Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 5 RVs 31/22
Tenor
Das angefochtene Urteil wird
a) im Schuldspruch dahingehend berichtigt, dass der Angeklagte des unerlaubten Entfernens vom Unfallort und des fahrlässigen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO schuldig ist,
b) betreffend des unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.
1
Gründe:
2I.
3Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat den Angeklagten am 18.05.2021 wegen „Verkehrsunfallflucht“ zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 100 € verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und zugleich eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten angeordnet. Ferner hat es „wegen Außer-Acht-Lassens der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt mit Schädigung anderer“ eine Geldbuße von 35 € verhängt.
4Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen mit Urteil vom 23.11.2021 als unbegründet verworfen. Hinsichtlich des Entzugs der Fahrerlaubnis ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB erfüllt sei, da an dem geschädigten Fahrzeug ein Schaden von bedeutendem Wert entstanden sei. Diesbezüglich hat das Landgericht festgestellt, dass sich der vordere Stoßfänger des Fahrzeugs des Angeklagten und das Heck des Geschädigtenfahrzeugs beim Ausrangieren aus einer Parklücke ineinander verhakten und sich der Sachschaden an dem zuvor unbeschädigten Fahrzeug des Zeugen A auf 1.768,86 € belaufe. Die diesbezügliche Überzeugungsbildung hat das Landgericht auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Kostenvoranschlag gestützt.
5Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit welcher er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
6II.
7Die zulässige Revision des Angeklagten führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Berichtigung des Schuldspruchs sowie in Bezug auf das unerlaubte Entfernen vom Unfallort zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen (§ 349 Abs. 4 StPO) und zur Zurückverweisung der Sache (§ 354 Abs. 2 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
81)
9Der Schuldspruch war zum einen in Bezug auf die tenorierte „Verkehrsunfallflucht“ dahingehen zu berichtigen, dass der Angeklagte des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig ist, da zur rechtlichen Bezeichnung der Tat die gesetzliche Überschrift des Straftatbestandes zu verwenden ist (§ 260 Abs. 4 S. 2 StPO). Zum anderen war hinsichtlich der Verkehrsordnungswidrigkeit die fahrlässige Begehungsweise zu tenorieren. Zur Kennzeichnung der Tat ist die Hinzufügung der Schuldform erforderlich, soweit die Tat – wie vorliegend – sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann (Ott, in: Karlsruher Kommentar, 8. Aufl. 2019, § 260 StPO Rn. 30).
102)
11Der Rechtsfolgenausspruch kann bezüglich des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hingegen insgesamt keinen Bestand haben, da die Urteilsfeststellungen zur Schadenshöhe an einem Darlegungsmangel leiden.
12Gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung wegen charakterlicher Ungeeignetheit vor, wenn der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Sinne von § 142 StGB weiß oder wissen kann, dass durch den Unfall an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.
13a)
14Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (KG Berlin, Beschluss vom 03.08.2021 – (3) 121 Ss 60/21 (32/21) –, Rn. 22 - 24, juris m.w.N.). Da bei der Bemessung dieser Schadensgrenze nur diejenigen Schadenspositionen berücksichtigungsfähig sind, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind, muss das Tatgericht jedenfalls bei Unfallgeschehen, bei denen - wie hier - nicht bereits von vornherein ersichtlich ist, dass ein bedeutender Schaden entstanden ist (KG Berlin, Beschluss vom 03.08.2021 – (3) 121 Ss 60/21 (32/21) –, Rn. 22 - 24, juris m.w.N.), nicht nur mitteilen, welche unfallbedingten Fremdschäden entstanden sind, sondern auch, wie diese wertmäßig zu beziffern sind. Dies kann regelmäßig etwa durch (gedrängte) Wiedergabe eines entsprechenden schriftlichen Kfz-Sachverständigengutachtens geschehen (KG Berlin, Beschluss vom 03.08.2021 – (3) 121 Ss 60/21 (32/21) –, Rn. 22 - 24, juris m.w.N.).
15Den vorbeschriebenen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht teilt lediglich mit, dass sich das Fahrzeug des Angeklagten im Bereich des vorderen Stoßfängers mit dem Heck des geschädigten Fahrzeugs verhakte und hierdurch ein Sachschaden in Höhe von 1.768,85 € entstand. Diese Schadenssumme liegt nur geringfügig über der für den Schadensbetrag maßgeblichen Grenze, die im Hinblick auf die allgemeine Preissteigerung jedenfalls nicht unter 1.500 € anzusetzen ist (im Jahr 2014 noch für 1.300 €: OLG Hamm Beschluss vom 6.11.2014 – 5 RVs 98/14, BeckRS 2015, 921 Rn. 21, beck-online). Da sich bei einem derartigen Unfallgeschehen ein bedeutender Fremdschaden nicht aufdrängt, hätte es daher einer (gedrängten) Darstellung der in Ansatz gebrachten Kostenpositionen zumindest auf Basis eines aussagekräftigen Kostenvoranschlags bedurft, um den Senat in die Lage zu versetzen, die Erstattungsfähigkeit der Kosten bzw. ihre Berücksichtigungsfähigkeit im Rahmen der Bewertung des bedeutenden Schadens (also z.B. nicht: Mietwagenkosten, vgl. Fischer, 69. Aufl. 2022, § 69 StGB Rn.27) zu überprüfen.
16b)
17Auf diesem Fehler beruht das angefochtene Urteil im Straf- und im Maßregelausspruch. Denn die Schadenshöhe ist sowohl nach Maßgabe des § 46 StGB im Rahmen der Strafzumessung als auch im Rahmen des Maßregelausspruches nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB im Zusammenhang mit der Frage der Entstehung eines "bedeutenden Schadens" relevant (OLG Hamm, Beschluss vom 06.11.2014 – III-5 RVs 98/14 –, Rn. 17, juris).
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Referenzen
- StPO § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss 1x
- Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 5 RVs 98/14 2x
- 121 Ss 60/21 3x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 2 StVO 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 69 Entziehung der Fahrerlaubnis 2x
- StPO § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung 1x
- StPO § 260 Urteil 2x