Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 2 Ws 502/14
Tenor
I.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Vollstreckung der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus dem Urteil des Landgerichts B. vom 16.06.2004 wird zur Bewährung ausgesetzt; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
II.
Die gesetzliche Dauer der Führungsaufsicht wird zunächst nicht abgekürzt.
Dem Verurteilten werden für die Dauer der Führungsaufsicht die folgenden Weisungen erteilt:
1. Er wird der Aufsicht und Leitung eines noch zu benennenden Bewährungshelfers unterstellt. Er hat für die Dauer der Aufsicht den Kontakt zu seinem Bewährungshelfer stets aufrecht zu erhalten, sich dessen Einzelanordnungen zu fügen und sich insbesondere zu den Besprechungsterminen jeweils pünktlich einzufinden.
2. Er hat unverzüglich nach erfolgter Haftentlassung Wohnsitz bei seinem Bruder in T. zu nehmen. Sobald er über die erforderliche Kostenzusage verfügt und ein Platz für ihn vorhanden ist, hat er sodann Wohnsitz in der Abteilung für betreutes Wohnen des ... Hauses in S. zu nehmen.
3. Er hat jeden Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. und der Führungsaufsichtsstelle zu melden.
4. Er hat sich im Fall der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden.
5. Er hat sich des Konsums jeglicher Suchtmittel strikt zu enthalten und vierteljährlich nach Weisung der Führungsaufsichtsstelle binnen zwei Tagen Drogenscreenings zu veranlassen, deren Ergebnis er der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. und der Führungsaufsichtsstelle unverzüglich vorzulegen hat. Sollte der Beschwerdeführer die hierdurch entstehenden Kosten nicht tragen können, so können diese nach Vorlage der Rechnung vom Gericht übernommen werden.
6. Er hat sich in den ersten zwei Jahren der Führungsaufsicht monatlich zur Nachsorge bei der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt S. vorzustellen,
7. Er hat sich monatlich bei der Drogenberatungsstelle der Diakonie Suchthilfe, in T. vorzustellen und Nachweise hierüber seinem Bewährungshelfer bzw. seiner Bewährungshelferin vorzulegen.
III.
Die Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht und die Folgen eines Verstoßes gegen die vorstehenden Weisungen wird der Justizvollzugsanstalt S. übertragen.
IV.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschwerdeführer in diesem entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
1
Gründe:
2I.
3Das Landgericht B. hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 16.06.2004 wegen Diebstahls mit Waffen, Raubes, versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Diebstahl mit Waffen, Unterschlagung, schwerer räuberischer Erpressung sowie schweren räuberischen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie die Sicherungsverwahrung angeordnet. Wegen der Einzelheiten der der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalte wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen; hervorzuheben ist, dass der Beschwerdeführer die abgeurteilten Taten unter Alkohol- und Drogeneinfluss begangen hat. Vom 24.02.2005 bis zum 18.04.2006 war der Beschwerdeführer gemäß § 64 StGB im Maßregelvollzug in der LVR-Klinik ... untergebracht. Die Unterbringung hatte nicht den beabsichtigten Erfolg, weshalb er wieder in den Strafvollzug überführt wurde. Die gegen ihn verhängte zeitige Freiheitsstrafe hat er seit dem 05.03.2014 voll verbüßt; weitere gegen ihn verhängte Freiheitsstrafen sind seit dem 09.09 2014 voll verbüßt.
4Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und nach Anhörung des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 16.07.2014 - zugestellt am 21.07.2014 - die Vollstreckung der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus dem Urteil des Landgerichts vom 16.06.2004 angeordnet, da nicht zu erwarten sei, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzuges keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Aufgrund der nicht unerheblichen Rückfallgefahr bei bestehender Alkohol- und Drogenabhängigkeit könne derzeit noch nicht von einer günstigen Legalprognose für den Beschwerdeführer ausgegangen werden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
5Hiergegen richtet sich die am 23.07.2014 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten, auf deren mit Schriftsatz vom 24.07.2014 erfolgte Begründung Bezug genommen wird.
6Der Senat hat mit Beschluss vom 04.09.2014 ein ergänzendes schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. O. zu der Frage in Auftrag gegeben, ob beim Beschwerdeführer die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten besteht, wie sie für die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Ausgangsurteil maßgeblich waren, und ob sowohl die Gefahrenursache als auch die Gefahrenschwelle der angeordneten Maßregel der Sicherungsverwahrung noch erfüllt sind.
7Dieses Gutachten hat der Sachverständige unter dem 13.10.2014 erstattet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 23.10.2014, die Verteidigerin des Beschwerdeführers unter dem 28.10.2014 auf die Anhörung des Sachverständigen verzichtet.
8Die Generalstaatsanwaltschaft hat auch mit ihrer Vorlageverfügung vom 23.10.2014 ihren Antrag vom 26.08.2014, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses zu verwerfen, aufrecht erhalten.
9II.
10Die gemäß §§ 454 Abs. 3 S. 1, 463 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte und im Übrigen form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
11Denn die am Ende des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten durch den Senat vorgenommene Prüfung hat ergeben, dass der Zweck der Maßregel der Sicherungsverwahrung die Unterbringung nicht mehr erfordert, so dass die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67c Abs. 1 S. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen war.
12Im Rahmen dieser Prüfung war nicht der von der Strafvollstreckungskammer angewendete Maßstab des § 67d Abs. 2 S. 1 StGB, sondern derjenige des § 66 StGB anzulegen.
13Im Rahmen des § 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB wird am Ende des Strafvollzuges noch einmal geprüft, ob die Unterbringungsvoraussetzungen jetzt noch vorliegen (d.h. ob die Maßregel jetzt – auch – noch angeordnet werden kann). Dies setzt voraus, dass sowohl die Gefahrenursache als auch die Gefahrenschwelle der angeordneten Maßregelart (noch) erfüllt sein (vgl. Rissing-van Saan/Peglau in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, § 67c, Rn. 73), und die Wahrscheinlichkeit weiterer Taten bestehen müssen, und zwar bezüglich solcher Taten, wie sie für die Anordnung der Maßregel vorausgesetzt werden. Eine bloß mögliche Gefährlichkeit genügt nicht (vgl. Stree/Kinzig in: Schönke-Schröder, StGB, 29. Auflage, § 67c, Rn. 7). Dem Senat ist der unterschiedliche Meinungsstand zu der Frage, ob § 67c und § 67d StGB den gleichen materiellen Aussetzungsmaßstab haben (vgl. dazu eingehend Rissing-van Saan/Peglau, a.a.O., Rn. 45 ff.), ebenso bekannt wie der Umstand, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung diese Streitfrage letztlich nicht entscheiden wollte (vgl. dazu die Gesetzgebungsmaterialen in BT-Drucks. 17/9874, S. 20). Gleichwohl ist der Senat der Auffassung, dass sich den Gesetzesmaterialien mit hinreichender Sicherheit die Aussage entnehmen lässt, dass der Gesetzgeber – mit Blick auf die Begründung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 04.05.2011 (2 BvR 2365/09), insbesondere im Hinblick auf die dortigen Ausführungen zum Ultima-Ratio-Prinzip und zum Minimierungsgebot (vgl. Rn. 112 und 116) - jedenfalls für den Bereich der Sicherungsverwahrung offensichtlich der Auffassung zuneigte, dass insoweit auch noch zu Beginn der Vollstreckung die Feststellung einer weiterhin negativen Prognose erforderlich ist. Dies war daher vorliegend als Prüfungsmaßstab der Senatsentscheidung zu Grunde zu legen.
14Gemessen an diesen Anforderungen kann unter Zugrundelegung der gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. O. vom 13.10.2014 nicht mehr davon ausgegangen werden, dass zum aktuellen Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 66 StGB noch vorliegen. Denn eine Gesamtwürdigung des Beschwerdeführers und seiner Taten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ergibt, dass er zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.
15Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten vom 13.10.2014 zu dem Ergebnis, der Beschwerdeführer habe sein auch durchgehend während des Vollzugs bestehende Suchtmittelproblem offensichtlich erkannt und von sich aus um „Hilfe“ ersucht, die ihm entsprechend auch von psychologischer Seite gewährt worden sei. Sofern es zu dokumentierten Suchtmittelrückfällen gekommen sei, wiesen diese auf den Hang zum Übermaß im Suchtmittelkonsum, nicht aber auf ein fest eingeschliffenes Verhaltensmuster fremdaggressiv motivierter Tätlichkeiten bzw. suchtmittelunabhängiger Delinquenz hin. Hervorzuheben sei, dass nicht nur entsprechende gewalttätige Übergriffe gegenüber Dritten im Vollzugsverlauf nicht dokumentiert seien, sondern dass es auch und gerade bei Suchtmittelrückfällen dort nicht zu entsprechenden Auffälligkeiten gekommen sei, die vielleicht gerade dann zu erwarten gewesen wären. Im Gegenteil werde der Beschwerdeführer im Umgang mit entsprechenden Auffälligkeiten, wenn sie denn öffentlich geworden seien, als zumindest in den letzten Jahren durchgehend kooperativ und anpassungsbereit beschrieben. Bereits in seinem ersten Gutachten für die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts vom 13.07.2012 hatte der Sachverständige im Übrigen ausgeführt, dass mittlerweile eine deutliche Nachreifung und Stabilisierung der früher dissozialen Persönlichkeitsstrukturmerkmale festgestellt werden könne und die Persönlichkeitsmerkmale, die den Hang des Beschwerdeführers gemäß § 66 StGB begründet hätten, einer intensiven, psychologisch-therapeutisch begleiteten Nachreifung unterzogen worden seien, so dass seine Gefährlichkeit diesbezüglich gegenüber dem Urteil und der Begutachtung im erkennenden Verfahren deutlich abgenommen habe. Diese Nachreifung und Weiterentwicklung hat – so der Sachverständige in seinem aktuellen Gutachten - offensichtlich nach den nunmehrigen augenscheinlichen Erkenntnissen Bestand. Im Rahmen der aktuellen Befunderhebungen konnte der Sachverständige eine weitere Stabilisierung bestätigen, nicht zuletzt und gerade in der Auseinandersetzung mit für ihn ungünstigen Nachrichten oder kritischen Ereignissen. Abschließend hat der Sachverständige hinsichtlich der Gefahrenursache ausgeführt, dass ein eigenständiges, eingeschliffenes Verhaltensmuster, das den Beschwerdeführer persönlichkeitsbedingt zur Umsetzung gewalttätiger Impulse auf der Verhaltensebene und damit zu rechtserheblichen Delikten gegen Leib und Leben anderer dränge, aus forensisch-psychiatrischer Sicht nicht (mehr) nachzuweisen sei. Unter Berücksichtigung der wissenschaftlich anerkannten Prämisse, dass Prognosen nur für eine begrenzte Zeit Gültigkeit haben könnten und eine Einteilung in Risikogruppen mit geringem, mäßig bis deutlich erhöhtem und hohem Rückfallrisiko vorzunehmen sei, sei prognostisch das Risiko für erneute, den Einweisungsdelikten vergleichbare Gewaltdelikte mittlerweile als gering einzuschätzen.
16Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Weder besteht zum jetzigen Zeitpunkt noch ein Hang zu gewalttätigen Delikten noch eine erhebliche Gefahr der Begehung solcher Delikte durch den Beschwerdeführer. Infolgedessen erfordert der Zweck der Maßregel der Sicherungsverwahrung die Unterbringung nicht mehr.
17III.
18Die Anordnung der Dauer der Führungsaufsicht beruht auf § 68c Abs. 1 S. 1 StGB; für eine Abkürzung der Höchstdauer besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Anlass. Die Anordnung der Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers folgt aus § 68a Ab. 1 StGB. Die Weisung zur Wohnsitznahme nach Haftentlassung entspricht dem insoweit erteilten Einverständnis des Beschwerdeführers. Die im Übrigen für die Dauer der Führungsaufsichtszeit erteilten Weisungen folgen aus § 68b Abs. 1 Nrn. 7 – 11 StGB. Dem Senat ist bekannt, dass der Beschwerdeführer bereits Kontakt zur Drogenberatungsstelle T. aufgenommen hat.
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