Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Ws 112/20

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 10, vom 30. Juli 2020 ist erledigt.

Gründe

I.

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Am 12. Februar 2019 hat das Amtsgericht Hamburg den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt sowie eine Einziehungsanordnung getroffen.

2

Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft am 14. Februar 2019 eingelegte Berufung hat das Landgericht Hamburg als Berufungsgericht ebenso wie das am 19. Februar 2019 eingelegte – als Berufung behandelte – unbestimmte Rechtsmittel des Angeklagten durch Urteil vom 25. Juni 2019 unter teilweiser Aufhebung der Einziehungsentscheidung verworfen.

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Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat das Berufungsurteil durch Beschluss vom 25. Juni 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

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Mit am 16. Juli 2020 eingegangenen Verteidigerschriftsatz ist sodann vor der nach Zurückverweisung befassten Kleinen Strafkammer 10 beantragt worden, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger unter Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers zu bestellen.

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Mit Beschluss vom 30. Juli 2020 hat die Kammervorsitzende den Beiordnungsantrag abgelehnt.

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In der Berufungshauptverhandlung am 5. August 2020 hat der Verteidiger mit als Anlage zu Protokoll genommener Schrift namens des Angeklagten gegen die Ablehnung der Beiordnung als Pflichtverteidiger sofortige Beschwerde erhoben.

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Das Landgericht hat am selben Tage die Berufung des Angeklagten unter teilweiser Aufhebung der Einziehungsentscheidung verworfen.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Verwerfung der Beschwerde angetragen.

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Das Berufungsurteil ist mit Ablauf des 12. August 2020 rechtskräftig geworden. Hierauf hat der Senat den Verteidiger mit Schreiben vom 4. September 2020 hingewiesen. Innerhalb der zugleich gesetzten Frist von einer Woche zur Stellungnahme ist eine weitere Erklärung zum Beschwerdeverfahren nicht erfolgt.

II.

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Die Beschwerde ist statthaft, jedoch aufgrund prozessualer Überholung nach ihrer Einlegung gegenstandslos geworden und damit nunmehr mangels Beschwer unzulässig.

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1. Das Rechtsmittel der Beschwerde ist statthaft (§§ 304 Abs. 1, 142 Abs. 7 StPO), insbesondere nicht nach § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen. Nach zutreffender herrschender Meinung handelt es sich bei dem Beschluss über die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung im Sinne der §§ 305, 336 StPO (Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2015, Az.: 2 Ws 117 und 142/15 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 305 Rn. 5 m.w.N.).

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2. Die Beschwerde ist indes prozessual überholt.

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a) Im Beschwerdeverfahren ist Voraussetzung für eine Entscheidung in der Sache das Fortbestehen einer Beschwer im Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts. Hieran kann es fehlen, wenn das beanstandete Geschehen nicht mehr korrigiert werden kann oder wenn es durch die Entwicklung des Verfahrens überholt ist (KK-StPO/Paul, vor § 296 Rn. 7). So liegt es nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens, wenn der Beschwerdeführer mit der Beschwerde die Bestellung eines Pflichtverteidigers verfolgt.

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Der Beschwerdeführer kann für das Berufungsverfahren die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers nicht mehr erreichen, nachdem gegen ihn ein Berufungsurteil ergangen ist (Senatsbeschlüsse vom 1. Juli 2019, Az.: 2 Ws 76/19, und vom 28. Oktober 2015, Az.: 2 Ws 117 und 142/15; Meyer-Goßner/Schmitt, § 142 Rn. 19 m.w.N.). Das Institut der notwendigen Verteidigung ist dazu bestimmt, dem Angeklagten einen rechtskundigen Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten (vgl. Senat, a.a.O. sowie in NStZ-RR 1997, 203 m.w.N.). Folglich kann die gerichtliche Bestellung eines Verteidigers nur für die Zeit ab dem Beiordnungsakt erfolgen, weil dieser Akt keinen Einfluss darauf hat, ob in zurückliegenden Verfahrensabschnitten ein Verteidiger tatsächlich mitgewirkt hat oder nicht. Für die erfolgte Verteidigermitwirkung nachträglich eine Bestellung anzuordnen, würde nur noch das Kosteninteresse des Angeklagten oder des Verteidigers befriedigen, aber nicht dem aufgezeigten Zweck der Sicherung einer Verteidigung dienen (vgl. BGHR StPO § 141 Bestellung 2).

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b) Soweit vereinzelt erwogen wird (Meyer-Goßner/Schmitt, § 142 Rn. 20), dass eine rückwirkende Bestellung mit Blick auf den mit dem Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 verfolgten Zweck möglich sein soll, um einen mittellosen Beschuldigten von den Kosten der Verteidigung freizustellen, verkennt diese Ansicht, dass nach Art. 4 der PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26. Oktober 2016 der „Anspruch auf Prozesskostenhilfe“ nur dann besteht, „wenn es im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist“, mithin für das weitere Verfahren von Bedeutung ist. Keineswegs sieht die Richtlinie vor, den Beschuldigten nachträglich in jedweder Phase des Verfahrens von den Kosten der Verteidigung frei zu halten, gar nach rechtskräftig erfolgter kostenpflichtiger Verurteilung noch eine Beiordnung eines Verteidigers vorzunehmen.

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Ferner beabsichtigte der Gesetzgeber in Umsetzung der Richtlinie gerade keinen Systemwechsel in der Frage der Pflichtverteidigerbestellung im Sinne der Anknüpfung an eine Bedürftigkeitsprüfung statt wie bisher allein an die Prüfung des Rechtspflegeinteresses (BT-Drucksache 19/13829 S. 22). Zu Recht ging der Gesetzgeber dabei davon aus, dass die PKH-Richtlinie der Beibehaltung des deutschen Systems der notwendigen Verteidigung nicht entgegensteht (BT-Drucksache, a.a.O.). Nach Art. 4 Abs. 2 der PKH-Richtlinie steht es den Mitgliedsstaaten nämlich frei, ob sie eine Bedürftigkeitsprüfung, eine Prüfung der materiellen Kriterien (vor allem Schwere der Straftat, Schwierigkeit der Rechtslage, Straferwartung, vgl. Art. 4 Abs. 4 PKH-Richtlinie) oder beides vornehmen.

III.

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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.Entfällt die Beschwer wie hier erst nach der Rechtsmitteleinlegung, ist das zulässig eingelegte Rechtsmittel durch Beschluss ohne Kostenentscheidung für erledigt zu erklären (OLG Hamm NStZ 2010, 170; MüKo-StPO/Allgayer, § 296 Rn. 51; LR/Jesse, vor § 296 Rn. 55; Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 296 Rn. 17).

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