Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (6. Senat) - L 6 KR 57/13

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 61.507,14 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten einer stationären Behandlung der bei der Beklagten versicherten Patientin B. (im Weiteren: Versicherte).

2

Die Versicherte wurde vom 4. Juli 2006 bis 9. Dezember 2006 im Krankenhaus der Klägerin stationär behandelt. Nach Zugang der Rechnung vom 16. März 2007 über 91.786,70 EUR mit der DRG K01A (verschiedene Eingriffe bei Diabetes mellitus mit Komplikationen und ähnliches) fragte die Beklagte am 29. März 2007 bei dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) an, ob die abgerechnete DRG medizinisch und sachlich korrekt und ob die besonderen Mittel des Krankenhauses für den gesamten stationären Aufenthaltes erforderlich gewesen seien. Weiter beglich sie zunächst am 18. April 2007 die Rechnung vollständig.

3

Der MDK forderte am 11. April 2007 weitere Unterlagen an. Nach dem verzögerten Eingang der Epikrise kam er in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 12. August 2008 zu dem Ergebnis, dass eine stationäre Behandlung in vollem Umfang durchgängig medizinisch begründet gewesen sei. Durch die Korrektur der Hauptdiagnose ergebe sich aber eine Änderung der vom Krankenhaus abgerechneten DRG. Denn statt der verschlüsselten Hauptdiagnose E11.70 (nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen: nicht als entgleist bezeichnet) sei die Diagnose T87.4 (Infektion des Amputationsstumpfes) zu kodieren. Denn die stationäre Wiederaufnahme der Versicherten sei wegen einer infizierten Wundheilungsstörung nach Großzehenamputation rechtsseitig am 2. Juni 2006 erfolgt. Durch diese Korrektur der Hauptdiagnose ändere sich die Abrechnung insgesamt dahingehend, dass die DRG I02C (Gewebe-/Hauttransplantation außer an der Hand, mit äußerst schwerem CC) zu kodieren sei.

4

Am 13. Dezember 2007 nahm die Beklagte eine komplette Absetzung des gezahlten Betrages vor. Am 7. Januar 2008 leistete die Beklagte eine Teilzahlung von 25.709,51 EUR, welche sie jedoch am 21. November 2008 komplett zurückbuchte.

5

Mit Schreiben vom 6. Oktober 2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, nach dem nun vorliegenden Gutachten sei eine Abrechnung der DRG I02C gerechtfertigt. Nach Auswertung des Gutachtens des MDK sei nur ein Betrag von 29.370,98 EUR in Rechnung zu stellen (Differenz: 61.507,14 EUR). Am 18. Dezember 2008 wurde wie angekündigt diese Summe gezahlt.

6

Am 21. Dezember 2010 hat die Klägerin Klage erhoben und die Zahlung des Differenzbetrages von 61.507,14 EUR nebst Zinsen gefordert. Sie hat zur Begründung ausgeführt, zu der Fallpauschale DRG K01A (verschiedene Eingriffe bei Diabetes mellitus mit Komplikationen und ähnliches) sei erst spät im November 2006 in den Verhandlungen ein Abschluss erzielt worden. Mangels Vorliegens einer einschlägigen Fallpauschale habe sie zu Recht bis zum 30. November 2006 gemäß § 10 Abs. 1 Fallpauschalenverordnung einen Betrag von 600,00 EUR pro Belegungstag abgerechnet. Ab 1. Dezember 2006 hätte pro Tag der Ausgleich des bedingt verminderten Zahlbetrags des vereinbarten Betrages (280,47 EUR), also 107,23 EUR in Ansatz gebracht werden können (vgl. Anlage 5 der Budget- und Entgeltvereinbarung).

7

Die DRG K01A sei auch zu Recht verschlüsselt worden. Hierzu müsse eine Hauptdiagnose TAB-K01.1 vorliegen. Dies sei hier die E11.70 (nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus) sowie eine Prozedur aus DRB-K01-2 (hier 5-864.A) sowie eine Prozedur aus DRB K01-4, im vorliegenden Fall die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung 8-550.1. Entscheidend seien die Hauptdiagnose, die operative Prozedur sowie die zusätzliche Komplexbehandlung.

8

T-Codes seien nur dann als Hauptdiagnose zu verschlüsseln, wenn kein spezifischer Code in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung existiere (vgl. Kodierrichtlinie D002d). Die Grunderkrankung Diabetes sei weit fortgeschritten und Ursache für die mehrfachen chirurgischen Interventionen am rechten Bein gewesen. Zu Unrecht habe der MDK allein auf den unmittelbaren Aufnahmeanlass abgestellt. Die nach Analyse festgestellte Hauptdiagnose müsse nicht der Aufnahmediagnose oder Einweisungsdiagnose entsprechen.

9

Die Beklagte hat die Ausführungen des MDK verteidigt und darüber hinaus eingewandt, die Forderung der Klägerin sei verwirkt.

10

Nach Auswertung der Patientenakte hat der MDK in einer erneuten gutachtlichen Stellungnahme vom 30. Mai 2012 ausgeführt, vor dem umstrittenen Krankenhausaufenthalt habe ein weiterer Krankenhausaufenthalt vom 31. Mai bis 9. Juni 2006 wegen eines diabetischen Gangrän der rechten Großzehe stattgefunden. Dabei sei am 1. Juni 2006 eine PTA der Arteria femoralis superficialis rechts und am 2. Juni 2006 eine Großzehenamputation erfolgt. Die Wiederaufnahme habe dann nach Einweisung durch die Hausärztin am 3. Juli 2006 unter der Diagnose "Wundheilungsstörung nach Großzehenamputation, Diabetes mellitus" stattgefunden. Aus dem gefäßchirurgischen Behandlungsprotokoll vom gleichen Tage ersichtlich sei ein "Zustand nach Großzehenamputation rechts am 2. Juni bei diabetischem Gangrän, Lokalbefund: nach Sturz vor 4 Tagen Wundheilungsstörung". Am 11. Juli 2006 sei eine Amputation der zweiten Zehe rechts sowie schließlich am 19. Juli 2006 eine Unterschenkelamputation rechts erfolgt. Im postoperativen Verlauf seien ein Sekretverhalt und eine erneute Infektion des Stumpfbereiches beschrieben. Wegen einer nebenbefundlichen Aszitesbildung (pathologische Ansammlung von freier Flüssigkeit in der Bauchhöhle) sei die Versicherte am 28. August 2006 in die geriatrische Abteilung verlegt worden. Im Rahmen einer weiterführenden Diagnostik habe sich der Verdacht auf eine Ovarialneoplasie (Eierstockkrebs) ergeben. Am 18. September 2006 sei eine Adnexexstirpation (Entfernung der Eierstöcke) beidseits erfolgt. Am 4. Oktober 2006 sei es zur Verlegung in die Innere Abteilung und sodann in die Chirurgie in Q. gekommen. Am 5. Oktober 2010 habe man eine Appendektomie (Blinddarmentfernung) wegen akuter Appendizitis vorgenommen. Zusätzlich habe eine Bauchdeckeninfektion bestanden.

11

In den Kodierrichtlinien heiße es unter 401d, dass zunächst festzustellen sei, ob hauptsächlich die Behandlung der Grunderkrankung Diabetes mellitus bzw. einer oder mehrerer Komplikationen dieser Erkrankung die stationäre Aufnahme veranlasst habe. Der Krankenakte sei nicht eindeutig zu entnehmen, dass nach Großzehenamputation am 2. Juni 2006 die Wundheilung ausgeblieben sei, da im gefäßchirurgischen Bericht vom 4. Juli 2006 ein Aufplatzen der Wunde nach Trauma beschrieben worden sei. Zumindest sei die Aufnahme nicht zur Behandlung der Grunderkrankung Diabetes mellitus erfolgt. Im Vordergrund der Behandlung habe nicht der Diabetes mellitus, sondern die Durchblutungsstörung gestanden. Hierzu heiße es in der GKR 401d, sofern Komplikationen (Manifestationen) des Diabetes mellitus vorlägen und die Behandlung einer Manifestation im Vordergrund stehe, sei E10 bis E14, 4. Stelle entsprechend dieser Manifestation, zu kodieren, gefolgt von einem entsprechenden Grund für diese Manifestation. Die Manifestation sei anzugeben, sofern sie der Nebendiagnosedefinition entspreche.

12

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Dr. K ... Der Sachverständige hat ausgeführt, dass nach der Angiographie am 7. Juli 2006 hämodynamisch günstige Blutverhältnisse - besonders im Bereich der dilatierten (verengten) Arteria femoralis (Oberschenkelarterie) rechts - festgestellt worden seien. Insoweit sei nicht nachvollziehbar, warum der Operateur im Operationsbericht von einem angiographisch "gesicherten Nachweis einer pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) vom Unterschenkeltyp" gesprochen habe. Auch im Entlassungsbericht des Voraufenthaltes sei ein "klinisch und dopplersonographisch" gutes Operationsergebnis der Behandlung der Stenosen der genannten Arterie beschrieben. Seiner Auffassung nach liege eine direkte postoperative Wundheilungsstörung vor, so dass die Kodierung T87.4 als Hauptdiagnose zutreffe. Sicher habe wie bei jedem fortgeschrittenen Diabetes auch eine periphere Durchblutungsstörung vorgelegen. Jedoch gebe es für diese keinen verlässlichen Untersuchungsbefund noch habe sie im Vordergrund der Behandlung gestanden. Bis zum Zeitpunkt der Unterschenkelamputation werde eine einfache Wundheilungsstörung mit Infektion dokumentiert. Die Krankenkartei der behandelnden Hausärztin Frau M. dokumentiere, dass die Versicherte diese wegen einer postoperativen Wundheilungsstörung ohne vorherigen Unfall aufgesucht habe. Mit T87.4 als Hauptdiagnose ergebe sich die DRG I02C.

13

Mit Urteil vom 26. Juni 2013 hat das Sozialgericht Halle der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, das tatsächlich vorliegende diabetische Fußsyndrom sei die Hauptdiagnose gewesen. Nach Analyse sei dieses - auch aufgrund der gutachtlich bestätigten Angiographie - für die nachfolgende Amputation ursächlich und habe damit auch den mehr als 150-tägigen Krankenhausaufenthalt der Versicherten verursacht. Die zugleich festgestellte Wundinfektion habe diesen Ressourcenverbrauch nicht herbeigeführt, da bereits sechs Tage nach Einweisung eine Nachamputation und nachfolgend eine Unterschenkelamputation erfolgt sei, so dass der ursprüngliche Amputationsstumpf nebst der zur Einweisung führenden Wundinfektion nicht mehr vorgelegen hätten.

14

Gegen die ihr am 1. August 2013 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte noch im gleichen Monat Berufung eingelegt und sich zur Begründung auf die beiden MDK-Gutachten sowie das Sachverständigengutachten gestützt sowie ihren erstinstanzlichen Vortrag vertieft. Ergänzend hat sie Auszüge aus den speziellen Kodierrichtlinien vorgelegt.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 26. Juni 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und hat eine Stellungnahme von PD Dr. C. zu den medizinischen Hintergründen vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, es habe sich zwar um eine Wundheilungsstörung gehandelt. Diese sei aber Teil der vorliegenden diabetischen Erkrankung mit diabetischer Mikroangiopathie und Neuropathie gewesen. Der Gesamtverlauf sei für ein diabetisches Fußsyndrom klassisch.

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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Internisten Dr. F ... Dieser hat darauf hingewiesen, dass das Gangrän nicht wesentlich durch die verengte Oberschenkelarterie verursacht worden sei, sondern durch eine Durchblutungsstörung kleinster Gefäße bei Diabetes mellitus (diabetische Mikroangiopathie). Wenn es sich nur um die Folgen einer arteriellen Verschlusskrankheit gehandelt hätte, wäre eine Infektion des Amputationsstumpfes beherrschbar gewesen. Es lägen somit die Kriterien vor, die zu der Diagnose eines diabetischen Fußsyndroms führten. Dabei ständen nicht heilende Wunden am Fuß eines an Diabetes erkrankten Menschen im Vordergrund. Sie seien häufig zusätzlich infiziert. Die Wundinfektion sei somit in der Diagnose diabetisches Fußsyndrom miterfasst. Der sehr lang andauernde Verlauf der stationären Behandlung sei durch weitere Erkrankungen gekennzeichnet, die sicher nicht mit der Einweisungsdiagnose in Zusammenhang gebracht werden könnten (Eierstocktumor, Blinddarmentzündung). Es bleibe jedoch dabei, dass die Einweisungsdiagnose und Hauptdiagnose diabetisches Fußsyndrom lauten müssten. Dies werde auch durch die Angaben des Hausarztes "Wundheilungsstörung nach Großzehen-Amputation, Diabetes mellitus" bestätigt. Die Verschlüsselung nach dem ICD-10-GM laute auf E11.74 (Diabetes mellitus, Typ 2: Mit multiplen Komplikationen: Mit diabetischem Fußsyndrom, nicht als entgleist bezeichnet). Danach sei das diabetische Fußsyndrom richtigerweise mit E11.70 verschlüsselt. Der im erstinstanzlichen Verfahren tätige Sachverständige habe verkannt, dass die nicht heilende infizierte Wunde direkte Folge des Diabetes mellitus gewesen sei und damit eine Komplikation dieser Erkrankung. Ohne den Diabetes mellitus wäre es entgegen den Angaben des MDK mit Wahrscheinlichkeit nicht zu der Wundheilungsstörung gekommen. Auch die Angabe, dass die Wundheilungsstörung erst nach Sturz vier Tage vor Krankenhausaufnahme aufgetreten sei, spreche eher für das Vorliegen eines diabetischen Fußsyndroms als Haupterkrankung. Typisch für diese Erkrankung sei, dass am Beginn nicht heilende Minimalverletzungen ständen. Den Ausführungen von PD Dr. C. stimme er ohne Einschränkungen zu.

21

Die Beklagte hat kritisiert, der Sachverständige Dr. F. setze sich lediglich rein medizinisch mit dem Sachverhalt auseinander. Eine Betrachtung aus kodiertechnischer Sicht sei nicht erfolgt. Das diabetische Fußsyndrom (E11.70) stelle die Grunderkrankung bei der Versicherten dar. Dieses spiegele allerdings nicht den Zusammenhang mit der vorangegangenen Amputation im Voraufenthalt vom 31. Mai bis 9. Juni 2006 wieder. Der Code T87.4 stelle sowohl die Infektion als auch den Zusammenhang mit der vorangegangenen Amputation dar. Dieser sei vorzugswürdig.

22

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juni 2016 hat Dr. F. seine Ansicht verteidigt. Die Wundinfektion sei Folge des diabetischen Fußsyndroms, so dass es sich um eine untergeordnete Diagnose gehandelt habe. Da die Wundinfektion zum diabetischen Fußsyndrom gehöre und nicht zusätzlich verschlüsselt werden müsse, könne diese auch keine Hauptdiagnose darstellen.

23

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass hier entscheidend die Kodierrichtlinien seien, die der Sachverständige nicht ausreichend würdige. Sie hat erneut Auszüge daraus vorgelegt. Danach sei bei einem Infekt eines Amputationsstumpfes eines Patienten mit diabetischem Fußsyndrom und Zustand nach Unterschenkelamputation die Diagnose T87.4 als Aufnahmegrund zu verschlüsseln.

24

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

25

Die Gerichtsakte, die Patientenakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben bei der Beratung und Entscheidung vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf deren Inhalt ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

26

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist auch im Übrigen zulässig.

27

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat sie zu Recht verurteilt.

28

Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat mit der erhobenen echten Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG die richtige Klageart gewählt; denn es handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (BSG, ... 2013 - B 3 KR 33/12 R - juris, Rn. 9).

29

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 61.507,14 EUR nebst Zinsen aufgrund der Behandlung der Versicherten.

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1. Dass die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung für die stationäre Behandlung der Versicherten erfüllt sind, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig (dazu a). Die Rechnung und die Kodierung der Hauptdiagnose für die Zeit bis zum 30. November 2006 (dazu b) und danach (dazu c) war richtig.

31

a) Die Klägerin erfüllte die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung, indem sie die Versicherte stationär vom 4. Juli 2006 bis 9. Dezember 2006 behandelte. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wie sich aus dem Gutachten des MDK vom 12. August 2008 und den mehrfachen schweren Operationen ergibt. Dies ist auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

32

b) Die von der Klägerin geltend gemachte Krankenhausvergütung bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage (dazu aa). Die von der Klägerin kodierte Hauptdiagnose E11.70 (nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen: nicht als entgleist bezeichnet) steuert unter Berücksichtigung der OPS die DRG K01A an, was zu der Abrechnung von 600,00 EUR/Tag bis zum 30. November 2006 führte. Die Klägerin durfte unter Beachtung der maßgeblichen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) die Diagnose E11.70 als Hauptdiagnose kodieren (dazu bb).

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aa) Die der Beklagten zustehende Krankenhausvergütung bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für die Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich gesetzlich aus § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V (i.d.F. durch Art. 1 Nr. 3 Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser [Fallpauschalengesetz - FPG] vom 23.4.2002, BGBl. I 1412) i.V.m. § 7 Krankenhausentgeltgesetz ([KHEntgG]; i.d.F. durch Art. 2 Nr. 5 Zweites Gesetz zur Änderung der Vorschriften zum diagnose-orientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften [Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz - 2. FPÄndG] vom 15.12.2004, BGBl. I 3429) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz ([KHG]; i.d.F. durch Art. 1 Nr. 4 2. FPÄndG vom 15.12.2004, BGBl. I 3429). Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge) konkretisiert. Nach § 1 Abs. 1 KHEntgG (i.d.F. durch Art. 2 Nr. 1 Gesetz zur Änderung der Vorschriften zum diagnose-orientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser [Fallpauschalenänderungsgesetz - FPÄndG] vom 17.7.2003, BGBl. I 1461) werden die vollstationären und teilstationären Leistungen der Krankenhäuser nach diesem Gesetz und dem KHG vergütet.

34

§ 7 S. 1 Nr. 1 KHEntgG bestimmt: "Die allgemeinen Krankenhausleistungen werden gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit folgenden Entgelten abgerechnet: 1. Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 9),." Mit diesen Entgelten werden alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen vergütet (§ 7 S. 2 KHEntgG). Die Spitzenverbände der Krankenkassen (ab 1.7.2008: Spitzenverband Bund der Krankenkassen) und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG (i.d.F. durch Art. 5 FPG vom 23.4.2002, BGBl. I 1412) mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG (i.d.F. durch Art. 2 Nr. 8 2. FPÄndG vom 15.12.2004, BGBl. I 3429) einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG (i.d.F. durch Art. 5 FPG vom 23.4.2002, BGBl. I 1412).

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Vereinbarungen auf Landesebene zwischen den in § 18 Abs. 1 S. 2 KHG genannten Vertragsparteien mit Wirkung für die ("lokalen") Vertragsparteien nach § 18 Abs. 2 KHG (§ 10 KHEntgG i.d.F. durch Art. 2 Nr. 7 2. FPÄndG vom 15.12.2004, BGBl. I 3429), Vereinbarungen zwischen den Krankenhausträgern und den Sozialleistungsträgern für das einzelne Krankenhaus (§§ 3 bis 6 KHEntgG, i.d.F. durch Art. 2 Nr. 1 bis 4 2. FPÄndG vom 15.12.2004, BGBl. I 3429; § 11 KHEntgG) und vertragliche Regelungen nach § 112 SGB V können den Vergütungsanspruch ebenfalls konkretisieren.

36

Die vertraglichen Fallpauschalen ergeben sich daraus, dass die nach den aufgezeigten gesetzlichen Regelungen hierzu berufenen Vertragspartner eine Fallpauschalenvereinbarung (FPV) mit einem Fallpauschalen-Katalog als Teil derselben und Allgemeine und Spezielle Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren (Deutsche Kodierrichtlinien [DKR]) vereinbart haben. DKR und FPV bilden den konkreten vertragsrechtlichen Rahmen, aus dem die für eine Behandlung maßgebliche DRG-Position folgt (vgl. näher dazu BSG, 8. November 2011 - B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236-254, Rn. 17). Im vorliegenden Fall sind maßgebend - jeweils normativ wirkend (vgl. dazu BSG a.a.O. Rn. 18) - die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2006 (FPV 2006) einschließlich der Anlagen 1 bis 6 und die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2006.

37

Die Klägerin hat ihre Abrechnung auf § 10 der Fallpauschalenverordnung 2006 gestützt. Diese Vorschrift lautet: "(1) Die Fallpauschalen nach Anlage 1 und die Zusatzentgelte nach Anlage 2 bzw. 5 sind abzurechnen für Patientinnen oder Patienten, die ab dem 1. Januar 2006 in das Krankenhaus aufgenommen werden. Können die Fallpauschalen noch nicht mit der für das Jahr 2006 vereinbarten oder festgesetzten Höhe des krankenhausindividuellen Basisfallwerts gewichtet werden, sind sie nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 des Krankenhausentgeltgesetzes mit der bisher geltenden Höhe des Basisfallwerts zu gewichten und in der sich ergebenden Entgelthöhe abzurechnen. Können für die Leistungen nach Anlage 3 noch keine krankenhausindividuell vereinbarten Entgelte abgerechnet werden, sind für jeden Belegungstag 600 EUR abzurechnen; § 15 Abs. 1 Satz 3 des Krankenhausentgeltgesetzes findet keine Anwendung. Bei Krankenhäusern, die im Jahr 2005 noch nicht auf Basis des DRG-Vergütungssystems abgerechnet haben, sind die Fallpauschalen ab dem in § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Krankenhausentgeltgesetzes genannten Zeitpunkt abzurechnen."

38

Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung (zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl. BSG, 8. November 2011 - B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236-254, Rn. 19 ff). Nach § 1 Abs. 6 S. 1 FPV sind in diesem Sinne zur Einstufung des Behandlungsfalls in die jeweils abzurechnende Fallpauschale Programme (Grouper) einzusetzen. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH zertifiziert worden sind.

39

Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl. BSG, 8. November 2011 - B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236-254, Rn. 27; zur Auslegung von medizinischen Begriffen im OPS vgl. BSG, 19. Juli 2012 - B 1 KR 65/11 B, SozR 4-5560 § 17b Nr. 3, st. Rspr). Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 S. 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, 8. November 2011 - B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236-254, Rn. 27 m.w.N.).

40

DKR D002d definiert die Hauptdiagnose wie folgt: "Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist." Für den Fall, dass "zwei oder mehr Diagnosen ( ) gleichermaßen der Definition der Hauptdiagnose entsprechen" (so die Zwischenüberschrift) heißt es: "Wenn zwei oder mehrere Diagnosen in Bezug zu Aufnahme, Untersuchungsbefunden und/oder der durchgeführten Therapie gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen und ICD-10-Verzeichnisse und Kodierrichtlinien keine Verschlüsselungsanweisungen geben, muss vom behandelnden Arzt entschieden werden, welche Diagnose am besten der Hauptdiagnose-Definition entspricht. Nur in diesem Fall ist vom behandelnden Arzt diejenige auszuwählen, die für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat. Hierbei ist es unerheblich, ob die Krankheiten verwandt sind oder nicht."

41

Soweit hier ausgeführt wird, dass "der behandelnde Arzt" die Hauptdiagnose auszuwählen hat, ist dies nur in einem tatsächlichen Sinn zu verstehen. Die Beurteilung, ob eine Diagnose als Hauptdiagnose zu kodieren ist, bemisst sich nach objektiven Maßstäben. Sie erfordert kein an eine bestimmte Person gebundenes höchstpersönliches Fachurteil, sondern kann jederzeit durch einen unabhängigen Sachverständigen nachvollzogen werden. Sie unterliegt im Streitfall der vollen richterlichen Nachprüfung (vgl. zu den Grundsätzen auch BSG, 25. September 2007 - GS 1/06, BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr. 10, Rn. 30 f). Ein anderes Verständnis widerspräche höherrangigem Recht (vgl. BSG, 21. April 2015 - B 1 KR 9/15 R, BSGE 118, 225 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 45, Rn. 18). Maßgeblich ist dabei allein der Ressourcenverbrauch. Hingegen spielt die zeitliche Abfolge der stationären Behandlung zweier oder mehrerer im Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme stationär behandlungsbedürftiger Diagnosen keine Rolle. Das zweite wesentliche Definitionsmerkmal der Hauptdiagnose ist der Begriff "nach Analyse". Er verdeutlicht, dass es weder auf die subjektive oder objektiv erzielbare Einweisungs- oder Aufnahmediagnose ankommt, sondern allein auf die objektive expost-Betrachtung der Aufnahmegründe am Ende der Krankenhausbehandlung. Es ist für die Bestimmung der Hauptdiagnose ohne Belang, dass die Diagnose des einweisenden Arztes und des aufnehmenden Krankenhausarztes unter Berücksichtigung der ex ante vorhandenen Informationen objektiv lege artis erfolgte. Maßgeblich ist allein die objektiv zutreffende expost-Betrachtung (vgl. BSG, 21. April 2015 - B 1 KR 9/15 R, BSGE 118, 225 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 45, Rn. 19).

42

Die Hauptdiagnose - als Singular formuliert - impliziert, dass es überhaupt nur eine, nicht aber zugleich mehrere "Hauptdiagnosen" geben kann. Dies steht in Einklang mit der Eingabemaske der zertifizierten, in das Normanwendungsprogramm mit normativer Wirkung einbezogenen Grouper. Hiernach ist die ersteinzutragende Diagnose immer die Hauptdiagnose (vgl. BSG, 8. November 2011 - B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236-254, Rn. 42).

43

Dieser sich aus der Wortlautauslegung ergebende Regelungsgehalt der Definition der Hauptdiagnose steht auch in Einklang mit der Systematik. Denn DKR (2005) D003d definiert die Nebendiagnose als: "Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt." Eine Diagnose, die sich während des Krankenhausaufenthalts entwickelt, ist ungeachtet des damit verbundenen Ressourcenverbrauchs zwingend keine Hauptdiagnose. Im Übrigen verweisen die Erläuterungen zur DKR (2005) D003d darauf, dass für Kodierungszwecke Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden müssen, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist: therapeutische Maßnahmen, diagnostische Maßnahmen oder erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand. Sie erfordern einen solchen Ressourcenverbrauch. Eine Krankheit oder Beschwerde, die gleichzeitig mit anderen Krankheiten oder Beschwerden die Aufnahme in das Krankenhaus veranlasst, ist Nebendiagnose, wenn sie nicht für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat.

44

Die Gleichsetzung des stationären Krankenhausaufenthalts mit einem abrechenbaren Behandlungsfall folgt aus der aufgezeigten Einordnung der DKR in das System der Ermittlung der Fallpauschale. Sie hat immer einen abrechenbaren Behandlungsfall im Sinne der FPV zum Gegenstand (vgl. BSG, 6. März 2012 - B 1 KR 15/11 R, SozR 4-5562 § 9 Nr. 3 Rn. 19).

45

bb) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist für den Senat der Zusammenhang zwischen der Aufnahme und dem Diabetes mellitus bzw. seinen Manifestationen klar erkennbar. Eindeutig heißt es hierzu in den Deutschen Kodierrichtlinien D002d (S. 6 f) unter der Überschrift "Erkrankungen bzw. Störungen nach medizinischen Maßnahmen", dass diese Kodes nur dann als Hauptdiagnose zu verschlüsseln sind, wenn kein spezifischerer Kode in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung existiert oder die Verschlüsselung dieses spezifischeren Kodes durch ein Exklusivum der ICD-10-GM Version 2006 ausgeschlossen ist. Ein solcher spezifischerer Code existiert hier mit der Hauptdiagnose E11.70.

46

In den deutschen Kodierrichtlinien Version 2006, spezielle Kodierrichtlinien 4 zu der der Verschlüsselung von Diabetes mellitus wird ausgeführt, dass sofern Komplikationen (Manifestation) des Diabetes mellitus vorliegen und die Behandlung einer Manifestation im Vordergrund steht, die E10-E14 zu verschlüsseln ist.

47

Hier steht für den Senat aufgrund der Ausführungen von PD Dr. C. sowie Dr. F. fest, dass das diabetische Fußsyndrom im Vordergrund stand (vgl. Bl. 76 der Deutschen Kodierrichtlinien). Auch Dr. K. führt aus, "sicher" habe wie bei jedem fortgeschrittenen Diabetes auch eine periphere Durchblutungsstörung vorgelegen. Warum er diese dann an anderer Stelle seines Gutachtes als nicht sicher feststellbar bezeichnet und als Argument hierfür eine fehlende (bzw. nicht maßgeblichen) arterielle Durchblutungsstörung anführt, ist nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. F. widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Unerklärlich ist nach Dr. K. die Amputation der 2. Zehe.

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Die Verschlüsselung als E10-E14 wird bestätigt durch das Beispiel 5 der genannten Kodierrichtlinien: Dort wird ein Patient mit Diabetes mellitus Typ I mit peripheren vaskulären Komplikationen in Form einer Arteriosklerose der Extremitätenarterien mit Ruheschmerz zur Bypassoperation aufgenommen. Die zu verschlüsselnde Hauptdiagnose lautet E10.50 (primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ I Diabetes] mit peripheren vaskulären Komplikationen, nicht als entgleist bezeichnet). Ausdrücklich heißt es, der Code I70.22 - Arteriosklerose der Extremitätenarterien - sei nicht als Hauptdiagnose anzugeben.

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Die Stellungnahme des MDK vom 30. Mai 2012 vermag nicht zu überzeugen. Soweit hier entscheidend darauf abgestellt wird, dass die Wundheilungsstörung aus einem Sturz resultiere, haben dem beide gerichtlichen Sachverständigen widersprochen. Dr. K. hat ausgeführt, die behandelnde Hausärztin Dipl.-Med. M. habe einen solchen Sturz verneint. Im Gegenteil hat diese bestätigt, dass sich die Versicherte direkt nach der Entlassung aus dem ersten Krankenhausaufenthalt mit einer Wundheilungsstörung vorgestellt hat. Auch die Einweisungsdiagnose lautet insoweit auf eine Wundheilungsstörung und lässt keinen Bezug zu einem Sturz erkennen. Dies bestätigt der Operationsbericht vom 11. Juli 2006, der von einer "ausbleibenden Wundheilung" spricht. Auffällig ist auch, dass mit der Nachresektion des Mittelfußstrahls I und II im Rahmen der ersten Operation am 11. Juli 2006 zugleich eine Amputation der 2. Zehe erfolgte. Die nachfolgenden Operationen sind von der weiterhin ausbleibenden Wundheilung geprägt. Darüber hinaus führt der Sachverständige Dr. F. unwidersprochen aus, dass typisch für ein diabetisches Fußsyndrom auch eine fehlende Heilung von Bagatellverletzungen sei, wie PD Dr. C. bestätigt.

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Gerade im Lichte der vorangegangenen Operation Ende Mai/Juni 2006 erweist sich die hier umstrittene Behandlung als Fortsetzung der begonnenen Behandlung. Zutreffend und unwidersprochen führt Dr. F. aus, dass ein von ihm - anschaulich benanntes - wiederholtes operatives Vorgehen bei diabetischem Fußsyndrom häufig ist. Die Beklagte und der MDK können für diesen Krankheitsverlauf keine Erklärung geben. Die durch den Diabetes hervorgerufene Durchblutungs- und Wundheilungsstörung stellt sich damit als die spezifischere, passendere Verschlüsselung dar.

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Auch der MDK bestätigt in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2012, im Vordergrund der Behandlung habe die Durchblutungsstörung gestanden. Diese ist aber zur Überzeugung des Senats eine Komplikation des Diabetes. Ausdrücklich weist der MDK selbst darauf hin, dass sofern Komplikationen (Manifestationen) des Diabetes mellitus vorlägen und die Behandlung einer Manifestation im Vordergrund stehe, E10 bis E14, 4. Stelle entsprechend dieser Manifestation, zu kodieren sei.

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An der vierten Stelle der Hauptdiagnose ist die "7" (Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen - DKR Version 2006 S. 80) und an der fünften Stelle die "0" zu verschlüsseln (nicht entgleister Diabetes). Der Grouper steuert bei Eingabe der Diagnose ICD-10-GM (2006) E11.70 als Hauptdiagnose die MDC (Major Diagnostic Category) 10 (Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten) an. Nach dem Algorithmus dieser MDC führt der Weg bei der hier vorliegenden PCCL (Patient Clinical Complexity Level) 4 (vgl. dazu BSG, 8. November 2011 - B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236-254, Rn. 37 ff) zur DRG (2005) K01A (verschiedene Eingriffe bei Diabetes mellitus mit Komplikationen, mit Frührehabilitation oder geriatrischer frührehabilitativer Komplexbehandlung; vgl. German Diagnosis Related Groups Version 2006, Definitionshandbuch).

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Die Verschlüsselung des Diabetes als Nebendiagnose kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn dazu heißt es im weiteren (S. 80), dass bei der Diagnose diabetisches Fußsyndrom E10-E 14, vierte Stelle "7" Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen zu verschlüsseln ist. Ausdrücklich heißt es, die Diagnose diabetische Polyneuropathie bzw. periphere Angiopathie sei danach anzugeben.

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Bei Berücksichtigung der OPS 5-864 (Amputationen und Exartikulation untere Extremität) ergibt sich die von der Klägerin zugrunde gelegte DRG.

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c) Auch ab dem 1. Dezember 2006 erfolgte die Abrechnung korrekt unter Beachtung von § 15 Abs. 1 KHEntgG. Diese Vorschrift lautet: "Die für das Kalenderjahr vereinbarte krankenhausindividuelle Höhe der Fallpauschalen und sonstiger Entgelte sowie erstmals vereinbarte Entgelte nach § 6 werden vom Beginn des neuen Vereinbarungszeitraums an erhoben. Wird die Vereinbarung erst nach diesem Zeitpunkt genehmigt, sind die Entgelte ab dem ersten Tag des Monats zu erheben, der auf die Genehmigung folgt, soweit in der Vereinbarung oder Schiedsstellenentscheidung kein anderer zukünftiger Zeitpunkt bestimmt ist. Bis dahin sind die bisher geltenden Entgelte weiter zu erheben; dies gilt auch für die Einführung des DRG-Vergütungssystems im Jahr 2003 oder 2004. Sie sind jedoch um die darin enthaltenen Ausgleichsbeträge zu bereinigen, wenn und soweit dies in der bisherigen Vereinbarung oder Festsetzung so bestimmt worden ist. (2) Mehr- oder Mindererlöse infolge der Weitererhebung der bisherigen Entgelte werden durch Zu- und Abschläge auf die im restlichen Vereinbarungszeitraum zu erhebenden neuen Entgelte ausgeglichen; wird der Ausgleichsbetrag durch die Erlöse aus diesen Zu- und Abschlägen im restlichen Vereinbarungszeitraum über- oder unterschritten, wird der abweichende Betrag über die Entgelte des nächsten Vereinbarungszeitraums ausgeglichen; es ist ein einfaches Ausgleichsverfahren zu vereinbaren. Würden die Entgelte durch diesen Ausgleich und einen Betrag nach § 3 Abs. 8 oder § 4 Abs. 11 insgesamt um mehr als 30 vom Hundert erhöht, sind übersteigende Beträge bis jeweils zu dieser Grenze in nachfolgenden Budgets auszugleichen. Ein Ausgleich von Mindererlösen entfällt, soweit die verspätete Genehmigung der Vereinbarung von dem Krankenhaus zu vertreten ist."

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Diese Regelungen sind geschaffen worden, um Situationen zu bewältigen, bei denen - wie hier - als die Vergütungsvereinbarung für 2006 für Fälle wie vorliegend erst im November 2006 wirksam wurde - Vereinbarungen rückwirkend die Erlössumme beeinflussen.

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d) Auch ansonsten bestehen bezüglich der Höhe der Forderung keine weiteren Bedenken. Wenn - wie hier - Rechnungsposten von (normen)vertraglichen Vereinbarungen zahlenförmigen Inhalts mit abhängen und beide Beteiligte insoweit eine besondere professionelle Kompetenz aufweisen, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen, wenn die Berechnungsergebnisse keinem Streit zwischen den Beteiligten ausgesetzt sind und sonstige konkrete Umstände keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung ergeben (vgl. auch BSG, 6. März 2012 - B 1 KR 14/11 R, SozR 4-2500 § 130 Nr. 2 Rn. 17 m.w.N. zur eingeschränkten amtlichen Sachaufklärung bei übereinstimmendem Vorbringen Beteiligter mit besonderer professioneller Kompetenz). So liegt der Fall hier. Die Beteiligten haben die Höhe des aus der DRG (2006) K01A resultierenden Betrags zu keinem Zeitpunkt im Verfahren in Zweifel gezogen.

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2. Die Klägerin war nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) nicht daran gehindert, ihren Restzahlungsanspruch gegenüber der Beklagten noch im Dezember 2010 geltend zu machen. Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg auf den Einwand der Verwirkung.

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Die Voraussetzungen dafür, den Eintritt einer Verwirkung zu bejahen, liegen nicht vor. Diese setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BSG, 5. Juli 2016 - B 1 KR 40/15 R, juris).

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Das Rechtsinstitut der Verwirkung passt als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen - hier im Zeitpunkt der Klageerhebung (21. Dezember 2010) noch nicht abgelaufenen - vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht. Das Rechtsinstitut der Verwirkung findet nämlich nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (vgl. (BSG, 5. Juli 2016 - B 1 KR 40/15 R, juris, Rn. 25), etwa wenn eine Nachforderung eines Krankenhauses nach vorbehaltlos erteilter Schlussrechnung außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse erfolgt (vgl. BSG, 21. April 2015 - B 1 KR 11/15 R, juris).

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An solchen die Verwirkung auslösenden Umständen fehlt es vorliegend. Der Umstand, dass die Klägerin erst am 21. Dezember 2010 Zahlungsklage erhoben hat, genügt nicht. Hierdurch unterscheidet sich die Verwirkung von der Verjährung. Die Klägerin gab der Beklagten keinen Anlass dafür, anzunehmen, dass sie ihre restliche Vergütungsforderung nicht mehr weiterverfolgen werde (vgl. BSG, 21. April 2015 - B 1 KR 11/15 R, juris).

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3. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 % pro Jahr für die Zeit vom 11. bis 18. April 2007 und 14. Dezember 2007 bis 7. Januar 2008 aus einem Betrag in Höhe von 91.786,70 EUR, für den Zeitraum vom 8. Januar 2008 bis 21. November 2008 aus einem Betrag in Höhe von 66.077,19 EUR, für den Zeitraum vom 22. November 2008 bis 18. Dezember 2008 aus einem Betrag in Höhe von 91.786,70 EUR und seit dem 19. Dezember 2008 aus einem Betrag in Höhe von 61.507,14 EUR verurteilt. In den Budget- und Entgeltvereinbarungen für das Jahr 2006 ist in § 7 geregelt, dass der Rechnungsbetrag spätestens am 21. Kalendertag nach Eingang der Rechnung zu überweisen ist. Die Fälligkeit tritt dann am 25. Kalendertag ein. Nach Überschreiten des Fälligkeitstermins können Verzugszinsen i. H. v. 4 % pro Jahr erhoben werden.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

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5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

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6. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei war der Verzinsungsantrag nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da es sich insofern um eine Nebenforderung im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG handelt.


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