Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - I-12 U 30/15
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11.05.2015 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer – Einzelrichterin – des Landgerichts Düsseldorf (5 O 212/14) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.359,91 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.05.2013 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte zu 91 % und die Klägerin zu 9 %.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
I.
2Die zulässige Berufung hat in der Hauptsache aus den in der mündlichen Verhandlung erörterten Gründen des Hinweisbeschlusses vom 17.12.2015 überwiegend Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht vollständig abgewiesen. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch aus § 170 Abs. 1 InsO auf Auszahlung der von ihm vereinnahmten Rückkaufswerte für die streitgegenständlichen Lebensversicherungen nach Abzug der pauschal mit 9 % anzusetzenden Kosten (§ 171 InsO) zu. Der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten ist hingegen unbegründet.
1.
3Die Klägerin hatte wegen der ihr zustehenden Forderung aus dem Darlehensvertrag Nr. 7.1 (Anl. K 5) ein Absonderungsrecht (§ 51 Nr. 1 InsO) an den Lebensversicherungen Nr. L 3. der C Lebensversicherung AG (vormals E Lebensversicherungs-AG) und Nr. 4. der O Lebensversicherung AG, denn der Schuldner hatte ihr die Forderungen aus den genannten Verträgen mit Erklärungen vom 17.07.2012 (Anl. K 6 und K 7) zur Sicherung der Rückzahlungsforderung abgetreten. Die Sicherungsabtretung erfasste auch den Rückkaufswert nach Kündigung der Versicherungen. Der Beklagte war zwar gemäß § 166 Abs. 2 InsO zur Verwertung der Lebensversicherungen berechtigt (vgl. BGH, Urt. v. 11.07.2002 - IX ZR 262/01 = NZI 2002, 599 f.), hatte jedoch gemäß § 170 Abs. 1 InsO aus dem nach Abzug der Kosten der Feststellung und Verwertung der Versicherungen verbleibenden Betrag die Klägerin zu befriedigen.
2.
4Die Abtretungen sind entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Schuldner die Abtretungen mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen und dass der Klägerin dies bekannt war.
5Die subjektiven Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können – weil es sich um innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen handelt – meist nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden. Soweit dabei Rechtsbegriffe betroffen sind, muss deren Kenntnis außerdem oft aus der Kenntnis von Anknüpfungstatsachen erschlossen werden. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass solche Tatsachen nur mehr oder weniger gewichtige Beweisanzeichen darstellen, die eine Gesamtwürdigung nicht entbehrlich machen und nicht schematisch im Sinne einer vom anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden dürfen. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung hat der Tatrichter gem. § 286 ZPO unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme zu prüfen (BGH, Urt. v. 07.11.2013 – IX ZR 248/12 = NZI 2014, 68, 69 Tz. 7 m.w.N.). Ein erhebliches Beweisanzeichen für einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners ist gegeben, wenn der Gläubiger eine Befriedigung oder Sicherung erhält, die er nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hat, mithin eine inkongruente Deckung (BGH, Urt. v. 10.01.2013 − IX ZR 28/12 = NZI 2013, 253, 255 Tz. 21). Das Vorliegen dieses Beweisanzeichens lässt sich hier indessen nicht feststellen; der Beklagte hat auch keine weiteren Umstände vorgetragen, die auf einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und eine Kenntnis der Klägerin hiervon schließen ließen.
6Bedenken bestehen bereits gegen die Annahme des Landgerichts, die Abtretungen vom 17.07.2012 hätten der Klägerin eine inkongruente Sicherheit gewährt. Die Gewährung einer Sicherheit ist allerdings nur dann kongruent, wenn der Sicherungsnehmer einen Anspruch auf gerade diese Sicherheit hatte. Wird ein Anspruch auf Sicherung in demselben Vertrag eingeräumt, durch den der gesicherte Anspruch selbst entsteht, liegt in der späteren Gewährung der Sicherheit keine inkongruente Deckung, weil von Anfang an ein Anspruch auf die Sicherung bestand. Wird hingegen eine bereits bestehende Verbindlichkeit nachträglich besichert, kann darin eine inkongruente Deckung liegen. Inkongruent ist also eine nach Entstehen einer Verbindlichkeit gewährte Sicherung (BGH, Urt. v. 18.03.2010 - IX ZR 57/09 = NZI 2010, 439, 440 Tz. 16 m.w.N.). Die Abtretungen vom 17.07.2012 dienten – was auch das Landgericht nicht verkannt hat – allein der Absicherung der Forderungen der Klägerin aus dem am gleichen Tag vereinbarten Tilgungsdarlehen. Sie waren in dem Darlehensvertrag selbst als Sicherungsmittel vereinbart und damit kongruent. Dem steht nicht entgegen, dass die Zweckbestimmung des Tilgungsdarlehens die Umschuldung der Kontokorrentinanspruchnahmen auf den Konten 7.2 und 7.3 des Schuldners bei der Klägerin war. Mit der Vereinbarung wurden nämlich die bisherigen – auf der teils genehmigten, teils ungenehmigten, nur geduldeten Überziehung der Konten beruhenden – Kredite auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt (vgl. Schimansky/Bunte/Lwowski-Wunderlich, Bankrechts-Handbuch, Bd. I, 4. Aufl., § 76 Rn. 26 f.; Vallender, in: Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl., § 35 Rn. 13). Hieran hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Schriftsatz des Beklagten vom 06.01.2016 sowie in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 25.01.2016 fest. Hier haben sich die Vertragsparteien nicht lediglich auf eine Änderung des bestehenden Vertragsverhältnisses beschränkt, sondern den Überziehungs- bzw. Kontokorrentkredit in ein Festzinsdarlehen umgewandelt, wodurch Zinsen reduziert, die Liquidität entlastet und damit Mittel für den weiteren Schuldenabbau generiert wurden. Zudem erhielt der Schuldner hierdurch die Möglichkeit, den vereinbarten Kontokorrentkredit auf den beiden Geschäftskonten in Höhe von jeweils 5.000 EUR wieder in Anspruch zu nehmen. Insofern unterscheidet sich der Fall von dem des Lieferanten, der seine offenen Forderungen gegen den Schuldner in ein Darlehen umwandelt. Durch die vereinbarte Umschuldung hätte die Klägerin nur dann eine inkongruente Deckung erlangt, wenn sie keinen Anspruch auf Rückzahlung der Kontokorrentkredite gehabt hätte. Dies war indessen nicht der Fall. Vielmehr stellte die Rückführung der Kontokorrentkredite im Rahmen der Umschuldung eine kongruente Deckung dar, weshalb die Zweckbestimmung des (neuen) Tilgungsdarlehens nicht zur Inkongruenz der Sicherung führt.
7Hinsichtlich der den eingeräumten Kreditrahmen von je 5.000 EUR überschreitenden Inanspruchnahme der Konten folgt die Kongruenz der erlangten Deckung bereits daraus, dass die Bank bei nicht genehmigten Überziehungen einen täglich fälligen Anspruch auf Rückführung hat (vgl. MüKoInsO/Kayser, 3. Aufl., § 131 Rn. 44a). Eine konkludente Erweiterung der Kreditlinie lässt sich nicht feststellen. Wenn eine Kreditlinie überzogen ist, hängt es grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab, ob in der Duldung des Kreditinstituts eine stillschweigende Erweiterung der Kreditlinie liegt oder ob es einen sofortigen Anspruch auf Rückführung hat. Im ersten Fall ist die Rückführung des Sollsaldos ohne vorherige Kündigung inkongruent, im zweiten Fall ist sie kongruent (BGH, Urt. v. 17.06.2004 – IX ZR 2/01 = NZI 2004, 491 f.). Hierzu hat der Beklagte erstinstanzlich nichts vorgetragen. Auch die Rückführung der vereinbarten Kreditlinien war kongruent. Insoweit war zwar eine Kündigung der Kreditinanspruchnahmen erforderlich, hierzu war die Klägerin jedoch aufgrund Nr. 19 Abs. 1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (entpr. Nr. 19 AGB-Banken, s. Anl. K 11) jederzeit berechtigt. In der Vereinbarung der Umschuldung liegt eine entsprechende Kündigung, die der Klägerin einen Anspruch auf Rückführung der vereinbarten Kontoüberziehung gab.
8Abgesehen davon wäre eine (jedenfalls teilweise) inkongruente Deckung nur dann ein Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis der Klägerin davon, wenn ernsthafte Zweifel an der Liquiditätslage des Schuldners bestanden hätten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt der auslösende Umstand für die von einer inkongruenten Deckung vermittelte Indizwirkung in einer ernsthaften Besorgnis bevorstehender Zahlungskürzungen oder -stockungen des Schuldners, weil sich damit die Gefährdung der anderen, nicht in gleicher Weise begünstigten Gläubiger aufdrängt (BGH, Urt. v. 07.11.2013 – IX ZR 248/12 = NZI 2014, 68, 69 f. Tz. 12). Hier hat die Klägerin indessen mit Recht darauf hingewiesen, dass dem Schuldner durch die Umschuldung neue Liquidität verschafft wurde, da er auf den ursprünglichen Konten weiterhin die vereinbarten Kreditlinien in Anspruch nehmen konnte und dies ausweislich der vorgelegten Kontenverdichtungen (Anl. K 14, K 15) auch getan hat. Von daher bestand seinerzeit aus der Sicht der Klägerin kein Anlass, an der Liquidität des Schuldners zu zweifeln (vgl. OLG Köln, Urt. v. 24.01.2007 – 2 U 50/05, juris Rn. 57). Dass die Klägerin die Rückführung der Kontokorrentkredite auch ohne die Gewährung des neuen Darlehens hätte fordern können, ist als hypothetische Möglichkeit nicht zu berücksichtigen.
3.
9Der Beklagte hat danach die von ihm vereinnahmten Rückkaufswerte der Lebensversicherungen nach Abzug der Kosten der Feststellung und Verwertung an die Klägerin auszuzahlen, da der gesicherte Anspruch den Verwertungserlös übersteigt. Die Feststellungskosten kann der Beklagte pauschal mit vier vom Hundert (§ 171 Abs. 1 S. 2 InsO), die Verwertungskosten pauschal mit fünf vom Hundert des Verwertungserlöses ansetzen (§ 171 Abs. 2 S. 1 InsO). Dass die tatsächlich entstandenen Verwertungskosten erheblich niedriger sind, hat die Klägerin nicht dargetan. An die Klägerin sind daher (20.175,73 – 807,03 – 1.008,79 =) 18.359,91 EUR auszukehren.
4.
10Einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten gegen die Masse hat die Klägerin nicht schlüssig dargetan. Ein entsprechender Anspruch kommt hier nur unter dem Gesichtspunkt des Verzuges in Betracht. Dass der Beklagte im Zeitpunkt der Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten mit der Auszahlung der Rückkaufswerte in Verzug war, hat die Klägerin jedoch nicht vorgetragen, obwohl der Beklagte dies erstinstanzlich bestritten hatte. Vielmehr stammt das verzugsbegründende Mahnschreiben (Anl. K 11) bereits von Rechtsanwalt Dr. Simon.
11Etwaige Ansprüche aus § 60 InsO wegen Verletzung der Verpflichtung aus § 170 Abs. 1 S. 2 InsO gegen den Beklagten persönlich sind nicht Gegenstand des Verfahrens.
12II.
13Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
14Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht vorliegen.
15Die Beschwer beider Parteien liegt unter 20.000 EUR.
16Streitwert: 20.175,73 EUR.
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Referenzen
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- 5 O 212/14 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 60 Haftung des Insolvenzverwalters 1x
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- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- InsO § 171 Berechnung des Kostenbeitrags 2x
- IX ZR 28/12 1x (nicht zugeordnet)
- IX ZR 248/12 2x (nicht zugeordnet)
- InsO § 166 Verwertung beweglicher Gegenstände 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x