Beschluss vom Oberlandesgericht Celle (2. Strafsenat) - 2 Ws 168/21

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird als unbegründet verworfen.

Der Verurteilte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Das Landgericht Hannover (Az. 46 KLs 14/18) hat den Verurteilten mit Urteil vom 11.10.2018 wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, tateinheitlich begangen mit bewaffnetem Sichverschaffen und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt und die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Das Urteil ist seit dem 20.02.2019 rechtskräftig. Die Unterbringung ist mangels Vorhandenseins eines Therapieplatzes bislang nicht vollzogen worden. Es ist auch nicht absehbar, wann ein Therapieplatz bereitstehen wird. Der Verurteilte befindet sich seit der Verkündung des Urteils auf freiem Fuß.

2

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23.03.2021 hat der Verurteilte die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung beantragt und zur Begründung angeführt, dass er in den mehr als zwei Jahren seit Rechtskraft seiner Verurteilung nicht mehr straffällig geworden sei und keine Drogen mehr konsumiert habe. Daher sei die Vollziehung der Unterbringung nicht mehr erforderlich. Ihr Zweck könne vielmehr auch durch eine Aussetzung zur Bewährung erreicht werden. Soweit von der im dem zugrundeliegenden Urteil verhängten Begleitstrafe nach Abzug der seinerzeit erlittenen Untersuchungshaft noch 2 Jahre und 2 Monate zu vollstrecken seien, habe er bei der zuständigen Staatsanwaltschaft die gnadenweise Aussetzung der Vollstreckung Restfreiheitsstrafe beantragt. Eine Entscheidung hierüber ist noch nicht ergangen.

3

Das Landgericht Hannover (Az.46 KLs 14/18) hat mit Beschluss vom 27.04.2021 den Aussetzungsantrag des Verurteilten abgelehnt, da es für die erstrebte Aussetzung an einer gesetzlichen Grundlage fehle. Die Bestimmungen in §§ 67b Abs. 1 S. 1, 67c Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 sowie 67d Abs. 2 S. 1 StGB seien nicht anwendbar, da bereits die hierfür erforderlichen formellen Voraussetzungen bei dem Verurteilten nicht gegeben seien.

4

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde. Er macht geltend, soweit eine unmittelbare Anwendung der o.g. Vorschriften nicht in Betracht komme, könne die begehrte Aussetzung der Unterbringung analog gemäß § 67d Abs. 2 S. 1 StGB erfolgen. Die Vollziehung der Unterbringung sei vorliegend mit dem Sinn und Zweck der Aussetzungsvorschriften §§ 67b Abs. 1 S. 1, 67c Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 sowie 67d Abs. 2 S. 1 StGB nicht zu vereinbaren und als grundrechtwidriger Eingriff in sein Freiheitsrecht anzusehen.

5

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

II.

1.

6

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, führt in der Sache jedoch nicht zum Erfolg.

7

Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss die Aussetzung der bei der Anlassverurteilung vom 11.10.2018 angeordneten Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zur Bewährung zu Recht abgelehnt. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass bereits die formellen Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen über die Aussetzung einer Unterbringung vorliegend nicht gegeben sind. Weder ist die Anordnung der Unterbringung des Verurteilten nebst der gegen ihn verhängten Begleitstrafe bereits im genannten Urteil vom 11.10.2018 gemäß § 67b Abs. 1 S. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt worden noch ist die in dem Urteil verhängte Begleitstrafe nach § 67c Abs. 1 S. 1 StGB bereits (teilweise) vollzogen worden. Auch der nach § 67c Abs. 2 S. 1 StGB erforderliche Zeitraum von 3 Jahren seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils ist im Fall des Verurteilten noch nicht abgelaufen. Schließlich hat die Vollziehung der Unterbringung noch nicht begonnen, so dass auch eine Aussetzung nach § 67d Abs. 2 S. 1 StGB von vornherein ausscheidet.

8

In der Kommentarliteratur wird, worauf der Verteidiger des Verteilten hingewiesen hat, teilweise die Auffassung vertreten, dass in bestimmten weiteren, von den o.g. Vorschriften nicht erfassten Fallkonstellationen ebenfalls noch vor Beginn der Vollziehung einer Unterbringung deren Aussetzung gerechtfertigt sein könne. Als Beispielsfälle werden die Gewährung von Vollstreckungsaufschub nach § 455 ff. StPO, eine dem Verurteilten in anderer Sache bewilligte bzw. erfolgreich verlaufene Zurückstellung nach § 35 BtMG, eine in anderer Sache erfolgte erfolgreiche Behandlung im Maßregelvollzug nach §§ 63, 64 StGB oder eine erfolgreiche Beendigung des Strafvollzuges in anderer Sache genannt. Wenn in diesen Fällen die Vollziehung der Unterbringung für sich genommen nicht mehr erforderlich sei, weil ihr Zweck auch durch eine Aussetzung, ggf. in Verbindung mit begleitenden ambulanten Maßnahmen erreicht werden könne, dann sei es mit dem Freiheitsgrundrecht des Verurteilten unvereinbar, wenn die an sich aussetzungsreife Maßregel der Unterbringung zunächst „anvollzogen“ werden müsse, um anschließend nach § 67d Abs. 2 S. 1 StGB über ihre Aussetzung entscheiden zu können. Daher wird die analoge Anwendung von § 67d Abs. 2 S. 1 StGB befürwortet, um dem Gericht die Aussetzungsentscheidung auch schon vor Beginn der Unterbringung und vor Ablauf des in § 67c Abs. 2 S. 1 StGB genannten Dreijahreszeitraums zu ermöglichen (vgl. Schönke/Schröder-Kinzig, StGB, 30. Auflage, § 67d Rd. 2; Münchner Kommentar-Veh, StGB, 4. Auflage, § 67d Rd. 14); Leipziger Kommentar-Rissing van Saan/Peglau, StGB, 12. Auflage, § 67c Rd. 180: einer Analogie kritisch gegenüberstehend und allenfalls die analoge Anwendung von § 67c Abs. 2 StGB als denkbar ansehend).

9

In der veröffentlichen Rechtsprechung ist die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer analogen Anwendung von § 67d Abs. 2 S. 1 StGB bislang noch nicht entschieden worden. Der Senat hält zwar die befürwortenden Erwägungen in Teilen der Kommentarliteratur für bedenkenswert, kann die Frage aber offenlassen. Denn selbst wenn eine solche analoge Anwendung von § 67d Abs. 2 S. 1 oder § 67c Abs. 2 S. 4 StGB allgemein als rechtlich zulässig anzusehen wäre, käme sie im vorliegenden Einzelfall gleichwohl nicht in Betracht. Denn bei dem Verurteilten ist weder einer der in der Kommentarliteratur genannten möglichen Anwendungsfälle noch eine in der Sache vergleichbare Fallkonstellation gegeben. Dies folgt bereits daraus, dass gegen den Verurteilten neben der Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB eine Begleitstrafe verhängt wurde, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ein rechtswidriger Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten durch eine „Anvollziehung“ seiner Unterbringung wäre, selbst wenn an ihrer Stelle eine Aussetzung der Unterbringung – ggf. in Verbindung mit ambulanten Behandlungs- und/oder Aufsichtsmaßnahmen – zur Erreichung des Zwecks der Anordnung der Unterbringung ausreichend wäre, nicht gegeben. Denn der Zeitraum des Vollzugs der Unterbringung ist nach § 67 Abs. 4 StGB auf die noch zu verbüßende Begleitstrafe anzurechnen. Überdies erschöpft sich die Begründung des Aussetzungsantrags des Verurteilten in dem bloßen Hinweis, er sei in den mehr als 2 Jahren seit Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung in der vorliegenden Sache nicht mehr straffällig geworden und habe seitdem auch keine Drogen mehr konsumiert, ohne dass letzteres aussagekräftig belegt worden wäre. Auch zu einer etwaigen, in dem Ausgangsurteil des Landgerichts als notwendig festgestellten therapeutischen Entziehungsbehandlung ist nichts mitgeteilt worden.

2.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

3.

11

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben, § 304 Abs. 4 StPO.

 


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