Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 VAs 34/04

Tenor

Der Antrag des O. D. auf gerichtliche Entscheidung wird als unzulässig verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Geschäftswert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I. Der Antragsteller ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt H. . Wegen besonders schwerer Brandstiftung und versuchten Betruges wurde er durch das Urteil des Landgerichts M. vom 20.03.2002 zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er verbüßte die Strafe zunächst in der JVA U. im offenen Vollzug, wurde dort jedoch nach wenigen Wochen abgelöst und in die JVA M. verlegt. Sein nachträglicher Feststellungsantrag, er sei in der JVA U. unmenschlich, erniedrigend und menschenunwürdig untergebracht gewesen, wurde durch den Beschluss des Landgerichts U. vom 17.09.2003 rechtskräftig zurückgewiesen. In der JVA M. beantragte er am 07.04.2004 Vollstreckungsaufschub gemäß § 455a StPO, da seine Unterbringung wegen der Überbelegung der Vollzugsanstalt menschenunwürdig sei, so dass die Strafvollstreckung gegen ihn unterbrochen werden müsse. Nachdem die Staatsanwaltschaft M. diesen Antrag abgelehnt hatte und auch der Widerspruch des Gefangenen durch die Generalstaatsanwaltschaft zurückgewiesen worden war, stellte er nach seiner Verlegung in die JVA H. unter dem 05.07.2004 einen gleichartigen Antrag, in welchem er wiederum geltend macht, dass seine Unterbringung zusammen mit einem Mitgefangenen in einer Zelle von 11,38 m² einschließlich separatem Toilettenraum menschenrechtswidrig sei, weshalb die Vollstreckung seiner Strafe gemäß § 455a StPO unterbrochen werden und er aus der JVA entlassen werden müsse. Dieser Antrag wurde von der Staatsanwaltschaft M. durch die Verfügung vom 27.07.2004 abgelehnt. Den Widerspruch des Gefangenen wies die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe durch den angegriffenen Bescheid vom 11.08.2004 zurück. In seinem am 24.08.2004 bei Gericht eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen diesen Bescheid begehrt der Gefangene dessen Aufhebung und beantragt ferner die Gewährung von Strafunterbrechung für ein Jahr, die Gleichsetzung der Unterbrechungszeit mit einer Bewährungszeit und - nach deren beanstandungsfreiem Verlauf - den Erlass der Reststrafe im Gnadenwege.
Dem Antrag musste der Erfolg versagt bleiben.
II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.
Die Bestimmung des § 455a StPO, auf die der Antragsteller sein Begehren ausdrücklich stützt, gibt der Vollstreckungsbehörde die Möglichkeit, in Ausnahmesituationen, etwa bei Überbelegung, Umbaumaßnahmen oder in Katastrophenfällen (Brand, Seuche usw.), auch gegen den Willen von Gefangenen Strafunterbrechungen anordnen zu können, wobei eine solche Anordnung nur gerechtfertigt ist, wenn ihr Gründe der öffentlichen Sicherheit nicht entgegen stehen. Unabhängig davon, dass es auf ihre Einwilligung nicht ankommt, ist bei einer derartigen Entscheidung nur eine Beteiligung von solchen Gefangenen nach dem Grundsatz rechtlichen Gehörs angezeigt, für die die Vollstreckungsbehörde eine Strafunterbrechung beabsichtigt (KMR-Paulus, §455a StPO Rdn 12). Sonst ist sie nicht vorgesehen. Denn anders als in den §§ 455, 456 StPO vermögen Umstände, die in der Person eines Verurteilten liegen, den Strafaufschub oder die Strafunterbrechung nicht zu rechtfertigen. Maßgeblich sind vielmehr ausschließlich Gründe der Vollzugsorganisation (KG NStZ 1983, 334; LR-Wendisch § 455a StPO Rdn 2; Meyer-Goßner StPO, 47. Aufl., § 455a Rdn 1).
Ob eine Entscheidung der Vollstreckungsbehörde gemäß § 455a StPO überhaupt angefochten werden kann, ist in der Literatur umstritten; obergerichtliche Entscheidungen hierzu sind, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde gemäß § 455a StPO seien unanfechtbar (LR-Wendisch § 455a StPO Rdn 7; Pfeiffer StPO, 4. Aufl. § 445a Rdn 3; Krehl in Heidelberger Kommentar zur StPO, 3. Aufl. § 455a Rdn 5; Fabricius, StV 1998/ 449). Nach anderer Meinung, die der Senat teilt, sind Anordnungen gemäß § 455a StPO Justizverwaltungsakte (KG aaO; KMR-Paulus aaO. Rdn 13; Bringewat, Strafvollstreckung, 1. Aufl. 1993, § 455a StPO Rdn 9). Eine - ohne Einverständnis des Gefangenen mögliche - Vollstreckungsunterbrechung, die das Strafende hinausschiebt, kann den Gefangenen in seinen Rechten verletzen (KMR-Paulus aaO), wenn auch „kaum einmal“ (Bringewat aaO). Gerichtlich überprüfbar ist allerdings nur die Ermessensausübung der Vollstreckungsbehörde auf Rechtsfehler hin. Da Entscheidungen gemäß § 455a StPO weder gemäß § 458 StPO noch gemäß § 109 StVollzG angefochten werden können, so dass das Subsidiaritätsprinzip des § 23 Abs. 3 EGGVG nicht eingreift, ist gegen sie der Rechtsweg gemäß den §§ 23 ff. EGGVG grundsätzlich eröffnet.
Da die vom Antragsteller im Ergebnis erstrebte Unterbrechungsanordnung somit einen Justizverwaltungsakt darstellen würde, ist auch für die sie ablehnende Entscheidung zwar im Grundsatz eine Anfechtung gemäß den §§ 23ff EGGVG statthaft; gleichwohl ist sie mangels einer Rechtsverletzung im Sinne von § 24 Abs. 1 EGGVG unzulässig.
Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 24 Abs. 1 EGGVG nur zulässig, wenn der Antragsteller substantiiert einen Sachverhalt darstellt, aus dem sich im Wege der Schlüssigkeitsprüfung seine Rechtsverletzung durch die angefochtene oder unterlassene Maßnahme feststellen lässt (Kissel GVG, § 24 EGGVG, Rdn 1 mwN). Daran fehlt es. Die Ablehnung des Antrags, gemäß § 455a StPO eine Strafunterbrechung aus Gründen der Vollzugsorganisation, mithin aus übergeordneten Allgemeininteressen, vorzunehmen, ist nicht geeignet, den Antragsteller in seinen Rechten zu verletzen, weil sein rechtlicher Status als Strafgefangener, der zu Freiheitsstrafe verurteilt ist und sich zu deren Verbüßung im Strafvollzug befindet, durch sie nicht verändert wird (Fabricius aaO.S. 449) und weil § 455a StPO, auf den sich der Antragsteller ausdrücklich beruft, einem Strafgefangenen keinen Anspruch auf Strafunterbrechung gibt. Daraus, dass nur Gründe der Vollzugsorganisation insgesamt und nicht Gründe in der Person eines einzelnen Gefangenen zu einer Entscheidung gemäß § 455a StPO Veranlassung geben können, folgt, dass aus dieser Bestimmung nicht das Recht eines Gefangenen, gerade seine Strafe müsse aus Gründen der Vollzugsorganisation unterbrochen werden, gerade er müsse entlassen werden, hergeleitet werden kann. Entgegen Sinn und Zweck des § 455a StPO würde die Prüfung eines solchen Antrags zwangsläufig immer auch die Persönlichkeit des Gefangenen, seine Gefährlichkeit, seine persönlichen Verhältnisse u.a. einschließen müssen. Genau dies aber ist bei Entscheidungen im Rahmen des § 455a StPO ausgeschlossen (Pfeiffer aaO Rdn 1; KG aaO.; LR-Wendisch aaO. Rdn 2).
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war somit als unzulässig zu verwerfen. Eines Eingehens auf die Ausführungen des angefochtenen Bescheides, wonach der Gefangene nicht menschenunwürdig untergebracht ist und außerdem in seiner Person überwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit einer Strafunterbrechung entgegen stehen, und auf die weiteren Anträge des Gefangenen bedurfte es daher nicht.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 2 Nr. 1 KostO. Der Geschäftswert wurde gem. §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2 und Abs. 3 KostO festgesetzt.

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