Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (2. Senat) - L 2 AL 71/09

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Klägerin zum Bezug von Arbeitslosengeld.

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Die am ... 1970 geborene Klägerin nahm zum 1. März 2004 eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Gebäudereinigerin bei der K. M. GmbH (künftig: Arbeitgeberin) auf.

3

Am 18. Februar 2005 überließ das zuständige Jugendamt B. der Klägerin den am ... 2003 geborenen N. G. zur Pflege. Für die Vollzeitpflege erhält die Klägerin ein Pflegegeld nach Maßgabe des § 39 des Sozialgesetzbuches Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII). Direkt im Anschluss an die Überlassung des Kindes, am 18. Februar 2005, trat die Klägerin die Erziehungszeit an. Am ... 2006 vollendete N. G. das dritte Lebensjahr. Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 29. Januar 2008 ihren Arbeitsvertrag bei der Arbeitgeberin zum 28. Februar 2009. Sie begründete ihre Kündigung damit, dass sie aufgrund der Betreuung des pflegebedürftigen N. G. ihrer Arbeitgeberin nicht mehr entsprechend der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit ab 18.00 Uhr zur Verfügung stehen könne. Eine Betreuung des Kindes durch ihren Ehemann in den Abendstunden scheide aus, da dieser sich unter der Woche auf Montage befinde.

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Am 30. Januar 2008 meldete sich die Klägerin zum 1. März 2008 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

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Mit Bescheid vom 18. Februar 2008 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe, die für die Gewährung von Arbeitslosengeld zwingend nötige Anwartschaftszeit nicht erfüllt.

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Mit Schreiben vom 18. März 2008 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. In der Widerspruchsbegründung trug sie vor, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld lägen sehr wohl vor. Sie habe auch die Anwartschaftszeit erfüllt, da sie vor und während der Dauer der Elternzeit bis zum 1. März 2008 in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe. Dies habe zur Folge, dass ein Versicherungspflichtverhältnis vorgelegen habe. Das Pflegekind sei sehr kurzfristig an die Familie der Klägerin übergeben worden, da es in Anbetracht der häuslichen und familiären Situation nicht mehr möglich gewesen sei, N. G. in dem elterlichen Haushalt zu belassen. Das Kind sei vernachlässigt und auch körperlich misshandelt worden. Aufgrund der Vernachlässigung und Misshandlung habe das Kind zum Zeitpunkt der Inpflegenahme eine Nierenbeckenentzündung gehabt.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2008 wies die Beklagte den Widerspruch wegen der Nichterfüllung der Anwartschaftszeit als unbegründet zurück: Die Erziehungszeit des Pflegekindes ab dem 18. Februar 2005 könne nur für zehn Tage als versicherungspflichtige Zeit berücksichtigt werden, da nach § 26 Abs. 2a Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) Personen in der Zeit, in der sie ein Kind, welches das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, betreuen, versicherungspflichtig seien. Die hier maßgebliche Rahmenfrist beginne am 1. März 2006, das dritte Lebensjahr habe das Pflegekind am ... 2006 vollendet. In der Zeit vom 1. März 2006 bis zum 29. Februar 2008 habe die Klägerin kein Arbeitsentgelt und keine Lohnersatzleistungen bezogen, so dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausscheide.

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Am 10. Juli 2008 hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Halle (Saale) (SG) erhoben und ihr Begehren auf Zahlung von Arbeitslosengeld mit der bisherigen Begründung weiterverfolgt.

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Das SG hat mit Urteil vom 23. Juni 2009 die Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet: Die Klägerin habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Zwar habe das Arbeitsverhältnis nach dem 18. Februar 2005 bis einschließlich 29. Februar 2008 fortbestanden – jedoch ohne den Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt. Die Fortdauer des die Anwartschaftszeit begründenden Beschäftigungsverhältnisses ohne den Anspruch auf Arbeitsentgelt dauere nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) höchstens einen Monat. Von diesem Grundsatz werde nach § 7 Abs. 3 Satz 2 SGB IV unter anderem bei der Inanspruchnahme der Elternzeit abgewichen, da dafür nach § 24 Abs. 2 SGB III nur der Eintritt oder das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses das Versicherungspflichtverhältnis begründen würde. Darüber hinaus begründe auch die Erziehung eines Kindes, welches das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, die Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2a SGB IIII. Beurteile man die Anwartschaftszeitberechnung nach diesen Kriterien, habe die Klägerin die geforderten 12 Monate nicht erfüllt. In der maßgeblichen Rahmenfrist vom 1. März 2006 bis zum 29. Februar 2008 seien insgesamt nur zehn Tage als versicherungspflichtige Beschäftigung anzusehen und zwar die zehn Tage zwischen dem 1. März 2006 und dem dritten Geburtstag des Pflegekindes. Irrelevant sei, dass das Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) und das Bundeselterngeldgesetz u. Elternzeitgesetz (BEEG) die Möglichkeit im Rahmen der Adoptions- bzw. Vollzeitpflege eröffnet, Erziehungszeit bzw. Elternzeit auch über das dritte Lebensjahr hinaus zu nehmen, da keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke vorliege. Von der Verfassungswidrigkeit des § 26 SGB III sei nicht auszugehen. So sei weder eine Verletzung von Art. 14 GG noch von Art. 3 GG ersichtlich.

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Gegen dieses, ihrer Prozessbevollmächtigten am 6. Juli 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte am 6. August 2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung trägt sie vor: Die Rechtsansicht des SG sei unzutreffend, soweit das Gericht die fehlende Anwartschaftszeit mit dem Verweis auf § 26 Abs. 2a SGB III begründe. Vorliegend könne die betreffende Vorschrift nicht herangezogen werden, da der Anwendungsbereich nicht eröffnet sei. Nach § 26 Abs. 2a Satz 1 SGB III seien Personen in der Zeit versicherungspflichtig, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, wenn sie unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren. § 26 Abs. 2a Satz 1 SGB III gelte nach Satz 2 der Vorschrift jedoch nur für Kinder des Erziehenden, seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder seines nicht dauernd getrennt lebenden Lebenspartners. Zur Bestimmung des Umfanges des Anwendungsbereiches müssten die §§ 1589ff., 1741ff. BGB herangezogen werden, wonach nur unmittelbar von dem Erziehenden abstammende und adoptierte Kinder erfasst seien. Da es sich vorliegend um die Erziehung eines Kindes in Vollzeitpflege handle, welches nicht mit der Klägerin verwandt bzw. von ihr adoptiert worden sei, könne § 26 Abs. 2a SGB III keine Anwendung finden – allein maßgebliche Regelung sei dann § 7 Abs. 3 SGB IV i.V.m. § 24 SGB III. Weiterhin verweist die Klägerin auf Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit, insbesondere im Hinblick auf Art. 14 GG und Art. 3 GG.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichtes Halle vom 23. Juni 2009, den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab dem 1. März 2008 in gesetzlicher Höhe für 12 Monate zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die Ausführungen im Urteil des SG. Ergänzend trägt sie vor, die Klägerin habe wegen fehlender Verfügbarkeit spätesten ab Juni 2006 keinen Anspruch mehr auf das Arbeitslosengeld, da sie sich nur auf bestimmte Wochentage und Zeiten eingeschränkt den Vermittlungsbemühungen zur Verfügung gestellt habe.

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Darauf erwidert die Klägerin, sie habe zwar den Vermittlungsbemühungen der Beklagten aufgrund der umfangreichen Therapiemaßnahmen des Pflegekindes nur in zeitlich begrenztem Umfang zu Verfügung stehen können. Eine starre Festlegung auf bestimmte Wochenstunden lasse sich daraus jedoch nicht ableiten.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen. Die Akten haben vorgelegen und sind vom Senat bei der Entscheidung berücksichtigt worden.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte mit Zustimmung der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

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Die Statthaftigkeit der Berufung ergibt sich aus den §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR überschreitet. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.

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Die Berufung ist nicht begründet, da der Klägerin kein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach den §§ 117, 118 ff. SGB III in der Fassung bis zum 31. März 2012 zusteht.

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Gemäß den §§ 117, 118 SGB III haben Anspruch auf Arbeitslosengeld Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Nach § 123 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Nach § 124 Abs. 1 SGB III beträgt die Rahmenfrist zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Nach den genannten Vorschriften berechnet sich aufgrund der Arbeitslosmeldung und Antragstellung zum 1. März 2008 die Rahmenfrist vom 1. März 2006 bis zum 29. Februar 2008. Innerhalb dieser zweijährigen Rahmenfrist hat die Klägerin nicht für mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden.

24

Ein Versicherungspflichtverhältnis nach den §§ 24, 25 SGB III scheidet aus, weil die Klägerin trotz fortbestehendem Arbeitsverhältnis nicht gegen Arbeitsentgelt bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt war. Der letzte Abrechnungszeitraum mit Anspruch auf Arbeitsentgelt liegt unstreitig vor Beginn dieser zweijährigen Rahmenfrist.

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Die Klägerin war auch nicht aus sonstigen Gründen im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB III versicherungspflichtig.

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Es kann dabei offen bleiben, ob sich bis zum dritten Lebensjahr des Pflegekindes N. G. eine Versicherungspflicht aus § 26 Abs. 2a SGB III ergeben könnte. Danach sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, wenn sie u. a. unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren und sich mit dem Kind im Inland gewöhnlich aufhalten. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt dies nur für Kinder des Erziehenden. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Vorschrift trotz der Beschränkung auf "Kinder des Erziehenden" auch für Pflegekinder analog anzuwenden ist, wofür viel spricht. Selbst wenn die Vorschrift auch auf die Erziehung von Pflegekindern angewandt wird, begründet dies keine ausreichende Anwartschaftszeit. Da die Klägerin ihren Antrag auf Arbeitslosengeld zum 1. März 2008 stellte, umfasst die Rahmenfrist des § 124 SGB III den Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 29. Februar 2008. In diese Rahmenfrist fiel der dritte Geburtstag des Pflegekindes. Am 2006 vollendete dieses das dritte Lebensjahr, so dass nur zehn Tage Versicherungspflicht vorgelegen haben könnten.

27

Die von der Klägerin geltend gemachte Nichtanwendbarkeit des § 26 Abs. 2a SGB III führt nicht zu der Erfüllung der Anwartschaftszeit. Diese Rechtsauffassung beruht auf einer fehlerhaften Auslegung des § 7 Abs. 3 SGB IV.

28

Nach § 24 Abs. 1 SGB III stehen Personen in einem Versicherungspflichtverhältnis, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Maßgebend ist insoweit der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses im versicherungsrechtlichen Sinne; auf den Begriff des Arbeitsverhältnisses kommt es dabei nicht an. Wie sich aus § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III ergibt, führt nur die abhängige Beschäftigung gegen Entgelt zur Versicherungspflicht im Sinne der Arbeitslosenversicherung. Vom 18. Februar 2005 bis zum 28. Februar 2008 war die Klägerin jedoch wegen der Betreuung und Erziehung ihres Pflegekindes nicht gegen Entgelt beschäftigt. Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV gilt eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Nach § 7 Abs. 3 Satz 3 SGB IV gilt § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV nicht, wenn unter anderem nach den gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen wird. Da die Klägerin Elternzeit in Anspruch genommen hat, greift die Fiktion einer fortbestehenden Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt nicht ein. Unabhängig hiervon würde selbst diese Fiktion sich nicht anspruchsbegründend auswirken können, weil das Beschäftigungs- und Versicherungsverhältnis auch nach § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV nur einen Monat lang ab dem 12. März 2006 als fortbestehend gelten würde.

29

Die Ausführungen der Klägerin können nur so verstanden werden, dass sie davon ausgeht, dass die Einschränkung auf nur einen Monat nach § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV nicht gelten soll, soweit Elternzeit in Anspruch genommen wird. Dies ist verfehlt, da nach § 7 Abs. 3 Satz 3 SGB IV die gesamte Fiktion des § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV für die dort genannten Fälle nicht greift. Beim Bezug einer dieser Leistungen gilt das Beschäftigungs- und Versicherungsverhältnis somit nicht als fortbestehend (vgl. hierzu LSG Schleswig Holstein, Urteil vom 31.10.2008, Az.: L 3 AL 14/08 – zitiert nach juris; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 73. Ergänzungslieferung 2012, § 7 SGB IV, Rn. 184 – zitiert nach beck- online).

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Das die gesamte Fiktion keine Anwendung finden soll, ergibt sich auch aus der Gesetzessystematik, da die einzelnen Sozialgesetzbücher eigenständige Regelungen zur Versicherungspflicht von Personen, die die Elternzeit in Anspruch nehmen, angepasst auf die jeweilige Versicherungsart, zur Verfügung stellen. So bleibt nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) die Mitgliedschaft des Versicherungspflichtigen in der gesetzlichen Krankenkasse erhalten, solange dieser Erziehungsgeld bezieht bzw. Elternzeit in Anspruch nimmt. Im Rahmen der Rentenversicherung werden Kindererziehungszeiten bis zum 36. Monat nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes als Beitragszeiten (§§ 55 Abs. 1 Satz 2, 56 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI), die Zeit bis zur Vollendung des achten Lebensjahres als Berücksichtigungszeit gewertet (§ 57 SGB VI). Die gesetzliche Arbeitslosenversicherung berücksichtigt die Elternzeit wie dargestellt in § 26 Abs. 2a SGB III.

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Die Vorschrift des § 26 Abs. 2a SGB III ist nicht erweiternd auslegungsbedürftig und -fähig.

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So scheitert eine erweiternde Auslegung der Versicherungspflicht auf Erziehungszeiten nach dem dritten Lebensjahr entsprechend der Ausdehnung des Zeitraums der Elternzeit nach § 15 Abs. 2 Satz 5 BEEG am entgegenstehenden klaren Wortlaut und an dem Fehlen einer ausfüllungsbedürftigen Gesetzeslücke. § 15 Abs. 2 Satz 5 BEEG sieht vor, dass bei einem angenommenen Kind und bei einem Kind in Vollzeit- oder Adoptionspflege Elternzeit von insgesamt bis zu drei Jahren ab der Aufnahme, längstens bis zur Vollendung des achten Lebensjahres des Kindes genommen werden kann. Dieselbe Regelung enthielt schon § 15 Abs. 2 Satz 5 BErzGG, in der bis zum 31.12.2006 gültigen Fassung. Beide Vorschriften weichen demnach von der starren Regelung des § 26 Abs. 2a SGB III ab. Eine Inbezugnahme verbietet sich schon aufgrund der unterschiedlichen Regelungsinhalte. Dem arbeitsrechtlichen Elternzeitrecht ist - anders als dem SGB III - keine sozialversicherungsrechtliche Schutzfunktion zuzumessen; diese ergibt sich vielmehr ausschließlich und abschließend aus den insoweit einschlägigen Sozialrechtsgebieten. Die Vorschriften über die Elternzeit sind arbeitsrechtlicher und damit nicht sozialrechtlicher Natur. Ein umfassender Sozialversicherungsschutz wegen der Erziehung von Kindern kann in dem BEEG nicht festgelegt sein, da dieser sich aus den einzelnen Sozialrechtsgebieten ergibt, wie z.B. im Krankenversicherungsrecht nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V oder eben nach § 26 Abs. 2a SGB III im Arbeitslosenrecht (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22.06.2010, Az.: L 13 AL 5467/09; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 01.11.2010, Az.: L 12 AL 94/09 – zitiert nach juris).

33

Darüber hinaus hat das Bundessozialgericht (vor der Einführung des § 26 Abs. 2a SGB III) entschieden, dass die Regelung, wonach sich die Rahmenfrist nur um die Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes verlängert, in denen das Kind das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, keine Gesetzeslücke enthielt und nicht verfassungswidrig war. Die dem Urteil des BSG vom 04.09.2003 (Az.: B 11 AL 9/03 R – zitiert nach juris) zu Grunde liegenden Erwägungen sind auch hier sinngemäß heranzuziehen (vgl. auch LSG Schleswig Holstein, Urteil vom 31.10.2008, Az.: L 3 AL 14/08 – zitiert nach juris). Eine Gesetzeslücke kann nur angenommen werden, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung insoweit die Rechtsfindung überlassen möchte; wenn es den betreffenden Sachverhalt aufgrund eines Versehens nicht erfasst oder wenn sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat. Der Gesetzgeber habe durch die Schaffung des § 26 Abs. 2a SGB III und der darin enthaltenen (erneuten) Begrenzung der Begünstigung auf das dritte Lebensjahr des Kindes gezeigt, dass ihm die unvollständige Einbeziehung der im BErzGG geregelten Tatbestände bewusst gewesen sei. Dem Gesetzgeber muss es bewusst gewesen sei, dass die Regelung des § 26 Abs. 2a SGB III Adoptiveltern nicht den gleichen Versicherungsschutz zukommen lässt, wie Eltern, die unmittelbar im Anschluss an die Geburt die Elternzeit in Anspruch nehmen können. Soweit die Klägerin geltend macht, dass die Entscheidung des Bundessozialgerichtes vorliegend nicht einschlägig sei, ist das in tatsächlicher Hinsicht zutreffend, ändert aber an der gleichen rechtlichen Bewertung der Sachverhalte nichts. Der Unterschied betrifft nur die Tatsache, dass die Klägerin in dem vom BSG zu entscheidenden Fall ein Kind adoptiert hatte, vorliegend die Klägerin ein Kind zur Vollzeitpflege übernommen hat. Die Adoption bewirkt im Unterschied zu einer Aufnahme zur Vollzeitpflege, dass die Annahme nach § 1754 BGB dazu führt, dass das Adoptivkind die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden erlangt. Beiden gleich sind die tatsächlichen Verhältnisse. Bei der Vollzeitpflege wie bei der Adoption ist es nicht die Regel, dass das Kind bereits umgehend nach der Geburt bzw. im zeitlich unmittelbaren Anschluss zu den Adoptiv- bzw. Pflegeeltern gelangt. Bei beiden Konstellationen kann ein erhöhter Betreuungsaufwand nötig sein, um das Kind in die aufnehmende Familie zu integrieren. Der Adoption ist ein langwieriges Verfahren vorgeschaltet. Bei der Vollzeitpflege müssen erst Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Erziehungsberechtigte nicht in der Lage ist, eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung angedeihen zu lassen. Aufgrund des zeitlichen Abstandes zur Geburt werden sowohl die Adoptiveltern als auch die Pflegeeltern nie vollumfänglich die Versicherungspflicht des § 26 Abs. 2a SGB III ausschöpfen können. Berücksichtigung findet diese vergleichbare Situation für beide im § 15 Abs. 2 Satz 5 BEEG.

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Die Regelung in § 26 Abs. 2a SGB III verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere ist Art. 14 GG nicht verletzt. Grundsätzlich werden vermögenswerte subjektiv-öffentliche Rechte in den Eigentumsbegriff des Art. 14 GG einbezogen, wenn es sich um eine vermögenswerte Rechtsposition handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechtes dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen und seiner Existenzsicherung dienen. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld unterfällt prinzipiell der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. Dies beruht darauf, dass es die Grundkonzeption des SGB III ist, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld durch eine Eigenleistung des Versicherten – die Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung – begründet wird. § 26 Abs. 2a SGB III gewährt jedoch eine Pflichtversicherung, die gerade nicht auf den eigenen Leistungen des Pflichtversicherten beruht.

35

Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG vor, da ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Pflegeeltern, die das Kind häufig nicht direkt nach der Geburt aufnehmen, und leiblichen Eltern besteht. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 I GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Damit ist dem Gesetzgeber aber weder jede Differenzierung verwehrt, noch ist es ihm untersagt, von Differenzierungen abzusehen. Art 3 Abs. 1 GG ist allerdings verletzt, wenn sich ein vernünftiger Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt bzw. wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (st. Rechtspr. des BVerfG, vgl. Beschluss vom 6. Juni 2011 – 1 BvR 2712/09 – zitiert nach juris). Da die zu regelnden Lebenssachverhalte einander nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Merkmalen gleichen, ist es aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht, solange er diese Auswahl sachgerecht und nicht willkürlich trifft. Innerhalb dieser Grenzen ist er in seiner Entscheidung grundsätzlich frei. Was in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in Bezug auf die Eigenart des konkret geregelten Sachbereichs (BSG, Urteil vom 29.05.2008, B 11a AL 23/07 R – zitiert nach juris).

36

Vorliegend besteht die Ungleichbehandlung darin, dass Pflegeeltern im Gegensatz zu leiblichen Eltern nicht umfassend von der Regelung des § 26 Abs. 2a SGB III profitieren können, da aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten eine Vollzeitpflege sich regelmäßig nicht unmittelbar an die Geburt eines Kindes anschließt und Pflegeltern nie die drei Jahre des § 26 Abs. 2a SGB III voll ausnutzen werden können bzw. besondere Umstände bestehen, die einen erhöhten Betreuungsaufwand über das dritte Lebensjahr hinaus erfordern.

37

Die unterschiedliche Behandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt. So durfte der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 26 Abs. 2a SGB III davon ausgehen, dass innerhalb der ersten drei Lebensjahre eines Kindes ein besonderes Betreuungs- und Erziehungsbedürfnis besteht und das Bedürfnis nach einer Betreuungsperson bei einem unter dreijährigem Kind höher zu bewerten ist als bei schon älteren Pflegekindern. Weiterhin verbessern sich nach Vollendung des dritten Lebensjahres die Möglichkeiten, Kinder Betreuungseinrichtungen anzuvertrauen (vgl. hierzu BVerfG, Nichtannahmebeschluss (zu der zitierten Entscheidung des BSG vom 4. September 2003) vom 25.11.2004 – 1 BvR 2303/03 – zitiert nach juris).

38

Auch unter Heranziehung des Zwecks der Arbeitslosenversicherung ist die Ungleichbehandlung als sachlich gerechtfertigt zu bewerten. Der Zweck der Arbeitslosenversicherung liegt darin, für einen vorübergehenden Zeitraum das Risiko der Beschäftigungslosigkeit abzusichern. Der zeitliche Abstand zwischen der zuletzt ausgeübten Beschäftigung und dem Anspruch auf Arbeitslosengeld ist daher zeitlich zu begrenzen, wie sich dies auch in den Regelungen zur Anwartschaftszeit zeigt. Ziel des SGB III ist es insgesamt, Beschäftigungslosigkeit möglichst rasch zu beenden. Es ist daher nachvollziehbar, dass im Bereich des SGB III der versicherungspflichtige Tatbestand der Kindererziehung mit Vollendung des dritten Lebensjahres endet (so auch SG Speyer, Urteil vom 07.03.2012, Az.: S 1 AL 31/11 – zitiert nach juris).

39

Auch begründet die besondere Berücksichtigung des Lebensalters des angenommenen Kindes bei der Elternzeit in § 15 Abs. 2 Satz 5 BEEG und die fehlende Berücksichtigung des Alters des Kindes zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Familie in § 26 Abs. 2a SGB III keinen Verstoß gegen Art. 3 GG. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, die familienpolitische Förderung, die durch die Ausweitung des Anspruchs auf Elternzeit im BEEG erreicht werden soll, auch im Zusammenhang mit sozialrechtlichen Regelungen im Arbeitslosenrecht zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2004, Az.: 1 BvR 2303/03 – zitiert nach juris).

40

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und spiegelt den Ausgang des Verfahrens wider.

41

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


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