Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 9 W 11/21
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 24.02.2021 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe:
2Die zulässige sofortige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
31.
4Das Landgericht hat die Versagung von Prozesskostenhilfe damit begründet, die Antragstellerin habe ihre Bedürftigkeit nicht hinreichend dargetan, weil sie keine ausreichende Auskunft über den Wert des in Rumänien gelegenen Grundstücks erteilt und nicht dargelegt habe, dass dessen Verwertung oder Beleihung für sie eine unzumutbare Härte darstelle. Diese Begründung vermag die Versagung von Prozesskostenhilfe nicht zu tragen.
52.
6Die §§ 114, 115 ZPO bestimmen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Partei und damit davon abhängt, ob sie die Prozesskosten aus ihrem eigenen Einkommen und/oder Vermögen aufbringen kann oder nicht.
7Gem. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat die antragstellende Partei ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht Überlegungen dahingehend angestellt, dass der hälftige Miteigentumsanteil der Antragstellerin an dem in Rumänien gelegenen bebauten Grundstück einen relevanten Vermögenswert darstellen kann, den die Klägerin zur Finanzierung des beabsichtigten Prozesses einzusetzen verpflichtet sein könnte. Nach den Angaben der Antragstellerin handelt es sich dabei um ein im Jahre 1970 in Stroh- und Lehmbauweise eingeschossig errichtetes Gebäude mit Anbau mit einer Gesamtfläche von 66 qm nebst einem Schuppen von 16 qm auf einem ca. 823 qm großen Grundstück. Dem Grundstück zugeschlagen ist eine Ackerfläche von 900 qm. Das in der Nähe von Bukarest im ländlichen Bereich gelegene Objekt befindet sich noch im Ausbauzustand. Es verfügt weder über einen Wasser- noch einen Stromanschluss und ist nicht an eine öffentliche Kanalisation angeschlossen. Der Kaufpreis betrug im Jahre 2003 ca. 625,- €, wovon die Antragstellerin und ihr Ehemann selbst nur 200,- € aufbrachten. Nach Recherchen der Antragstellerin, basierend auf Anfragen bei der örtlichen Verwaltung, werden besser ausgestattete Häuser mit Strom- und Wasseranschluss in bevorzugter Wohnlage gegenwärtig mit Preisen zwischen 3.000,- € und 5.000,- € gehandelt.
8Die vom Landgericht demgegenüber angemeldeten Zweifel werden vom Senat nicht geteilt. Der Senat hat keine Bedenken, im Rahmen der Bewertung des hälftigen Anteils der Antragstellerin deren Angaben zu folgen. Eine Beleihung des hälftigen Miteigentumsanteils verschafft deshalb ersichtlich nicht annähernd die finanziellen Mittel, die erforderlich sind, um die Kosten des angestrebten Prozesses zu decken. Hierzu gehören neben den Kosten des eigenen Bevollmächtigten auch die erheblichen Kosten für die unumgängliche Beweisaufnahme durch Einholung von medizinischen Gutachten zumindest zweier Fachrichtungen, wobei die Antragstellerin darlegungs- und beweispflichtig und dementsprechend auch vorschusspflichtig ist. Selbst ein Verkauf des Miteigentumsanteils – wobei ernsthaft nur ein Verkauf an den eigenen Ehemann als weiteren Miteigentümer in Betracht kommt – vermag die voraussichtlich anfallenden Prozesskosten nicht zu decken.
9Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz des bescheidenen Vermögenswertes vorliegend der Antragstellerin auch nicht zumutbar, zumal ungewiss ist, wie sie den aufzunehmenden Kredit mangels eigener Mittel finanzieren sollte und den Miteigentumsanteil halten können wollte, wenn der angestrebte Prozess verloren geht.
103.
11Die Antragstellerin verfügt nach vorläufiger Einschätzung aber möglicherweise über einen weiteren Vermögenswert iSd § 115 Abs. 3 ZPO, nämlich einen Anspruch gegen ihren Ehemann gem. § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB auf Prozesskostenvorschuss, der bislang nicht Gegenstand der Überlegungen gewesen ist.
123.1
13Ist ein Ehegatte nicht in der Lage, die Kosten eines eine persönliche Angelegenheit betreffenden Rechtsstreits zu tragen, so ist der andere Ehegatte gem. § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB verpflichtet, ihm diese Kosten vorzuschießen, soweit dies der Billigkeit entspricht. Die Prüfung der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen erfolgt am Maßstab der Billigkeit. Leistungsfähigkeit liegt nur vor, wenn der Verfahrenskostenvorschuss den eigenen Unterhalt des Pflichtigen nicht gefährdet (Grandel/Breuers in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 1360a BGB (Stand: 06.04.2021), Rn. 51). Bei der im Rahmen eines Prozess-/Verfahrenskostenhilfeverfahrens vorzunehmenden Prüfung, ob der Antragsteller von seinem Ehepartner gem. § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB einen Prozess-/Verfahrenskostenvorschuss verlangen kann, ist dessen Leistungsfähigkeit nicht gem. § 115 Abs. 1 und 2 ZPO, sondern nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu beurteilen. Der auf Leistung eines Prozess-/Verfahrenskostenvorschusses in Anspruch genommene Ehepartner kann sich auf den eheangemessenen Selbstbehalt berufen (OLG Bremen v. 25.11.2020 - 4 WF 65/20 - juris). Dieser dürfte gegenüber der Ehefrau bei Trennungsunterhalt und nachehelichem Unterhalt den Betrag von 1.200,00 € als Mindestbetrag nicht unterschreiten (vgl. Grandel/Breuers in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 1360a BGB (Stand: 06.04.2021), Rn. 51_1), wobei zu bedenken ist, ob und in welchem Umfang hierin bereits ein Betrag für Mietkosten enthalten ist.
143.2
15Die Leistungsfähigkeit des an sich vorschusspflichtigen Ehegatten für einen Prozesskostenvorschuss ist jedoch zu verneinen, wenn er - führte er einen solchen Prozess für sich selbst – ratenfreie Prozesskostenhilfe beanspruchen könnte. Denn er kann nicht verpflichtet sein, einem anderen die Kosten des Prozesses zu finanzieren, wenn er selbst für die Kosten eines Prozesses nicht aufkommen müsste, weil ihm ratenlose Prozess-/Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen wäre (BGH v. 04.08.2004 – XII ZA 6/04 –, juris Rn. 14; Grandel/Breuers a.a.O. Rn. 51). Eine Prüfung der Leistungsfähigkeit des Ehemannes der Antragstellerin unter diesem Aspekt ist bislang unterblieben und dementsprechend nachzuholen.
163.4
17Soweit in der Kommentierung und der älteren vor 2004 ergangenen Rechtsprechung einiger Instanzgerichte (vgl. die umfangreichen Nachweise in BGH v. 04.08.2004 – XII ZA 6/04 –, juris Rn. 16, insbesondere OLG Oldenburg v. 25.02.1994 – 5 W 17/94 – juris Rn. 5) der Anspruch auf einen Unterhaltsvorschuss bereits dann versagt wird, sofern dem Unterhaltsverpflichteten – führte er den Prozess in eigener Angelegenheit – überhaupt Prozesskostenhilfe, wenn auch nur mit Ratenzahlungsanordnung, bewilligt werden würde, weil die entgegenstehende Handhabung über den Umweg eines Ratenprozesskostenvorschusses zu einer unzulässigen Zusammenrechnung der Einkommen und Vermögen von Ehegatten führte, vermag dies nicht zu überzeugen.
183.5
19Der Anspruch auf Prozesskostenvorschuss ist unterhaltsrechtlicher Natur. Nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen schuldet der Unterhaltsverpflichtete jedenfalls dann keinen Prozesskostenvorschuss, wenn dadurch sein notwendiger Selbstbehalt verletzt würde. Ist der Unterhaltsverpflichtete hingegen in der Lage, ohne Verletzung seines Eigenbedarfs Raten auf den Prozesskostenvorschuss zu leisten, steht eine mangelnde Fähigkeit, den Vorschuss in einer Summe zu leisten, dem Anspruch nicht entgegen. Die unterhaltsrechtliche Natur und der Vergleich mit den wiederkehrenden monatlichen Unterhaltsleistungen sprechen sogar ausdrücklich für eine Vorschusspflicht auch in Form von Ratenzahlungen (BGH v. 04.08. 2004 – XII ZA 6/04 – juris Rn. 18). Diese Überlegungen greifen nicht nur für die vom BGH konkret entschiedene Fallkonstellation des Prozesskostenhilfevorschusses des minderjährigen unterhaltsberechtigten Kindes gegenüber dem unterhaltsverpflichteten Elternteil, sondern in gleicher Weise auch für die vorliegende Konstellation, in der ein Prozesskostenhilfevorschuss des einen gegen den anderen Ehegatten in Rede steht, Platz. Ob dem zu folgen sei, hat das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung vom 02.01.2012 – 11 WF 286/11 – juris, in einem obiter dictum ausdrücklich unter Hinweis auf seine Entscheidung v. 25.02.1994 offengelassen, denn die Ausführungen des BGH seien nicht als allgemeiner Grundsatz zu verstehen, sondern bezögen sich nur auf die dort behandelte Konstellation eines Prozesskostenvorschusses des minderjährigen Kindes gegenüber den Eltern. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Der Unterschied zwischen dem anderen Ehegatten und dem minderjährigen Kind als Anspruchsteller besteht allein darin, dass gegenüber dem ersteren nur der angemessene Selbstbehalt gewahrt sein muss, während gegenüber dem letzteren nur eine Berufung auf den notwendigen Selbstbehalt möglich ist.
204.
21Besteht nach erneuter Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse demnach ein – wenn auch nur ratenweise zu erfüllender - Anspruch der Antragstellerin gegen ihren Ehemann auf Gewährung eines Prozesskostenhilfevorschusses, wird der Antragstellerin bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen entsprechend Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlungsanordnung iHd des ratenweise zu erfüllenden Prozesskostenhilfeanspruchs gegen ihren Ehemann zu bewilligen sein.
225.
23Weitere Vermögenswerte der Antragstellerin, die sie nach § 115 Abs. 3 ZPO einzusetzen hätte, bestehen nach deren bisherigen Angaben nicht. Dem angekündigten Antrag zu Ziff. 1 ist zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin zu 2) bislang insgesamt 17.500,- € auf das geltend gemachte Schmerzensgeld gezahlt hat. Ob dieser Betrag bei der Antragstellerin noch vorhanden ist, wogegen – wahrheitsgemäße Angaben unterstellt - die Nichterwähnung im amtlichen Vordruck zu den persönlichen und wirtschaftlichen Angaben spricht, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. Denn das auf der Leistung eines Schmerzensgeldes beruhende Vermögen wird im Grundsatz insoweit als nicht einsetzbares Vermögen im Sinne von § 115 Abs. 3 ZPO angesehen, als dieses dem Ausgleich verletzungsbedingt erlittener, weiter bestehender sowie ggf. auch vorhersehbarer künftiger Beeinträchtigungen dient. Nur auf diese Weise erscheint gewährleistet, dass das Opfer jedenfalls das dem Ausgleich dienende Schmerzensgeld zur freien Verfügung behält.
246.
25Die Antragstellerin verfügt gegenwärtig über kein eigenes Einkommen aus nichtselbstständiger oder selbstständiger Arbeit. Lediglich 90,- € Wohngeld werden an sie ausgezahlt, wobei es sich um eine Leistung an beide Eheleute handeln dürfte. Das Einkommen des berufstätigen Ehemannes bleibt für die Berechnung eigener Einkünfte der Antragstellerin außer Betracht.
267.
27Da dem Senat die Sache nur hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe angefallen ist, sieht er in der Sache von einer eigenen abschließenden Entscheidung ab. Vielmehr ist die Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
288.
29Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Antragstellerin zwar vorträgt, seit dem Unfall durchgehend – seit nunmehr immerhin 6 Jahren - unter erheblichen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen zu leiden. Hierzu legt sie allerdings lediglich zwei ärztliche Kurzberichte aus unfallnaher Zeit v. 28.09.2015 und 20.11.2016 vor. Die als Anlage K 3 vorgelegte Bescheinigung v. 31.01.2017 bestätigt nur die Aufnahme in die stationäre Behandlung der N Klinik in C . Der Bericht über den 6-wöchigen Aufenthalt in der N Klinik, welcher - wie bei solchen Berichten üblich – eine ausführliche Anamnese, den Aufnahmestatus, den Behandlungsverlauf und den Zustand bei Entlassung referieren dürfte, wird ebenso wenig vorgelegt, wie weitere Arztberichte aus der zurückliegenden Zeit, von deren Vorhandensein der Senat ausgeht, und auf die das Landgericht angewiesen ist, um sich ein objektives Bild von den behaupteten Beschwerden der Antragstellerin zu machen. Wie sonst sollte das Landgericht beurteilen können, ob das behauptete Krankheitsbild ein Schmerzensgeld von mindestens 75.000,- € und daneben eine ohnehin nur besonderen Ausnahmefällen vorbehaltene Schmerzensgeldrente rechtfertigt. In diesem Zusammenhang wird auch von der Antragstellerin ergänzender Vortrag zu fordern sein, ob und welchen weiteren orthopädischen, neurologischen oder unfallchirurgischen Untersuchungen mit welchem Ergebnis sie sich in der Vergangenheit unterzogen hat. Insbesondere wird ergänzender Vortrag zu erwarten sein, ob seitens der Antragsgegnerin zu 2 eine solche Untersuchung veranlasst worden ist, und auf welche Untersuchungsergebnisse gestützt die Antragsgegnerin zu 2 bislang immerhin ein Schmerzensgeld von 17.500,- €, davon zuletzt am 23.04.2018, sicherlich nicht auf die inhaltskargen, unfallnahen Kurzberichte aus 2015 und 2016, gezahlt hat.
30Was die Behauptung anbetrifft, die Antragstellerin habe unfallbedingt eine Depression entwickelt, die einer psychiatrischen/psychologischen Behandlung bedürfe, ist der Sachvortrag ebenfalls dahin zu ergänzen, ob und bei wem sich die Antragstellerin bereits in eine solche Behandlung mit welchem Ergebnis begeben hat.
319.
32Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.
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Referenzen
- ZPO § 115 Einsatz von Einkommen und Vermögen 5x
- ZPO § 127 Entscheidungen 1x
- 4 WF 65/20 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- BGB § 1360a Umfang der Unterhaltspflicht 5x
- 11 WF 286/11 1x (nicht zugeordnet)
- XII ZA 6/04 3x (nicht zugeordnet)
- 5 W 17/94 1x (nicht zugeordnet)