Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 11 EK 22/13
Tenor
Der Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin vom 17.12.2013 wird zurückgewiesen.
1
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine auf § 198 GVG gestützte Klage, mit folgenden Anträgen:
4- 1.5
festzustellen, dass die Verfahrensdauer des Strafverfahrens 61 Js 561/10 Staatsanwaltschaft Münster unangemessen war,
- 2.7
auf eine angemessene Entschädigung zu erkennen.
Das im Antrag zu 1. bezeichnete Strafverfahren richtete sich gegen drei Geschwister der Antragstellerin und ihre Mutter. Ihnen wurde gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung und Freiheitsberaubung zum Nachteil der Antragstellerin vorgeworfen, nachdem sie die Antragstellerin am 05.03.2010 gewaltsam in einen PKW verbracht, misshandelt und gegen ihren Willen nach Italien verbracht hatten.
9Nach Anzeigeerstattung vom 06.03.2010 erhob die Staatsanwaltschaft unter dem 05.05.2010 Anklage vor dem Amtsgericht – Schöffengericht - Münster. Die Antragstellerin trat dem Verfahren als Nebenklägerin bei. In dem mit Beschluss vom 02.09.2010 eröffneten Hauptverfahren wurden auf die Hauptverhandlung vom 31.03.2011 und 08.04.2011 gegen alle vier Angeklagten Freiheitsstrafen verhängt.
10Die Staatsanwaltschaft und die Mutter sowie zwei der drei angeklagten Geschwister der Antragstellerin legten Berufung ein. Die kleine Strafkammer des Landgerichts Münster trennte das Verfahren gegen den Bruder der Antragstellerin, der selbst keine Berufung eingelegt hatte, mit Beschluss vom 29.09.2011 ab und verwarf die Berufung der Staatsanwaltschaft in der am 22.12.2011 erfolgten Hauptverhandlung. In dem Berufungsverfahren gegen die übrigen drei Angeklagten wurde am 15.02.2012 Hauptverhandlungstermin auf den 21.06.2012 anberaumt. Der Termin wurde nach Wechsel im Kammervorsitz am 12.06.2012 aufgehoben. Mit Verfügung vom 27.08.2012 wurde neuer Hauptverhandlungstermin auf den 22.01.2013 anberaumt, in dem die Berufungen – soweit sie nicht zurückgenommen worden waren - verworfen wurden. Die von den Angeklagten eingelegten Revisionen sind durch Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 18.07.2013 verworfen worden.
11Die Antragstellerin, die mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 23.12.2011 und 27.07.2012 Verzögerungsrüge erhoben hat, ist der Auffassung, es sei eine unangemessene Verfahrensdauer festzustellen. Das gesamte Strafverfahren habe über 3 ½ Jahre gedauert. Es sei kein umfangreiches Verfahren gewesen. Tatsächlich und rechtlich habe es sich um einen relativ einfachen Sachverhalt gehandelt. Die Bedeutung des Verfahrens könne nicht als überdurchschnittlich angesehen werden. Das Berufungsgericht hätte ohne große Probleme unter Verzicht auf die Abtrennung auch gegen die restlichen drei Angeklagten im Dezember 2011 verhandeln können. Eine Förderung des abgetrennten Verfahrens durch Terminierung auf den 21.06.2012 sei nicht erfolgt, weil dem damaligen Vorsitzenden bekannt gewesen sei, dass er im ersten Quartal des Jahres 2012 aus Altersgründen aus der Berufungskammer ausscheiden würde und es deutlich absehbar gewesen sei, dass der neue Vorsitzende den Termin aufheben werde. Der im Berufungsverfahren zu verzeichnende Zeitverlust sei auch nicht durch die spätere Bearbeitung im Revisionsverfahren ausgeglichen worden.
12Durch die überlange Verfahrensdauer habe die Antragstellerin erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten. Sie sei durch die gegen sie gerichtete Straftat ihrer Angehörigen körperlich und besonders schwerwiegend psychisch traumatisiert worden. Wegen des Strafverfahrens und der Erwartung der Antragstellerin, sie werde im Berufungsverfahren erneut als Zeugin gegen ihre Mutter und ihren Bruder aussagen müssen, sei eine Aufarbeitung nicht möglich gewesen.
13Unter Abwägung der Gesamtumstände sei die unangemessene Dauer des Verfahrens festzustellen. Die angemessene Entschädigung werde in das Ermessen des Gerichts gestellt.
14Das antragsgegnerische Land ist dem Prozesskostenhilfegesuch entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, der Feststellungsantrag sei unzulässig, eine unangemessene Verfahrensdauer sei nicht substantiiert dargelegt und auch tatsächlich nicht zu verzeichnen.
15II.
16Der Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin ist unbegründet. Der beabsichtigten Klage fehlen hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO. Eine Klage mit den angekündigten Klageanträgen wäre insgesamt unzulässig. Eine auf den vorgetragenen Sachverhalt gestützte Klage mit einem geänderten (zulässigen) Antrag könnte innerhalb der Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG nicht mehr erhoben werden.
171.
18Die beabsichtigte Klage ist mit dem auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gerichteten Klageantrag zu 2. unzulässig, weil der Antrag nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist.
19§ 253 ZPO ist anwendbar. Die Norm gehört zu den Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten, die gem. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG auf das Entschädigungsklageverfahren in der ordentlichen Gerichtsbarkeit anzuwenden sind.
20Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH steht § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag verlangt, der Zulässigkeit eines unbezifferten Klageantrags nur dann nicht entgegen, wenn zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden. Wenn der Umfang der Leistung im richterlichen Ermessen steht, muss zwar kein konkreter Betrag geltend gemacht werden. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber die Angabe wenigstens der ungefähren Größenordnung des begehrten Betrages, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang letztlich der Streitgegenstand haben soll (BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KZR 42/08, juris; Versäumnisurteil vom 10. Oktober 2002 – III ZR 205/01 – Rz. 11 und 12, juris; Urteil vom 13. Oktober 1981 - VI ZR 162/80 – Rz. 6 und 7, juris und Urteil vom 09.07.1974 - VI ZR 236/73 – Rz. 9, juris). Deshalb fehlt es an der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit des unbezifferten Klageantrags, wenn der Kläger keine verbindlichen Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes macht (BGH, Urteil 28.02.1984 - VI ZR 70/82 – Rz. 21, juris).
21Diese Grundsätze gelten auch für Entschädigungsklagen gem. § 198 GVG. Zwar besteht hier die Schwierigkeit, dass es dem Kläger in der Regel kaum möglich sein dürfte, hinsichtlich des geltend gemachten immateriellen Schadens einen zutreffenden Betrag zu beziffern (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. September 2012 - OVG 3 A 2.12 – Rz. 19, juris). Angesichts der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG geregelten Entschädigungspauschale für immaterielle Nachteile ist es aber möglich, wenigstens annähernd die Größenordnung der begehrten Forderung anzugeben. (ebenso: Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 08. Januar 2014 – 2 SO 182/12 –, juris Rz. 37)
22Gemessen daran fehlt es vorliegend an einem bestimmten und damit zulässigen Leistungsantrag. Die Klägerin hat die Größenordnung ihres Klagebegehrens nicht durch einen Mindestbetrag oder einen ungefähren Betrag gekennzeichnet. Der Umfang des Entschädigungsanspruchs kann auch nicht der Klagebegründung entnommen werden. Es bleibt zum einen völlig offen, für welchen genauen Zeitraum die Antragstellerin eine Entschädigung beanspruchen möchte. Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, welche Vorstellung die Antragstellerin zur Entschädigungshöhe hat, namentlich ob sie die Pauschale in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG für angemessen erachtet oder den Pauschalbetrag im Hinblick auf die in den Zusammenhang mit der Verfahrensdauer geltend gemachten zusätzlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen für unbillig niedrig im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG hält oder die Pauschale etwa mit Blick auf die Bedeutung des Verfahrens, das sie selbst als nicht überdurchschnittlich bezeichnet, als zu hoch einschätzt.
232.
24Die beabsichtigte Klage ist auch mit dem auf Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer gerichteten Klageantrag zu 1. unzulässig.
25Für eine auf Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer gerichtete Klage fehlt ein Feststellungsinteresse. Der BGH hat entschieden (Urteil v. 05.12.2013 – III ZR 73/13 – Rz. 35, juris), dass immaterielle Nachteile durch einen auf § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG gerichteten Zahlungsantrag vollumfänglich abgedeckt werden und daneben ein subjektives Recht des Betroffenen auf gerichtliche Feststellung fehlt, das er im Klagewege geltend machen könnte, weil das Gesetz in § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 GVG lediglich eine Befugnis des Gerichts zu einer solchen Feststellung nicht aber einen Anspruch des Betroffenen begründet. Dem folgt der Senat.
26Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass – wie dargelegt - das Leistungsbegehren mangels Bezifferung und Angabe eines Mindestbetrages der verlangten Entschädigung nicht zulässig ist. Das ist zwar durch das OVG Thüringen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit angenommen worden (Urteil v. 08.01.2014 – 2 SO 182/12 – Rz. 57, juris). Dem vermag der Senat für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit indes nicht zu folgen. Denn jedenfalls nach zivilprozessualen Grundsätzen kann eine Begründetheitsprüfung des Klagebegehrens nicht erfolgen, wenn eine zulässige Klage nicht vorliegt. Die Zulässigkeit der Klage ist eine sogenannte Sachurteilsvoraussetzung. Fehlt sie, ist die Klage ohne Rücksicht auf ihre sachliche Begründetheit als unzulässig abzuweisen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., Vor § 253 Rn. 9 m.w.N.). In dieser Situation bleibt kein Raum für eine auf § 198 Abs. 4 GVG gestützte Feststellung. Mangels eines insoweit bestehenden subjektiven Rechts kann sie nicht isoliert begehrt werden und die Ausübung der dem Entschädigungsgericht in § 198 Abs. 4 GVG eingeräumten Befugnis zum Erlass eines Feststellungsausspruchs setzt eine zulässig erhobene Entschädigungsklage voraus, weil die in § 198 Abs. 4 GVG eingeräumte gerichtliche Befugnis die Rechtsfolgenseite des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG betrifft, dessen inhaltliche Prüfung der Tabestandsmerkmale nur bei Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen erfolgen kann.
273.
28Der Senat hat von einem gerichtlichen Hinweis zur Unzulässigkeit der beabsichtigten Klage vor Abfassung dieses Beschlusses abgesehen. Er wäre nur zielführend, wenn die Antragstellerin die Zulässigkeitsbedenken beheben könnte. Das ist indes nicht der Fall. Denn eine zulässige Klage – mit Angabe der Größenordnung der verlangten Entschädigung - könnte nicht mehr innerhalb der Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG erhoben werden. Das Prozesskostenhilfegesuch vom 17.12.2013 entfaltet insoweit keine Rückwirkung. Voraussetzung ist ein rechtzeitig gestellter Prozesskostenhilfeantrag mit einem zulässigen Klageantrag (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 167 Rn. 15). Daran fehlt es hier, weil – wie ausgeführt – der angekündigte Leistungsantrag mangels Bestimmtheit unzulässig ist und dem angekündigten Feststellungsantrag das Feststellungsinteresse fehlt. Gegen die Versäumung der Klagefrist ist auch keine Wiedereinsetzung möglich (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.10.2013 – 23 SchH 13/12 – Rz. 17, juris; ebenso OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19.12.2012 – 2 K 22/12 -, Rz. 8, juris); selbst wenn sie in Betracht käme, würde sie daran scheitern, dass die Antragstellerin sich die Versäumnisse ihrer Verfahrensbevollmächtigten bei Abfassung des Klageentwurfs zurechnen lassen müsste.
294.
30Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 574 ZPO liegen nicht vor.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ZPO § 253 Klageschrift 4x
- 2 SO 182/12 2x (nicht zugeordnet)
- 61 Js 561/10 1x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 70/82 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 K 22/12 1x
- III ZR 73/13 1x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 236/73 1x (nicht zugeordnet)
- GVG § 201 1x
- VI ZR 162/80 1x (nicht zugeordnet)
- GVG § 198 12x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- ZPO § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde 1x
- 23 SchH 13/12 1x (nicht zugeordnet)
- III ZR 205/01 1x (nicht zugeordnet)