegeneinander abzuwägen. Bei ihm, dem Antragsteller, seien im Rahmen des Ermittlungsverfahrens des Hauptzollamtes 33.000,00 EUR zu Zwecken der Rückgewinnungshilfe beschlagnahmt worden. Er habe den Einzugsstellen mehrfach vorgeschlagen, auf diesen Betrag zurückzugreifen. Das sei bis zum heutigen Tage nicht geschehen. Der sequestrierte Betrag sei nach wie vor beim Amtsgericht Lübeck hinterlegt. Ein Eilbedürfnis bestehe nach wie vor, weil die Beigeladene zu 1) nur erklärt habe, sie werde vorerst keine Vollstreckungsmaßnahmen einleiten. Das impliziere, dass sie jederzeit wieder vollstrecken könne und sich vorbehalte, dies auch zu tun.

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Die Antragsgegnerin verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Auch das Sozialgericht sei zu der Einschätzung gekommen, dass eindeutig Schwarzarbeit vorliege.

6

Die Beigeladene zu 1) trägt vor, dass sie gegenüber dem Antragsteller erklärt habe, vorerst keine Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten. Darin liege kein verbindlicher Vollstreckungsverzicht. Der Vorschlag des Antragstellers, auf den hinterlegten Betrag zurückzugreifen, sei grundsätzlich akzeptabel. Jedoch sei es zurzeit aus Rechtsgründen nicht möglich, die hinterlegte Summe beizutreiben. Zwar sei der hinterlegte Betrag gepfändet worden, das Amtsgericht Lübeck habe jedoch bisher nicht über den Antrag gemäß § 111g Abs. 2 StPO entschieden.

II.

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Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zurückzuweisen, da es dem Verfahren an der notwendigen Eilbedürftigkeit fehlt.

8

Die Aussetzung der Vollziehung soll nach der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Zwar richten sich diese Voraussetzungen an die Feststellung der aufschiebenden Wirkung an die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat. Sie finden jedoch nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung und der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. etwa Beschluss vom 27. März 2012 – L 5 KR 27/12 B ER) auch auf die gerichtliche Entscheidung grundsätzlich Anwendung. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer durch die spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren wieder gut gemacht werden können. Eine solche unbillige Härte vermag der Senat zum jetzigen Zeitpunkt nicht (mehr) zu erkennen. Dies verdeutlicht insbesondere der Umstand, dass das Beschwerdeverfahren bereits weit über zwei Jahre anhängig ist, ohne dass es zu einer Vollstreckung in das Vermögen des Antragstellers durch die beigeladenen Einzugsstellen gekommen ist. Eine solche Vollstreckung ist derzeit auch nicht zu befürchten. Insoweit hat die Beigeladene zu 1), die mit einer Beitragsforderung von 59.131,25 EUR überwiegend betroffen ist, sowohl dem Antragsteller als auch dem Gericht gegenüber erklärt, dass sie vorerst keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Antragsteller einzuleiten gedenke. Sie hat diese Aussage offensichtlich im Hinblick auf ihren Antrag beim Amtsgericht Lübeck, den sichergestellten Betrag beizutreiben, vorgenommen. Sollte dieser Antrag nicht zu einer Auszahlung führen, wofür erkennbar keine Gründe sprechen, besteht für den Antragsteller bei dann einem veränderten Sachverhalt wiederum die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz vor den Sozialgerichten zu beantragen.

9

Nach der Rechtsprechung des Senats bedarf es auch in Verfahren der Anordnung der aufschiebenden Wirkung für die Anordnung stets einer notwendigen Dringlichkeit der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. etwa Beschluss vom 7. Juni 2013 – L 5 KR 71/13 B ER – und Beschluss vom 10. September 2013 – L 5 KR 157/13 B ER). Denn ebenso wie die einstweilige Anordnung hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht den Sinn, Rechtslagen (endgültig) zu klären. Dazu dient das Hauptsacheverfahren auf Klage des Betroffenen hin. Einstweiliger Rechtsschutz in Gerichtsverfahren dient vielmehr dazu, durch eine vorgezogene Entscheidung einer aktuellen Notlage begegnen zu können bzw. Härten durch den Vollzug eines Verwaltungsaktes zu mindern, wozu die spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr in der Lage wäre. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Notlage ist derjenige der aktuellen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des Senats vom 30. Dezember 2011 L 5 KR 225/11 B ER). Eine solche konkrete Notlage liegt hier, wie ausgeführt, nicht mehr vor.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs. 1 SGG, 154 Abs. 2 und 155 Abs. 4 VwGO. Zwar unterliegt der Antragsteller mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts. Dies führt nach § 154 Abs. 2 VwGO grundsätzlich dazu, ihn mit den Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu belasten. Hiervon besteht nach § 155 Abs. 4 VwGO jedoch eine Ausnahme für den Fall, dass Kosten durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind. Dem Gericht wird durch diese Vorschrift die Möglichkeit gegeben, für die Kostenentscheidung auch das prozessuale Verhalten der Beteiligten zu werten. Voraussetzung der Haftung aus § 155 Abs. 4 VwGO ist, dass ein Beteiligter unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt durch eigenes Verhalten einen anderen Beteiligten oder das Gericht zu Prozesshandlungen oder Entscheidungen veranlasst hat, die zu einer Kostenverursachung geführt haben. Davon geht der Senat bezüglich der Antragsgegnerin hier aus. Nachdem es im Beschwerdeverfahren allein noch um die Aussetzung eines Betrages in Höhe von 31.236,92 EUR ging und dieser Betrag unter dem des vom Amtsgericht Lübeck sichergestellten Betrages lag, bestand eine ausreichende Sicherung der von der Beklagten festgestellten Beitragsforderung. Sie hätte mithin, nachdem auch die Beigeladene zu 1) entsprechend erklärt und auf Vollstreckungsmaßnahmen vorläufig verzichtet hatte, die Aussetzung des Sofortvollzugs anordnen können. Jedenfalls hätte sie durch ihre (notwendige) Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens eine Entscheidung des Senats nicht mehr notwendig machen können. Ihre erneute Ablehnung eines Ruhens mit der Begründung, es komme nicht darauf an, inwieweit eine Vollstreckung durch Zugriff auf den hinterlegten Betrag möglich sei, entscheidend sei vielmehr, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anordnung der Aussetzung nicht vorlägen, überzeugt nicht. Der Senat wollte ja gerade vor dem Hintergrund, dass die Beigeladene zu 1) die Beitreibung des hinterlegten Betrages beantragt hatte, bis zur Klärung dieses Antrages von einer Entscheidung absehen. Nach Beendigung dieses Antragsverfahrens hätte der Senat dann gegebenenfalls eine Entscheidung getroffen bzw. eine solche wäre nach entsprechender Erklärung insbesondere des Antragstellers nicht (mehr) notwendig gewesen. Die Beigeladene zu 1) hat sich hinsichtlich beider gerichtlicher Anfragen mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt. Auch vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin selbst auf die Einzugsstellen als die die Vollstreckung durchführenden Behörden verwiesen hat (Schreiben vom 2. Oktober 2015), vermag der Senat die Ablehnung der Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens durch die Antragsgegnerin nicht nachzuvollziehen. Hinsichtlich der verschuldeten Kosten der Antragsgegnerin geht der Senat mangels konkreter Anhaltspunkte von einer hälftigen Kostenteilung der Beteiligten aus.

11

Bei der Festsetzung des Streitwertes geht auch der Senat wie das Sozialgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen einen Beitragsbescheid, das allein zum Zwecke des Zahlungsaufschubs geführt wird, der Streitwert auf ein Drittel des Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist.

12

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).


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