Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 2 Ws 31/19
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Bochum vom 12. Oktober 2018, „die Vollstreckung des Urteils des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 für zulässig zu erklären und zu beschließen, dass auf die festgesetzte Strafe der Teil der Sanktion, der in Italien im Zusammenhang mit der Sanktion, die mit dem Urteil verhängt wurde, gegen den Verurteilten vollstreckt worden ist, anzurechnen ist“ wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse, §§ 467, 473 Abs.1 StPO.
1
Gründe:
2I.
3Die italienischen Behörden ersuchen um die Übernahme der Vollstreckung eines italienischen Erkenntnisses.
4Der Beschwerdeführer ist mit Urteil Nr. 5688/2013 der 7. Strafkammer des ordentlichen Gerichts Rom vom 18. März 2013 in Verbindung mit dem Urteil Nr. 8610/2014 (Reg.Gen. Nr. 12489/2013 – R.G.N.R. Nr. 27880/2008) der I. Strafkammer des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014, rechtskräftig seit dem 28. Juni 2016, wegen gemeinschaftlicher Geldwäsche gem. Art. 110 und 648 BIS StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten verurteilt worden.
5Dem Beschwerdeführer wird – zusammengefasst – Folgendes zur Last gelegt:
6Der Beschwerdeführer hatte am 14. Dezember 2009 in Rom gemeinschaftlich handelnd mit L2 und B L3 von E H einen Geldbetrag in Höhe von 557.000,00 Euro erhalten und ins Ausland überwiesen, der aus der Einfuhr von Betäubungsmitteln durch eine kriminelle Vereinigung stammte, die im Drogenhandel in mehreren Ländern tätig war, darunter auch am Flughafen G; und zwar am 9. Juni 2009 eine Menge von mindestens 200 kg Kokain; am 8. September 2009 eine Menge von mindestens 200 kg Kokain; am 1. Dezember 2009 eine Menge von mindestens 200 kg Kokain.
7Nachdem der Verurteilte aufgrund eines Europäischen Haftbefehls in Spanien festgenommen worden war, wurde er am 13. Juli 2011 an die italienischen Behörden übergeben und befand sich bis zum 18. März 2013 – dem Tag der Urteilsverkündung der 7. Strafkammer des ordentlichen Gerichts Rom – in Untersuchungshaft. Von der Freiheitsstrafe sind nunmehr noch 1 Jahr, 7 Monate und 24 Tage zu vollstrecken.
8Dem Ersuchen des italienischen Justizministeriums vom 12. März 2018 um Übernahme der Vollstreckung aus dem Urteil des Appellationsgerichts Roms vom 2. Dezember 2014 ist eine Bescheinigung nach Art. 4 des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen 2008/909/JI vom 17. Mai 2017 beigefügt. Darin ist zum Verfahrensgang ausgeführt, dass der Verurteilte im erstinstanzlichen Verfahren anwesend gewesen sei. Im Berufungsverfahren sei er auf freiem Fuß und säumig gewesen. Als Domizil für alle Mitteilungen des Verfahrens habe er die Kanzlei seines Wahlverteidigers, Rechtsanwalt U, gewählt, der in der Berufungshauptverhandlung durch den von Amts wegen benannten Rechtsanwalt E ersetzt worden sei, da Rechtsanwalt U abwesend gewesen sei. Des Weiteren ist in der Bescheinigung angegeben, dass der Verurteilte in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der von dem Verurteilten bestellt worden sei, erteilt habe, ihn bei der Verhandlung zu verteidigen und er sei von diesem bei der Verhandlung auch tatsächlich verteidigt worden.
9Die Staatsanwaltschaft Bochum hat daraufhin mit Schreiben vom 7. Mai 2018 die italienischen Behörden aufgrund der widersprüchlichen Angaben zu dem in Abwesenheit ergangenen Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 um ergänzende klarstellende Informationen sowie um Übersendung des Originals oder einer beglaubigten Ablichtung des zu vollstreckenden Urteils nebst einer deutschen Übersetzung gebeten.
10Das italienische Justizministerium hat daraufhin das zu vollstreckende Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 in der vorgeschriebenen Form nebst einer auszugsweisen Übersetzung sowie eine erneute, am 5. Juli 2018 ausgestellte Bescheinigung nach Art. 4 des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen 2008/909/JI übersandt. Darin ist hinsichtlich des Verfahrensganges nunmehr ausgeführt, dass der Verurteilte im erstinstanzlichen Verfahren anwesend und in Haft gewesen sei. Aus der Untersuchungshaft sei er wegen Ablaufs der Fristen entlassen worden. Der Verurteilte sei von zwei von ihm bestellten Wahlverteidigern vertreten worden, Rechtsanwalt U und Rechtsanwalt D. Als er aus der Haft entlassen worden sei, habe er als Domizil für alle an ihn gerichteten Mitteilungen in dem Verfahren die Kanzlei des Wahlverteidigers Rechtsanwalt U gewählt. Gegen das Urteil des ordentlichen Gerichts Rom vom 18. März 2018 habe er Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren sei er auf freiem Fuß und säumig gewesen. In der Berufungshaupt-verhandlung sei der Wahlverteidiger Rechtsanwalt U durch den von Amts wegen benannten Rechtsanwalt E ersetzt worden, weil Rechtsanwalt U abwesend gewesen sei. Gegen das Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 habe Rechtsanwalt D im Interesse des Verurteilten Kassationsbeschwerde eingelegt.
11Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Bochum vom 7. August 2018 ist der Verurteilte zu dem italienischen Ersuchen um Übernahme der Vollstreckung aus dem Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 angehört worden.
12Mit Schriftsatz seines Beistandes vom 25. September 2018 hat der Beschwerdeführer zu dem italienischen Ersuchen Stellung genommen und ausgeführt, dass eine Vollstreckungshilfe nicht geleistet werden dürfe; dies ergebe sich aus § 84 b Abs. 1 Nr. 2 IRG. Die Ausnahmetatbestände des § 84 b Abs. 3 und 4 IRG würden nicht vorliegen. Er habe keine Kenntnis von dem Hauptverhandlungstermin am 5. Mai 2014 (Anmerkung: dies war ausweislich des Urteils der 1. Hauptverhandlungstag) gehabt und habe den Rechtsanwalt, durch den er verteidigt worden sei, auch nicht beauftragt. Nachdem er aus der Haft entlassen worden sei, sei er nach Deutschland zurückgekehrt. Der Verteidiger, den zunächst seine Familie beauftragt habe, habe ihn über die anstehenden Termine nicht in Kenntnis gesetzt. Eine gerichtliche Ladung sei ihm auch nicht zugegangen. Er habe von dem Termin, in dem er in Abwesenheit verurteilt worden sei, keinerlei Kenntnis gehabt.
13Zu dem Antrag der Staatsanwaltschaft Bochum vom 12. Oktober 2018, „die Vollstreckung des Urteils des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 für zulässig zu erklären und zu beschließen, dass auf die festgesetzte Strafe der Teil der Sanktion, der in Italien im Zusammenhang mit der Sanktion, die mit dem Urteil verhängt wurde, gegen den Verurteilten vollstreckt worden ist, anzurechnen ist“, ist der Verurteilte mit Schreiben der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 30. Oktober 2018 angehört worden.
14Mit Schriftsatz seines Beistandes vom 29. November 2018 hat der Beschwerdeführer zu diesem Antrag ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaft einem Zirkelschluss unterliege. Wenn von Seiten der Staatsanwaltschaft vorgetragen werde, dass der Beschwerdeführer als Entlassanschrift und damit als Domizil für alle an ihn gerichteten Mitteilungen des Verfahrens die Kanzlei seines Wahlverteidigers Rechtsanwalt U benannt habe, dieser aber aus unbekannten Gründen im Berufungsverfahren abwesend und durch einen Rechtsanwalt E2 ersetzt worden sei, so offenbare dies die Unkenntnis des Beschwerdeführers hinsichtlich des letzten und entscheidenden Hauptverhandlungs-termins in der Berufungshauptverhandlung.
15Mit weiterem Schriftsatz seines Beistandes vom 4. Dezember 2018 hat der Verurteilte nochmals ausgeführt, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in Deutschland befunden habe. Seitdem habe er keinen Kontakt mehr zu seinem Wahlverteidiger, Rechtsanwalt U. Dieser habe ihm auch zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, dass ein Verhandlungstermin am 2. Dezember 2014 – einschließlich der Verkündung des hier ergangenen und streitgegenständlichen Urteils – stattfinden solle. Hinsichtlich der Beurteilung, ob ein Abwesenheitsurteil vorliege, sei auf die Berufungsverhandlung vor dem Appellationsgericht Rom abzustellen. Insoweit werde auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. August 2017 sowie den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. November 2018 Bezug genommen. In dieser Berufungsverhandlung sei er weder von einem beauftragten Verteidiger verteidigt gewesen noch habe er Kenntnis von dieser Verhandlung gehabt.
16Die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum hat mit Beschluss vom 31. Januar 2019 die Vollstreckung aus dem gegen den Verurteilten ergangenen Urteil der 7. Strafkammer des ordentlichen Gerichts Rom vom 18. März 2013 i. V. m. dem Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 für zulässig und diese Urteile für vollstreckbar erklärt. Entsprechend dem Erkenntnis der genannten Gerichte ist eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten festgesetzt worden. Ebenso ist angeordnet worden, dass auf die Freiheitsstrafe der in Italien bereits vollstreckte Teil der Sanktion anzurechnen ist.
17Gegen diesen, seinem Beistand am 11. Februar 2019 zugestellten Beschluss, hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines Beistandes vom 13. Februar 2019, per Fax am selben Tag beim Landgericht eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den Beschluss des Landgerichts Bochum dahingehend abzuändern, dass unter Ziff. 4 des angefochtenen Beschlusses die konkrete Dauer des bereits vollstreckten Teils der Sanktion mitzuteilen sei. Mit weiterem Schriftsatz seines Beistandes vom 14. Februar 2019 hat der Beschwerdeführer die sofortige Beschwerde dahingehend erweitert, festzustellen, dass die Vollstreckung aus dem Urteil des Appellationsgerichts Rom unzulässig sei. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer zu dem in Abwesenheit ergangenen Urteil des Appellationsgerichts Rom seien verfassungsrechtlich nicht tragfähig. Es müsse zumindest festgestellt werden, ob dem von ihm beauftragten Verteidiger, Rechtsanwalt U, eine Ladung zugestellt worden sei und weshalb er es in diesem Fall unterlassen habe, den Verfolgten zu informieren. Vorsorglich werde daher beantragt, ihn ebenso wie Herrn Rechtsanwalt U, persönlich anzuhören.
18Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Antragsschrift vom 7. März 2019 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
19Zu diesem Antrag hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines Beistandes vom 21. März 2019 Stellung genommen und ausgeführt, dass er sich dem Verfahren gerade nicht durch Flucht entzogen habe, sondern legal unter Hinterlassung eines „Domizils“ in Italien ausgereist sei. Es seien Feststellungen darüber zu treffen, ob die Verteidiger zu der Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen worden seien, in deren Verlauf er in Abwesenheit verurteilt worden sei.
20Der Senat hat mit Beschluss vom 28.März 2019 die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zurückgestellt, da noch Nachfragen bei den italienischen Behörden zu dem in Abwesenheit ergangenen Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 erforderlich waren.
21Der Senat hat die Generalstaatsanwaltschaft gebeten, die italienischen Behörden um die Beantwortung folgender Fragen zu ersuchen:
22- Ist der Wahlverteidiger, Rechtsanwalt U, nachweislich (auf welche konkrete Weise) zu den Verhandlungsterminen vor dem Appellationsgericht Rom geladen worden?
23- Auf welche konkrete Weise ist der Verurteilte zu den Verhandlungsterminen vor dem Appellationsgericht Rom über das von dem Verurteilten gewählte Domizil bei seinem Wahlverteidiger, Rechtsanwalt U, geladen worden? Enthielt die Ladung auch den Hinweis dass eine Verurteilung auch in seiner Abwesenheit ergehen kann?
24- Hat Rechtsanwalt U den Verurteilten nachweislich über die Ladung zu den genannten Verhandlungsterminen und – falls bejahend - den Hinweis, dass ein Urteil auch in seiner Abwesenheit ergehen kann, in Kenntnis gesetzt?
25Auf welche Weise ist dies geschehen? Hatte Rechtsanwalt U nach der Ausreise des Verurteilten aus Italien noch Kontakt zu diesem?
26Die Generalstaatsanwaltschaft beim Appellationsgericht Rom hat daraufhin mit Schreiben vom 3. Mai 2019 in Beantwortung der vom Senat aufgeworfenen Fragen zunächst auf die Ausführungen in ihrer Bescheinigung nach Art. 4 des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen 2008/909/JI vom 5. Juli 2018 verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass Rechtsanwalt U durch Zustellung der Ladung am 20. März 2014 zu eigenen Händen zu der Verhandlung vor dem I.Strafsenat des Appellationsgerichts Rom geladen worden sei. Die Ladung des Verurteilten zu dem Berufungsverfahren sei diesem an dem Domizil, welches er bei dem Rechtsanwalt U gewählt habe, zugestellt worden. In dieser Ladung sei er auch darüber belehrt worden, dass „bei Nichterscheinen trotz seiner Säumnis entschieden wird“.
27Nach Aktenlage könne nicht davon ausgegangen werden, dass Rechtsanwalt U seinen Mandanten von der Ladung zur Verhandlung vor dem Appellationsgericht im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens benachrichtigt oder dass er ihn darüber belehrt habe, dass ein Urteil auch in seiner Abwesenheit gefällt werden könne. Auch könne nicht behauptet werden, dass Rechtsanwalt U mit dem Verurteilten tatsächlich Kontakt gehabt habe. Es könne die Urkunde beigefügt werden, mit der der Verurteilte seinen Wahlverteidiger Rechtsanwalt D bestellt habe, um Kassationsbeschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts Rom einzulegen.
28Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin mit Zuschrift vom 23.Mai 2019 die Akten dem Senat erneut vorgelegt und unter Hinweis darauf, dass nach den Vorschriften der deutschen Strafprozessordnung bei Abwesenheit des Verurteilten in der Berufungsinstanz eine Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO möglich gewesen wäre, ausgeführt, dass sich die Vollstreckung der Strafe damit im Ergebnis als zulässig erweise.
29Der Verurteilte hat mit Schriftsatz seines Beistandes vom 11. Juni 2019 hierzu ausgeführt, dass eine Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO das Feststellen einer ordnungsgemäßen Ladung voraussetze. Da dies nicht gegeben sei, hätte sein Ausbleiben bei einem Berufungsverfahren in Deutschland damit als ausreichend entschuldigt gegolten. Die Vollstreckung der Strafe sei daher unzulässig.
30II.
31Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist gemäß §§ 84g Abs. 3 S. 3, 55 Abs. 2 S. 1 IRG statthaft, auch im Übrigen zulässig und begründet.
32Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Bochum vom 12. Oktober 2018, „die Vollstreckung des Urteils des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 für zulässig zu erklären und zu beschließen, dass auf die festgesetzte Strafe der Teil der Sanktion, der in Italien im Zusammenhang mit der Sanktion, die mit dem Urteil verhängt wurde, gegen den Verurteilten vollstreckt worden ist, anzurechnen ist“ war zurückzuweisen.
33Die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Appellationsgerichts Rom vom
342. Dezember 2014 ist unzulässig, da das Urteil in Abwesenheit des Verurteilten ergangen ist und keiner der Ausnahmetatbestände des § 84 b Abs. 3 und Abs.4 IRG vorliegt.
351.
36Der Vollstreckungshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und insoweit auch mit Italien richtet sich nach den §§ 84 ff. IRG.
37Die Bundesrepublik Deutschland hat den Rahmenbeschluss des Rates 2008/909/JI vom 27.11.2008, der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI geändert worden ist (Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen), mit dem Gesetz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen vom 17.07.2015, in Kraft seit dem 25.07.2015, in nationales Recht umgesetzt.
38Die Regelungen der §§ 84 ff. IRG gehen dabei gemäß § 84 Abs. 2 und 3 IRG den Regelungen der §§ 48 ff. IRG und dem Rahmenbeschluss des Rates 2008/909/JI vor, wenn – wie hier – ein Ersuchen um Vollstreckungshilfe nach Maßgabe des genannten Rahmenbeschlusses gestellt wird.
392.
40Das Urteil des Appellationsgerichts Rom ist in Abwesenheit des Verurteilten ergangen. Hinsichtlich der Beurteilung, ob ein An-oder ein Abwesenheitsurteil vorliegt, ist auf das Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 und nicht auf das in Anwesenheit des Verurteilten ergangene Urteil des ordentlichen Gerichts Rom vom 18. März 2013 abzustellen.
41Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 10. August 2017 ( C–270/17 PPU) in einem Vorabentscheidungsverfahren ausgeführt, dass in einem Strafverfahren, welches mehrere Instanzen umfasst, der Begriff „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ im Sinne von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmen- beschluss 2009/299/JI des Rates vom 26.02.2009 geänderten Fassung dahin auszulegen sei, dass er nur die Instanz erfasse, in der die Entscheidung ergangen ist, mit der nach einer erneuten – tatsächlichen und rechtlichen – Prüfung in der Sache endgültig über die Schuld des Betroffenen und über seine Verurteilung zu einer Strafe entschieden wurde.
42Aufgrund der gebotenen rahmenbeschlusskonformen Auslegung beeinflusst diese Vorgabe auch das nationale Verständnis des Begriffs der Verhandlung in § 83 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 IRG (vgl. insoweit OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.11.2018, Ausl 301 AR 101/18, juris) sowie in der hier maßgeblichen Vorschrift des § 84 b Abs. 1 Nr. 2 Abs. 3 IRG.
43Bei dem Verfahren vor dem Appellationsgericht Rom hat es sich nicht lediglich um eine revisionsrechtliche Kontrolle des Urteils des ordentlichen Gerichts Rom vom 18.März 2013 gehandelt. Aus den auszugsweise vorliegenden Gründen des Urteils des Appellationsgerichts Rom ergibt sich zweifelsfrei, dass auch eine Überprüfung der Beweislage mit eigenständiger Beweiswürdigung stattgefunden hat, so dass es sich bei dem Verfahren um eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gehandelt hat. Eine Vergleichbarkeit mit einer Verwerfung der Berufung nach deutschem Recht gemäß § 329 StPO ist daher nicht gegeben, da es sich bei einem derartigen Verwerfungsurteil um ein reines Prozessurteil und nicht um ein Sachurteil handelt. Es kann daher dahinstehen, ob die Verwerfung einer Berufung, die bei Erscheinen des Angeklagten zu einer Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geführt hätte, in der Berufungsverhandlung wegen Nichterscheinen des Angeklagten auch an § 84 b Abs.1 Nr.2, Abs.3 und 4 IRG zu messen wäre. Vorliegend ist jedenfalls aus den vorgenannten Gründen auf das Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 abzustellen.
44Da das Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2.Dezember 2014 in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangen ist, ist die Übernahme der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem vorgenannten Urteil gemäß § 84 b Abs.1 Nr.2 IRG unzulässig.
45Einer der Ausnahmetatbestände des § 84 b Abs.3 und Abs.4 IRG liegt nicht vor.
46Eine persönliche Ladung des Verurteilten zu den Hauptverhandlungsterminen gemäß
47§ 84 b Abs.3 Nr.1a IRG ist nicht gegeben, da nach den Angaben der italienischen Behörden in den Bescheinigungen nach Art. 4 des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen 2008/909/JI vom 17. Mai 2017 und 05. Juli 2018 der Verurteilte für Mitteilungen des Gerichts in dem Verfahren als Domizil das Büro seines Wahlverteidigers Rechtsanwalt U gewählt hat; eine persönliche Ladung ist also nicht erfolgt.
48Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der Verurteilte gemäß § 84 b Abs.3 Nr. 1b) IRG nachweislich und zweifelsfrei Kenntnis von den Verhandlungsterminen hatte und darauf hingewiesen worden ist, dass eine Verurteilung auch in seiner Abwesenheit ergehen kann.
49Nach den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft beim Appellationsgericht Rom in ihrem Schreiben vom 3. Mai 2019 ist zwar die Ladung des Verurteilten zu dem Berufungsverfahren mit dem Hinweis, dass eine Verurteilung auch in seiner Abwesenheit ergehen kann, an dem von dem Verurteilten gewählten Domizil bei seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt U zugestellt worden. Nach den weiteren Angaben der italienischen Behörden in dem vorgenannten Schreiben können diese nach Aktenlage jedoch nicht davon ausgehen, dass Rechtsanwalt U den Verurteilten von der Ladung zur Verhandlung vor dem Appellationsgericht Rom benachrichtigt hat.
50Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes gemäß § 84 b Abs.3 Nr.2 IRG sind ebenfalls nicht gegeben.
51Nach den Angaben der Generalstaatsanwaltschaft beim Appellationsgerichts Rom im Schreiben vom 3. Mai 2019 lässt sich nicht feststellen, dass der Verurteilte eine Ladung in dem gegen ihn geführten Verfahren durch Flucht zielgerichtet verhindert hat.
52Die Generalstaatsanwaltschaft beim Appellationsgericht Rom hat in ihrem vorgenannten Schreiben insoweit ausgeführt, dass die Ladung des Verurteilten zu dem Berufungsverfahren an dem von ihm gewählten Domizil bei seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt U zugestellt werden konnte. Durch die Wahl dieses Domizils habe der Verurteilte demnach eine Ladung ermöglicht.
53Zu dem für die Beurteilung des Vorliegens eines Fluchtfalles weiterhin entscheidenden Gesichtspunkt, ob Rechtsanwalt U den Verurteilten über die Ladung zur Berufungshauptverhandlung benachrichtigt hat und ob der Verurteilte unter Umständen für seinen Wahlverteidiger unerreichbar gewesen ist, konnte die Generalstaatsanwaltschaft beim Appellationsgericht Rom keine Angaben machen.
54Die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss, der Beschwerdeführer sei unter seiner von ihm mitgeteilten Anschrift nicht mehr erreichbar gewesen, werden daher durch die Angaben der italienischen Behörden nicht gestützt.
55Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes gemäß § 84 b Abs. 3 Nr. 3 IRG liegen gleichfalls nicht vor.
56Zwar hat der Beschwerdeführer in Kenntnis des Verfahrens die Rechtsanwälte U und D bevollmächtigt, ihn in der Verhandlung zu verteidigen, jedoch ist er von keinem dieser Wahlverteidiger in der Verhandlung, die zu dem Urteil des Appellationsgerichts Rom vom 2. Dezember 2014 geführt hat, auch tatsächlich verteidigt worden. Nach den Ausführungen der italienischen Behörden in den Bescheinigung nach Art. 4 des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen 2008/909/JI vom 17. Mai 2017 und 05. Juli 2018 ist der Wahlverteidiger Rechtsanwalt U in der Verhandlung, da er abwesend gewesen ist, durch den von Amts wegen benannten Rechtsanwalt E „ersetzt“ worden. Bei Rechtsanwalt E hat es sich demnach um einen von Amts wegen bestellten Pflichtverteidiger gehandelt und nicht um einen von Rechtsanwalt U unterbevollmächtigten Vertreter, der für ihn – da er verhindert war – seine Rechte ausgeübt und seine Pflichten übernommen hat.
57Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes gemäß § 84 b Abs.4 IRG sind ebenfalls nicht gegeben, da der Verurteilte keinen Anspruch auf ein neues Verfahren hat, in dem der Sachverhalt umfassend überprüft wird.
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