Urteil vom Landessozialgericht für das Saarland - L 2 KR 8/09

Tenor

Auf die Berufung der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 12.1.2009 insoweit aufgehoben,

- als der Bescheid vom 22.7.2005 aufgehoben wurde,

- festgestellt wurde, dass der Kläger vom 1.3.1995 bis 31.12.2000 nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war,

- und die Beklagte verurteilt wurde, die zu Unrecht von dem Kläger geleisteten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nach den gesetzlichen Bestimmungen zurückzuzahlen.

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheids vom 22.7.2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der 1. Instanz zu erstatten.

Die Beigeladene zu 1), die Beklagte und die Beigeladene zu 3) haben als Gesamtschuldner die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Weitere Kostenerstattungen finden nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 1.3.1995 bis 31.12.2000 bei der Firma W. J. P. gesamtsozialversicherungspflichtig beschäftigt war und um die Erstattung von Beiträgen.

Der 1950 geborene Kläger ist gelernter Betriebsschlosser und absolvierte die Fachhochschule für Maschinenbau. Nach einer Facharbeiterprüfung arbeitete er von 1967-1970 als Facharbeiter und nach dem Ingenieurexamen von 1975 bis 1981 als technischer Angestellter. Anschließend war er Assistent bei den Röhrenwerken in B. und bis 1993 in einem N. Betrieb Betriebsleiter; vom 23.9.1993 bis 28.2.1995 bezog er als Arbeitsloser Leistungen der Beigeladenen zu 2).

Auf die mittlerweile verstorbene Mutter des Klägers W. J. war die Firma P. M. in B. angemeldet. Im November 1994 wurden dieser Firma von der Kreissparkasse Sa. Kredite über 600.000 DM gewährt. Der Vater des Klägers, der zum damaligen Zeitpunkt bei der Firma Sst. als Dreher beschäftigt war, bürgte ebenfalls wie der Kläger mit einer Summe von 600.000 DM.

Unter dem Datum des 1.3.1995 schloss der Kläger mit der Firma seiner Mutter einen Arbeitsvertrag, in dem unter anderem der Arbeitsbereich definiert, ein Arbeitsentgelt von 6.200 DM sowie eine Arbeitszeit von 37,5 h vereinbart wurden. Unter anderem wurde ihm auch ein Jahresurlaub gewährt und es wurde eine Kündigungsfrist vereinbart.

Im Mai 2005 begehrte der Kläger von der Beklagten die versicherungsrechtliche Beurteilung seines Beschäftigungsverhältnisses. Mit Bescheid vom 22.7.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er sei während der Beschäftigung bei der Mutter von März 1995 bis Dezember 2000 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Er sei in den Betrieb eingegliedert gewesen, ein Weisungsrecht habe bestanden, ein Arbeitsentgelt sei vereinbart, Lohnsteuer sei entrichtet und Betriebsausgaben seien geltend gemacht worden. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 2.7.2007 beantragte der Kläger erneut die Feststellung, dass er in der Zeit von März 1995 bis Dezember 2000 nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen war. Die zu Unrecht entrichteten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung seien zu erstatten. In diesem Antrag trug der Kläger unter anderem vor, am 5.1.1996 hätten er, sein Vater und ein Dritter die A.-M.-S.- u. M. GmbH gegründet, die im August 2000 in die A.-M.-G. umfirmiert worden sei. Diese sei in die anschließend gegründete A.-M. GmbH & Co. KG als persönlich haftende Gesellschafterin eingebracht worden; er und sein Vater seien Kommanditisten gewesen. In diese KG sei das vorherige Einzelunternehmen der Mutter integriert worden. Mit Gründung der GmbH sowie der GmbH & Co. KG sei er auch Geschäftsführer geworden. Er habe mit Eintritt in das Familienunternehmen die Auftragsbearbeitung, den Einkauf, das gesamte Personal sowie die Konstruktionsmethoden verantwortet. Seine Tätigkeit habe er stets eigenständig gestaltet und sich ein Entgelt gezahlt, welches seinen Bedürfnissen und den Möglichkeiten des Unternehmens entsprochen habe. In der Praxis habe er zehn Tage Urlaub im Jahr gehabt und 50-60 h pro Woche gearbeitet. Außerdem habe er eine Bürgschaft über 600.000 DM übernommen. Ferner trug der Kläger vor, die Mutter sei lediglich zum Schein in die Geschäftsführung integriert worden, eigentlicher Kopf des Unternehmens sei er selbst gewesen.

Auf die Mitteilung der Beklagten, es existiere bereits ein bestandskräftiger ablehnender Bescheid vom 22.7.2005, teilte der Kläger am 23.7.2007 mit, er wolle den Antrag vom 2.7.2007 dahin ergänzen, dass er die Überprüfung des Altbescheids nach § 44 SGB X beantrage; dieser Bescheid sei unter falschen Voraussetzungen ergangen. Der damalige Feststellungsbogen sei laienhaft und fehlerhaft ausgefüllt worden. Der Kopf des Unternehmens sei nicht die Mutter als Scheingeschäftsführerin, sondern er selbst gewesen.

Mit Bescheid vom 29.8.2007 führte die Beklagte aus, man habe die Rechtslage erneut überprüft und sei auch jetzt der Ansicht, dass der Kläger im streitigen Zeitraum der Versicherungspflicht unterlegen sei. Meldungen an das Finanzamt seien entsprechend erstellt worden und man habe einen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen mit den Elementen einer regelmäßigen Arbeitszeit, einer angemessenen Vergütung und der Beschreibung eines bestimmten Tätigkeitsbereichs. Eine persönliche Abhängigkeit habe bestanden. Ebenfalls sei der Kläger in den Betrieb eingegliedert worden. Die familiäre Rücksichtnahme habe dies zwar stark eingeschränkt; die Mutter habe als Inhaberin des Betriebs aber die unternehmerische Verantwortung gehabt. Hätte eine Aufnahme des Klägers in die Unternehmensleitung erfolgen sollen, hätte dies durch Gründung einer entsprechenden Personengesellschaft dokumentiert werden können. Auch wenn für den Kläger als Betriebsleiter die Weisungsgebundenheit weniger stark ausgeprägt sei, habe er dennoch am Arbeitsprozess teilgenommen und kein echtes Unternehmerrisiko getragen. Die Übernahme von Bürgschaften sei zwar ein Argument für ein solches Risiko. Wenn aber keine weiteren Aspekte für eine Unternehmerschaft sprächen, reiche dies nicht aus.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2.4.2008 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger ergänzend vorgetragen, sowohl er als auch sein Vater seien zu Beginn der achtziger Jahre in fremden Firmen angestellt tätig gewesen. Der ehemalige Arbeitgeber des Vaters, die Firma Sst., habe eine unternehmerische Nebentätigkeit des Vaters geduldet, dies aber unter der Bedingung, dass der Vater nicht offizieller Inhaber dieses Unternehmens sein dürfe. Auch er selbst habe nicht als Unternehmensgründer agieren können, da auch er in einer anderen Firma abhängig beschäftigt gewesen sei. Daher habe man die Firma auf den Namen der Mutter, einer Hausfrau, als Strohfrau angemeldet und er sowie sein Vater hätten sich abends nach Feierabend und an den Wochenenden für die Familienfirma unentgeltlich engagiert. Zu Beginn der neunziger Jahre habe die Firma aber eine Größe erreicht, die man nach Feierabend nicht mehr hätte betreiben können. Daher habe man ein Betriebsgelände angekauft, Maschinen besorgt und die eigenen Arbeitsverhältnisse beendet. Der Maschinenkauf habe finanziert werden müssen und weil der Mutter alleine Kredite nicht gewährt worden seien, habe man die Bürgschaft übernommen. An der neu gegründeten A.-M.-GmbH hätten er und sein Vater jeweils 25 % und ein weiterer Strohmann 50 % Anteile übernommen. Die Mutter sei in diese Prozesse nie eingebunden gewesen. Der geschlossene Arbeitsvertrag sei lediglich eine Formalie gewesen.

Nachdem das Sozialgericht für das Saarland (SG) einen Beiladungsbeschluss erlassen und dort unter anderem "Herrn W. J., Inhaber der Firma W. J., P.-M." beigeladen hatte, erließ es nach informatorischer Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 12.1.2009 ein Urteil. Es stellte unter Aufhebung der Bescheide vom 22.7.2005 und vom 29.8.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.4.2008 fest, dass der Kläger vom 1.3.1995 bis 31.12.2000 nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Zudem verurteilte es die Beklagte, die zu Unrecht vom Kläger geleisteten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nach den gesetzlichen Bestimmungen zurückzuzahlen.

Im Wesentlichen hat es ausgeführt, die Mutter des Klägers sei lediglich Strohfrau gewesen und die Angaben des Klägers seien glaubhaft. Die gelebte Praxis sei völlig anders abgelaufen als es im Arbeitsvertrag beschrieben worden sei. Der Kläger habe alleinige Fachkenntnisse gehabt und deshalb die Firma übernommen. Er habe auch ein erhebliches Risiko durch die übernommene Bürgschaft getragen. Der Anspruch auf Rückerstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge beruhe auf §§ 26 ff. SGB IV für die Rentenversicherung und § 351 SGB III für die Arbeitslosenversicherung. Die Beklagte als Einzugsstelle und die Beigeladene zu 1) sowie die Beigeladene zu 2) hätten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zu überprüfen, ob der Rückzahlungsanspruch gegebenenfalls deshalb nicht gegeben sei, weil in dem streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen erbracht worden seien, andere gesetzliche Bestimmungen der Rückzahlung entgegenstünden oder der Rückzahlung Verjährung oder Verwirkung entgegenzuhalten seien. Der Leistungsträger müsse eine ermessensfehlerfreie Entscheidung treffen.

Gegen das am 21.1.2009 zugestellte Urteil hat die Beigeladene zu 1) am 20.2.2009 per Telefax und ohne Einreichung des Originals der Berufungsschrift Berufung eingelegt.

Im Wesentlichen trägt diese vor, die tatsächlichen Beziehungen gingen einer ursprünglich getroffenen Vereinbarung nur soweit vor, als eine formlose Abbedingung rechtlich möglich sei. Wesentlich seien der geschlossene Arbeitsvertrag, die steuerrechtlichen Vorteile hierdurch und die Geltendmachung als Betriebsausgabe. Der Arbeitsvertrag sei kein Scheingeschäft gewesen. Es komme nicht darauf an, ob die Mutter in irgendeiner Form im Betrieb tätig gewesen sei oder Weisungen erteilt habe. Sie sei alleinige Inhaberin der Einzelfirma gewesen und habe rechtliche Weisungsmacht gehabt. Die Bürgschaft alleine sei kein Argument und außerdem habe der Kläger im Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft als Arbeitsloser Leistungen der Arbeitsverwaltung bezogen. An der anschließenden KG sei der Kläger nur mit 25 % beteiligt gewesen.

Der Senat hat die Pflegekasse bei der Techniker Krankenkasse beigeladen.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 12.1.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beigeladenen zu 1) zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und ist der Meinung, die Berufung der Beigeladenen zu 1) sei unzulässig, da dem übermittelten Telefax kein Originalschriftsatz gefolgt sei.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 3) schließen sich dem Antrag der Beigeladenen zu 1) an.

Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt.

Der Senat hat durch den Berichterstatter am 25.10.2010 den Kläger informatorisch befragt und den Vater des Klägers, E. J., als Zeugen vernommen. Außerdem hat er den Beiladungsbeschluss im Hinblick auf W. J., P., aufgehoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 25.10.2010 verwiesen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beigeladenen zu 1) ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers wahrt die mittels Telefax übermittelte Berufungsschrift das Schriftformerfordernis des § 151 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 125 BGB. Die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig (BVerfG NJW 1996, 2857; BGH, Beschluss vom 27.11.1996, VIII ZB 38/96; BAG, Urteil vom 27.3.1996, 5 AZR 576/94). Die Faxvorlage enthielt die eigenhändige Unterschrift. Die Tatsache, dass die Übermittlung des unterschriebenen Originals innerhalb der Berufungsfrist nicht bei Gericht eingegangen ist, steht einer frist- oder formgerechten Berufungseinlegung nicht entgegen. Da die Berufungsschrift Name und Anschrift des Berufungsklägers, eine maschinenschriftliche Erstellung, die Faxnummer des Absendegeräts sowie Zeit und Datum enthalten hat, benötigt man zur Zuordnung der Berufungsschrift und zur Ernsthaftigkeit der Berufungseinlegung keine weiteren Klarstellungen mehr. In der Rechtsprechung ist es anerkannt, dass die Nachreichung eines Originals nach Berufungseinlegung per Telefax keine eigenständige Bedeutung hat, sondern bereits mit Telefaxeinlegung die Berufung erfolgt ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Auflage, § 151 Rn. 3 d mwN.).

Die Beigeladene zu 1) ist als Berufungsklägerin rechtsmittelbefugt, weil sie als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung vom Feststellungsausspruch des SG, Sozialversicherungspflicht habe für den Kläger im streitigen Zeitraum nicht bestanden, betroffen ist.

Die Berufung der Beigeladenen zu 1) hat teilweise Erfolg. Das SG hat zwar zu Recht erkannt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum seiner Tätigkeit in der Firma der Mutter nicht sozialversicherungspflichtig im Sinne von §§ 28h Abs. 2, 2 Abs. 2 Nr. 1, 7 SGB IV beschäftigt war, denn in dem streitgegenständlichen Zeitraum hat kein Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV bestanden (1.). Allerdings räumt für den konkreten Fall der wegen des bereits bestandskräftigen, für den Kläger negativen Bescheids vom 22.7.2005 anwendbare § 44 SGB X der Beklagten ein Ermessen zur Rücknahme dieses Bescheids ein, welches der Senat nicht ersetzen kann (2.). Die Verurteilung der Beklagten, zu Unrecht geleistete Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nach den gesetzlichen Bestimmungen zurückzuzahlen, kann somit nicht aufrecht erhalten werden (3.)

Als Rechtsgrundlage für die vom Kläger mit seinem Schreiben vom 23.7.2007 beantragte Korrektur des bestandskräftigen Bescheids vom 22.7.2005 kommt allein § 44 SGB X in Betracht. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind (Abs. 1 Satz 1). Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 Satz 1 und 2).

1. Für alle Fallkonstellationen dieser Norm ist Tatbestandsmerkmal ein rechtswidriger Verwaltungsakt, den es zu korrigieren gilt. Der Bescheid vom 22.7.2005 war ein solcher rechtswidriger Verwaltungsakt. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Personen, die sich in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befinden, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI; § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Beschäftigung in diesem Sinne ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung, wie es tatsächlich vollzogen wird.

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung, so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R m.w.N.).

Zwar fehlte beim Kläger das so genannte unmittelbare Unternehmerrisiko, denn nach außen war Inhaberin der Fa. P. die verstorbene Mutter des Klägers. Dies allein zwingt aber noch nicht zur Annahme einer abhängigen Beschäftigung, was aus der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 18.12.2001 – B 12 KR 10/01 R; 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, vom 08.12.1987 – 7 RAr 25/86, vom 29.10.1986 – 7 RAr 43/85) zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von GmbH-Geschäftsführern, die nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligt sind, folgt. Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar, da solche GmbH-Geschäftsführer ebenso wie vorliegend der Kläger nach außen kein Unternehmensrisiko tragen und die Situation somit vergleichbar ist.

Nach dieser Rechtsprechung wird bei einem Geschäftsführer, der am Kapital der Gesellschaft nicht beteiligt ist, in der Regel ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegen. Indessen gilt auch für den Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung, dass Abhängigkeit nur bejaht werden kann, wenn das die abhängige Beschäftigung prägende Merkmal der Unterordnung unter das Weisungsrecht eines Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsausführung gegeben ist, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes erfolgt. Dabei genügt nicht, dass der Geschäftsführer überhaupt an Weisungen irgendwelcher Art gebunden ist; denn auch wer sich als Selbstständiger zur entgeltlichen Geschäftsbesorgung verpflichtet, muss grundsätzlich Weisungen des Dienstberechtigten beachten. Ist der Geschäftsführer lediglich bei bestimmten wichtigeren Geschäften in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkt, ohne einem für die persönliche Abhängigkeit ausschlaggebenden Direktionsrecht der Gesellschaft in Bezug auf die Ausführung seiner Tätigkeit unterworfen zu sein, so liegt eine abhängige Beschäftigung nicht vor.

In Sonderheit wird bei einem Geschäftsführer einer Familiengesellschaft, sofern der Geschäftsführer mit den Gesellschaftern familiär verbunden und die Höhe seiner Bezüge auch von der Ertragslage der Gesellschaft abhängig ist, eine solche Fallgestaltung in Betracht kommen. Die in einer derartigen Familiengesellschaft vorliegende Verbundenheit zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführer kann zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung füreinander schaffen und einen Einklang der Interessen bewirken. Im Einzelfall können die familiären Beziehungen dazu führen, dass die Geschäftsführertätigkeit überwiegend durch familienhafte Rücksichtnahme geprägt wird und es an der Ausübung einer Direktion durch die Gesellschafter völlig mangelt. Ob eine derartige Sachlage gegeben ist, hängt davon ab, in welchem Umfang der Gesellschafts- bzw. Anstellungsvertrag eine Einflussnahme auf die konkrete Geschäftsführertätigkeit gestattet und inwieweit der äußere Rahmen dieser Tätigkeit durch einseitige Weisung der Gesellschafter auch tatsächlich geregelt wird. Gewichtige Indizien für einen Gleichklang der Interessen zwischen Gesellschafter und dem nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer und für eine fehlende Weisungsbefugnis können daneben der Errichtungszweck der Gesellschaft und die Nähe der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Geschäftsführer und den Gesellschaftern sein, insbesondere bei einer Einmanngesellschaft. Ergibt daher eine Gesamtwürdigung der Umstände, dass der Geschäftsführer aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten, fehlt es an der für eine beitragspflichtige Beschäftigung unabdingbaren Voraussetzung der persönlichen Abhängigkeit (BSG, Urteil vom 08.12.1987 – 7 RAr 25/86).

Eine solche vergleichbare Position hatte der Kläger inne. Nach den Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren und dem Ergebnis der Befragung und der Vernehmung des Vaters im Erörterungstermin durch den Berichterstatter des Senats steht fest, dass die Tatsache, dass die Mutter des Klägers Inhaberin der Fa. P. war, damit zusammenhing, dass der als Schlosser, Facharbeiter und Dipl.-Ing. Maschinenbau ausgebildete und tätige Kläger sowie der ebenfalls als Dreher fachlich kompetente Vater des Klägers andere Arbeitsverträge geschlossen hatten und in der Anfangsphase der selbstständigen Tätigkeit ab Mitte der 80er Jahre die Sicherheit der abhängigen Beschäftigungen nicht aufgeben wollten. Die Mutter des Klägers, eine gelernte Kindergärtnerin und Hausfrau, war somit die einzige, die zunächst nach außen hin selbstständig tätig werden konnte. Der Vater des Klägers hat im Erörterungstermin bekundet, dass er bis zum Einstieg des Klägers einen Einmannbetrieb geführt hatte. Sowohl der Kläger als auch sein Vater haben ausgeführt, dass beide arbeitsteilig tätig waren, der Vater aber mit seinen handwerklichen Kenntnissen überfordert war, eine Expansion des Betriebs vorzunehmen, und der Kläger mit seinen belegten Fach- und Englischkenntnissen derjenige war, der dies eigenverantwortlich und eigenständig tun konnte. Ohne weiteres nachvollziehbar ist dann, dass der Kläger im Betrieb seiner Mutter, gegebenenfalls nach Absprache mit dem Vater, die wesentlichen Entscheidungen weitgehend selbstständig getroffen hat. Er hat beispielsweise Mitarbeiter eingestellt und entlassen und den maschinellen Bereich gemanagt. Für den Senat ist kein Teilgebiet ersichtlich, für das die Mutter des Klägers diesem hätte Weisungen erteilen können. Der Kläger war selbstständig tätig und schaltete und waltete in eigener Verantwortung. Auch eine Abhängigkeit vom Vater ließ sich nicht konstruieren, denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Vater derjenige war, der im Gegensatz zum Kläger eine letzte Entscheidungsgewalt innegehabt hätte. All dies sind sehr starke und eindeutige Indizien für eine weisungsfreie, keiner fremden Ordnung unterliegenden selbstständigen Tätigkeit des Klägers.

Dass nach außen hin die Mutter wegen der zunächst gegebenen Konkurrenzsituation und der Arbeitsverhältnisse von Kläger und Vater in Erscheinung treten musste und später an dieser Struktur mangels Veranlassung und Relevanz nichts geändert wurde, ist kein Beleg dafür, dass tatsächlich die Mutter oder der Vater die Weisungen gegeben und den Betrieb organisiert haben. Auf das äußere Erscheinungsbild kommt es - wie bereits ausgeführt - gerade nicht an, wenn die gelebte Praxis davon abweicht.

Dass zu Beginn des hier streitigen Zeitraums der Kläger mit seiner Mutter einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, ist vor diesem Hintergrund ein rein formeller Akt ohne inhaltliche Bedeutung. Offenkundig ist, dass dieser Arbeitsvertrag in der beschriebenen Unternehmenspraxis nie umgesetzt worden ist. Wie bereits ausgeführt, sind nicht die formalen Elemente, sondern die gelebte Praxis ausschlaggebend. Unentschieden bleiben kann daher, ob es rein steuerliche Gründe waren, diesen Scheinarbeitsvertrag zu schließen oder nicht. Entscheidend ist, dass eine Weisungsbindung des Klägers zu keinem Zeitpunkt bestanden hat.

Gestützt wird diese Einschätzung dadurch, dass der Kläger mit der Bürgschaft über einen sechsstelligen DM-Betrag ein erhebliches eigenes finanzielles Risiko eingegangen ist und dieses Risiko mit dem Erfolg der Firma verbunden wurde. Obwohl dies genau genommen kein eigenes unmittelbares unternehmerisches Risiko ist, zeigt dies doch, dass im Gegensatz zu einem abhängig Beschäftigten finanzielle Dispositionen getroffen wurden, die denjenigen eines Unternehmers sehr nahe kommen.

Aus der Tatsache, dass der Kläger für einen vergangenen Zeitraum, in dem seine Situation im Betrieb ähnlich war wie im anschließenden, hier streitbefangenen Zeitraum, Leistungen der Arbeitsverwaltung erhalten hat, kann man nicht auf ein anderes Ergebnis schließen. Dies allein hat keine Bedeutung. Ob der Kläger diese Leistungen zu Unrecht erhalten hat und ob seine auch schon zu diesem Zeitpunkt durchgeführte Tätigkeit für die Firma der Mutter einer Leistung nach dem SGB III entgegenstehen kann, ist nicht Gegenstand dieses Statusfeststellungsverfahrens.

Die bereits genannten Elemente für eine abhängige Beschäftigung wie festes Arbeitsgehalt, Regelung einer Arbeitszeit, Lohnfortzahlung und Urlaubsanspruch treten als rein formale Aspekte hinter die Weisungsfreiheit und Möglichkeit der eigenen Gestaltung des Betriebs durch den Kläger deutlich zurück. Alleine die vorgebrachten Argumente in Bezug auf den tatsächlichen Arbeitsablauf, für den abhängige Elemente für ein Weisungsverhältnis zwischen Mutter und Kläger völlig fehlen, überwiegen die eher formalen Aspekte für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bei weitem.

Damit hat das SG zu Recht erkannt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum der Jahre 1995 bis 2000 im Betrieb seiner Mutter keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist, sondern selbstständig und damit versicherungsfrei tätig war.

2. Dies bedeutet aber noch nicht, dass der Kläger die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheids vom 22.7.2005 beanspruchen kann. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der als Rechtsfolge zwingend eine Rücknahme vorschreibt, verlangt zudem, dass deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Statusfeststellung bzgl. der Sozialversicherungspflicht mit dem Bescheid vom 22.7.2005 betrifft nicht unmittelbar die bereits Jahre zuvor erfolgte Beitragszahlung an die Beklagte als Einzugsstelle.

Durch das Tatbestandsmerkmal „und soweit deshalb“ in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem als rechtswidrig festgestellten Verwaltungsakt und der Beitragserhebung verlangt. Eine solche rechtliche Wirkung des Verwaltungsakts für die Beitragsposition ist nur gegeben, wenn hierdurch eine Zahlungspflicht unmittelbar gestaltend geregelt worden ist (von Wulffen-Schütze, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rdnr. 16).

Eine solche Konstellation ist im Fall des Klägers nicht gegeben, denn durch den Statusbescheid vom 22.7.2005 wurden ursächlich keine Beiträge erhoben, wie es § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X fordert.

Für die begehrte Bescheidkorrektur kann daher nur § 44 Abs. 2SGB X herangezogen werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass alleine ein Sachverhalt zu beurteilen ist, der vergangen und abgeschlossen ist, nämlich der sozialversicherungsrechtliche Status des Klägers in der Zeit von März 1995 bis Dezember 2000. Deshalb kommt eine Bindung der Beklagten in Richtung Rücknahme nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X, die nur bei Wirkung für die Zukunft besteht, nicht in Betracht.

Gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Bei dem streitigen Statusfeststellungsbescheid vom 22.7.2005 handelt es sich in diesem Sinne um einen rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakt für den Kläger. Einen Rechtsanspruch auf Rücknahme hat der Kläger nicht, weil die Beklagte für Sachverhalte, die vergangen sind, im Gegensatz zu Regelungen mit Zukunftswirkung (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X), ein Ermessen hat (BSG, Urteil vom 22.6.2005, B 6 KA 21/04 R) und dieses Ermessen nicht zu Gunsten des Klägers auf Null reduziert ist. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X lässt der Beklagten eine weitgehende Entscheidungsfreiheit. Er gibt weder der Rechtssicherheit (Beständigkeit der Entscheidung) noch der Einzelfallgerechtigkeit den Vorrang; beide Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips haben im Rahmen dieser Vorschrift vielmehr gleichen Rang. Deshalb kann weder allein die Rechtswidrigkeit des früheren Bescheides zu dessen Rücknahme verpflichten noch kann die eingetretene Bindungswirkung entscheidender Grund für die Ablehnung der Rücknahme sein (BSG, Urteil vom 24.2.1987, 11b RAr 60/86).

Die Beklagte hätte daher, weil die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X erfüllt waren, über die beantragte Rücknahme des Bescheids vom 22.7.2005 nach pflichtgemäßem Ermessen befinden müssen. Sie hat jedoch – aus ihrer Sicht konsequent - weder im angefochtenen Bescheid noch im Widerspruchsbescheid eine Ermessensentscheidung getroffen, weil sie fälschlicherweise der Ansicht war, der Bescheid vom 22.7.2005 sei rechtmäßig gewesen. Die unterbliebene Ermessensausübung führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vom 29.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.4.2008 – diese Bescheide hat das SG daher im Ergebnis zu Recht aufgehoben – mit der Folge, dass die Beklagte zur Erteilung eines neuen, auf einer Ermessensausübung beruhenden Bescheides zu verpflichten ist (zu Ermessensgründen: Kasseler Kommentar-Steinwedel, Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X Rdnr. 47, von Wulffen/Schütze, a.a.O. Rdnr. 25). Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, die bei der Ermessensausübung der Beklagten anzulegenden Maßstäbe zu entwickeln; das muss sie selbst tun (BSG aaO.).

3. Die Berufung hat auch insoweit Erfolg, als die Beklagte zur Rückzahlung der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung verurteilt wurde. Zum einen ist dies Folge davon, dass die Entscheidung über die Korrektur des Bescheids der Beklagten vom 22.7.2005 über die Sozialversicherungspflicht des Klägers im streitigen Zeitraum als Grundlage für eine eventuelle Beitragserstattung derzeit weggefallen und von der Beklagten noch zu treffen ist. Zum andern fordert die Frage der Rückerstattung der Beiträge ein gesondertes Verwaltungsverfahren – über die beantragte Erstattung von Beiträgen ist durch Verwaltungsakt zu entscheiden –, welches noch nicht durchgeführt wurde. Nach § 26 Abs. 2 SGB IV und § 351 Abs. 1 SGB III werden zu Unrecht gezahlte Beiträge unter den dort näher genannten Voraussetzungen erstattet. Die Rentenversicherungsträger können mit den Einzugsstellen nach § 211 Satz 1 SGB VI vereinbaren, dass die Einzugsstellen die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge übernehmen. Die gleiche Regelung trifft § 351 Abs. 2 Nr. 3 SGB III für die Bundesagentur für Arbeit. Hierzu haben die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Deutsche Rentenversicherung Bund sowie die Bundesagentur für Arbeit „Gemeinsame Grundsätze für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge“ erarbeitet (Grintsch in Kreikebohm, SGB VI, 3. Aufl. 2008, § 211 Rdnr. 3). Diese Gemeinsamen Grundsätze vom 21.11.2006 sehen unter Gliederungsnummern 4.3.1, 4.3.2 und 4.3.3 unterschiedliche Zuständigkeiten, einerseits der Einzugsstelle, andererseits des Rentenversicherungsträgers und der Bundesagentur für Arbeit je nach konkreter Fallgestaltung vor. Gerade diese Einzelheiten der gemeinsamen Grundsätze müssen in einem gesonderten Verwaltungsverfahren geklärt werden.

Die Berufung hat daher im tenorierten Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Gründe

Die Berufung der Beigeladenen zu 1) ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers wahrt die mittels Telefax übermittelte Berufungsschrift das Schriftformerfordernis des § 151 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 125 BGB. Die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig (BVerfG NJW 1996, 2857; BGH, Beschluss vom 27.11.1996, VIII ZB 38/96; BAG, Urteil vom 27.3.1996, 5 AZR 576/94). Die Faxvorlage enthielt die eigenhändige Unterschrift. Die Tatsache, dass die Übermittlung des unterschriebenen Originals innerhalb der Berufungsfrist nicht bei Gericht eingegangen ist, steht einer frist- oder formgerechten Berufungseinlegung nicht entgegen. Da die Berufungsschrift Name und Anschrift des Berufungsklägers, eine maschinenschriftliche Erstellung, die Faxnummer des Absendegeräts sowie Zeit und Datum enthalten hat, benötigt man zur Zuordnung der Berufungsschrift und zur Ernsthaftigkeit der Berufungseinlegung keine weiteren Klarstellungen mehr. In der Rechtsprechung ist es anerkannt, dass die Nachreichung eines Originals nach Berufungseinlegung per Telefax keine eigenständige Bedeutung hat, sondern bereits mit Telefaxeinlegung die Berufung erfolgt ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Auflage, § 151 Rn. 3 d mwN.).

Die Beigeladene zu 1) ist als Berufungsklägerin rechtsmittelbefugt, weil sie als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung vom Feststellungsausspruch des SG, Sozialversicherungspflicht habe für den Kläger im streitigen Zeitraum nicht bestanden, betroffen ist.

Die Berufung der Beigeladenen zu 1) hat teilweise Erfolg. Das SG hat zwar zu Recht erkannt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum seiner Tätigkeit in der Firma der Mutter nicht sozialversicherungspflichtig im Sinne von §§ 28h Abs. 2, 2 Abs. 2 Nr. 1, 7 SGB IV beschäftigt war, denn in dem streitgegenständlichen Zeitraum hat kein Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV bestanden (1.). Allerdings räumt für den konkreten Fall der wegen des bereits bestandskräftigen, für den Kläger negativen Bescheids vom 22.7.2005 anwendbare § 44 SGB X der Beklagten ein Ermessen zur Rücknahme dieses Bescheids ein, welches der Senat nicht ersetzen kann (2.). Die Verurteilung der Beklagten, zu Unrecht geleistete Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nach den gesetzlichen Bestimmungen zurückzuzahlen, kann somit nicht aufrecht erhalten werden (3.)

Als Rechtsgrundlage für die vom Kläger mit seinem Schreiben vom 23.7.2007 beantragte Korrektur des bestandskräftigen Bescheids vom 22.7.2005 kommt allein § 44 SGB X in Betracht. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind (Abs. 1 Satz 1). Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 Satz 1 und 2).

1. Für alle Fallkonstellationen dieser Norm ist Tatbestandsmerkmal ein rechtswidriger Verwaltungsakt, den es zu korrigieren gilt. Der Bescheid vom 22.7.2005 war ein solcher rechtswidriger Verwaltungsakt. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Personen, die sich in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befinden, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI; § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Beschäftigung in diesem Sinne ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung, wie es tatsächlich vollzogen wird.

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung, so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R m.w.N.).

Zwar fehlte beim Kläger das so genannte unmittelbare Unternehmerrisiko, denn nach außen war Inhaberin der Fa. P. die verstorbene Mutter des Klägers. Dies allein zwingt aber noch nicht zur Annahme einer abhängigen Beschäftigung, was aus der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 18.12.2001 – B 12 KR 10/01 R; 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, vom 08.12.1987 – 7 RAr 25/86, vom 29.10.1986 – 7 RAr 43/85) zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von GmbH-Geschäftsführern, die nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligt sind, folgt. Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar, da solche GmbH-Geschäftsführer ebenso wie vorliegend der Kläger nach außen kein Unternehmensrisiko tragen und die Situation somit vergleichbar ist.

Nach dieser Rechtsprechung wird bei einem Geschäftsführer, der am Kapital der Gesellschaft nicht beteiligt ist, in der Regel ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegen. Indessen gilt auch für den Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung, dass Abhängigkeit nur bejaht werden kann, wenn das die abhängige Beschäftigung prägende Merkmal der Unterordnung unter das Weisungsrecht eines Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsausführung gegeben ist, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes erfolgt. Dabei genügt nicht, dass der Geschäftsführer überhaupt an Weisungen irgendwelcher Art gebunden ist; denn auch wer sich als Selbstständiger zur entgeltlichen Geschäftsbesorgung verpflichtet, muss grundsätzlich Weisungen des Dienstberechtigten beachten. Ist der Geschäftsführer lediglich bei bestimmten wichtigeren Geschäften in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkt, ohne einem für die persönliche Abhängigkeit ausschlaggebenden Direktionsrecht der Gesellschaft in Bezug auf die Ausführung seiner Tätigkeit unterworfen zu sein, so liegt eine abhängige Beschäftigung nicht vor.

In Sonderheit wird bei einem Geschäftsführer einer Familiengesellschaft, sofern der Geschäftsführer mit den Gesellschaftern familiär verbunden und die Höhe seiner Bezüge auch von der Ertragslage der Gesellschaft abhängig ist, eine solche Fallgestaltung in Betracht kommen. Die in einer derartigen Familiengesellschaft vorliegende Verbundenheit zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführer kann zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung füreinander schaffen und einen Einklang der Interessen bewirken. Im Einzelfall können die familiären Beziehungen dazu führen, dass die Geschäftsführertätigkeit überwiegend durch familienhafte Rücksichtnahme geprägt wird und es an der Ausübung einer Direktion durch die Gesellschafter völlig mangelt. Ob eine derartige Sachlage gegeben ist, hängt davon ab, in welchem Umfang der Gesellschafts- bzw. Anstellungsvertrag eine Einflussnahme auf die konkrete Geschäftsführertätigkeit gestattet und inwieweit der äußere Rahmen dieser Tätigkeit durch einseitige Weisung der Gesellschafter auch tatsächlich geregelt wird. Gewichtige Indizien für einen Gleichklang der Interessen zwischen Gesellschafter und dem nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer und für eine fehlende Weisungsbefugnis können daneben der Errichtungszweck der Gesellschaft und die Nähe der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Geschäftsführer und den Gesellschaftern sein, insbesondere bei einer Einmanngesellschaft. Ergibt daher eine Gesamtwürdigung der Umstände, dass der Geschäftsführer aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten, fehlt es an der für eine beitragspflichtige Beschäftigung unabdingbaren Voraussetzung der persönlichen Abhängigkeit (BSG, Urteil vom 08.12.1987 – 7 RAr 25/86).

Eine solche vergleichbare Position hatte der Kläger inne. Nach den Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren und dem Ergebnis der Befragung und der Vernehmung des Vaters im Erörterungstermin durch den Berichterstatter des Senats steht fest, dass die Tatsache, dass die Mutter des Klägers Inhaberin der Fa. P. war, damit zusammenhing, dass der als Schlosser, Facharbeiter und Dipl.-Ing. Maschinenbau ausgebildete und tätige Kläger sowie der ebenfalls als Dreher fachlich kompetente Vater des Klägers andere Arbeitsverträge geschlossen hatten und in der Anfangsphase der selbstständigen Tätigkeit ab Mitte der 80er Jahre die Sicherheit der abhängigen Beschäftigungen nicht aufgeben wollten. Die Mutter des Klägers, eine gelernte Kindergärtnerin und Hausfrau, war somit die einzige, die zunächst nach außen hin selbstständig tätig werden konnte. Der Vater des Klägers hat im Erörterungstermin bekundet, dass er bis zum Einstieg des Klägers einen Einmannbetrieb geführt hatte. Sowohl der Kläger als auch sein Vater haben ausgeführt, dass beide arbeitsteilig tätig waren, der Vater aber mit seinen handwerklichen Kenntnissen überfordert war, eine Expansion des Betriebs vorzunehmen, und der Kläger mit seinen belegten Fach- und Englischkenntnissen derjenige war, der dies eigenverantwortlich und eigenständig tun konnte. Ohne weiteres nachvollziehbar ist dann, dass der Kläger im Betrieb seiner Mutter, gegebenenfalls nach Absprache mit dem Vater, die wesentlichen Entscheidungen weitgehend selbstständig getroffen hat. Er hat beispielsweise Mitarbeiter eingestellt und entlassen und den maschinellen Bereich gemanagt. Für den Senat ist kein Teilgebiet ersichtlich, für das die Mutter des Klägers diesem hätte Weisungen erteilen können. Der Kläger war selbstständig tätig und schaltete und waltete in eigener Verantwortung. Auch eine Abhängigkeit vom Vater ließ sich nicht konstruieren, denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Vater derjenige war, der im Gegensatz zum Kläger eine letzte Entscheidungsgewalt innegehabt hätte. All dies sind sehr starke und eindeutige Indizien für eine weisungsfreie, keiner fremden Ordnung unterliegenden selbstständigen Tätigkeit des Klägers.

Dass nach außen hin die Mutter wegen der zunächst gegebenen Konkurrenzsituation und der Arbeitsverhältnisse von Kläger und Vater in Erscheinung treten musste und später an dieser Struktur mangels Veranlassung und Relevanz nichts geändert wurde, ist kein Beleg dafür, dass tatsächlich die Mutter oder der Vater die Weisungen gegeben und den Betrieb organisiert haben. Auf das äußere Erscheinungsbild kommt es - wie bereits ausgeführt - gerade nicht an, wenn die gelebte Praxis davon abweicht.

Dass zu Beginn des hier streitigen Zeitraums der Kläger mit seiner Mutter einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, ist vor diesem Hintergrund ein rein formeller Akt ohne inhaltliche Bedeutung. Offenkundig ist, dass dieser Arbeitsvertrag in der beschriebenen Unternehmenspraxis nie umgesetzt worden ist. Wie bereits ausgeführt, sind nicht die formalen Elemente, sondern die gelebte Praxis ausschlaggebend. Unentschieden bleiben kann daher, ob es rein steuerliche Gründe waren, diesen Scheinarbeitsvertrag zu schließen oder nicht. Entscheidend ist, dass eine Weisungsbindung des Klägers zu keinem Zeitpunkt bestanden hat.

Gestützt wird diese Einschätzung dadurch, dass der Kläger mit der Bürgschaft über einen sechsstelligen DM-Betrag ein erhebliches eigenes finanzielles Risiko eingegangen ist und dieses Risiko mit dem Erfolg der Firma verbunden wurde. Obwohl dies genau genommen kein eigenes unmittelbares unternehmerisches Risiko ist, zeigt dies doch, dass im Gegensatz zu einem abhängig Beschäftigten finanzielle Dispositionen getroffen wurden, die denjenigen eines Unternehmers sehr nahe kommen.

Aus der Tatsache, dass der Kläger für einen vergangenen Zeitraum, in dem seine Situation im Betrieb ähnlich war wie im anschließenden, hier streitbefangenen Zeitraum, Leistungen der Arbeitsverwaltung erhalten hat, kann man nicht auf ein anderes Ergebnis schließen. Dies allein hat keine Bedeutung. Ob der Kläger diese Leistungen zu Unrecht erhalten hat und ob seine auch schon zu diesem Zeitpunkt durchgeführte Tätigkeit für die Firma der Mutter einer Leistung nach dem SGB III entgegenstehen kann, ist nicht Gegenstand dieses Statusfeststellungsverfahrens.

Die bereits genannten Elemente für eine abhängige Beschäftigung wie festes Arbeitsgehalt, Regelung einer Arbeitszeit, Lohnfortzahlung und Urlaubsanspruch treten als rein formale Aspekte hinter die Weisungsfreiheit und Möglichkeit der eigenen Gestaltung des Betriebs durch den Kläger deutlich zurück. Alleine die vorgebrachten Argumente in Bezug auf den tatsächlichen Arbeitsablauf, für den abhängige Elemente für ein Weisungsverhältnis zwischen Mutter und Kläger völlig fehlen, überwiegen die eher formalen Aspekte für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bei weitem.

Damit hat das SG zu Recht erkannt, dass der Kläger im streitigen Zeitraum der Jahre 1995 bis 2000 im Betrieb seiner Mutter keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist, sondern selbstständig und damit versicherungsfrei tätig war.

2. Dies bedeutet aber noch nicht, dass der Kläger die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheids vom 22.7.2005 beanspruchen kann. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der als Rechtsfolge zwingend eine Rücknahme vorschreibt, verlangt zudem, dass deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Statusfeststellung bzgl. der Sozialversicherungspflicht mit dem Bescheid vom 22.7.2005 betrifft nicht unmittelbar die bereits Jahre zuvor erfolgte Beitragszahlung an die Beklagte als Einzugsstelle.

Durch das Tatbestandsmerkmal „und soweit deshalb“ in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem als rechtswidrig festgestellten Verwaltungsakt und der Beitragserhebung verlangt. Eine solche rechtliche Wirkung des Verwaltungsakts für die Beitragsposition ist nur gegeben, wenn hierdurch eine Zahlungspflicht unmittelbar gestaltend geregelt worden ist (von Wulffen-Schütze, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 44 Rdnr. 16).

Eine solche Konstellation ist im Fall des Klägers nicht gegeben, denn durch den Statusbescheid vom 22.7.2005 wurden ursächlich keine Beiträge erhoben, wie es § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X fordert.

Für die begehrte Bescheidkorrektur kann daher nur § 44 Abs. 2SGB X herangezogen werden. Hierbei ist von Bedeutung, dass alleine ein Sachverhalt zu beurteilen ist, der vergangen und abgeschlossen ist, nämlich der sozialversicherungsrechtliche Status des Klägers in der Zeit von März 1995 bis Dezember 2000. Deshalb kommt eine Bindung der Beklagten in Richtung Rücknahme nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X, die nur bei Wirkung für die Zukunft besteht, nicht in Betracht.

Gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Bei dem streitigen Statusfeststellungsbescheid vom 22.7.2005 handelt es sich in diesem Sinne um einen rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakt für den Kläger. Einen Rechtsanspruch auf Rücknahme hat der Kläger nicht, weil die Beklagte für Sachverhalte, die vergangen sind, im Gegensatz zu Regelungen mit Zukunftswirkung (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X), ein Ermessen hat (BSG, Urteil vom 22.6.2005, B 6 KA 21/04 R) und dieses Ermessen nicht zu Gunsten des Klägers auf Null reduziert ist. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X lässt der Beklagten eine weitgehende Entscheidungsfreiheit. Er gibt weder der Rechtssicherheit (Beständigkeit der Entscheidung) noch der Einzelfallgerechtigkeit den Vorrang; beide Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips haben im Rahmen dieser Vorschrift vielmehr gleichen Rang. Deshalb kann weder allein die Rechtswidrigkeit des früheren Bescheides zu dessen Rücknahme verpflichten noch kann die eingetretene Bindungswirkung entscheidender Grund für die Ablehnung der Rücknahme sein (BSG, Urteil vom 24.2.1987, 11b RAr 60/86).

Die Beklagte hätte daher, weil die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X erfüllt waren, über die beantragte Rücknahme des Bescheids vom 22.7.2005 nach pflichtgemäßem Ermessen befinden müssen. Sie hat jedoch – aus ihrer Sicht konsequent - weder im angefochtenen Bescheid noch im Widerspruchsbescheid eine Ermessensentscheidung getroffen, weil sie fälschlicherweise der Ansicht war, der Bescheid vom 22.7.2005 sei rechtmäßig gewesen. Die unterbliebene Ermessensausübung führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vom 29.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.4.2008 – diese Bescheide hat das SG daher im Ergebnis zu Recht aufgehoben – mit der Folge, dass die Beklagte zur Erteilung eines neuen, auf einer Ermessensausübung beruhenden Bescheides zu verpflichten ist (zu Ermessensgründen: Kasseler Kommentar-Steinwedel, Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X Rdnr. 47, von Wulffen/Schütze, a.a.O. Rdnr. 25). Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, die bei der Ermessensausübung der Beklagten anzulegenden Maßstäbe zu entwickeln; das muss sie selbst tun (BSG aaO.).

3. Die Berufung hat auch insoweit Erfolg, als die Beklagte zur Rückzahlung der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung verurteilt wurde. Zum einen ist dies Folge davon, dass die Entscheidung über die Korrektur des Bescheids der Beklagten vom 22.7.2005 über die Sozialversicherungspflicht des Klägers im streitigen Zeitraum als Grundlage für eine eventuelle Beitragserstattung derzeit weggefallen und von der Beklagten noch zu treffen ist. Zum andern fordert die Frage der Rückerstattung der Beiträge ein gesondertes Verwaltungsverfahren – über die beantragte Erstattung von Beiträgen ist durch Verwaltungsakt zu entscheiden –, welches noch nicht durchgeführt wurde. Nach § 26 Abs. 2 SGB IV und § 351 Abs. 1 SGB III werden zu Unrecht gezahlte Beiträge unter den dort näher genannten Voraussetzungen erstattet. Die Rentenversicherungsträger können mit den Einzugsstellen nach § 211 Satz 1 SGB VI vereinbaren, dass die Einzugsstellen die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge übernehmen. Die gleiche Regelung trifft § 351 Abs. 2 Nr. 3 SGB III für die Bundesagentur für Arbeit. Hierzu haben die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Deutsche Rentenversicherung Bund sowie die Bundesagentur für Arbeit „Gemeinsame Grundsätze für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge“ erarbeitet (Grintsch in Kreikebohm, SGB VI, 3. Aufl. 2008, § 211 Rdnr. 3). Diese Gemeinsamen Grundsätze vom 21.11.2006 sehen unter Gliederungsnummern 4.3.1, 4.3.2 und 4.3.3 unterschiedliche Zuständigkeiten, einerseits der Einzugsstelle, andererseits des Rentenversicherungsträgers und der Bundesagentur für Arbeit je nach konkreter Fallgestaltung vor. Gerade diese Einzelheiten der gemeinsamen Grundsätze müssen in einem gesonderten Verwaltungsverfahren geklärt werden.

Die Berufung hat daher im tenorierten Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

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