Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 27 U 55/13
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 12. März 2013 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Gründe
2I.
3Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 12.03.2009 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schwester des Beklagten, Frau Q, bestellt.
4Der Kläger hat in erster Instanz Kaufpreisforderungen aus einem Grundstückskaufvertrag und einem Kraftfahrzeugkaufvertrag in einer Gesamthöhe von 42.481,33 Euro gegen den Beklagten geltend gemacht. Der Beklagte hat die Entstehung dieser Gesamtforderung eingeräumt, jedoch deren Erfüllung durch eine Barzahlung in Höhe eines Teilbetrages von 15.000,- Euro, eine Verrechnung mit eigenen Darlehens- und Werklohnforderungen in Höhe von 19.464,85 Euro sowie unmittelbare Zahlungen an die Töchter der Insolvenzschuldnerin auf deren Darlehensforderungen gegen die Schuldnerin in Höhe von 8.000,- Euro eingewandt.
5Der Kläger hat die Barzahlung bestritten und die Verrechnung und Direktzahlung für anfechtbar gehalten.
6Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in erster Instanz und wegen der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
7Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Insolvenzschuldnerin in Höhe der Barzahlung von 15.000,- abgewiesen und ihr im Übrigen stattgegeben. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
8Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte im Wege der Berufung, soweit er zur Zahlung verurteilt wurde.
9Er behauptet, dass die Schuldnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht zahlungsunfähig gewesen sei. Maßgeblicher Zeitpunkt ist nach seiner Ansicht der Abschluss der Verträge mit der Schuldnerin, aus denen sich die Verrechnungsvereinbarung ergibt. Der Verkauf des Hauses und des Autos an den Beklagten habe nicht den Grund gehabt, dass die Schuldnerin durch den Erlös Liquiditätslücken habe schließen wollen oder Verbindlichkeiten bei der Sparkasse oder beim Beklagten bedienen, sondern es sei darum gegangen, ihr zeitliche Freiräume für die Fortführung ihres Unternehmens zu ermöglichen. Das Auto sei verkauft worden, weil die Schuldnerin ein kleineres habe haben wollen.
10Soweit gegen die Schuldnerin Sozialversicherungsansprüche gelten gemacht worden seien, hätten diese auf unzutreffenden Schätzungen beruht, denen die Schuldnerin entgegen getreten sei. Zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Verträge sei das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen. Gleiches gelte für die Forderungen des Finanzamtes. Der Kläger habe später die möglichen Rechtsmittel nicht ausgeschöpft. Er, der Beklagte, habe auch berechtigt davon ausgehen dürfen, dass die Forderungen des Finanzamtes keinen Bestand haben würden, weil dies bei zeitgleich gegen ihn selbst erhobenen Ansprüchen des Finanzamtes so der Fall gewesen sei.
11Grund für das Insolvenzverfahren sei die Kündigung des Verpächters des Tanzlokals gewesen, die erst am 02.01.2009 bei der Schuldnerin eingegangen sei. Von Pachtrückständen habe er, der Beklagte, keine Kenntnis gehabt.
12Der Beklagte beantragt,
13unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.
14Der Kläger beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
17Er betont, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage der Zahlungsunfähigkeit nicht der Zeitpunkt des Abschlusses der Verträge sei, sondern der Zeitpunkt der Aufrechnung.
18Unabhängig hiervon sei aber die Schuldnerin auch bei Vertragsschluss bereits zahlungsunfähig gewesen. Dies ergebe sich aus den Anmeldungen zur Tabelle des Finanzamtes und aus der Unfähigkeit der Schuldnerin zur Rückzahlung der ihr von den Töchtern gewährten Darlehen. Die Darlehen seien sogar für lebensnotwenige Ausgaben wie Heizöl erforderlich gewesen. Ferner sei auch die Werkleistung des Beklagten nicht bezahlt worden.
19Der Kläger legt zudem einen Bescheid der C-Versicherung vom 29.10.2008 über eine Nachforderung iHv. 35.837,83 Euro vor (Anl. BGM 1, Bl. 358).
20Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
21II.
22Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet.
23- 24
A. Verrechnung/Aufrechnung
Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass die Herstellung der Aufrechnungslage zwischen Kaufpreisschuld des Beklagten mit eigenen Darlehens- und Werklohnforderungen des Beklagten gem. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Anfechtung durch den Kläger unterliegt. Die Verrechnung (Aufrechnung) unterliegt daher dem Verbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
26- 27
1. Anfechtbare Herstellung der Aufrechnungslage
a) Grundatz
29Es kann letztlich dahinstehen, wann diese Verrechnung genau stattgefunden hat. Jedenfalls ist sie frühestens mit Abschluss der Kaufverträge am 14.11.2008 erfolgt und somit innerhalb der kritischen Zeit von 3 Monaten vor Antragstellung.
30Anfechtungsgegenstand bei Aufrechnung/Verrechnung ist nicht das zugrunde liegende Rechtsgeschäft, hier also der Kaufvertrag, sondern nur die dadurch bewirkte Herstellung der Aufrechnungslage, die den späteren Insolvenzgläubiger nach materiellem Recht zur Aufrechnung mit seiner Gegenforderung berechtigte. Hatte – wie hier - der spätere Insolvenzschuldner etwas verkauft und sodann der Käufer (späterer Insolvenzgläubiger) mit einer Gegenforderung gegen den Kaufpreisanspruch aufgerechnet, so wird diese Aufrechnung nach § 96 I Nr. 3 InsO mit Insolvenzeröffnung automatisch und rückwirkend unwirksam. Als Rechtsfolge davon besteht die Hauptforderung des Schuldners für die Insolvenzzwecke fort. Der Insolvenzverwalter kann deshalb die Hauptforderung einklagen und macht die Anfechtbarkeit „nur“ einredeweise geltend, der andere Teil kann seine Gegenforderung zur Tabelle anmelden und ist mithin Insolvenzgläubiger (insgesamt Gottwald/Huber, InsoRHandb. 4. Aufl., § 46 Rn. 14).
31b) Gläubigerbenachteiligung
32In Letzterem liegt gerade die Gläubigerbenachteiligung, weil der Aufrechnende ohne Aufrechnung nur die Quote erhalten hätte (Gottwald/Huber aaO.).
33c) Zahlungsunfähigkeit
34Die Schuldnerin war zum Zeitpunkt der Herstellung der Aufrechnungslage auch zahlungsunfähig. Nach unwidersprochenem Klägervortrag hat die Schuldnerin die Miete für ihr Gewerbeobjekt für die Monate November und Dezember 2008, die jeweils im Voraus fällig war, nicht gezahlt. Ferner lag ein Nachforderungsbescheid der C-Versicherung vom 29.10.2008 über einen Betrag von 35.837,83 Euro vor. Dieser Betrag ist – soweit ersichtlich – bis zur Insolvenzeröffnung nicht mehr bezahlt worden und überdies inzwischen bestandskräftig.
35Ferner ergibt sich aus der vorgelegten Insolvenztabelle, dass es fällige Steuer- und Beitragsrückstände für Sozialversicherungen (Barmer und DAK, s. Bl. 169) gab, die weit zurückliegende Zeiträume betreffen (Anl. BGM5, Bl. 36 ff.) und bis zur Insolvenzeröffnung nicht mehr beglichen wurden. Außerdem hatte die Schuldnerin nach unwidersprochenem Klägervortrag die Bedienung des Grundschulddarlehens bei der Sparkasse D seit dem 31.10.2008 eingestellt (Bl. 116).
36Auch der Umstand, dass eine der Töchter der Schuldnerin die Heizöllieferung für diese im Wege eines Darlehens bezahlt hat, spricht dafür, dass die Schuldnerin nicht in der Lage war, einen wesentlichen Teil ihrer fälligen Verbindlichkeiten von wenigstens 10% innerhalb von 3 Wochen zu bezahlen.
37Soweit der Beklagte die Rechtmäßigkeit der Forderungen der Sozialkassen und des Steuerfiskus in Zweifel zieht, kann er damit nicht durchdringen. Die Forderungen sind zur Tabelle festgestellt. Sie sind zudem, wie der Klägervertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat unwidersprochen vorgetragen hat, inzwischen bestandskräftig. Der Beklagte hat nicht hinreichend Tatsachen vorgetragen, aus welchen sich eine Unrechtmäßigkeit der Festsetzungen ergäbe.
38d) Kenntnis des Beklagten
39Die Kenntnis des Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin wird gem. §§ 130 Abs. 3, 138 Abs. 1 Nr. 2 InsO vermutet, da der Beklagte der Bruder der Schuldnerin ist und damit eine ihr nahestehende Person. Den Gegenbeweis hat der Beklagte nicht geführt. Insbesondere reicht die Behauptung der Unkenntnis hierfür nicht aus. Im Gegenteil ergibt sich aus dem Vortrag des Beklagten sogar dessen grundsätzliche Kenntnis bzgl. der Verbindlichkeiten gegenüber den Sozialkassen und dem Finanzamt, deren Richtigkeit dieser (und die Schuldnerin) lediglich in Zweifel zogen.
40- 41
B. Zahlungen an Töchter
Soweit der Beklagte auch Darlehensforderungen der Töchter der Schuldnerin auf deren Weisung hin bezahlt hat, unterliegen auch diese als sog. Drittzahlungen der Anfechtung gem. § 133 Abs. 1 u. 2 InsO.
43Die Anweisungen der Schuldnerin an den Beklagten zur direkten Zahlung des geschuldeten Kaufpreises an die Töchter sind Anweisungen auf Schuld, denn der Beklagte war bereits vor der Zahlung gegenüber der Schuldnerin verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen.
44Die Zahlungen waren auch gläubigerbenachteiligend, denn hierdurch ist der Kaufpreisanspruch der Schuldnerin gegenüber dem Beklagten erloschen, der anderenfalls in die Masse gefallen wäre. Sowohl der Schuldnerin als auch dem Beklagten war bekannt, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen gegenüber anderen Gläubigern eingestellt hatte und die hier in Rede stehenden Zahlungen die übrigen Gläubiger benachteiligten; beide nahmen dies aber billigend in Kauf.
45Die übrigen Voraussetzungen liegen – wie oben bereits ausgeführt – vor.
46III.
47Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs.2 ZPO liegen nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen sind solche des Einzelfalls oder höchstrichterlich bereits geklärt.
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Referenzen
- InsO § 130 Kongruente Deckung 2x
- InsO § 138 Nahestehende Personen 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- InsO § 96 Unzulässigkeit der Aufrechnung 1x
- InsO § 133 Vorsätzliche Benachteiligung 1x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x