Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 13 W 93/12

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 10.07.2012 - 1 O 148/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Beschwerdewert wird auf 62.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist nicht begründet. Die vom Beklagten gerügte Vorgehensweise des Sachverständigen, nach seiner Teilnahme an der Beweisaufnahme bestimmte Tatsachen für seine Begutachtung zugrunde zu legen, ist nicht geeignet, aus der Sicht einer besonnenen und vernünftig denkenden Partei die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Die gesetzliche Regelung über die Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen (§ 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO) dient ebenso wie die den Richter betreffenden Vorschriften (§§ 41, 42 ZPO) der Sicherung der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Das Gesetz will mit diesen Vorschriften die Neutralität und Distanz des Richters wie des Sachverständigen gegenüber den Parteien gewährleisten und so die Voraussetzungen für ein faires Verfahren schaffen (vgl. BGH Beschluss v. 21.02.2006 - X ZR 103/04 - m.w.N.). Deshalb ist entscheidend, ob objektive Gründe vorliegen, die einer besonnenen und vernünftig denkenden Partei Anlass geben können, an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Sachverständigen zu zweifeln. Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilen. Darauf, ob der gerichtliche Sachverständige tatsächlich befangen ist oder sich befangen fühlt, kommt es nicht an. Dabei sind die vorgetragenen Ablehnungsgründe in ihrer Gesamtheit zu würdigen (BGH a.a.O. unter Hinweis auf BGH Beschluss v. 25.02.1997 - X ZR 137/94).
Ablehnungsgesuche wurden in der Rechtsprechung für begründet angesehen, wenn ein Sachverständiger zu einer bestimmten, zwischen den Parteien des Verfahrens umstrittenen Sachverhaltsdarstellung Aussagen macht, ohne danach vom Gericht gefragt worden zu sein (OLG Nürnberg Beschluss vom 06.10.2008 - 5 W 790/08), wenn er eine eigene Beweiswürdigung der von den Parteien vorgelegten Unterlagen vornimmt und dabei nicht die für einen Sachverständigen gebotene sachliche Ausdrucksweise wahrt (OLG Nürnberg BauR 2009, 1624 f.), wenn der Sachverständige eine Äußerung tätigt, die bei einer (verständigen) Partei den Schluss nahelegt, der Sachverständige schenke den Angaben der Gegenseite mehr Glauben (OLG Nürnberg, Versicherungsrecht 2001, 391; siehe auch OLG München, NJW 1992, 1569). Es ist jedoch zu beachten, dass der Sachverständige Arzt und nicht Jurist ist und an ihn bei prozessualen Fragen nicht der Maßstab angelegt werden kann, der für einen Rechtsanwalt oder Richter angemessen wäre. Wie weitgehend ein Sachverhalt bestritten wird und wie Aussagen zu verstehen sind, ist häufig auch unter den Juristen streitig und im Einzelfall schwierig zu beurteilen. Diesbezügliche Missverständnisse oder Fehler des Sachverständigen rechtfertigen somit nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit (vgl. OLG München Beschluss vom 27.02.2006 - 1 W 907/06)
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Landgericht Gründe für eine Befangenheit auch aus der subjektiven Sicht des Beklagten zu Recht nicht für gerechtfertigt gehalten. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen, die das Beschwerdegericht billigt.
Die Einwendungen der Beschwerde rechtfertigen keine andere Entscheidung. Soweit die Beschwerde meint, die Teilnahme des Sachverständiger an der Beweisaufnahme stelle keine Besonderheit dar und zudem habe das Landgericht der Gefahr einer Beweiswürdigung durch den Sachverständigen durch die Aufforderung zu einer alternativen Betrachtungsweise Rechnung getragen, dem sich aber der Sachverständige ostentativ verweigert habe, kann dem nicht beigepflichtet werden. Nach den Erfahrungen des Arzthaftungssenats stellt die Teilnahme des Sachständigen an einer umfangreichen Beweisaufnahme zur Klärung des streitigen Verlaufs der Behandlung (hier Notarzteinsatz) und Beauftragung des Sachverständigen durch nachfolgenden Beweisbeschluss durchaus die Ausnahme dar und birgt deshalb ein besonderes Risiko für den Sachverständigen, in die - wie es das Landgericht bezeichnet hat - „Falle“ der Beweiswürdigung zu tappen. Diese Gefahr erhöhte sich noch dadurch, dass das Landgericht, obwohl es dazu nach § 404 a Abs. 3 ZPO angehalten war, dem Sachverständigen nicht ausreichend deutlich gemacht hat, von welchen Feststellungen er ausgehen sollte. Der Hinweis auf „unterschiedliche Sachverhaltsschilderungen“, ohne genauer anzugeben, welche unterschiedlichen Feststellungen der gutachterlichen Beurteilung zugrunde zu legen waren, verleitete den Sachverständigen gerade dazu, den Sachverhalt selbst zu ermitteln und dazu die Beweisaufnahme heranzuziehen. Jedenfalls legte es die Gefahr einer solchen Vorgehensweise nahe und ist deshalb kein Hinweis auf eine Befangenheit. Das führte auch dazu, dass der Sachverständige die vom Gericht gemeinte Alternative darauf bezog, ob die Patientin selbst oder die Studenten das Beschwerdebild mitgeteilt haben. Wenn der Sachverständige der Meinung ist, dass es darauf nicht ankomme, weil der Arzt die Anamnese zu erheben habe, trifft das zu und stellt keine Weigerung dar, sich mit den Sachverhaltsalternativen zu befassen.
Dass der Sachverständige die möglichen Alternativen nicht mit der Genauigkeit eines Juristen unterschieden hat, was insbesondere für die Frage gilt, ob hier ohne Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit eine Bewusstlosigkeit zu unterstellen war oder nicht, sondern als Arzt sich mit dem aus seiner ärztlichen Sicht naheliegenden Geschehensablauf beschäftigt hat, führt nicht zur Befangenheit. Das Gericht kann im Übrigen immer noch entscheiden, von welchem Sachverhalt auszugehen ist und dies dem Sachverständigen für seine weitere Begutachtung vorgeben. Vorliegend hat der Sachverständige nicht seine Kompetenz überschritten, sondern nur versucht, den ihm unzureichend übermittelten Anforderungen des Gerichts aus einer Sachverständigensicht gerecht zu werden. Es ist nur allzu verständlich, dass der nicht juristisch Geschulte nicht die feine Differenzierung beachtet zwischen dem Bestreiten eines Sachverhalts, den man nicht aus eigener Anschauung kennt (hier für das Geschehen bis zum Eintreffen des Beklagten), und dem Sachverhalt, der sich aus eigener Wahrnehmung ergibt. Dies hat dazu geführt, dass der Sachverständige die Anweisung des Landgerichts im Beweisbeschluss dahin gelöst hat, dass es auf unterschiedliche Darstellungen ja nicht ankomme, weil der Beklagte durch eine Befragung im Rahmen der Fremdanamnese erfahren hätte, dass die Klägerin über Kopfschmerzen und Übelkeit und schlechtes Sehen geklagt habe.
Ohne Erfolg bleibt die Beschwerde auch, soweit sie aus der Beurteilung der Dokumentation durch den Sachverständigen eine Befangenheit herleiten will. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Abschnitt 4. des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen, denen der Senat beitritt. Die Rüge der Beschwerde, der Sachverständige habe eine initiale Bewusstlosigkeit und heftige Kopfschmerzen aufgrund von Dokumentationsdefiziten nicht ohne Berücksichtigung des Umstandes, dass auch dem eingesetzten nicht-ärztlichen Personal bzw. dem Leitstellenmitarbeiter derartige Symptome nicht bekannt geworden seien, unterstellen dürfen, greift schon deshalb nicht durch, weil ersichtlich ist, dass der Sachverständige aufgrund der Bewertung des Notarzt-Einsatzprotokolls davon ausgegangen ist, dass aufgrund unzureichender Anamnese- oder Befunderhebung die Symptome unbeachtet blieben.
Abschließend ist somit festzustellen, dass bei der hier vorliegenden Ausgangssituation die Vorgehensweise des Sachverständigen bei der Tatsachenfeststellung nach seiner Anwesenheit bei der Beweisaufnahme verständlich ist und auch aus der Sicht des Beklagten bei vernünftiger Betrachtung nicht den Vorwurf der Befangenheit rechtfertigen kann.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten war somit als unbegründet zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Der Beschwerdewert bemisst sich im Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen gem. § 3 ZPO nach dem Interesse an der begehrten Entscheidung, das mit einem Bruchteil des Hauptsachestreitwertes anzusetzen ist (BGH AGS 2004, 159). Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Interesse der Partei an der Entbindung des Sachverständigen im Arzthaftungsprozess, in dem es wie vorliegend um Schadensersatzansprüche aus behaupteten Behandlungsfehlern geht, mit mindestens der Hälfte des Wertes der Hauptsache zu bemessen (Beschluss vom 20.4.2009 - 13 W 18/09). Der Beschwerdewert ist daher auf die Hälfte des Streitwertes von 125.000,00 EUR festzusetzen.

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