Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 2 U 16/15
Tenor
Der am 02.11.2015 bei Gericht eingegangene Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem am 16.12.2014 verkündeten Urteil der4b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf insoweit einzustellen, als die Beklagte gemäß Ziffer II des Tenors zur Rechnungslegung verurteilt worden ist, wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
1Der zulässige Einstellungsantrag der Beklagten hat keinen Erfolg.
21.Gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil – gegen oder ohne Sicherheitsleistung – einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der demnach zu treffenden Ermessensentscheidung hat das Gericht die widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der Vorschrift des § 709 Satz 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheit hinreichend geschützt ist. Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen das angefochtene Urteil (wie hier) nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur in Ausnahmefällen unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann (vgl. nur OLG Düsseldorf, MDR 1987, 415; OLG Celle, OLGZ 1993, 475 f.). Zu dieser allgemeinen Erwägung tritt im Bereich des Patentrechts noch die Besonderheit, dass die Laufzeit des Patents und damit das von ihm vermittelte Unterlassungsgebot zeitlich begrenzt ist, weshalb jedenfalls bei einem zeitnahen Ablauf des Schutzrechts jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung zu einem vollständigen Leerlaufen des Unterlassungsanspruchs führen kann (BGH, GRUR 2000, 862/863 – Spannvorrichtung). Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur gerechtfertigt, wenn entweder bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei der im Verfahren nach §§ 719, 707 ZPO gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil keinen Bestand haben wird oder wenn der Schuldner die Gefahr eines besonderen Schadens darlegen und glaubhaft machen kann, der über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgeht (Senat, Mitt. 1997, 257, 256 – Steinknacker; InstGE 9, 117 – Sicherheitsschaltgerät; InstGE 9, 173/174 – Herzklappenringprothese; InstGE 11, 164/165 = GRUR-RR 2010, 122 – Prepaid-Verfahren; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Aufl., Rdnr. 2336-2338; allg. z. ZwV. OLG Frankfurt/Main, MDR 1997, 393; OLG Köln, ZIP 1994, 1053) oder wenn bei der Verurteilung durch das Landgericht ein streitentscheidender Gesichtspunkt ungeprüft geblieben ist, der schwierige, nicht eindeutig zu beantwortende Rechtsfragen aufwirft, so dass zum maßgeblichen Sachverhalt eine Entscheidung, auf die bei summarischer Prüfung verwiesen werden kann, überhaupt noch nicht vorliegt (Senat, InstGE 11, 164/165 – Prepaid-Verfahren; Kühnen, a.a.O., Rdnr. 2339).
32.
4Eine solche Gestaltung liegt hier nicht vor.
5a)Bei der zur Zeit allein vorzunehmenden summarischen Prüfung vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Entscheidung des Landgerichts fehlerhaft ist.
6aa)
7Das Landgericht hat den Patentanspruch ausgelegt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die – in erster Instanz allein streitgegenständliche – angegriffene Ausführungsform I (nachfolgend nur: angegriffene Ausführungsform) wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht. Es hat hierbei insbesondere geprüft, ob die Merkmale 4.1, 4.2 und 6.2.1 der landgerichtlichen Merkmalsgliederung verwirklicht sind, was das Landgericht bejaht hat. Dass die Entscheidung des Landgerichts insoweit fehlerhaft ist, vermag der Senat bei summarischer Prüfung nicht festzustellen. Die Annahme des Landgerichts, dass die angegriffene Ausführungsform den Vorgaben der vorgenannten Merkmalen entspricht, erscheint dem Senat nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand bei summarischer Prüfung vielmehr zutreffend.
8bb)
9Das Landgericht hat sich ferner mit der Auslegung des Merkmals 6.2.3 befasst und ist von einer Verwirklichung auch dieses Merkmals durch die angegriffene Ausführungsform ausgegangen, was es ausführlich begründet hat. Dass das angefochtene Urteil insoweit keinen Bestand haben kann, vermag der Senat derzeit bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht festzustellen.
10(1)
11Zwar dürfte die angegriffene Ausführungsform unter Zugrundelegung der Auslegung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes das Merkmals 6.2.3, welches besagt, dass der Vorsprung (42) des distalen Endes des Arms (45) des Kopplungsmechanismus lösbar in [„within“] einer Ausnehmung (32) des Katheteransatzes (13) gehalten wird, nicht wortsinngemäß verwirklichen.
12(1.1)
13Die Einspruchsabteilung ist in ihrer Entscheidung davon ausgegangen, dass die Ausnehmung den Vorsprung nicht halten, d.h. nicht innerhalb ihrer Begrenzungen aufnehmen kann, wenn nur eine Wand vorgesehen ist. In der Einspruchsentscheidung heißt es hierzu (Anlage B 7.1, S. 11, Ziff. 4.1.2.1; Hervorhebungen in Fettschrift hinzugefügt):
14„Die Einspruchsabteilung ist der Auffassung, dass der Begriff "Ausnehmung" eine allgemeine Bedeutung hat, nämlich die einer Vertiefung innerhalb einer Bezugsebene. …
15Im vorliegenden Fall beschreibt der Patentanspruch nicht nur eine "Ausnehmung", sondern führt auch aus, dass der Vorsprung "lösbar in" dieser Ausnehmung "gehalten wird'. Das bedeutet, dass die Ausnehmung zunächst einen umschlossenen Raum umfassen muss, "innerhalb" dessen der Vorsprung gehalten wird. Zweitens gilt, dass, wenn ein Vorsprung in einer Ausnehmung "gehalten (retained)" werden soll, er in diese aufgenommen (held in) werden muss … . Daher muss die Ausnehmung den Vorsprung halten, d.h. innerhalb ihrer Begrenzungen aufnehmen können. Diese Funktion lässt sich mit nur einer Wand allein nicht erfüllen und es kann sogar Ausnehmungen geben, die dieser Definition gar nicht entsprechen, z.B. bei geometrischen Gestaltungen mit einer schrägen Wand, die die Bewegungen des Vorsprunges nicht einzuschränken vermag. …“
16Nach Auffassung der Einspruchsabteilung sind damit (mindestens) zwei Wände erforderlich. Demgemäß hat die Einspruchsabteilung an anderer Stelle ihrer Entscheidung ausdrücklich betont, dass die im Patentanspruch definierte Ausnehmung eine andere Funktion hat als eine Unterschneidung, nämlich „eine verbesserte Haltefunktion (d.h. in beiden Axialrichtungen)“ (Anlage B 7.1, S. 16, Ziff. 5.1).
17Nach der Stellungnahme der Einspruchsabteilung, die als (erhebliche) sachverständige Äußerung zu würdigen ist (vgl. BGH, GRUR 1996, 757, 759 – Zahnkranzfräse; GRUR 1998, 895 – Regenbecken; BGH, GRUR 2010, 950, 951/952 – Walzenformgebungsmaschine), muss die Ausnehmung des Weiteren eine Gestaltung aufweisen, die Bewegungen des Vorsprunges tatsächlich einzuschränken vermag. In der Einspruchsentscheidung heißt es hierzu nämlich (Anlage B 7.1, S. 11, Ziff. 4.1.2.1; Hervorhebungen hinzugefügt):
18„Daher muss die Ausnehmung den Vorsprung halten, d.h. innerhalb ihrer Begrenzungen aufnehmen können. Diese Funktion lässt sich mit nur einer Wand allein nicht erfüllen und es kann sogar Ausnehmungen geben, die dieser Definition gar nicht entsprechen, z.B. bei geometrischen Gestaltungen mit einer schrägen Wand, die die Bewegungen des Vorsprunges nicht einzuschränken vermag. …“
19Da die Einspruchsabteilung ausdrücklich mehr als eine (Begrenzungs-)Wand als erforderlich ansieht, müssen nach ihrer Auffassung notwendigerweise auch beide Wände eine entsprechende Gestaltung aufweisen. Es reicht hiernach demgemäß nicht aus, wenn die Ausnehmung nur an ihrem proximalen Ende eine (im Wesentlichen) senkrechte Wand hat.
20(1.2)Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses entspricht die angegriffene Ausführungsform nicht den Anforderungen des Merkmals 6.2.3.
21Wie sich aus der nachfolgend eingeblendeten Abbildung ergibt, weist der Katheteransatz der angegriffenen Ausführungsform an seinem proximalen Ende zwar eine Vertiefung in einer Bezugsebene auf, in welcher der am distalen Ende des Arms (152) des Kopplungsmechanismus vorgesehene Vorsprung in Gestalt des hakenförmigen Fingers (153) eintaucht:
22Die Vertiefung wird – in axialer Richtung – ersichtlich durch zwei gegenüberliegende Seitenwände begrenzt. Es ist zum einen eine proximale Begrenzungswand in Gestalt eines im Wesentlichen senkrechten Flansches vorhanden. Diesem gegenüber ist eine weitere Seitenwand vorgesehen. Die sich gegenüberliegenden Seitenwände umschließen einen Raum. In diesem Raum wird der Vorsprung (Finger; 153) aufgenommen. Denn der Vorsprung hintergreift die proximale Wand, wobei er in die Vertiefung hinein ragt. Er wird insoweit von der Ausnehmung aufgenommen und er wird in proximaler Richtung auch von der proximalen Begrenzungswand (Flansch) „gehalten“.
24Wie sich insbesondere dem nachfolgend wiedergegebenen Bild (Anlage B 9, Bild 3) entnehmen lässt, handelt es sich bei der distalen Seitenwand allerdings um eine schräge Auslaufwand mit einem Neigungswinkel von ca. 30o:
25Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten ist diese schräge Auslaufwand (W2) nicht dazu geeignet, eine Bewegung des Vorsprungs in distaler Richtung zu begrenzen. Es mag insoweit zwar möglicherweise unschädlich sein, dass der Vorsprung nicht an der distalen Wand zur Anlage kommt. Nach der Stellungnahme der Einspruchsabteilung verlangt Merkmal 6.2.3 aber jedenfalls eine geometrische Gestaltung, die die Bewegungen des Vorsprunges einzuschränken vermag. Geometrische Gestaltungen mit einer schrägen Wand, die die Bewegungen des Vorsprunges nicht einzuschränken vermögen, hat die Einspruchsabteilung ausdrücklich als nicht patentgemäß angesehen. Dieses Erfordernis gilt nach der Stellungnahme der Einspruchsabteilung für beide Begrenzungswände. Denn die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung ausdrücklich betont, dass die im Patentanspruch definierte „Ausnehmung“ eine andere Funktion hat als eine „Unterschneidung“, nämlich eine verbesserte Haltefunktion, d.h. in beiden Axialrichtungen. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts steht damit im Widerspruch zu der vorliegenden Stellungnahme der Einspruchsentscheidung. In distaler Richtung wird der Vorsprung bei der angegriffenen Ausführungsform zwar ebenfalls gehalten, und zwar dadurch, dass der Flansch an einer Wand des Nadelschutzes anliegt und Vorsprung und Flansch infolgedessen mit dem Nadelschutz zusammen verschoben werden. Dadurch tritt – soweit ersichtlich – keine Relativbewegung zwischen Nadelschutz, Vorsprung und Katheteransatz auf. Der Katheteransatz lässt sich durch Verschieben des Nadelschutzes in distaler Richtung solange nicht vom Nadelschutz lösen, bis der Kopplungsmechanismus aktiviert wurde. Dies ändert aber nichts daran, dass die Ausnehmung nicht so ausgestaltet ist, dass sie selbst eine Bewegung des Vorsprunges in distaler Richtung einschränken könnte.
27(2)
28An die Patentauslegung der Einspruchsabteilung war das Landgericht allerdings nicht gebunden. Ob diese richtig ist und das Merkmal 6.2.3 derart „eng“ auszulegen ist, vermag der Senat derzeit nicht abschließend zu beurteilen. Die Frage wird im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens zu erörtern sein und bedarf unter Umständen weiterer Klärung. Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, weist der Katheteransatz der angegriffenen Ausführungsform immerhin eine Vertiefung in einer Bezugsebene auf, in welcher der am distalen Ende des Arms vorgesehene Vorsprung eintaucht. Er wird insoweit von der Ausnehmung aufgenommen und er wird in proximaler Richtung von der proximalen Begrenzungswand (Flansch) grundsätzlich auch „gehalten“. Es erscheint dem Senat nicht ausgeschlossen, dass auch eine solche Ausgestaltung unter den Wortsinn des Merkmals (6.2.3) fallen könnte. Entscheidend ist insoweit letztlich, wie der Fachmann das in Rede stehende Merkmal – unter Berücksichtigung der Beschreibung und Zeichnungen – versteht. Vor diesem Hintergrund hatte der Senat deshalb angeregt, das vorliegende Verletzungsverfahren bis zum Abschluss des Einspruchsbeschwerdeverfahrens auszusetzen, um die diesbezügliche Stellungnahme der Beschwerdekammer bei seiner Entscheidung berücksichtigen zu können. Eine inhaltliche Stellungnahme der Beschwerdekammer liegt bislang aber noch nicht vor.
29cc)
30Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, dass das Landgericht unter Zugrundelegung seiner Patentauslegung die mündliche Verhandlung hätte zwingend aussetzen müssen (§ 148 ZPO).
31Richtig ist, dass eine Aussetzung in jedem Fall geboten ist, wenn das Verletzungsgericht im Zusammenhang mit der Beurteilung des Benutzungssachverhaltes in der Auslegung von Merkmalen des Patentanspruchs vom Verständnis der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz abweicht, bei der ein Rechtsbestandsverfahren gegen das Klagepatent anhängig ist, sofern die Sicht des Verletzungsgerichts, auf das Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren übertragen, dazu führen müsste, dass das Klagepatent – entgegen der tatsächlich getroffenen zurückweisenden Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung – zu widerrufen bzw. für nichtig zu erklären wäre (Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 7. Aufl., Rdnr. 1873).
32Zutreffend ist ferner, dass die Einspruchsabteilung die im Einspruchsverfahren entgegengehaltene EP ….. (D2) mit ihrem am proximalen Ende des Katheteransatzes vorgesehenen Flansch (50) als nicht neuheitsschädlich eingestuft hat, weil diese Entgegenhaltung nach ihrer Auffassung das in Rede stehende Merkmal 6.2.3 nicht offenbart. Hierzu heißt es in der Einspruchsentscheidung (Anlage B 7.1, S. 13, Ziff. 4.1.2.2; Unterstreichungen hinzugefügt):
33„Bezüglich der Ausnehmung ist die einzig technisch sinnvolle Bezugsebene die Oberseite des Flansches 50 ("oben" bezüglich der Ausrichtung der Figuren 1 und 2), die [jedoch] keine Ausnehmung mit einem den Vorsprung umschließenden Raum aufweist, sondern eine Unterschneidung, die nicht geeignet wäre, den Vorsprung innerhalb ihrer Begrenzungen aufzunehmen und zu halten.
34Auch die Verwendung einer zufällig gewählten schrägen Ebene, die eine Ausnehmung mit dreieckigem Querschnitt bildet, wäre nicht neuheitsschädlich, da aufgrund der Geometrie und des Bewegungsverlaufes des Vorsprungs 42 auf Arm 44 eine solche Ausnehmung ebenso wenig geeignet wäre, den Vorsprung aufzunehmen und zu halten, wie die vorstehend beschriebene Unterschneidung.“
35Das Landgericht ist bei seiner Entscheidung allerdings davon ausgegangen, dass es sich bei einer „Ausnehmung“ im Sinne des Klagepatents um eine Vertiefung mit – mindestens zwei – Seitenwänden handelt (LG-Urteil, S. 16). Die angegriffene Ausführungsform weist zwei Seitenwände auf. Sie unterscheidet sich insoweit von dem Gegenstand der EP ….. (D2) ….. (D2), bei dem am proximalen Ende des Katheteransatzes nur ein Luer-Lock-Flansch, d.h. eine einzige Wand vorgesehen ist. Der Senat vermag bei der derzeit allein gebotenen summarischen Prüfung auch nicht festzustellen, dass eine Auslegung des Patentanspruchs 1 des Klagepatents dahin, dass zwar eine Vertiefung mit mindestens zwei Seitenwänden vorhanden sein muss, aber nicht notwendig jede der beiden Begrenzungswände die Bewegungen des Vorsprunges einschränken können muss und der Vorsprung nicht notwendigerweise an beiden Wänden anliegen muss, keinen technischen Sinn macht. Die Klägerin hat zuletzt vorgetragen, dass im Falle einer Ausnehmung (mit einer proximalen und einer distalen Begrenzungswand) anstelle eines Flansches die Bewegung des Arms, um den Nadelschutz vom Katheteransatz zu trennen, signifikant kleiner ist als bei einem herkömmlichen Luer-Lock-Flansch. Ob dem so ist und ob sich hiermit die erforderliche Erfindungshöhe des Gegenstands des Klagepatents begründen lässt, wird ggf. im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens zu diskutieren sein.
36b)
37Dass eine Zwangsvollstreckung des Rechnungslegungsausspruchs aus dem vorläufig vollstreckbaren landgerichtlichen Urteil bei der Beklagten zu außergewöhnlichen, nicht oder wenigstens nicht mit Hilfe der vorher geleisteten Sicherheit wieder gut zu machenden Schäden führen würde, ist nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen eines drohenden nicht zu ersetzenden Nachteils kommt in aller Regel nur in Betracht, wenn der Gläubiger nicht in der Lage ist, den Schadensersatzanspruch des Schuldners nach § 717 ZPO zu erfüllen und im erstinstanzlichen Urteil eine Sicherheitsleistung nicht festgesetzt worden ist (§ 708 Nrn. 1 bis 9 und 11 ZPO). Hat das erstinstanzliche Gericht dagegen – wie hier – das angefochtene Urteil nur gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt, müssen die durch die Zwangsvollstreckung drohenden Schäden so geartet sein, dass sie durch die Sicherheitsleistung nicht abgedeckt werden können, also im vorliegenden Fall den vom Landgericht festgesetzten Betrag von 1 Mio. EUR überschreiten. Zu den regelmäßig mit einer Zwangsvollstreckung verbundenen und vom Schuldner hinzunehmenden Nachteilen gehören – was hier freilich nicht in Rede steht – bei einem Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung die Einstellung der untersagten Verletzungshandlungen einschließlich dadurch bedingter wirtschaftlicher Einbußen. Aber auch die aus einer vor Rechtskraft des Vollstreckungstitels erzwungenen Auskunft und/oder Rechnungslegung dem Beklagten drohenden Nachteile gehen nicht über das hinaus, was regelmäßig bei der vorläufigen Vollstreckung aus einem entsprechenden nicht rechtskräftigen Titel zu erwarten ist, den Gesetzgeber aber nicht veranlasst hat, für derartige Fälle eine Ausnahme von der aus § 709 ZPO folgenden Regel anzuordnen.
38c)Zu berücksichtigen ist letztlich auch, dass sich beide Parteien aus prozessökonomischen Gründen mit einer Aussetzung der Verhandlung bis zur Entscheidung in dem das Klagepatent betreffenden Einspruchsbeschwerdeverfahren einverstanden erklärt haben, woraufhin der Senat durch Beschluss vom 18.09.2015 die Aussetzung angeordnet hat. Ihren Einstellungsantrag hat die Beklagte – bei unveränderter Sachlage – erst in Kenntnis der Aussetzungsentscheidung gestellt. Die Klägerin selbst wäre im Zweifel mit einer Aussetzung nicht einverstanden gewesen, wenn diese an die Bedingung geknüpft worden wäre, die Zwangsvollstreckung vorläufig einzustellen. In diesem Fall hätte sie vielmehr vermutlich auf eine Durchführung der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verletzungsverfahren bestanden. Zu einer einvernehmlichen Aussetzung wäre es in diesem Fall nicht gekommen. An der Aussetzung will die Beklagte aber offenbar trotz ihres Einstellungsantrages festhalten. Dass die Beklagte bei unveränderter Sachlage einen Einstellungsantrag erst jetzt gestellt hat, spricht überdies dafür, dass eine (künftige) Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren landgerichtlichen Urteil bei der Beklagten nicht zu außergewöhnlichen, nicht oder wenigstens nicht mit Hilfe der vorher geleisteten Sicherheit wieder gut zu machenden Schäden führen würde.
39d)Zu einer Anordnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß §§ 719 Abs.1, 707 ZPO besteht daher derzeit kein Anlass.
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