Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 5 UF 205/03

Tenor

1. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Singen vom 29.07.2003 (4 F 30/03) wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

 
I.
Die am 18.07.1976 geborene Antragstellerin und der am 10.07.1971 geborene Antragsgegner haben am 19.09.1993 vor einem katholischen Priester in der M Kirche geheiratet. Beide Eheleute besitzen die syrische Staatsangehörigkeit.
Die Antragstellerin gehört der syrisch-orthodoxen Kirche an. Der Antragsgegner ist katholisch. Aus der Ehe der Parteien ist das Kind H I geboren am ... 1996, hervorgegangen. Seit 1998 lebt die Antragstellerin auf Grund Duldung in der Gemeinschaftsunterkunft S. Der Antragsgegner hält sich seit 2000 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er wohnt derzeit in O Das von ihm eingeleitete Asylverfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.
Die Antragstellerin hat vor dem Familiengericht die Scheidung ihrer Ehe beantragt mit der Begründung, der Antragsgegner habe sie mehrfach tätlich angegriffen, beschimpft und so verprügelt, dass sie polizeilichen Schutz habe in Anspruch nehmen müssen.
Der Antragsgegner hat Zurückweisung des Scheidungsantrags beantragt und darauf hingewiesen, dass nach dem für die Ehe der Parteien maßgebenden Recht die Ehe unauflöslich sei.
Das Familiengericht hat mit Urteil vom 29.07.2003 den Scheidungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem syrischen Personalstatutgesetz (Dekretgesetz vom 17.09.1953, geändert durch Gesetz Nr. 34 vom 31.12.1975) seien für die christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften deren religiöse Gesetzesbestimmungen im Ehe- und Kindschaftsrecht anzuwenden. Das syrische Personalstatutgesetz gelte lediglich für die mohammedanische Bevölkerung Syriens. Beide Parteien gehörten einer christlichen Religionsgemeinschaft an. Die der Antragstellerin könne dahingestellt bleiben, da der Antragsgegner jedenfalls katholisch sei. Denn bei unterschiedlichen Religionsgemeinschaften der Ehegatten seien die Rechtsnormen derjenigen Gemeinschaft maßgebend, welcher der Ehemann angehöre. Demnach sei der Ehescheidungsantrag nach katholischem Eherecht zu beurteilen, und zwar nach dem Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, der am 18.10.1990 von Papst Johannes Paul II promulgiert worden und seit dem 01.10.1991 in Kraft sei. Die Ehe könne nur durch den Tod aufgelöst werden. Die Unauflöslichkeit der Ehe verstoße nicht gegen den ordre public gem. Art. 6 S. 2 EGBGB. Weder die guten Sitten noch der Zweck eines deutschen Gesetzes verlange, dass einem Ausländer in Deutschland die Scheidung ermöglicht werde, die er in seinem Heimatstaat nicht erreichen könne. Es bleibe der Antragstellerin unbenommen, sich an die kirchlichen Behörden zu wenden, um eine Trennung des Ehebandes zu bewirken.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Berufung. Sie ist der Auffassung, selbst wenn ihre Ehe nach syrischem Recht nicht zu scheiden sei, sei ihrem Scheidungsantrag stattzugeben. Eine Unscheidbarkeit der Ehe sei mit den deutschen Grundrechten unvereinbar. Sie habe sich von den Vorstellungen der katholischen Kirche gelöst. Eine Unscheidbarkeit der Ehe verstoße gegen Artikel 4 GG, wenn sie trotz Abwendung von der katholischen Kirche an das in Syrien geltende katholische Kirchenrecht gebunden sei. Auch sei durch die Bestimmungen des katholischen Kirchenrechts ein Verstoß gegen Artikel 6 GG gegeben, da durch eine Unscheidbarkeit der Ehe in ihre Eheschließungsfreiheit massiv eingegriffen werde. Mit den deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen sei es unvereinbar, wenn sie, die von ihrem Ehemann mehrfach körperlich misshandelt worden sei, sich nicht aus der Ehe lösen könne. Sie habe derzeit kein gesichertes Bleiberecht in Deutschland. Gemeinsam mit der Tochter leide sie unter ihrer ungeklärten familiären und ausländerrechtlichen Situation. Wenn sie sich einem neuen Partner durch Eheschließung zuwenden dürfte, könnte diese für sie schwer erträgliche Situation gelöst werden.
Der Antragsgegner beantragt Zurückweisung der Berufung.
II.
Die gemäß § 511 ZPO zulässige Berufung ist unbegründet.
Gemäß Artikel 17 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Artikel 14 Abs. 1 S. 1 EGBGB unterliegt die Ehescheidung der Parteien syrischem Recht, da beide Ehegatten die syrische Staatsangehörigkeit haben.
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Gemäß Artikel 308 des syrischen bürgerlichen Gesetzbuches Nr. 84 vom 18.05.1949 finden für die christlichen und jüdischen Gemeinschaften deren religiöse Gesetzesvorschriften für die Auflösung der Ehe Anwendung. Da beide Parteien verschiedenen religiösen Gruppierungen angehören, ist nach Artikel 4 Abs. 3 S. 1 EGBGB das interreligiöse Kollisionsrecht in Syrien zu beachten. Nach dem vom Senat eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. W ist davon auszugehen, dass die Ehescheidung der Parteien sich nach den Vorschriften des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) richtet. Denn in Artikel 23 des syrischen Statuts über Religionsgemeinschaften bleiben die Ehe und die sich auf das Personalstatut beziehenden Akte von dem Recht beherrscht, unter dessen Herrschaft sie geschlossen, vorgenommen oder vereinbart worden sind. Für Christen verschiedener Domination wird daraus geschlossen, dass die Gesetze der Kirche, in welcher die Ehe geschlossen wurde, für die Wirkung der Ehe, insbesondere deren Auflösung, maßgeblich sind. Dieselbe Kollisionsregel folgt aus Art. 44 des Gesetzes Nr. 376 vom 02.04.1957 über den Personalstand. In dieser Vorschrift ist geregelt, dass der Aufsichtsbeamte des Personenstandsregisters sich nach Erhalt des Scheidungsurteils zu vergewissern hat, dass das Urteil von derselben Behörde erlassen worden ist, welche die Ehe getraut hat. Da die Parteien in einer katholischen Kirche vor einem katholischen Priester getraut worden sind, ist somit der CCEO für die Ehescheidung der Parteien maßgebend.
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Nach Can. 853 kann das sakramentale Band der Ehe nach Vollzug der Ehe durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden.
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Diese Unscheidbarkeit der Ehe der Parteien stellt keinen Verstoß gegen den ordre public gem. Art. 6 EGBGB dar. Über ihn kann deutsches Recht nur angewendet werden, wenn das Ergebnis der Anwendung der ausländischen Norm gegen die Grundrechte verstößt, der Verstoß erheblich ist und der zu beurteilende Fall eine ausreichende Inlandsbeziehung aufweist (BGH FamRZ 1993, 316, 317). Auf Grund des Aufenthalts der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland ist von einer Inlandsbeziehung auszugehen (MünchKomm-Sonnenberger, 3. A., Art. 6 EGBGB, Rn. 83). Ein schwerwiegender Verstoß gegen die Grundrechte ist aber bei der Anwendung der ausländischen Norm nicht gegeben.
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Ein Verstoß gegen Art. 4 GG kann nicht angenommen werden, da die Religionsfreiheit der Antragstellerin durch die Nichtscheidbarkeit der Ehe nicht beeinträchtigt wird. Der Antragstellerin steht es frei, sich von der Bindung an eine Religionsgemeinschaft zu lösen oder auch sich in eine neue einzubinden.
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Auch ist ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu bejahen.
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Vereinzelt wird in der Literatur die Meinung vertreten, das GG gehe von einer "verweltlichten" bürgerlich-rechtlichen Ehe aus. Dazu gehöre auch, dass die Eheleute geschieden werden könnten, zumal sie dadurch ihre Eheschließungsfreiheit wieder erlangten. Daher werde auch ein Recht auf Scheidung von Art.6 GG erfasst (Spickhoff JZ 2001,323,328).
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Dieser Meinung schließt sich der erkennende Senat nicht an. Zwar hat in den letzten Jahren die Anzahl der Ehescheidungen in ganz erheblichem Maße zugenommen. Allein dadurch, dass viele Ehe geschieden werden, hat sich das Verständnis von der Ehe aber nicht geändert. Auch heute noch gehört zu den wesentlichen, unverzichtbaren Elementen der in Artikel 6 und im BGB als Lebensform vorausgesetzten und im Einzelnen normierten Ehe die auf Lebenszeit angelegte eheliche Lebensgemeinschaft (BGH FamRZ 1979, 477, 479; Staudinger/Rauscher(1999), BGB, Vorbemerkung zu §§ 1564 ff. Rn. 3). Dies zeigt sich vor allem auch an den Regelungen über die Nachwirkungen einer Ehe, die davon geprägt sind, dass eine Ehe auf Lebenszeit angelegt ist (Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. A., § 1564 BGB Rn. 14). Die Regelung der Scheidungsfolgen dokumentiert, dass nach Scheitern dieser auf Dauer angelegten Beziehung weiterhin die geschiedenen Ehepartner Verantwortung für einander haben und zur Fürsorge, sollte dies notwendig sein, verpflichtet sind. Deshalb verstößt nach der Rechtsprechung des BGH und nach herrschender Auffassung in der Lehre die Nichtscheidbarkeit einer Ehe nicht gegen den ordre public (BGHZ 41, 136, 147; BGHZ 42, 7, 11; OLG Hamm NJW 1975, 2145, 2146 m. w. N.; Soergel-Schurig (1996), Art. 17, Rn. 168, Staudinger/Mankowski (2003), Rn. 106 zu Art. 17 EGBGB, Henrich, Internationales Familienrecht, 2. A., § 4 I 1 e, Dopffel FamRZ 1987,1205,1214; Bamberger/Roth, Otte, BGB, 2003, Artikel 17 EGBGB Rn. 70). Artikel 6 Abs. 1 GG garantiert nicht nur die Eheschließungsfreiheit, sondern schützt auch und vor allem die bestehende Ehe, indem er Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt (OLG Karlsruhe, NJW 1973, 45).
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Wie das Familiengericht zutreffend ausgeführt hat, verlangen die guten Sitten oder der Zweck eines deutschen Gesetzes nicht, dass einem Ausländer in Deutschland eine Ehescheidung ermöglicht wird, die er in seinem Heimatland nicht erreichen kann. Denn bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen den ordre public vorliegt, ist insbesondere die Eigenständigkeit der Rechtsordnung anderer Staaten zu beachten. Bei der Korrektur ausländischer Rechtsgrundsätze ist Zurückhaltung geboten. Es wird davor gewarnt, "die ausländische Rechtswelt am deutschen Verfassungswesen genesen zu lassen" (MünchKomm-Winkler von Mohrenfels, 3. A., Art. 17, Rn. 98). Gerade in familienrechtliche Zusammenhang besteht eine besondere Verbundenheit mit der gesellschaftlichen Entwicklung im Heimatland, der Rechnung zu tragen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Eheleute in der Bundesrepublik Deutschland keinen gesicherten Aufenthalt haben, wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausschluß einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 704 Abs. 2 ZPO.
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Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO).

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