Zwischenurteil vom Hanseatisches Oberlandesgericht - 6 U 242/15

Tenor

Das Verfahren ist unterbrochen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin ist eine russische Bank, die auch in Deutschland zum Geschäftsverkehr zugelassen ist.

2

Die Klägerin erwirkte gegen den (auch) in Hamburg lebenden Beklagten bereits zwei Urteile in Russland.

3

Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, diese russischen Urteile in Deutschland für vollstreckbar zu erklären. Aufgrund eines vom erkennenden Senat eingeholten Gutachtens im Verfahren 6 U 152/11, in dem es um die Frage ging, ob Urteile russischer Gerichte in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden können (vgl. das nicht rechtskräftige Urteil des Senats vom 13.7.2016), hat die Klägerin die Hauptanträge auf Vollstreckbarerklärung zurückgenommen und nur noch (entsprechend ihrem ursprünglichen Hilfsantrag und jetzigen Hauptantrag) aus materiellem Recht geklagt.

4

Die Klägerin hat in 1. Instanz behauptet, dass der Beklagte zu ihren Gunsten am 19.1.2009 zwei selbstschuldnerische Bürgschaften erteilt habe. Die Bürgschaften hätten Ansprüche der Klägerin gegen die „M. OAO“ (auch als M... OAO bezeichnet, Hauptschuldnerin) aus Kredit- bzw. Akkreditivverträgen gesichert.

5

Die Klägerin hat in 1. Instanz vorgetragen, dass ihr aus den Bürgschaftsverträgen Ansprüche in Höhe von 1.051.571,34 € nebst einer Vertragsstrafe in Höhe 0,05 % pro Tag seit dem 20.4.2011 zuständen.

6

Die Klägerin konnte sodann in Russland einen Betrag in Höhe von 623.702,86 € beitreiben. Die Klägerin hat den Rechtsstreit in dieser Höhe für erledigt erklärt. Der Beklagte hat der Erledigungserklärung weder widersprochen noch ausdrücklich zugestimmt.

7

Die Klägerin hat in 1. Instanz zuletzt beantragt,

8

den Beklagten zu verurteilen, an sie 427.868,48 € nebst 0,05 % Vertragsstrafe pro Tag seit dem 20.04.2011 zu zahlen.

9

Der Beklagte hat in 1. Instanz beantragt,

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die Klage abzuweisen.

11

Der Beklagte hat in 1. Instanz den Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit/Rechtskraft erhoben.

12

Er hat bestritten, dass zwischen den Parteien selbstschuldnerische Bürgschaftsverträge geschlossen worden seien. Er hat auch den Inhalt der zugrunde liegenden Kreditverträge und Akkreditiveröffnungsverträge zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin bestritten. Er hat ferner bestritten, dass die Hauptschuldnerin ihre Verpflichtungen gegenüber der Klägerin nicht erfüllt habe. Er hat die Einrede der Vorausklage erhoben, die Bürgschaftsverträge angefochten und sich auf Verjährung berufen.

13

Im Übrigen wird auf die in 1. Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

14

Das Landgericht Hamburg hat den Beklagten durch Urteil vom 15.9.2015 (327 O 194/12) verurteilt, an die Klägerin 427.868,48 € nebst 0,05 Prozent Vertragsstrafe pro Tag hieraus auf einen Betrag in Höhe von 298.084,95 € seit dem 18.6.2011 und auf einen Betrag in Höhe von 117.563,12 € seit dem 10.09.2011 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

15

Hinsichtlich der Feststellungen in 1. Instanz und hinsichtlich der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

16

Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 23.9.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 23.10.2015 eingelegte und - nach entsprechender Fristverlängerung - am 23.12.2015 begründete Berufung des Beklagten.

17

Der Beklagte trägt in 2. Instanz vor, dass der durch das Urteil des Landgerichts Hamburg ausgeurteilte restliche Betrag in Russland bezahlt sei.

18

Der Beklagte beantragt,

19

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15.09.2015 aufzuheben und die Klage des Klägers/Berufungsbeklagten abzuweisen.

20

Die Klägerin beantragt

21

Zurückweisung der Berufung.

22

Auf die in 2. Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen wird Bezug genommen.

23

Der Beklagte teilte mit Schriftsatz vom 31.3.2017 mit, dass durch Beschluss des Wirtschaftsgerichts der Stadt Moskau vom 02.02.2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet worden sei (Anlage BK 2, Übersetzung Anlage BK 2a).

24

Die Parteien streiten über die Frage, ob das Verfahren hierdurch unterbrochen worden ist.

II.

25

Wenn die Parteien darüber streiten, ob ein Verfahren tatsächlich unterbrochen ist, ist über die Unterbrechung durch Zwischenurteil im Sinne von § 303 ZPO zu entscheiden (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., Rn. 3 vor § 239 und § 303, Rn. 5; BGHZ 82, 209, zitiert nach juris, Tz. 21; BGH ZIP 2009, 2217, zitiert nach juris, Tz. 5; vgl. auch BGH ZInsO 2012, 878 = NZI 2012, 572, zitiert nach juris, 10).

26

Maßgebend ist, da die Insolvenzeröffnung im Ausland war, § 352 InsO. Eine Unterbrechung nach dieser Vorschrift setzt allerdings voraus, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach deutschem Recht anerkannt wird, was in § 343 InsO geregelt ist.

27

Die Voraussetzungen für eine Unterbrechung gemäß §§ 352 i.V.m. 343 InsO liegen vor. Die Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch.

28

Im Einzelnen:

29

Voraussetzung für die Anerkennung nach § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO ist, dass das russische Gericht für die Insolvenzeröffnung (international) zuständig ist. Die örtliche Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren (das betrifft dann auch die internationale Zuständigkeit) ist in § 3 InsO geregelt. Dabei kommt es auf den allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners an bzw. (vorrangig) auf den Mittelpunkt seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit.

30

Die Beweislast dafür, dass der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. seinen wirtschaftlichen Mittelpunkt nicht in Moskau hatte (zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung im Februar 2017), trägt die Klägerin. In § 343 InsO ist grundsätzlich geregelt, dass eine Anerkennung erfolgt. Durch die Formulierung „Dies gilt nicht ...“ wird deutlich, dass in § 343 Abs. 1 Satz 2 InsO Ausnahmen genannt sind, für deren Vorliegen derjenige beweispflichtig ist, der sich darauf beruft (vgl. OLG Celle, ZIP 2013, 945, zitiert nach juris, Tz. 16 f.).

31

Der Beklagte mag eine sekundäre Darlegungslast haben. Dieser ist er aber ausreichend nachgekommen. Auf Aufforderung des Senats in der Verfügung vom 4.4.2017 hat der Beklagte zunächst allgemein vorgetragen, dass sein Wohnsitz „in den letzten Jahren“ in Moskau gewesen sei. Der Beklagte hat weiter erklärt, dass er auf jeden Fall einen Wohnsitz in Moskau habe und dass sich dort auch der Schwerpunkt seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit befinde. Er hat unter Vorlage einer Kopie aus seinem Pass (Anlage BK 3) vorgetragen, dass er sich in den Jahren 2015 bis 2017 überwiegend in Russland und deutlich weniger in der Europäischen Union aufgehalten habe. Im Beschluss über die Insolvenzeröffnung ist auch eine Anschrift des Beklagten in Moskau angegeben.

32

Den ihr obliegenden Beweis für den Schwerpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Beklagten in Hamburg hat die Klägerin unter Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten nicht geführt. Soweit sie die Behauptungen des Beklagten mit Nichtwissen bestreitet, reicht das angesichts der Beweislast nicht aus.

33

In der Klage (vom April 2012) hat die Klägerin eine Hamburger Adresse des Beklagten angegeben, ebenso in der Berufungsschrift vom Oktober 2015. Die Klägerin hat vorgetragen, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz in Hamburg gehabt habe. Sie bestreitet, dass er später seinen Wohnsitz nach Moskau verlegt habe. Sie meint, wenn der Beklagte im Jahr 2016 an 162 Tagen in der EU war, lasse das auf einen wirtschaftlichen Schwerpunkt in der EU schließen: Diese Argumentation hält der Senat nicht für stichhaltig, wenn der Beklagte im selben Jahr an 203 Tagen in Russland war.

34

Die Argumentation der Klägerin ist auch widersprüchlich. Der Beklagte trägt vor, dass es die Klägerin selbst war, die das Insolvenzverfahren in Russland beantragt hat. Das hat die Klägerin nicht substantiiert bestritten. Aus der deutschen Übersetzung des Eröffnungsbeschlusses (Anlage BK 2a) ergibt sich, dass die Klägerin Antragstellerin war („in Sache des Antrages der OAG Bank ...“). Die Gesellschaftsform der Klägerin ist im russischen Original mit ΠAO und nicht mit OAO bezeichnet. An der Identität hat der Senat aber keinen Zweifel, da die Bezeichnung der öffentlichen Aktiengesellschaft sich durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2014 geändert hat (Quelle: Wikipedia zu Publitschnoje Akzionernoje Obschtschestwo). Wenn die Klägerin aber selbst ein Insolvenzverfahren in Russland beantragt, geht sie offensichtlich von der Zuständigkeit der dortigen Insolvenzgerichte aus. In den Bürgschaftsverträgen, die dem ganzen Rechtsstreit zugrunde liegen (Anlagen K 3 a und K 6 a), ist jeweils eine Moskauer Anschrift des Beklagten genannt, und zwar dieselbe, die auch der Beklagte angibt (G. Straße Haus 38). Die Klägerin hat zunächst in Russland Urteile gegen den Beklagten erwirkt und (wenn auch vergeblich) versucht, in Russland zu vollstrecken. Daher ist von der internationalen Zuständigkeit der russischen Insolvenzgerichte auszugehen.

35

Bei dem russischen Verfahren muss es sich materiell um ein „Insolvenzverfahren“ handeln (vgl. zu dieser Voraussetzung etwa OLG Celle ZIP 2013, 945, zitiert nach juris, Tz. 13).

36

Ob ein ausländisches Verfahren als Insolvenzverfahren im Sinne von.§ 343 Abs. 1 Satz 1 InsO zu qualifizieren ist, ist unter Berücksichtigung der Vielfalt der Insolvenzbereinigung in den verschiedenen Rechtsordnungen zu bestimmen. Als ein Insolvenzverfahren im Sinne von § 343 Abs. 1 Satz 1 InsO werden Auslandsverfahren zwar nicht völlig schrankenlos anerkannt. Das ausländische Verfahren braucht aber nicht in jeder Beziehung oder auch nur in seinen wesentlichen Grundzügen mit dem deutschen Recht übereinzustimmen. Erforderlich ist nur, dass das ausländische Insolvenzverfahren im Wesentlichen den gleichen Zielen wie das deutsche Insolvenzverfahren verpflichtet ist. Insolvenzverfahren im Sinne von. §§ 335 ff. InsO sind jedenfalls Gesamtverfahren, die die Zahlungsunfähigkeit, die Zahlungseinstellung oder die Krediterschütterung des Schuldners voraussetzen. Sie müssen den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag - d.h. den Verlust der Befugnis des Schuldners zur Verwaltung seines Vermögens - und die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, weicht die Abwicklung der Insolvenz nach dem ausländischen Verfahren aber erheblich von den Grundsätzen des inländischen Rechts ab, ist das allenfalls bei der Prüfung des § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO zu berücksichtigen. Danach ist zu untersuchen, ob die Anerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens mit dem deutschen ordre public zu vereinbaren ist (vgl. BAG ZInsO 2014, 200, zitiert nach juris, Tz. 64; vgl. auch BGH NZI 2009, 859, zitiert nach juris, Tz. 8).

37

Dem Senat ist aus einem Rechtsgutachten von Prof. Dr. T., das in der Sache 6 U 190/14 eingeholt worden ist, das russische Insolvenzrecht in Grundzügen bekannt. Das Verfahren beginnt mit einem Antrag auf Feststellung der Insolvenz. Nach formeller Prüfung (und ggf. der Anordnung vorläufiger Maßnahmen) schließt sich eine Beobachtungsphase an, die mit der Einstellung des Verfahrens oder mit der Eröffnung eines von zwei verschiedenen Sanierungsverfahren oder mit der Eröffnung des Konkursverfahrens (Art. 124 ff. russInsG 2002) enden kann. Die weitestgehenden Wirkungen hat das Konkursverfahren. Nach Art. 126 russInsG können ab dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung Forderungen nur im Rahmen des Konkursverfahrens geltend gemacht werden. Die Erfüllung erfolgt durch den Konkursverwalter in dem Verfahren. Die Gläubiger müssen ihre Forderungen im Insolvenzverfahren anmelden und erhalten im Rahmen der insolvenzrechtlichen Verteilung eine Befriedigungsquote auf der Grundlage der (nach Vorrechten gestuften) Gläubigergleichbehandlung.

38

Im vorliegenden Beschluss sind Art. 138 und Art. 213 russInsG ausdrücklich genannt. Es heißt, dass der Beklagte für insolvent (Bankrotteur) anzuerkennen ist. Der Finanzverwalter des Schuldners wird bestätigt. Dem Schuldner wird aufgegeben, dem Finanzverwalter alle Bankkarten und alle Eigentumsunterlagen zu übergeben. Das Verwertungsverfahren wird angeordnet. Das reicht nach Auffassung des Senats aus, um von einem Insolvenzverfahren im Sinne von § 343 Abs. 1 Satz 1 InsO auszugehen.

39

Soweit die Klägerin die Qualifikation als „Insolvenzverfahren“ bezweifelt, weil die Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis nicht auf den russischen Insolvenzverwalter übergehe, führt dies allein nicht zu einer anderen Beurteilung, weil auch das deutsche Recht Fallgestaltungen kennt, in denen gemäß § 270 InsO eine Eigenverwaltung möglich ist (vgl. BGH NZI 2009, 859, zitiert nach juris, Tz. 13).

40

Soweit die Klägerin meint, dass das russische Insolvenzrecht keine Unterbrechungswirkung kenne, was aber Voraussetzung für die Anerkennung sei, trifft das so allgemein nicht zu. Grundsätzlich kommt es nicht auf die Unterbrechungswirkung im Ausland an, weil die Unterbrechung sich nach deutschem Recht, nämlich nach § 352 Abs. 1 InsO, richtet. Die Unterbrechung ist also Rechtsfolge der Regelung des § 352 Abs. 1 Satz 1 InsO und nicht Tatbestandsvoraussetzung (vgl. BAG ZinsO 2014, 2004, zitiert nach juris, Tz. 23; Hess. LAG IPRspr. 2011, Nr. 325, 878, zitiert nach juris, Tz. 58; vgl. zu Art. 15 EUInsVO auch OLG Celle ZIP 2013, 945, zitiert nach juris, Tz. 12; OLG Frankfurt ZInsO 2012, 1990, zitiert nach juris, Tz. 12; vgl. auch Thole in Münchener Kommentar, InsO, 3. Aufl., § 352, Rn. 6; Undritz in Hammburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 6. Aufl., § 352, Rn. 2a; K.Schmidt/Brinkmann, InsO, 19. Aufl. § 352, Rn. 3).

41

Der Bundesgerichtshof hat allerdings entschieden, dass selbst dann, wenn ein ausländisches Verfahren als Insolvenzverfahren im Sinne von § 343 InsO anzusehen ist, die Unterbrechungswirkung nur eintritt, wenn entweder das ausländische Recht eine Unterbrechungswirkung vorsieht oder einen Übergang der Prozessführungsbefugnis (BGH NZI 2012, 572, zitiert nach juris, Tz. 43 bis 45).

42

Auch diese vom BGH aufgestellte Voraussetzung ist erfüllt. Dem Senat ist aus einem früheren Verfahren 6 U 210/05, in dem Klägerin eine russische Gesellschaft war, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren angeordnet worden war, bekannt, dass ein russischer Insolvenzverwalter zwar nicht als Partei kraft Amtes, aber als Vertreter der Schuldnerin fungiert. Partei ist in einem solchen Fall also der Insolvenzschuldner selbst, aber vertreten durch den Insolvenzverwalter, nicht durch den Geschäftsführer. Die dortige Klägerin (im Verfahren 6 U 210/05) hatte ein Privatgutachten vorgelegt, in dem es u.a. hieß: „Legal Opinion“: „The liquidator of AOOT „...“ carries out her function instead of management of the insolvent company on behalf of it and not on behalf of her own name.“ Das bedeutet, dass in einem Prozess die Schuldnerin nicht mehr durch die alten Organe (“management of the insolvent company”) vertreten wird, sondern durch den Insolvenzverwalter („liquidator“).

43

Im Länderbericht zur Russischen Föderation bei Schartz/Fahland im Münchener Kommentar, InsO, 3. Aufl., Bd. 4, wird in Rn. 58 ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung die Geschäftsführungsorgane des Schuldners ihre Befugnisse verlieren. In Rn. 61 heißt es, dass der Konkursverwalter berechtigt ist, über das Schuldnervermögen zu verfügen.

44

Im Handbuch Insolvenzrecht in Europa (Hrsg. Kindler/Nachmann) heißt es im Teil „Russische Föderation“ (bearbeitet von Yukhnin) in Rn. 441, dass ab dem Datum, an dem das Gericht den Beschluss gefasst hat, den Schuldner für insolvent zu erklären und den Konkurs einzuleiten, das Verfügungsrecht des Schuldners (bzw. seiner Leitungsorgane) dem Konkursverwalter auferlegt wird. In Rn. 444 heißt es, dass bei anhängigen Rechtsstreiten der Konkursverwalter in das laufende Verfahren als Person eintritt, die den Schuldner ohne spezielle Befugnisse vertritt. Er ist berechtigt, die Forderung anzuerkennen, die Forderung abzulehnen oder einen Vergleich zu schließen.

45

Aus den genannten Gründen ist davon auszugehen, dass mit Insolvenzeröffnung die Prozessführungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergeht, so dass auch nach der Rechtsprechung des BGH eine Unterbrechung des Rechtsstreits in Deutschland die Folge ist.

46

Soweit die Klägerin die Wirksamkeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Russland bestreitet, bleibt dies ohne Erfolg. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Beklagte nicht verpflichtet, ein Protokoll der gerichtlichen Sitzung vorzulegen. Die Klägerin ist selbst Antragstellerin im russischen Insolvenzverfahren. Sie muss daher das Protokoll selbst kennen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Protokoll für die Wirksamkeit der Entscheidung von Bedeutung ist. Selbst wenn es im Insolvenzverfahren zu Fehlern gekommen sein sollte, dürfte die Entscheidung allenfalls fehlerhaft und anfechtbar sein. Irgendwelche Verfahrensfehler werden auch gar nicht konkret angegeben. Zweifel an der Wirksamkeit der Insolvenzeröffnung hat der Senat nicht.

47

Soweit die Klägerin vorträgt, dass die Voraussetzung, dass das in Deutschland belegene Vermögen des Schuldners in Russland zur Masse gezogen werden können müsse, nicht vorliege, folgt dem der Senat nicht.

48

Nach § 352 InsO findet eine Unterbrechung nur statt, wenn der Rechtsstreit (der unterbrochen werden soll) die Insolvenzmasse „betrifft“. Der Rechtsstreit betrifft Forderungen, die die Klägerin (eine russische Bank) aufgrund eines in Russland mit dem Beklagten (einem russischen Staatsbürger) in russischer Sprache geschlossenen Bürgschaftsvertrages (wobei Hauptschuldnerin eine russische Gesellschaft ist) geltend macht. Dass die Forderungen, die geltend gemacht werden, grundsätzlich dem russischen Insolvenzrecht unterliegen (also Forderungen nur „im Rahmen des Konkursverfahrens geltend gemacht werden können)“, unterliegt keinem Zweifel. Die Forderung ist in Russland bereits tituliert. Der Rechtsstreit betrifft (materiell) die Insolvenzmasse. Das wäre ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn es in dem Rechtsstreit etwa um insolvenzfreies Vermögen gehen würde (vgl. Thole in Münchener Kommentar, a.a.O., § 352, Rn. 10). Bei Yukhnin in Kindler/Nachmann, a.a.O., Rn. 464 ist Vermögen genannt, das gemäß Art. 131 und 132 russInsG nicht in die Insolvenzmasse aufgenommen wird (z.B. Waffen oder Betäubungsmittel, Vermögensrechte, die mit der Person des Schuldners verbunden sind, Objekte des Kulturerbes u.a.). Um solche Ausnahmefälle geht es im vorliegenden Fall nicht.

49

Das ausländische Insolvenzrecht muss allerdings einen Geltungsanspruch auch im Ausland haben und auch das (aus deutscher Sicht) Inlandsvermögen erfassen (vgl. BGH NJW 1997, 524, zitiert nach juris, Tz. 16). Das ist aber der Fall. Nach russischem Recht bildet das gesamte Schuldnervermögen die Insolvenzmassen (vgl. Yukhnin in Kindler/Nachmann, a.a..O., Rn. 463). Es gibt zwar (wie oben erwähnt) Ausnahmen, die aber nicht das Auslandsvermögen betreffen. Auch das russische Insolvenzrecht will von seinem Geltungsanspruch her über die Grenzen Russlands hinweg Wirkung entfalten (vgl. Hüper, Berliner Osteuropa-Info Heft 14/2000, S. 45, zitiert nach www.oei.fu-berlin.de/media/publikationen/boi/boi_14/15_hueper.pdf, allerdings zur Rechtslage vor 2002).

50

Eine andere Frage ist, ob der Insolvenzbeschlag von in Deutschland belegenem Vermögen in Deutschland anerkannt wird. Das ist aber nicht Voraussetzung für die Anwendung von § 343 (und damit auch § 352) InsO, sondern vielmehr Folge von § 343 InsO. Wenn § 343 InsO eine ausländische Insolvenzeröffnung anerkennt, dann bezieht sich das gerade auf die Gestaltungswirkung des Eröffnungsbeschlusses und damit auf den Verlust der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners, d.h. namentlich die Beschlagnahme seines Vermögens (vgl. Thole in Münchener Kommentar, a.a.O., § 343, Rn. 68).

51

Nicht von der Anerkennungswirkung des § 343 InsO erfasst werden zwar sog. „Annexentscheidungen“ (vgl. Thole in Münchener Kommentar, a.a.O., § 343, Rn. 85). Als Beispiele werden „Feststellungsprozesse“ genannt (a.a.O., § 343, Rn. 86). Deswegen dürfte die Auffassung der Klägerin zutreffend sein, dass die Anerkennung der Forderung der Klägerin im Insolvenzverfahren sich hier nicht unmittelbar auswirkt, weil die Voraussetzungen des § 328 ZPO vorliegen müssen, u.a. die Gegenseitigkeit (die nach Auffassung des Senats nicht gegeben ist, vgl. das nicht rechtskräftige Urteil vom 13.7.2016, 6 U 152/11). Das spielt aber für die vorliegend zu beantwortende Frage, ob eine Unterbrechung eingetreten ist, keine Rolle. Für die Unterbrechung gemäß § 352 InsO reicht es aus, dass die Insolvenzeröffnung anerkannt wird. Ob dann auch bestimmte weitere Umstände (wie die Feststellung zur Insolvenztabelle, also die materielle Berechtigung der Forderung) anerkannt werden, spielt für die Anerkennung der Eröffnung und die Unterbrechung keine Rolle.

52

Soweit die Klägerin die Frage der Gegenseitigkeit problematisiert, kommt es darauf nicht an. Für die Anerkennung von Urteilen oder anderen gerichtlichen Entscheidungen ist das Erfordernis der Gegenseitigkeit in § 328 Nr. 5 ZPO gesetzlich geregelt, in § 343 InsO aber gerade nicht. Im Übrigen wäre Gegenseitigkeit auch zu bejahen.

53

Dabei ist die soeben zitierte Entscheidung des Senats vom 13.7.2016 (6 U 152/11) nicht einschlägig. Im dem Urteil wird hervorgehoben (a.a.O., juris-Tz. 35), dass die Anerkennung von deutschen Entscheidungen im russischen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist - aber mit Ausnahme von Sonderregelungen im Insolvenzrecht. In Art. 1 Ziff. 6 russInsG ist geregelt, dass beim Fehlen internationaler Verträge Entscheidungen ausländischer Gerichte in Insolvenzsachen auf dem Territorium der Russischen Föderation auf der Grundlage der Gegenseitigkeit anerkannt werden. Die russischen Insolvenzgerichte bejahen die erforderliche Gegenseitigkeit im Hinblick auf § 343 InsO (vgl. Beschluss des Arbitrage-Gerichts der Stadt St. Petersburg und des Leningrader Bezirks vom 28.5.2008, durch den ein Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt vom 7.9.2005 anerkannt worden ist, zitiert bei VRiLG Meyer-Laucke, IPRax 2013, 94).

54

Die Gegenseitigkeit der Anerkennung ist bei Beschlüssen über eine Insolvenzeröffnung wegen Art. 1 Ziff. 6 russInsG einerseits und § 343 InsO andererseits daher anzunehmen, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Gegenseitigkeit überhaupt Voraussetzung für eine Anerkennung im Sinne von § 343 InsO ist.

55

Ein Verstoß gegen den ordre public liegt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor.

56

Soweit die Klägerin vorträgt, dass dem Schuldner kein rechtliches Gehör gewährt worden sei, ergibt sich das aus Anlage BK 2a (Übersetzung der Anlage BK 2) gerade nicht. Dort heißt es an einer Stelle: „Der Vertreter des Schuldners hat das Vorhandensein der Verschuldung vor dem Antragsteller anerkannt und bat, den Schuldner als insolvent (Bankrotteur) anzuerkennen ...“ Weiter heißt es: „Nach Anhörung der Vertreter des Antragstellers und des Schuldners ...“. Im Übrigen beruft sich ja gerade der Schuldner (dem aus Sicht der Klägerin das rechtliche Gehör versagt worden sein soll) auf den Insolvenzbeschluss des russischen Gerichts.

57

Auch die Rüge der Klägerin, dass die Bestellung des russischen Insolvenzverwalters mit deutschem Recht nicht vereinbar sei, führt nicht dazu, dass die Insolvenzeröffnung in Deutschland nicht anerkannt werden könnte. Die Klägerin beruft sich auf eine Dissertation von Wedde aus dem Jahr 2006, in der ausgeführt wird, dass das System der Ausbildung und Lizenzierung der Verwalter noch sehr unvollkommen wirke. Gelegentlich würden Verwalter von einzelnen Gläubigergruppen vorgeschlagen und versuchten dann, deren Interessen im Verfahren zu vertreten. Manchmal sehe aber auch der Schuldner seinen Bankrott voraus, lasse das Verfahren durch einen ihm nahestehenden Gläubiger eröffnen und gewinne damit Einfluss auf die Auswahl des Arbitrageverwalters. Es kann dahinstehen, ob diese Umstände, ihr Vorliegen unterstellt, überhaupt einen Verstoß gegen den ordre public darstellen würden. Die Klägerin trägt schon nicht vor, dass einer dieser Umstände hier tatsächlich eingetreten ist. Aus Anlage BK 2 / BK 2a ergibt sich, dass gemäß Art. 20 und 20.2 russInsG bestimmte Anforderungen an Finanzverwalter zu stellen seien. Das Gericht hat mit Hilfe einer Selbstregulierungsorganisation der Insolvenzverwalter die Kandidatur überprüft. Ein konkreter ordre public-Verstoß ist nicht vorgetragen.

58

Soweit die Klägerin einen ordre public-Verstoß in der fehlenden Überwachung der Insolvenzverwalter sieht, folgt dem der Senat nicht. Der BGH unterscheidet zwischen verfahrensrechtlichen ordre public-Verstößen (dann entfaltet das Verfahren schon keine Wirkung) und materiell-rechtlichen ordre public-Verstößen (die nur zu einer Nichtanerkennung bestimmter ausländischer Rechtsnormen führen, die sich auf nachgeordnete Folgewirkungen beziehen) (vgl. BGH, Zwischenurteil vom 13.10.2009, X ZR 159/05, zitiert nach juris, Tz. 21 ff.). Da ein ordre public-Verstoß nicht bei jeder Regelung ausländischen Rechts, die nicht dem deutschen Recht entspricht, vorliegt, sondern vielmehr ein so starker Widerspruch gegen die Grundgedanken der deutschen Regelungen und der in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen vorliegen muss, dass dies nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint (BGHZ 123, 268, zitiert nach juris, Tz. 24), reicht es nicht aus, wenn die Kontrollmechanismen der russischen Gerichte gegenüber den russischen Insolvenzverwaltern „deutlich reduziert“ sind. Es ist nach Auffassung des Senats im Übrigen nicht gerechtfertigt, die Insolvenzeröffnung als solche nicht anzuerkennen, nur weil möglicherweise bestimmte Maßnahmen eines russischen Insolvenzverwalters zu beanstanden sind, die nur aufgrund fehlender Kontrolle möglich sind.

59

Das gilt auch für eine etwaige unzureichende Haftung des Insolvenzverwalters. Die Klägerin zitiert Wedde damit, dass es im russischen Recht mangels funktionierenden Justizsystems noch an einer Geltendmachung der Haftung fehle. Daraus kann man schließen, dass eine Haftung durchaus vorgesehen ist, sie vielfach nur nicht geltend gemacht wird. Einen ordre public-Verstoß, der schon zur Nichtanerkennung der Insolvenzeröffnung an sich führt (die im Übrigen durch das Gericht und nicht durch den Insolvenzverwalter erfolgt), sieht der Senat nicht.

60

Auch die „Gesamtbetrachtung“ der Klägerin, die auf „Hauptprobleme in der Anfangsphase (der Wiedereinführung des Insolvenzrechts in den 90er Jahren)“ hinweist, führt nicht dazu, dass die Insolvenzeröffnung aus dem Jahr 2017 nicht anerkannt werden könnte.

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