Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (2. Senat) - L 2 AL 56/12 B

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 4. Juli 2012 wird wie folgt abgeändert:

Dem Zeugen W .. werden aufgrund seines Nichterscheinens im Termin in der öffentlichen Sitzung am 04.07.2012 ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR und für den Fall der Nichteintreibbarkeit Ordnungshaft für die Dauer von zwei Tagen sowie die Kosten des Termins auferlegt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer trägt 2/3 der Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Staatskasse hat dem Beschwerdeführer ein Drittel seiner außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Beschwerdeführer begehrt die Aufhebung oder hilfsweise Herabsetzung eines gegen ihn als Zeugen verhängten Ordnungsgeldes wegen Nichterscheinens zum Termin.

2

Das Sozialgericht Halle (SG) lud den Beschwerdeführer erstmalig mit Ladung vom 14. März 2012, zugestellt per Postzustellungsurkunde (PZU) durch Einlegen in den Briefkasten am 22. März 2012, zum Termin der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 22. Mai 2012. Die Ladung betrifft eine Aussage als ehemaliger Arbeitgeber der Klägerin über die Dauer der Beschäftigung der Klägerin im Jahr 2008. In der Ladung war der Beschwerdeführer auf die Folgen des unentschuldigten Fernbleibens vom Termin (Ordnungsgeld bis zu 1000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Wochen) hingewiesen worden. Das SG verlegte den Termin auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf den 21. Juni 2012 und verwies auf den Inhalt der Ladung vom 14. März 2012 (gem. PZU vom 31. März 2012 an den Beschwerdeführer zugestellt). Auf neuerlichen Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin verlegte das SG auch diesen Termin auf den 4. Juli 2012 um 8.30 Uhr und verwies erneut auf den Inhalt der Ladung vom 14. März 2012. Diese Verlegung wurde ausweislich der PZU am 5. April 2012 um 10.46 Uhr durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten dem Beschwerdeführer zugestellt. Zur Verhandlung am 4. Juli 2012 erschienen die Klägerin persönlich und ihr Prozessbevollmächtigter sowie eine Vertreterin der Beklagten, nicht aber der Beschwerdeführer als Zeuge. Daraufhin beschloss das SG mit den ehrenamtlichen Richterinnen in der Sitzung, dem Beschwerdeführer aufgrund seines Nichterscheinens zum Termin ein Ordnungsgeld von 300,00 EUR und für den Fall der Nichteintreibbarkeit Ordnungshaft für die Dauer von drei Tagen sowie die Kosten des Termins aufzuerlegen. Zur Begründung des Beschlusses vom 4. Juli 2012 (im Deckblatt fehlerhafter Weise als Beschluss des Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung bezeichnet) führte die Kammer aus, dass die Sache wegen des Ausbleibens des Zeugen habe vertagt werden müssen, da für die Festlegung der Höhe des Ordnungsgeldes der Rahmen von 5,- bis 1.000,- EUR reiche, orientiere sich die Kammer zugunsten des Zeugen im unteren Bereich.

3

Gegen den ihm am 7. Juli 2012 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 7. August 2012 Beschwerde erhoben und diese wie folgt begründet: Er sei vergeblich am Termin am 21. Juni 2012 beim Gericht erschienen. Auf Nachfrage habe man ihm erklärt, dass der Termin wohl aufgehoben worden sei. Eine Ladung zum Termin am 4. Juli 2012 habe er nie erhalten. Da es sich bei dem betreffenden Termin um seinen Geburtstag handele, hätte er sich einen solchen Termin auf jeden Fall gemerkt. Er könne sich nicht erklären, wieso er den Brief nicht erhalten habe. Die einzige Erklärung für ihn sei, dass entweder der Brief nicht in seinen Briefkasten gelangt sei oder dass er sich in Werbeprospekten verfangen habe und er ihn versehentlich weggeworfen habe. Sowohl er als auch seine Lebensgefährtin, eine Rechtsanwaltsgehilfin, würden den Briefkasten regelmäßig leeren und alle Briefe und Fristen beachten. Im Übrigen treffe ihn ein Ordnungsgeld von 300 EUR finanziell sehr hart. Ausweislich einer beigefügten Gehaltsbescheinigung vom Juli 2012 erzielte der Beschwerdeführer ein Einkommen in diesem Monat in Höhe von 585,21 EUR brutto (478,57 EUR netto) und für das Jahr 2012 insgesamt in dieser Beschäftigung bisher 4.303,24 EUR brutto.

4

Das SG hat die Sache dem LSG Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt.

5

II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist zum Teil begründet. Die Höhe des Ordnungsgeldes ist herabzusetzen auf 150 EUR und dementsprechend die Anzahl der Tage der Ersatz-Ordnungshaft bei Nichteintreibbarkeit des Ordnungsgeldes.

6

Die Voraussetzungen für ein Ordnungsmittel gegen einen Zeugen lagen vor. Nach den §§ 118 SGG i. V. m. 380 ZPO werden für einen ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch das Ausbleiben verursachten Kosten und zugleich ein Ordnungsgeld und für den Fall des Nichtbeitreibens Ordnungshaft gegen diesen festgesetzt. Nach den §§ 118 SGG i. V. m. 381 ZPO unterbleibt die Auferlegung der Kosten und die Ordnungsstrafe, wenn das Ausbleiben des Zeugen rechtzeitig entschuldigt oder glaubhaft gemacht wird, dass den Zeugen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft.

7

Der Beschwerdeführer ist zum Termin am 4. Juli 2012 ordnungsgemäß geladen worden (vgl. § 377 ZPO). Ihm ist jeweils eine Verlegung des ursprünglich anberaumten Termins zugestellt worden. Es war zulässig, die Belehrung über die Folgen des Nichterscheinens nicht jedes Mal zu erneuern, sondern auf die Ausgangsbelehrung zu verweisen. Die Termine in der gleichen Sache waren in kurzer Folge bestimmt und jeweils um einige Wochen verlegt worden, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an dem konkreten Termin verhindert war. Der unmittelbare zeitliche und sachliche Bezug zu der ausführlichen "Ausgangsladung" war noch vorhanden.

8

Der Beschwerdeführer war auch nicht schuldlos säumig. Die von ihm vorgetragenen Tatsachen rechtfertigen sein Ausbleiben nicht i. S. des § 381 ZPO. Welche Gründe als Entschuldigungsgründe gelten, entscheidet das Gericht in freiem Ermessen unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles. Die vom Beschwerdeführer angeführten Gründe vermögen es nicht zu rechtfertigen, dass er nicht zum Termin erschienen ist. Es mag nur eine Nachlässigkeit sein, seine Zeitungen, Werbeprospekte usw. nicht danach zu kontrollieren, ob wichtige Schriftstücke mit hineingerutscht sind. Gleichwohl handelt es sich um Umstände, die der Betreffende zu vertreten hat. Er muss sicherstellen, dass die wichtigen Schreiben, die in seinen Briefkasten eingeworfen werden, von ihm auch zur Kenntnis genommen werden. Soweit der Beschwerdeführer mit Nichtwissen bestreitet, dass der Brief in seinen Briefkasten eingeworfen worden ist, ist dies unbeachtlich. Denn die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde (PZU) vermag dieser pauschale Vortrag nicht zu entkräften. Nach der PZU hat der Postzusteller am 5. April 2012 um 10.46 Uhr den betreffenden Brief in den Briefkasten eingeworfen, der zur Wohnung des Beschwerdeführers gehört. Die Postzustellungsurkunde begründet gem. den §§ 418, 182 ZPO den vollen Beweis der bezeugten Tatsachen. Einen Beweis für die Unrichtigkeit dieser Tatsache, dass der Brief tatsächlich nicht in den Briefkasten eingeworfen wurde, vermochte der Beschwerdeführer nicht anzutreten (dies könnte z. B. sein, wenn ein Nachbar ihm nach dem Termin den Brief aushändigt und mitteilt, er sei versehentlich in seinen Briefkasten eingeworfen worden und er habe vergessen, ihn weiterzuleiten).

9

Der Senat hält jedoch aufgrund des im Beschwerdeverfahren glaubhaft gemachten geringen Einkommens des Beschwerdeführers die Höhe des Ordnungsgeldes nicht für angemessen. Die Höhe des Ordnungsgeldes richtet sich nach Art. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB). Danach ist ein Rahmen von 5 EUR bis 1.000 EUR vorgesehen. Bei der Zumessung hat das Gericht neben dem Maß der Pflichtwidrigkeit und der Art des Verstoßes auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betreffenden zu berücksichtigen. Aus den nunmehr vorgelegten Einkommensbelegen geht hervor, dass der Beschwerdeführer nur über einen geringen monatlichen Verdienst verfügt. Daher war das Ordnungsgeld auf 150,00 EUR zu reduzieren. Für die Ersatz-Ordnungshaft bei Nichteintreibbarkeit des Ordnungsgeldes sind für je 75 EUR ein Tag Ordnungshaft festzusetzen. Der Termin am 4. Juli 2012 musste vertagt werden, so dass es sachgerecht ist, dem Beschwerdeführer die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten aufzuerlegen.

10

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 197a SGG. Der Beschwerdeführer gehört nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis nach § 183 SGG. Für dieses Beschwerdeverfahren gibt es auch keine gesetzliche Regelung, dass keine Kosten zu erheben sind. Vielmehr fällt eine Gerichtsgebühr gem. § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 7504 des Kostenverzeichnisses für sonstige Beschwerden an, die nicht nach anderen Vorschriften gebührenfrei sind (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. August 2012 – L 7 SF 1/12 B). Die betreffende Gebühr beträgt 50,00 EUR. Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde gegen das Ordnungsgeld erfolgreich ist, fallen die Kosten der Staatskasse in entsprechender Anwendung von § 46 Ordnungswidrigkeitengesetz i. V. m. § 467 Abs. 1 der Strafprozessordnung zur Last (vgl. für ein vollständiges Obsiegen: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Juni 2011– L 7 SB 29/11 – zitiert nach juris).

11

Dieser Beschluss kann nicht mit einer Beschwerde angegriffen werden (§ 177 SGG).


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen