Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (7. Senat) - L 7 SB 100/17 B

Tenor

Der Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. September 2017 wird aufgehoben.

Die Staatskasse hat dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Im Übrigen werden keine Kosten erhoben.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ein ihm auferlegtes Ordnungsgeld wegen eines verspätet erstatteten Gutachtens.

2

In einem Rechtsstreit zur Höhe des Grades der Behinderung (GdB) hat das Sozialgericht Magdeburg (SG) den Beschwerdeführer mit Beweisanordnung vom 19. September 2016 gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Erstattung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung beauftragt. Im Anschreiben zur Beweisanordnung vom 19. September 2016 hat das SG wörtlich gegenüber dem Beschwerdeführer ausgeführt: "Sie werden gebeten, das Gutachten möglichst bis zum 31. Januar 2017 zu erstellen. Sollte ihnen dies nicht möglich sein, wird um kurzfristige Rückantwort gebeten."

3

Am 22. September 2016 hat der Beschwerdeführer ausgeführt, dass eine Untersuchung erst am 28. März 2017 erfolgen könne. Daraufhin hat das SG eine Wiedervorlage für den 1. Mai 2017 mit dem Vermerk: "Frist wird verlängert." notiert.

4

Mit Schreiben vom 22. Mai 2017 hat das SG gegenüber dem Beschwerdeführer um Sachstandsmitteilung gebeten. Hierauf hat der Beschwerdeführer nicht reagiert. Mit gerichtlichen Schreiben vom 26. Juli 2017 hat der Kammervorsitzende dem Beschwerdeführer nunmehr "eine letzte Frist bis zum 25. August 2017 gesetzt" und im Falle der Nichtvorlage des Gutachtens die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von 500,00 EUR gemäß § 411 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) angekündigt. Auch auf dieses Schreiben hat der Beschwerdeführer nicht reagiert.

5

Mit Beschluss vom 4. September 2017 hat das SG gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 EUR festgesetzt.

6

Am 14. September 2017 hat der Beschwerdeführer dem SG das Sachverständigengutachten übersandt. Weiter hat er gegen den ihm am 14. September 2017 zugestellten Beschluss am selben Tag Beschwerde eingelegt und ausgeführt: Eine raschere Bearbeitung sei wegen des sehr hohen Arbeitsaufkommens nicht möglich gewesen. Die Bearbeitungszeit von 18 Arbeitswochen sei üblich. Die verzögerte Antwort auf die einmalige Mahnung gelte es zu entschuldigen. Er habe sich bis Anfang August 2017 im Urlaub befunden und erst danach das Schreiben zur Kenntnis genommen.

7

Das SG hat die Beschwerde am 26. September 2017 dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zur Entscheidung vorgelegt.

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Der Beschwerdeführer beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

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den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. September 2017 aufzuheben.

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Der Beschwerdegegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Er hat geltend gemacht: Das SG habe von seinem Ermessen wegen schuldhaftem Verhalten des Beschwerdeführers zutreffend Gebrauch gemacht. Die notwendige Kostenentscheidung ergebe sich nicht aus § 197a SGG, wie von der h.M. der Sozialgerichtsbarkeit vertreten, sondern aus §§ 118 Abs. 1 Satz 1, 202 SGG, 411 Abs. 2 Satz 4, 97 ZPO.

II.

13

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG) und begründet. Der Ordnungsgeldbeschluss vom 4. September 2017 ist aufzuheben.

14

Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann gegen einen zur Erstattung eines Gutachtens verpflichteten Sachverständigen ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Bevor es zur Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen einen Sachverständigen kommen kann, hat das Gericht nach dem Gesetzeswortlaut in einem zweistufigen Verfahren vorzugehen. Zunächst soll das Gericht gem. § 411 Abs. 1 Satz 1 ZPO bei der Anordnung einer schriftlicher Begutachtung dem Sachverständigen eine Frist setzen, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat (1. Stufe). Dies kann in der Beweisanordnung selbst oder im weiteren Verlauf des Verfahrens geschehen. Gem. § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann gegen den Sachverständigen, welcher die Frist zur Erstattung des Gutachtens versäumt, erst ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, wenn dies gem. § 411 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht worden ist (2. Stufe).

15

Voraussetzung für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 411 Abs. 2 Satz 1 ZpO ist somit eine wirksame Fristsetzung gem. § 411 Abs. 1 Satz 1 ZPO und das nachfolgende Setzen einer Nachfrist mit Ordnungsgeldandrohung gem. § 411 Abs. 2 Satz 2 ZPO in einem weiteren Schreiben.

16

Der Beschluss vom 4. September 2017 ist rechtswidrig, da es das SG versäumt hat, zunächst eine Frist zur Erstattung des schriftlichen Gutachtens gegenüber dem Beschwerdeführer zu setzen. Schließlich ist dem Setzen einer letzten Frist oder Nachfrist begrifflich immanent vorausgesetzt, dass zunächst eine vorherige Fristsetzung zu erfolgen hat. Nur wenn der Sachverständige diese erste Frist versäumt hat, darf ihm eine Nachfrist unter Androhung eines Ordnungsgeldes gesetzt werden (Allgemeine Auffassung vgl. Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 411 Rdn 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Auflage 2012, § 411 Rdn. 6; OLG München, Beschluss vom 10. Januar 2017, juris m.w.N.).

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Vorliegend fehlt es an einer wirksamen Nachfristsetzung zur Übermittlung des Gutachtens.

18

Das Gericht hat dem Sachverständigen weder in dem Anschreiben zur Beweisanordnung vom 19. September 2016 noch in der Sachstandanfrage vom 22. Mai 2017 eine Frist zur Übermittlung des Gutachtens gesetzt. In der Formulierung des Anschreibens vom 19. September 2016 ist keine unmissverständliche Terminbestimmung zu erkennen, wann das Gericht die Vorlage des Gutachtens erwartet. Vielmehr hat das SG lediglich gebeten, das Gutachten "möglichst bis zum 31. Januar 2017" zu erstellen und damit einen unverbindlichen Wunsch geäußert. Dieser Termin ist zudem durch den Hinweis des Beschwerdeführers auf dem Empfangsbekenntnis vom 22. September 2016 erkennbar relativiert worden, da das SG mit dem genannten Untersuchungstermin vom 28. März 2017, d.h. deutlich nach dem gerichtlichen Erstattungswunsch offenbar einverstanden war. In der Akte findet sich lediglich der Aktenvermerk auf eine Fristverlängerung. Die bloße Sachstandsanfrage vom 22. Mai 2017 erfüllt bereits mangels Fristsetzung nicht die Voraussetzungen gemäß § 411 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Erstmals mit Anschreiben vom 26. Juli 2017 hat das SG gegenüber dem Beschwerdeführer eine erste Frist zur Erstattung des Gutachtens bis zum 25. August 2017 gesetzt.

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Zwar hat das SG dem Beschwerdeführer eine "letzte Frist" zur Erstattung des Gutachtens gesetzt. Diese war rechtlich gesehen jedoch die erste Frist im Sinne von 411 Abs. 1 ZPO. Es fehlt damit an einer wirksamen Nachfristsetzung gemäß § 411 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

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Auf ein Verschulden des Beschwerdeführers an der Fristversäumung kommt es entsprechend nicht mehr an.

21

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf analoger Anwendung des § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach sind demjenigen, der unterliegt bzw. der ohne Erfolg ein Rechtsmittel einlegt, die Kosten des Verfahrens zumindest verhältnismäßig aufzuerlegen. § 197a SGG findet hier Anwendung, weil der Beschwerdeführer nicht zu dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Danach sind nur Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger von Gerichtskosten befreit, wenn sie als Kläger oder Beklagte an einem Rechtsstreit vor den Sozialgerichten beteiligt sind. Der Beschwerdeführer ist als Sachverständiger nicht diesem Personenkreis zuzuordnen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 176 Rdn. 5; Bayerisches LSG, Beschluss vom 6. Februar 2014, L 2 R 466/12 B, juris). Der gegenteiligen Auffassung des Beschwerdegegners kann der Senat nicht folgen. § 197a SGG geht als spezielle Kostenvorschrift des SGG den angegebenen §§ 118 Abs. 1 Satz 1, 202 SGG, 411 Abs. 2 Satz 4, 97 ZPO gesetzessystematisch vor. Von der Erhebung von Gerichtskosten war gemäß § 21 Gerichtskostengesetz (GKG) abzusehen (vgl. Beschluss des Senats vom 22. Mai 2013, L 7 SB 67/10 B, juris). Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ist nicht erforderlich. Die Gerichtsgebühr richtet sich nach § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit dem Kostenverzeichnis Nr. 7504 und beträgt pauschal 60,00 EUR.

22

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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