Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 7 U 138/01

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 13. Juni 2001 - 6 O 79/01 - aufgehoben.

II. 1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 50 % sämtlichen materiellen Schadens zu ersetzen hat, der diesem aus dem im Parkhaus Fritz-Erler-Str. 7 in Karlsruhe am 2. März 1998 erlittenen Sturz entstanden ist oder noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 50 % an diesen ein angemessenes Schmerzensgeld zum Ausgleich des durch den Sturz am 2. März 1998 im Parkhaus Fritz-Erler-Str. 7 in Karlsruhe entstandenen immateriellen Schadens zu zahlen und weiteren aus diesem Unfall noch entstehenden immateriellen Schaden zu ersetzen.

III. Im übrigen wird das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Höhe und die Kosten der Berufung an das Landgericht zurückverwiesen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

(von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO a. F. in Verbindung mit § 26 Nr. 5 EGZPO abgesehen)
Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz von 50 % der materiellen und unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50 % auf Ersatz der immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 02.03.1998 zu. Während der Rechtsstreit bezüglich der Feststellung zur Ersatzpflicht zukünftiger materieller und immaterieller Schäden zur Entscheidung reif ist, so dass insoweit ein Teilurteil ergeht, ist auf die Berufung bzgl. des bereits entstandenen materiellen und immateriellen Schadens lediglich über den Grund gem. § 304 ZPO zu entscheiden, während die Sache zur Entscheidung über die Schadenshöhe an das Landgericht zurückzuverweisen ist (§ 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F., § 26 Nr. 5 ZPO).
I. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB auf Ersatz von 50 % des materiellen Schadens, der ihm durch den Sturz am 02.03.1998 entstanden ist, zu, da die Beklagte die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht an der Treppenanlage in dem von ihr betriebenen Parkhaus verletzt hat und der Beklagte dadurch gestürzt ist und sich Verletzungen zugezogen hat.
1. Die Beklagte hat ihre Pflicht, für einen sicheren Zugang über die Treppenanlage im Ein- und Ausgangsbereich des Parkhauses zu sorgen, verletzt.
Für Geschäftshäuser und öffentliche Gebäude gilt wegen des dichteren Publikumsverkehrs, für den sie nicht nur eröffnet, sondern geradezu bestimmt sind, eine gegenüber Privathäusern erhöhte Sicherungspflicht. Die Zugänge und Wege müssen so beschaffen sein, dass auch der durch den Publikumsverkehr abgelenkte Besucher sich gefahrlos bewegen kann, auch wenn ein gewisses Maß an eigener Vorsicht in Rechnung gestellt werden kann (vgl. RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn. 225). Allerdings muss die Vermeidung von Gefahrstellen sich im Bereich des für den Verkehrssicherungspflichtigen Zumutbaren bewegen.
Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte verpflichtet, auf das Vorhandensein der zusätzlichen Stufe von dem am Fuße der von der Eingangstür des Parkhauses hinabführenden Treppe befindlichen trapezförmigen Podest zur Ausgangsebene durch geeignete Maßnahmen aufmerksam zu machen.
Zwar sind Treppen nicht schlechthin gefahrlos zu begehen, und der Verkehrssicherungspflichtige kann sich auf die Eigenverantwortung der Treppenbenutzer einstellen, jedoch muss er in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise vor denjenigen Gefahren warnen oder sie ausräumen, die für den Benutzer, der seinerseits die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. BGH, NJW 2002, 1265). Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob die Treppenanlage den baurechtlichen und technischen Anforderungen, also bspw. der DIN 18065, widerspricht oder nicht. Nach den Umständen des Einzelfalles kann der Verkehrssicherungspflichtige über baurechtliche Vorschriften hinaus gehalten sein, eine gebotene Vorsichtsmaßregel zu treffen (vgl. BGH, a. a. O. S. 1266).
a) Auch wenn im Zugangsbereich eines Geschäftshauses oder - wie hier - eines Parkhauses nicht vor einer deutlich sichtbaren Stufe gewarnt werden muss (vgl. OLG München VersR 1965, 1036; Senatsbeschluss vom 27.01.1989 - 7 W 50/88 -), so sind jedoch nicht ohne weiteres erkennbare Stolper- oder Gefahrenstellen in Gängen, an Treppen oder im Bereich von Zu- oder Abgängen sowie Stufen im Gehbereich im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht zu vermeiden, jedenfalls aber klar zu kennzeichnen und ausreichend zu beleuchten (vgl. OLG Hamm, OLGR Hamm 2001, 211 ff.).
b) Danach ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände im Einzelfall eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte festzustellen.
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Der Senat hat aufgrund des eingenommenen Augenscheins den Eindruck gewonnen, dass die aus sieben Stufen bestehende Treppe, die von der Ausgangstür hinabführt, von oben als solche wahrzunehmen ist. Jedoch ist aufgrund der besonderen baulichen Gestaltung der gesamten Treppenanlage in dem Vorraum auch bei Beachtung der von einem durchschnittlich aufmerksamen Besucher zu erwartenden Sorgfalt unabhängig von der Einhaltung einer bestimmten Mindestnennbeleuchtungsstärke die weitere Stufe zwischen dem trapezförmigen Podest und der Ausgangsebene, an der der Kläger - wie im Berufungsrechtszug unstreitig geworden ist - gestürzt ist, nicht ohne weiteres problemlos wahrnehmbar.
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Der verwendete Treppen- und Fußbodenbelag besteht aus einheitlichen, rechteckigen, dunklen bräunlich gefärbten Klinkersteinen, die eine Unterscheidung einzelner Stufen eher erschweren. Zwar sind die Fliesen an der Kante der Stufe zwischen dem trapezförmigen Treppenpodest und der Ausgangsebene anders als der übrige Belag ausgerichtet, dessen ungeachtet bildet diese Kante - insbesondere bei einem flüchtigen Blick - nur einen geringen Kontrast zu dem einheitlichen Bild, das die Gesamtfläche bietet. Der Eindruck einer durchgehenden Fläche wird dadurch verstärkt, dass die Klinker auf dem Treppenpodest und der Ausgangsebene sogar im Fugenbild fortlaufend einheitlich verlegt sind (vgl. die Lichtbilder AH I S. 17). Die im Zeitpunkt des Augenscheinstermins vorhandene Weiß-Rot-Markierung an der Kante war unstreitig zum Unfallzeitpunkt nicht vorhanden.
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Hinzu kommt, dass die Kante zwischen dem Podest und der Ausgangsebene nicht parallel zur Treppe verläuft, sondern in einem spitzen Winkel zu ihr (vgl. die Lichtbilder AH I S. 17), so dass der Blick beim Heruntergehen auf der Treppe nicht unbedingt in Richtung der Kante gerichtet ist. Darüber hinaus wird die Einschätzung der Bodenverhältnisse dadurch beeinträchtigt, dass sich sowohl auf Ebene der Ausgangstür eine massive, heller als der Bodenbelag gestrichene Betonsäule befindet, um die der von der Ausgangstür hineintretende Besucher zunächst herumlaufen muss, als auch im Bereich der unteren Ebene eine solche Säule steht, wodurch der Blick zusätzlich von der Stufe abgelenkt wird. Dadurch wird die Abschätzung der Raumverhältnisse und der Treppenanlage weiter erschwert. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht, wie beim Augenscheinstermin situationsgebunden, der Besucher auf der oberen Ebene anhält, sondern - wie üblich - ohne anzuhalten, die Ebene von der Ausgangstür zur Treppe durchschreitet und die Treppenstufen hinabgeht. Das gilt unabhängig davon, ob die Treppe - wie vom Kläger - auf der von der Tür aus gesehen linken Seite der auf der oberen Ebene befindlichen Säule die Treppe betreten wird (vgl. dazu Lichtbilder S. 23 AH I) oder auf der rechten Seite (vgl. Lichtbilder AH I S. 21).
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c) Dem entsprechend war die Beklagte bei der von ihr gewählten baulichen Gestaltung verpflichtet, auf das Vorhandensein der nicht ohne weiteres erkennbaren Stufe zwischen dem Podest und der Ausgangsebene durch geeignete Maßnahmen aufmerksam zu machen, z. B. durch die inzwischen angebrachte Markierung.
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Dass die zusätzliche Stufe am Unfalltag - anders als zum Zeitpunkt der Augenscheinseinnahme - durch eine besonders helle Beleuchtung ohne Probleme jederzeit erkennbar war, hat die Beklagte selbst nicht behauptet. Vielmehr hat sie vorgetragen, dass die Beleuchtung damals genau so hell gewesen sei wie heute, allenfalls durch die damals anstelle der nun vorhandenen Kaltlichtröhren installierten Warmlichtröhren ein anderer optischer Eindruck vermittelt worden sei.
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d) Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob sich der Kläger darauf berufen könnte, dass die in den Arbeitsschutzrichtlinien festgelegten Mindestbeleuchtungsstärken und Sicherungsmaßnahmen für Treppen nicht eingehalten worden seien, und ob die Treppe den baurechtlichen Vorschriften und der DIN 18065 entspricht.
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e) Der Sturz des Klägers ist auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zurückzuführen. Nunmehr unstreitig ist der Kläger an der Stufe zwischen dem Podest und der Ausgangsebene gestürzt, weil er diese übersah. Verwirklicht sich im Schadensfalle gerade die Gefahr, der durch die Auferlegung bestimmter Verhaltenspflichten begegnet werden soll, so spricht auch bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Verstoß für den Schadenseintritt ursächlich war (BGH, NJW 1994, 945, 946 m.w.N.).
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2. Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht erfolgte schuldhaft: Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer (früheren) Markierung der Stufe oder einer anderen Maßnahme entgegenständen. Der Zustand der Treppenanlage war der Beklagten bekannt, sie hat diesen zu vertreten. Zumal die Beklagte bei der Gestaltung der Treppenanlage nicht nur damit rechnen musste, dass die Treppe auch durch eilige und damit nicht so aufmerksame Besucher benutzt wird, sondern sogar mit einem naheliegenden Fehlverhalten der Benutzer rechnen musste (vgl. BGH, NJW 2002, 1265, 1266). Bei solchen Benutzern war nach allgemeiner Lebenserfahrung damit zu rechnen, dass sie die die Schrittführung unterbrechende, im spitzen Winkel zu den Treppenstufen verlaufende Kante übersehen und stürzen könnten.
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3. Der Kläger hat in der Berufung ein Mitverschulden von 50 % eingeräumt. Ein darüber hinaus gehendes Mitverschulden ist ihm nicht anzulasten. Zwar hat der Benutzer einer Treppe selbst die gehörige Aufmerksamkeit walten zu lassen, um einen Sturz zu vermeiden. Angesichts der oben geschilderten baulichen Gestaltung des Zugangs und der schweren Erkennbarkeit der Stufe ist dem Kläger jedoch keinesfalls ein größeres Mitverschulden zur Last zu legen. Der dem Kläger allenfalls zur Last zu legende Vorwurf, dass er bei gehöriger Aufmerksamkeit die Stufe hätte bemerken können, zumal er kurz zuvor den Weg über den Absatz auf die Treppe hinaufgegangen war, ist bei der hälftigen Quotelung des Schadens in jedem Falle ausreichend berücksichtigt. Denn es kann von dem Benutzer eines Parkhauses nicht erwartet werden, dass er sich genau jede Stufe auf dem Weg einprägt, insbesondere wenn er auf dem Weg zum Ausgang ist und daher keine Veranlassung hat, besondere Acht auf den zurückgelegten Weg zu haben.
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II. Dem durch den Sturz verletzten Kläger steht aus den soeben dargelegten Gründen dem Grunde nach auch ein Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld gem. § 847 BGB in der bis zum 31.03.2002 geltenden Fassung zu (Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB).
20 
III. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Beklagte dem Kläger - unter Berücksichtigung der Mithaftungsquote von 50 % - auch für den Ersatz zukünftigen materiellen und immateriellen Schadens haftet. Insoweit ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif.
21 
Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Das Feststellungsinteresse bzgl. des immateriellen Schadens ist bereits im Hinblick auf die Schwere der Verletzung bei verständiger Würdigung anzunehmen (BGH, NJW 1998, 160).
22 
Angesichts der Schwere der erlittenen Verletzungen am Schultergelenk, die durch ärztliche Atteste belegt (vgl. AH I 1, 3, 5 ff.) und als Primärverletzungen auch unstreitig sind, ist der Eintritt weiteren immateriellen und materiellen Schadens nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Insbesondere aus den Attesten der Dres. T.  AH I 29 vom 16.05.2001) und vom 29.05.2001 (AH I 31) ergibt sich, dass sich im Bereich der Schulter eine Humeruskopfnekrose mit "Fehlen" des Oberarmkopfes sowie eine deutliche Arthropathie des Musculus Deltoideus und des Supraspinatus links gebildet hat. Eine Verbesserung des Zustandes könne allenfalls durch eine, allerdings aufgrund der Weichteil- und Knochensituation mit begrenzten Erfolgschancen versehene - Implantation einer Schulterprothese gebessert werden (vgl. AH I 29). Allein aus der derzeit in den Attesten festgestellten Schwere der Verletzungen und Beeinträchtigungen ergibt sich die ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem als Belegarzt und in eigener Praxis als Gynäkologe tätigen Kläger auch in Zukunft weitere materielle und immaterielle Schäden entstehen können. Da die Notwendigkeit einer Implantation eines künstlichen Schultergelenks und damit gegebenenfalls verbundene Entwicklungen nicht sicher vorhersehbar sind, ist die Entwicklung des immateriellen Schadens noch nicht abgeschlossen (vgl. dazu BGH NJW 1995, 1614), so dass auch die Pflicht zur Erstattung weiteren immateriellen Schadens festzustellen ist.
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IV. Die Ansprüche des Klägers sind nicht verjährt. Darauf hat das Landgericht zu Recht hingewiesen. Wegen der Begründung wird auf die diesbezüglichen Ausführungen (S. 5 des Urteils) verwiesen.
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V. Der Senat verweist das Verfahren bzgl. der Höhe des entstandenen Schadens gem. § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung an das Landgericht zurück (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Der Streit über die Höhe der Ansprüche ist nicht zur Entscheidung reif.
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Der Kläger wird in der erneuten Verhandlung Gelegenheit haben, zum materiellen Schaden nochmals vorzutragen, dessen Berechnung nicht allein auf der Basis der entgangenen Honorare für die stationäre Tätigkeit erfolgen kann. Insoweit bedarf es der Berechnung des entgangenen Gewinns, wobei ihm für die Darlegung § 252 BGB zugute kommt.
26 
Auch über die Höhe eines angemessenen Schmerzengeldanspruches kann derzeit nicht entschieden werden. Bisher ist zwischen den Parteien lediglich der Inhalt der ärztlichen Atteste unstreitig, während die vom Kläger behaupteten Folgen der Beeinträchtigungen der Beweglichkeit und der Kraftentfaltung des linken Arms für seine berufliche Tätigkeit bestritten sind. Insoweit bedarf es weiterer Aufklärung und Beweiserhebung. Diese hat in erster Instanz zu erfolgen.
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Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass die Zinsstaffelung, die der Kläger begehrt, bereits deshalb zweifelhaft erscheint, weil kassenärztliche Honorare, deren Entgang er unfallbedingt geltend macht, quartalsmäßig abgerechnet werden, sodass eine monatliche Verzinsung eines etwaigen Schadensersatzanspruches wohl nicht in Betracht kommen dürfte.
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V. Eine Entscheidung über der Kosten der Berufung bleibt dem Landgericht vorbehalten (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 538 Rn. 59).
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Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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