Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 104/18

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten wird der Beschluss des Landgerichts - 7. Strafvollstreckungskammer - Heidelberg vom 31. Januar 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Befassung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Heidelberg zurückverwiesen.

Gründe

 
I.
Mit am gleichen Tag rechtskräftigem Urteil vom 10.12.2009 - 4 KLs 300 Js 12915/09 - hat das Landgericht Mannheim den heute 39 Jahre alten Beschwerdeführer freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Untergebrachte hatte am 28.04.2009 in einem Drogeriemarkt die Kassiererin unter Vorhalt eines Taschenmessers mit Nachdruck aufgefordert, ihm das in der Kasse befindliche Geld herauszugeben, und insgesamt 80,- Euro erbeutet. Gemäß den weiteren Feststellungen des Urteils war die Steuerungsfähigkeit des Untergebrachten bei Tatbegehung aufgrund einer akut exazerbierten paranoiden Schizophrenie nicht ausschließbar völlig aufgehoben gewesen. Bereits vor Tatbegehung hatte sich der Untergebrachte mehrfach in psychiatrischen Krankenhäusern aufgehalten. Mit Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 27.01.2016 wurde die weitere Vollstreckung des Maßregelvollzugs unter verschiedenen Weisungen und Auflagen (u.a. in einem AWO Wohnheim zu wohnen, seine psychiatrische Behandlung in der Forensischen Ambulanz fortzusetzen und die verordneten Medikamente einzunehmen) zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschlüssen vom 05.08.2016 und vom 28.12.2016 wurde im Rahmen einer Krisenintervention gem. § 67 h StGB die ausgesetzte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für die Dauer von drei Monaten wieder in Vollzug gesetzt, da er jeweils die ihm erteilten Auflagen und Weisungen nicht einhielt, erheblich Alkohol konsumierte und untertauchte. Nachdem der Untergebrachte erst am 10.04.2017 aus der zweiten Krisenintervention entlassen worden war, tauchte er bereits Ende Mai 2017 erneut unter. Mit Stellungnahme vom 27.06.2017 ersuchte das Psychiatrischen Zentrum X (im Folgenden: PZX) um Prüfung einer erneuten Krisenintervention gem. § 67h StGB. Mit Beschluss vom 27.07.2017 ordnete das Landgericht Heidelberg sodann die Sicherungsunterbringung im PZX an und schrieb den Untergebrachten zur Festnahme aus. Nach der Festnahme des Untergebrachten am 08.01.2018 und dessen Anhörung am 09.01.2018 hat das Landgericht Heidelberg mit Beschluss vom 10.01.2018 den Sicherungsunterbringungsbefehl aus den Gründen seines Erlasses in Vollzug gesetzt. Der Untergebrachte befindet sich seit 08.01.2018 erneut im PZX.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 31.01.2018, welcher der Verteidigerin wie der Staatsanwaltschaft Mannheim erst am 12.03.2018 zugestellt wurde, hat das Landgericht - 7. Strafvollstreckungskammer - Heidelberg die mit Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 27.01.2016 zur Bewährung ausgesetzte weitere Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 10.12.2009 (4 KLs 300 Js 12915/09) angeordnete Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus widerrufen.
II.
Die am 16.03.2018 eingelegte sofortige Beschwerde des Untergebrachten, welche mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 13.04.2018 begründet wurde, hat (vorläufigen) Erfolg, weil die angegriffene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer an einem durchgreifenden Verfahrensmangel leidet.
Für einen Widerruf gemäß § 67g Abs. 1 StGB ist kein Raum, wenn die Voraussetzungen für eine Erledigungserklärung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB vorliegen. Gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. StGB ist die Unterbringung für erledigt zu erklären, wenn die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre.
Auf der Grundlage der bisher erfolgten Sachaufklärung kann der Senat nicht beurteilen, ob der Grad des Rückfallrisikos und die Schwere der vom Untergebrachten im Falle eines Rückfalls drohenden Straftaten den Voraussetzungen des § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB entsprechen oder ob anlässlich dieser Prüfung möglicherweise nicht positiv festzustellen ist, dass die qualifizierte Gefahr fortbesteht, so dass gemäß § 67d Abs. 6 Satz 2 eine Erledigungserklärung in Betracht kommt. Soweit die Strafvollstreckungskammer - ohne den gesetzlichen Prüfungsmaßstab erkannt oder tatsächlich zu Grunde gelegt zu haben - ihre Gefährlichkeitsprognose lediglich auf der Grundlage der nicht zu diesem Prognosemaßstab erholten schriftlichen Stellungnahme des PZX vom 27.06.2017 und die - im Rahmen eines mehrzeiligen Antrags des PZX auf Genehmigung der Ausgangsstufe 4 vom 30.01.2018 - enthaltene Mitteilung, dass beim Untergebrachten seit seiner am 08.01.2018 erfolgten Aufnahme in der Sicherungsunterbringung keine produktiv-psychotische Symptomatik zu beobachten war sowie den Angaben des Untergebrachten im Anhörungstermin am 09.01.2018 getroffen hat, genügt dies nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (zuletzt BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16.08.2017 - 2 BvR 1496/15 -, juris mwN).
1. Für einen Widerruf gemäß § 67g Abs. 1 StGB ist kein Raum, wenn die Voraussetzungen für eine Erledigungserklärung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen (weil der Zustand, auf Grund dessen Feststellung die Unterbringung erfolgt ist nicht oder nicht mehr besteht, oder dass die von § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeit des Untergebrachten nicht (mehr) besteht) oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 67d Rn. 23 mwN). Gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. StGB ist die Unterbringung für erledigt zu erklären, wenn die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre. Gemäß § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB ist eine Unterbringung, die sechs Jahre andauert, nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Der Begriff der Gefahr entspricht dem Begriff der Gefährlichkeit in § 63 StGB (BT-Drs. 18/7244 S. 33). Es muss also eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ für die Begehung entsprechend qualifizierter neuer rechtswidriger Taten vorliegen (BGH NStZ-RR 2017, 76; BGH NStZ-RR 2017, 139 jeweils mwN). Die Erledigung der Maßregel hängt - das macht bereits die Formulierung („wenn nicht“) deutlich - nicht von einer günstigen Prognose ab, sondern ihre Fortdauer von der Stellung einer negativen Prognose (BT-Drs. 18/7244 S. 33). Die bloße Möglichkeit oder eine lediglich „latente“ Gefahr einer (prognoserelevanten) Straftat reicht für die Annahme einer entsprechenden Taterwartung nicht aus. Eine negative Prognose ist dann gerechtfertigt, wenn es konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte für eine fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten gibt (OLG Hamm NStZ-RR 2017, 290 mwN; Mayer jurisPR-StrafR 18/2017 Anm. 4 mwN). Bejaht das Gericht die Annahme, dass vom Untergebrachten weiterhin eine Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgeht, so ist dies hinreichend zu konkretisieren, insbesondere welche rechtswidrigen Taten zukünftig von dem Beschwerdeführer drohen und wie hoch der Grad der Wahrscheinlichkeit derartiger Taten ist. Außerdem sind die voraussichtlichen Wirkungen der im Falle der Aussetzung der Maßregelvollstreckung eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 6 Satz 4 StGB) und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen gem. §§ 68a, 68b StGB zu berücksichtigen (BVerfG aaO; Senat RuP 2018, 47).
a. Die Eingangsvoraussetzung des § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB - eine bereits sechs Jahre andauernde Unterbringung - ist erfüllt. Die Unterbringung im Sinne von § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB begann mit der tatsächlichen Aufnahme (des seit 28.04.2009 vorläufig) Untergebrachten im Maßregelvollzug und damit vorliegend mit der am 10.12.2009 eingetretenen Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Mannheim vom selben Tag (zur Fristberechnung nach § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB vgl. Senat, Beschluss vom 13.11.2017 - 2 Ws 332/17 -, juris mwN). Damit war der Untergebrachte, als die Unterbringung mit Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 27.01.16 zur Bewährung ausgesetzt wurde, bereits mehr als sechs Jahre untergebracht. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer vom 27.08.2016 bis 28.11.2016 und vom 10.01.2017 bis 10.04.2017 im Rahmen von zwei Kriseninterventionen gem. § 67h StGB für weitere sechs Monate im PZX untergebracht war, wobei in die Berechnung der Dauer einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Zeit einer Krisenintervention gem. § 67h Abs. 1 StGB mit einfließt (Senat RuP 2018, 47 mwN). Für die Berechnung der Sechs-Jahres-Frist nach § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB bleibt lediglich die Zeit unberücksichtigt, in der sich der Untergebrachte nach der ihm bewilligten Aussetzung der Maßregel zur Bewährung bis zum Antritt der Krisenintervention auf freiem Fuß befunden hat (vgl. § 67g Abs. 4 StGB für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt).
Eine Erledigungserklärung gem. § 67d Abs. 6 StGB setzt im Übrigen nicht voraus, dass der Untergebrachte im Zeitpunkt der Entscheidung über die Erledigungserklärung untergebracht ist. Maßgebend ist, ob die „Fortdauer“ der Unterbringung - auch in der Gestalt eines Widerrufs gemäß § 67g StGB - nicht mehr verhältnismäßig ist (ausführlich zur Anwendung der Regelvermutung des § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB bei Prüfung einer Krisenintervention nach § 67h Abs. 1 Satz 1 StGB OLG Rostock NStZ-RR 2018, 95).
b. Eine den o.g. Anforderungen genügende Prognoseentscheidung gem. § 67d Abs. 6 StGB (bzw. § 67g Abs. 1 StGB) konnte die Kammer allein auf der Grundlage der - zudem die Prüfung einer erneuten Krisenintervention gem. § 67h StGB empfehlenden - Stellungnahme des PZX vom 27.06.2017, deren Mitteilung vom 30.01.2018 und der Anhörung des Untergebrachten im Rahmen der Eröffnung der Sicherungsunterbringung am 09.01.2018 nicht treffen.
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Seit der Begutachtung des Beschwerdeführers im Anlassverfahren durch die psychiatrische Sachverständige aus dem PZX, Frau Y, und deren in der Hauptverhandlung am 10.12.2009 erstattetes Gutachten, wurde kein externes Sachverständigengutachten eingeholt. Unabhängig davon, dass die letzte Begutachtung des Beschwerdeführers damit bereits über acht Jahre zurückliegt, bestand schon deshalb Anlass ein externes Sachverständigengutachten einzuholen, da einerseits die Sachverständige Y im Anlassverfahren - wie die behandelnden Ärzte des PZX in dem Ersuchen auf Prüfung einer Krisenintervention vom 27.06.2017 - beim Beschwerdeführer neben einer paranoiden Schizophrenie eine Alkoholabhängigkeit festgestellt hat (wobei die behandelnden Therapeuten im PZX im Hinblick auf den Verlauf seit der bewährungsweisen Entlassung am 27.01.2016 aktuell davon ausgehen, dass sich Zustands- und Verhaltensverbesserungen, die beim Beschwerdeführer im Verlauf stationärer Kriseninterventionen im hochstrukturierten und beschützten Rahmen gesehen werden, unter freiheitlichen Bedingungen nicht als tragfähig erweisen und im Zuge fortgesetzten Alkoholkonsums und einer psychotischen Dekompensation weitere Straftaten im Sinne des Anlassdelikts zu erwarten seien) und andererseits - worauf in der Beschwerdebegründung auch hingewiesen wird - der Beschwerdeführer (trotz regelmäßigem Alkoholkonsum und Absetzen der Medikation) in den wiederholten Zeiten des Untertauchens (zuletzt vom 30.05.2017 bis zum 08.01.2018) keine Straftaten begangen hat und auch durch das PZX seit der am 09.01.2018 erfolgten Aufnahme des Beschwerdeführers eine Exazerbation der paranoiden Schizophrenie nicht festgestellt wurde.
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Auch in einer Gesamtbetrachtung genügt die Sachverhaltsaufklärung nicht den besonderen Anforderungen, welche an die Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung nach § 67d Abs. 6 Satz 1 und 2 StGB zu stellen sind (BVerfGE 70, 297; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 17.02.2014 - 2 BvR 1795/12 -, juris und BVerfG NJW 2004, 739). Es bedarf - unter schon nach §§ 463 Abs. 4, 454 Abs. 2 StPO gebotener Hinzuziehung eines externen Sachverständigen - einer eingehenderen Auseinandersetzung mit der Frage, ob bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit, in welcher Art und in welchem Ausmaß, d. h. mit welchen Folgen vom Untergebrachten außerhalb des Maßregelvollzugs zukünftig Aggressionsdelikte zu erwarten sind. Dabei ist auf die Besonderheiten des Einzelfalles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel eingetretenen Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. Dazu gehören der Zustand des Untergebrachten und die künftig zu erwartenden Lebensumstände (BVerfG, Beschluss vom 16.08.2017 - 2 BvR 1280/15 - juris mwN). Hier ist insbesondere von Bedeutung, dass beim Untergebrachten - soweit nach Aktenlage ersichtlich - bereits seit Längerem keine produktiv-psychotischen Symptome mehr aufgetreten sind und es auch schon seit Jahren (selbst in Krisenzeiten des Untertauchens mit Alkoholrückfällen) nicht mehr zu fremdaggressivem Verhalten gekommen ist.
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Schließlich bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob im Falle einer Aussetzung des Maßregelvollzugs zur Bewährung den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit durch sonstige Maßnahmen im Rahmen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 2 Satz 3 StGB) und damit verbindbarer weiterer Möglichkeiten der Aufsicht und Hilfe (§§ 68a, 68b StGB) hinreichend Rechnung getragen werden kann bzw. weshalb weniger belastende Maßnahmen nicht in Betracht kommen (BVerfG aaO). Das PZX geht nach dem Verlauf der bewährungsweisen Aussetzung der Unterbringung in der Stellungnahme vom 27.06.2017 davon aus, dass als Empfangsraum für den Beschwerdeführer nur eine geschlossene Einrichtung in Frage komme und sieht in der kurzen Stellungnahme vom 14.02.2018 für eine - vom Beschwerdeführer angestrebte - stationäre Alkoholentwöhnungsbehandlung keine hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg.
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2. Der aufgezeigte Verfahrensfehler, der die Einholung einer externen kriminalprognostischen Begutachtung und die mündlichen Anhörung des Sachverständigen unter Beteiligung des zuständigen Therapeuten der Maßregeleinrichtung erforderlich macht, führt dazu, dass die Sache entgegen § 309 Abs. 2 StPO erneut an das Landgericht zurückzuverweisen ist (Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl. 2017, § 463 Rn. 10c und § 309 Rn. 8). Vor der möglichst zeitnah durchzuführenden Begutachtung wird dem von der Kammer zu bestimmenden Sachverständigen Einsicht in die vollständigen Akten und Einsicht in die Patientendaten des psychiatrischen Krankenhauses (§ 463 Abs. 4 Satz 6 StPO) zu ermöglichen sein.

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