Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 9 AR 13/11

Tenor

Sachlich zuständig für den Rechtstreit (Klage und Widerklage) ist das Landgericht Offenburg.

Gründe

 
I.
Der Kläger gibt an, er sei Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft E.. Die Beklagte ist Miteigentümerin dieser WEG. Im Verfahren vor dem Amtsgericht Oberkirch - 1 C 89/10 - hat der Kläger gegen die Beklagte Ansprüche auf Wohngeldzahlung und Zahlung einer Sonderumlage in Höhe von insgesamt 2.786,25 EUR nebst Zinsen geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er sei von der Eigentümergemeinschaft ermächtigt, in eigenem Namen von der Beklagten Zahlung zu verlangen.
Mit Schriftsatz vom 28.02.2011 hat die Beklagte gegen den Kläger eine Widerklage erhoben über insgesamt 23.110,00 EUR (21.950,00 EUR + 1.060,00 EUR) nebst Zinsen. Zur Begründung hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe zwischen 2006 und 2009 verschiedene im Eigentum der Beklagten stehende Wohnungen als Sondereigentumsverwalter verwaltet. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe der Kläger Gelder, welche der Beklagten zugestanden hätten, veruntreut. Außerdem habe der Kläger in dieser Zeit seine Vergütungsansprüche gegenüber der Beklagten fehlerhaft abgerechnet, so dass der Beklagten Rückzahlungsansprüche entstanden seien.
Mit Beschluss vom 02.03.2011 hat das Amtsgericht Oberkirch die Parteien darauf hingewiesen, dass das Amtsgericht durch die Erhebung der Widerklage nachträglich sachlich unzuständig geworden sein dürfte. Daraufhin haben beide Parteien beantragt, den Rechtstreit an das sachlich zuständige Landgericht Offenburg zu verweisen.
Mit Beschluss vom 01.04.2011 hat sich das Amtsgericht Oberkirch für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtstreit auf Antrag beider Parteien an das Landgericht Offenburg verwiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht auf §§ 506, 281 Abs. 1 ZPO hingewiesen.
Das Landgericht Offenburg hat mit Beschluss vom 07.04.2011 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und das Verfahren an das Amtsgericht Oberkirch zurückgegeben. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, der Verweisungsbeschluss sei nicht bindend. Denn das Amtsgericht Oberkirch habe die Vorschriften der §§ 23 Nr. 2 c GVG, 43 WEG übersehen. Danach bestehe für die Klageforderung eine besondere ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts, die einer Anwendung von § 506 ZPO entgegenstehe.
Das Amtsgericht Oberkirch hat mit Beschluss vom 15.04.2011 die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das Amtsgericht hält an seiner Auffassung fest, dass die Voraussetzungen für eine Verweisung des Rechtstreits an das Landgericht Offenburg gemäß § 506 ZPO gegeben seien.
II.
Als sachlich zuständiges Gericht war das Landgericht Offenburg zu bestimmen.
1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO liegen vor. Das Amtsgericht Oberkirch und das Landgericht Offenburg haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist als das im Rechtszuge zunächst höhere Gericht gemäß § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufen.
2. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Offenburg ergibt sich aus § 506 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Das Amtsgericht Oberkirch hat den Rechtstreit nach Erhebung der Widerklage gemäß § 506 Abs. 1 ZPO an das Landgericht Offenburg verwiesen. Diese Verweisung ist gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Landgericht Offenburg bindend. Auf die Frage, ob die Verweisung eventuell rechtlich fehlerhaft gewesen sein könnte, kommt es für die Bindungswirkung grundsätzlich nicht an.
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3. Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Bindungswirkung wäre die Verweisung nur dann nicht bindend, wenn sie objektiv willkürlich erscheinen würde (vgl. zu diesem Begriff Zöller/Greger, ZPO, 28. Auflage 2010, § 281 ZPO, Rdnr. 17). Ob die Voraussetzungen für eine Verweisung des Verfahrens gemäß § 506 Abs. 1 ZPO an das Landgericht Offenburg vorlagen, kann dahinstehen. Jedenfalls erscheint die Entscheidung rechtlich vertretbar. Damit scheidet eine Qualifizierung des Beschlusses als objektiv willkürlich aus. Die Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Bindungswirkung liegen nicht vor.
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a) Zur Frage der sachlichen Zuständigkeit ist - insoweit in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht Oberkirch und dem Landgericht Offenburg - von folgenden rechtlichen Erwägungen auszugehen: Für die Klage bestand zunächst eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gemäß § 23 Ziff. 2 c GVG i. V. m. § 43 Ziff. 2 WEG. Denn der Kläger hat mit der Klage Ansprüche geltend gemacht, die nach seiner Meinung der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen die Beklagte als Miteigentümerin zustehen (vgl. zur Zuständigkeit nach § 43 Ziff. 2 WEG Palandt/Bassenge, BGB, 70. Auflage 2011, § 43 WEG, Rdnr. 5). Mit der Widerklage hat die Beklagte hingegen einen Anspruch erhoben, der gemäß § 71 Abs. 1 GVG i. V. m. § 23 Ziff. 1 GVG zur Zuständigkeit der Landgerichte gehört. Der von der Beklagten geltend gemachte Anspruch betrifft keine WEG-Streitigkeit im Sinne von § 43 WEG.
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b) Das Landgericht Offenburg vertritt die Auffassung, im Falle einer ausschließlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts für die Klage komme eine Anwendung von § 506 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Diese Auffassung erscheint durchaus vertretbar. Aus dem Charakter der ausschließlichen Zuständigkeit kann man möglicherweise den Schluss ziehen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine anderweitige sachliche Zuständigkeit normalerweise nicht in Betracht kommen soll. Denn aus § 40 ZPO ergibt sich, dass eine ausschließliche Zuständigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers der Parteidisposition entzogen sein soll. Dies könnte dafür sprechen, § 506 Abs. 1 ZPO so auszulegen, dass eine Verweisung des Amtsgerichts wegen nachträglicher sachlicher Unzuständigkeit nur dann in Betracht kommen kann, wenn es nicht um ein Verfahren geht, in welchem das Amtsgericht für die Klage sachlich ausschließlich zuständig ist (so auch die Auffassung des OLG München, Beschluss vom 10.06.2008 - 31 AR 53/08 -, zitiert nach Juris). Konsequenz dieser Auffassung wäre, dass auf entsprechenden Antrag der Beklagten in einem solchen Fall eine Prozesstrennung durch das Amtsgericht erfolgen müsste, mit der Folge, dass anschließend nur das Verfahren wegen der Widerklage an das sachlich insoweit zuständige Landgericht zu verweisen wäre (vgl. OLG München a. a. O.).
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c) Allerdings erscheint dem Senat auch die abweichende Auffassung des Amtsgerichts Oberkirch ohne Weiteres vertretbar. Das Amtsgericht kann sich auf den Wortlaut der Regelung in § 506 Abs. 1 ZPO stützen: Nach ihrem Wortlaut gilt die Verweisungsregelung für jeden Zivilprozess, in dem das Amtsgericht zunächst sachlich zuständig ist, also auch dann, wenn für den Klageanspruch eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit gegeben ist. Es gibt in der Zivilprozessordnung auch keine Vorschrift, aus der sich ein ausdrücklicher Vorrang der ausschließlichen Zuständigkeit gegenüber anderen Zuständigkeitsvorschriften, wie beispielsweise § 506 ZPO, unmittelbar herleiten ließe. Im Gesetz ist in § 40 ZPO lediglich geregelt, dass eine ausschließliche Zuständigkeit der Parteidisposition entzogen ist. Daraus könnte man im Umkehrschluss auch schließen, dass anderweitige Abweichungen von einer ausschließlichen Zuständigkeit, beispielsweise bei einer Verweisung gemäß § 506 ZPO, durchaus in Betracht kommen können. Die ausschließliche Zuständigkeit ist, wie sich aus § 513 Abs. 2 ZPO entnehmen lässt, nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch nicht derart vordringlich, dass in jedem Fall ein Verstoß mit einem Rechtsmittel geltend gemacht werden könnte (vgl. hierzu auch § 10 ZPO a. F.). In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine ausschließliche Zuständigkeit auch bei einer Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO unter Umständen der Zuständigkeit eines anderen Gerichts nicht entgegensteht (vgl. BGH, NJW 1984, 1624, 1625; BGH, NJW 2007, 1365, 1366). Wenn man davon ausgeht, dass eine ausschließliche Zuständigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers nicht dazu führen muss, dass in jedem Fall diese Zuständigkeit unabänderlich fest liegt (vgl. BGH, NJW 1984, 1624, 1625), dann könnte das dafür sprechen, am Wortlaut von § 506 ZPO festzuhalten, mit der Konsequenz, dass das Landgericht im Rahmen von § 506 ZPO auch für eine solche Klage zuständig werden kann, für die an sich zunächst eine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gegeben war.
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d) Auf die Frage, wie das Amtsgericht Oberkirch den Verweisungsbeschluss begründet hat, kommt es nicht an. Es kann daher insbesondere dahinstehen, ob das Amtsgericht Oberkirch - wie das Landgericht Offenburg meint -, zunächst die Regelung der ausschließlichen Zuständigkeit in § 23 Nr. 2 c GVG übersehen hat. Entscheidend für die Bindungswirkung ist nicht die Begründung des Verweisungsbeschlusses, sondern allein der Umstand, dass die Verweisung objektiv vertretbar ist (vgl. OLG Karlsruhe, OLGR 2005, 139). Eine objektive Vertretbarkeit ist aus den oben angegebenen Gründen jedenfalls gegeben.
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4. Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 36 Abs. 3 ZPO wegen Divergenz zur Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts kommt nicht in Betracht. Zwar weicht der Senat von einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 10.06.2008 - 31 AR 53/08 -, zitiert nach Juris) ab. Das Oberlandesgericht München hat in einem gleichartigen Fall den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts aufgehoben, allerdings ohne die Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO zu prüfen. Eine Divergenzvorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO kommt jedoch nur bei einer Bestimmungszuständigkeit des Oberlandesgerichts gemäß § 36 Abs. 2 ZPO in Betracht (vgl. Zöller/Vollkommer a. a. O., § 36 ZPO, Rdnr. 10) und nicht bei einer originären Bestimmungszuständigkeit - wie vorliegend - gemäß § 36 Abs. 1 ZPO.

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