Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 (6) SsBs 157/15; 2 (6) SsBs 157/15 - AK 53/15

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts H. vom 19. Dezember 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts H. zurückverwiesen.

Gründe

 
Mit dem angefochtenen Urteil vom 19.12.2014 hat das Amtsgericht H. den Betroffenen wegen fahrlässigen Unterlassens, die Ladeeinrichtung des LKWs bzw. dessen Anhänger verkehrssicher zu stauen und besonders zu sichern zu einer Geldbuße in Höhe von 50,00 EUR und wegen einer tateinheitlich hierzu fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach den §§ 4 Abs. 3 Nr. 1, 37 Abs. 1 Nr. 2 GGVSEB i.V. mit § 10 GGBefG zu einer weiteren Geldbuße in Höhe von 400,00 EUR verurteilt.
Die hiergegen gerichtete form- und fristgerechte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt wird, hat (vorläufig) Erfolg. Der Schuldspruch hält der Überprüfung aufgrund der Sachrüge nicht stand, da die Feststellungen und die Beweiswürdigung materiell-rechtlich unvollständig und teilweise widersprüchlich sind.
Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 19.3.2014 mit einem Lastzug samt Anhänger im Auftrag der Firma G. die BAB 6 zwischen Mannheim und Hockenheim. Die Fahrzeuge waren jeweils mit einem Abrollcontainer, die Baustelleneinrichtung der eigenen Firma für eine Baustelle in S. enthielten, beladen. Im vorderen Container befand sich ein Tank, Baujahr 1972, mit einem Fassungsvermögen von 5.000 Litern, gefüllt mit 800 Litern Dieselkraftstoff, mit dem die Baustellenfahrzeuge vor Ort versorgt werden sollten.
Der Tank war nicht vorschriftsmäßig geprüft, das Fahrzeug hinsichtlich des beförderten Dieselkraftstoffs nicht gekennzeichnet und der Betroffene war nicht im Besitz eines „ADR-Scheines“. Die mit Druckluft beaufschlagten Sicherungsklauen des Anhängers waren zum Sichern des Abrollcontainers funktionslos. Der Betroffene hatte bei der Beladung Sorge, dass der Abrollcontainer nach hinten rutschen könnte und sicherte diesen deshalb an der Stirnseite mit einem offensichtlich abgenutzten und ablegereifen Gurt.
Aus den Feststellungen ergibt sich nicht, dass auch die Ladeeinrichtung des Lastkraftwagens nicht den Anforderungen des § 22 Abs. 1 StVO entsprechend gesichert war. Bereits der Urteilstenor hat durch die Verwendung des Wortes „beziehungsweise“ offen gelassen, ob die Ladeeinrichtung des LKWs oder des Anhängers oder gar beide nicht hinreichend gesichert waren.
Zum genauen Standort des mit Dieselkraftstoff gefüllten Tanks sind die Urteilsgründe gleichfalls widersprüchlich. Nach den Feststellungen befand sich der Tank im vorderen Container. Da der den Lastzug ziehende Lastkraftwagen sich üblicherweise vor dem Anhänger befindet, ist danach davon auszugehen, dass sich der Tank auf dem Lastkraftwagen befand. Dagegen sprechen allerdings die im Urteil wiedergegebenen Darlegungen des Sachverständigen, wonach die Ladeeinrichtung des Lastkraftwagenanhängers - hier: der Tank - nicht sicher verstaut und besonders gesichert gewesen sei (UA, S. 6).
Für den Schuldspruch ist jedoch von Bedeutung, ob - auch - der Container, in dem sich der mit Dieselkraftstoff befüllte Tank befand, nicht ordnungsgemäß verstaut und gesichert war. § 22 Abs. 1 StVO ist auf die Sicherung von gefährlichen Gütern nicht anwendbar, da insoweit die Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, mit Eisenbahnen und auf Binnengewässern (GGVSEB) in Verbindung mit dem Europäischen Übereinkommen vom 30.9.1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.6.2013 (BGBL. 2013, II, S. 648) als spezielleres Gesetz Anwendung findet. Die mangelnde Verstauung gefährlicher Güter ist ebenso wie die nicht ausreichende Sicherung bzw. Verpackung mitbeförderter, nicht gefährlicher anderer Ladungsteile, die sich dergestalt auf die gefährlichen Güter auswirken können, dass es zu einem Austritt von Gefahrgut kommen könnte, in der Bußgeldvorschrift des § 37 Abs. 1 Nr. 21a GGVSEB i.V.m. § 29 Abs. 1 GGVSEB i.V.m. Abschnitt 7.5.7 ADR vorrangig geregelt. § 22 Abs. 1 StVO findet erst dann Anwendung, wenn ein Verstoß gegen Abschnitt 7.5.7 ADR nicht festgestellt werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 9.6.2009, 3 Ss OWi 321/08, BeckRS 2009, 19903).
Ist also - wie die im Urteil wiedergegebenen Darlegungen des Sachverständigen nahelegen - der Tank mit dem Dieselkraftstoff selbst nicht sicher verstaut und gegen Verrutschen bzw. Hin- und Herrollen besonders gesichert, so ist der Betroffene der fahrlässigen nicht ordnungsgemäßen Verstauung einer Ladung mit gefährlichen Gütern nach § 37 Abs. 1 Nr. 21a GGVSEB i.V.m. § 29 Abs. 1 GGVSEB i.V.m. Abschnitt 7.5.7 ADR schuldig.
Einer derartigen Schuldspruchänderung steht das Verschlechterungsverbot des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 StPO nicht entgegen, zumal der Verstoß gegen § 37 Abs. 1 Nr. 21a GGVSEB nach Anlage 13 zu § 40 FeV gleichfalls mit einem Punkt im Fahreignungsregister zu speichern ist.
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Die Feststellungen ergeben auch nicht die Begehung einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach den §§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 37 Abs. 1 Nr. 2 GGVSEB i.V.m. § 10 GGBefG.
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§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GGVSEB setzt voraus, dass ein Verstoß, der die Sicherheit der Beförderung beeinträchtigen könnte, festgestellt wurde. Nach dem Wortlaut der Norm bedarf es also der Kenntnis des Fahrzeugführers, dass ein Verstoß gegen eine Vorschrift für die Beförderung gefährlicher Güter vorliegt, um die - bußgeldbewehrte (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GGVSEB) - Anhaltepflicht auszulösen.
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Es reicht weder aus, dass der Fahrzeugführer den Verstoß bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen müssen (Fahrlässigkeit), noch dass er einen solchen Verstoß ernsthaft für möglich hält (bedingter Vorsatz). Denn so lange der Fahrzeugführer nicht weiß, dass ein die Sicherheit der Beförderung beeinträchtigender Verstoß vorliegt, kann von einer Feststellung dieses Verstoßes nicht ausgegangen werden. Dem steht nicht entgegen, dass es nach Sinn und Zweck der allgemeinen Sicherheitspflicht des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GGVSEB näherliegen mag, dass der Fahrzeugführer bereits dann die Sendung möglichst rasch anzuhalten hat, wenn er einen Verstoß gegen die Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter ernsthaft für möglich hält - etwa um das Vorliegen eines solchen Verstoßes zu prüfen - und die Beförderung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 GGVSEB erst dann fortsetzen darf, wenn feststeht, dass die anzuwendenden Vorschriften erfüllt sind. Eine solche - über den Wortsinn des § 4 Abs. 3 Satz 1 GGVSEB hinausgehende - Auslegung würde jedoch eine mit Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG nicht vereinbare Ausdehnung der Bußgeldbewehrung zu Lasten des Betroffenen darstellen. Mit einer derartigen teleologischen Auslegung würde bereits die Feststellung konkreter Anhaltspunkte, die auf einen die Sicherheit der Beförderung beeinträchtigenden Verstoß hindeuten, für die - bußgeldbewehrte - Anhaltepflicht ausreichen. Dies wäre jedoch eine - nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG unzulässige - analoge Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 1 GGVSEB auf bedingt vorsätzliches Handeln des Fahrzeugführers.
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Für die vom Amtsgericht angenommene fahrlässige Begehung verbleibt daher nahezu kein Raum. Diese kann allenfalls noch im sorgfaltswidrigen Übersehen einer geeigneten Anhaltemöglichkeit liegen.
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Aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils ergibt sich die Kenntnis eines die Sicherheit der Beförderung beeinträchtigenden Verstoßes des Betroffenen nicht hinreichend. Dass der Betroffene nach den Feststellungen wusste, dass er Dieselkraftstoff (Gefahrgut) transportierte und sein Fahrzeug hierfür nicht geeignet war bzw. er nicht im Besitz des dafür erforderlichen ADR-Scheines war, reicht nicht aus. So ergibt sich aus den weiteren Feststellungen die grundsätzlich fehlende Eignung des Fahrzeugs zum Transport von Dieselkraftstoff nicht. Die objektiven Feststellungen hierzu beschränken sich - ohne dies näher auszuführen - darauf, dass der transportierte Tank nicht vorschriftsmäßig geprüft und das das Fahrzeug hinsichtlich der beförderten Gefahrgüter nicht gekennzeichnet gewesen sei.
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Feststellungen, dass der Betroffene auch wusste, dass sich im Tank mit 800 Litern so viel Dieselkraftstoff befand, dass die Vorschriften des ADR - und damit die Kennzeichnungspflicht und die Pflicht zu Fahrzeugführerschulung nach Abschnitt 8.2.2. ADR - Anwendung finden, fehlen. Nach Unterabschnitt 1.1.3.1 c) ADR gelten die Vorschriften des ADR nicht für Beförderungen, die von Unternehmen in Verbindung mit ihrer Haupttätigkeit durchgeführt werden, wie Lieferungen für oder Rücklieferung von Baustellen im Hoch- und Tiefbau in Mengen, die 450 Liter je Verpackung und die Höchstmengen gemäß Unterabschnitt 1.1.3.6 - bei Dieselkraftstoff 1.000 Liter - nicht überschreiten (vgl. Senat, Beschluss vom 4.8.2014, 2 (7) SsBs 655/13 - AK 175/13, juris). Der Betroffene muss daher auch Kenntnis über die Befüllung des Tanks mit mehr als 450 Litern Dieselkraftstoff gehabt haben; die sorgfaltswidrige Unkenntnis hierüber reicht nicht aus.
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Den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist zudem nicht zu entnehmen, dass die die Sicherheit beeinträchtigenden Verstöße erst unterwegs - und nicht bereits vor Antritt der Fahrt - festgestellt wurden. Nur dann ist aber § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GGVSEB - und damit § 37 Abs. 1 Nr. 2 GGVSEB - anwendbar. Wenn der Fahrzeugführer bereits vor Antritt der Fahrt wissentlich gegen die Sicherheit der Beförderung beeinträchtigende Pflichten aus §§ 28, 29 GGVSEB verstoßen hat, durfte er die Beförderung des gefährlichen Gutes erst gar nicht beginnen, § 3 GGVSEB, so dass für eine Anhaltepflicht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 GGVSEB kein Raum mehr besteht.
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Diese einschränkende Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 1 GGVSEB auf unterwegs festgestellte Verstöße ergibt sich aus einer systematischen Auslegung im Zusammenhang mit Unterabschnitt 1.4.2.2.4 ADR, der eine § 4 Abs. 3 Satz 1 GGVSEB entsprechende Regelung für Verstöße, die unterwegs festgestellt werden, enthält. Der Gesetzesbegründung zur GGVSEB (BR-Drs. 274/09 vom 27.3.2009) ist nicht zu entnehmen, dass die Regelung des Unterabschnitts 1.4.2.2.4 ADR auf bereits vor Fahrtantritt festgestellte Verstöße erweitert werden sollte, vielmehr sollte ausdrücklich eine mit Unterabschnitt 1.4.2.2.4 ADR vergleichbare Regelung geschaffen werden, die - insoweit ergänzend - auch für Schiffsführer gilt.
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Eine solch einschränkende Anwendung entspricht auch der Systematik der GGVSEB. § 4 GGVSEB regelt die allgemeinen Sicherheitspflichten, während §§ 17 ff GGVSEB detailliert die Pflichten der einzelnen mit der Gefahrgutbeförderung befassten Personen anordnen. Der bußgeldbewehrte wissentliche Verstoß gegen eine solche Pflicht beinhaltet in seinem Unrechtsgehalt daher stets den Unrechtsgehalt der (wissentlichen) Verletzung der allgemeinem Sicherheitspflicht des § 4 Abs. 3 GGVSEB. Weiß also der Fahrzeugführer vor dem Beginn der Fahrt, dass er beispielsweise nicht über die Bescheinigung über die Fahrzeugführerschulung nach Unterabschnitt 8.2.2.8 ADR verfügt und weiß er auch, dass er Gefahrgut transportiert, für das er diese Bescheinigung benötigt, so verdrängt der wissentliche Verstoß gegen die Bußgeldvorschrift des § 37 Nr. 20j GGVSEB i.V.m. § 28 Nr. 10b GGVSEB die Anwendung des § 37 Nr. 2 GGVSEB i.V.m. § 4 Abs. 3 GGVSEB.
19 
Auch die Beweiswürdigung leidet an Darlegungsmängeln. So weit im Urteil pauschal auf 48 Lichtbilder gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen wird, handelt es sich um keine zulässige Bezugnahme. Die - wenn auch knappe - Schilderung des wesentlichen Aussagegehalts der einzelnen Abbildungen bleibt erforderlich, sie darf nicht ganz entfallen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 1.2.2011, 1 RVs 18/11, NStZ 2011, 476).
20 
Die Ausführungen des Amtsgerichts werden zudem den Anforderungen an die tatrichterlichen Ausführungen, wenn der Schuldspruch auf ein Sachverständigengutachten gestützt wird, nicht vollständig gerecht. Es fehlt insoweit an einer verständlichen und in sich geschlossenen Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung. Die bloße Mitteilung, dass der Sachverständige die Darlegungen des Zeugen und die getroffenen Feststellungen technischer Art vollumfänglich bestätigt habe und die nachfolgende Wiederholung des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens, reicht hierfür nicht aus. Insbesondere fehlt es an einer - zumindest knappen - Darstellung der im konkreten Fall zu beachtenden anerkannten Regeln der Technik, § 22 Abs. 1 Satz 2 StVO.
21 
Das Urteil ist daher mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Heidelberg zurückzuverweisen (§§ 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 OWiG, 349 Abs. 4, 353 StPO).
22 
Ergänzend bemerkt der Senat:
23 
Da eine Verfolgungsbeschränkung seitens der Verwaltungsbehörde den Akten und dem Bußgeldbescheid nicht zu entnehmen ist, muss das Gericht das vom Bußgeldbescheid erfasste geschichtliche Ereignis unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend würdigen. Nach den Urteilsgründen kommen insoweit tateinheitlich begangene Verstöße gegen verschiedene Pflichten des Fahrzeugführers nach den §§ 28, 29 GGVSEB, die jeweils ein ordnungswidriges Handeln i.S.d. § 37 Nr. 20 und 21 GGVSEB darstellen, in Betracht. Das Gericht kann - was vorliegend zweckmäßig erscheint - in entsprechender Anwendung des § 47 OWiG i.V.m. § 154a StPO einzelne Gesetzesverletzungen aus dem Verfahren ausscheiden. Eine solche Beschränkung ist aktenkundig zu machen (vgl. Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 47 OWiG, Rn. 38).
24 
Das Verschlechterungsverbot des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 StPO gilt nicht für den Schuldspruch, auch eine Verurteilung wegen vorsätzlichen statt fahrlässigen Handelns ist möglich (vgl. Göhler/Seitz, aaO, § 79 OWiG, Rn. 37 m.w.N.).
25 
Hinsichtlich der Bußgeldbemessung enthält Anlage 7 der Richtlinien zur Durchführung der GGVSEB und weiterer gefahrgutrechtlicher Verordnungen (RSEB) einen Bußgeldkatalog, der nach Ziffer 37.2 von fahrlässiger Begehung, normalen Tatumständen und von mittleren wirtschaftlichen Verhältnissen ausgeht. Zudem ist bei tateinheitlich begangenen Ordnungswidrigkeiten nur eine einzige Geldbuße festzusetzen, § 19 Abs. 1 OWiG.

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