Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 112/18

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 06.03.2018 aufgehoben.

2. Die Sache wird zu erneuter Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Freiburg zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.

4. Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 2.000 EUR festgesetzt.

Gründe

 
A.
Der Antragsteller ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt X. Das Ende der wegen Sexualdelikten festgesetzten Strafe ist auf den 05.03.2010 notiert.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten stellte der Antragsteller am 12.06.2017 Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrte, beim Fonds Psychotherapie und Bewährung Y eine Kostenzusage für eine externe Therapie bei der Forensischen Ambulanz Z zu beantragen, und den Antrag auf Verlegung in den offenen Vollzug zur Durchführung einer externen Therapie bei der Forensischen Ambulanz Z, hilfsweise den Antrag auf Zulassung zu einer externen Therapie bei der Forensischen Ambulanz Z aus dem geschlossenen Vollzug heraus neu zu bescheiden.
Das Landgericht Freiburg wies die Anträge mit dem angefochtenen Beschluss vom 06.03.2018, der dem Antragsteller am 09.03.2018 zugestellt wurde, zurück.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers legte am 06.04.2018 Rechtsbeschwerde ein, mit der begehrt wird, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses zu verpflichten, beim Fonds Psychotherapie und Bewährung Y eine Kostenzusage für eine externe Therapie bei der Forensischen Ambulanz Z zu beantragen und dem Antragsteller eine solche externe Therapie aus dem offenen oder hilfsweise dem geschlossenen Vollzug heraus zu ermöglichen, hilfsweise die Sache zu neuer Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zurückzuverweisen.
B.
I.
Die Rechtsbeschwerde hat mit dem Hilfsantrag (vorläufigen) Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 93 JVollzGB III BW, 116 Abs. 1 StVollzG). Dies ergibt sich vorliegend bereits daraus, dass die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses den daran zu stellenden Anforderungen nicht genügen und deshalb dem Senat die Prüfung nicht möglich ist, ob die landgerichtliche Entscheidung auf zutreffender Rechtsanwendung beruht.
a) Im revisionsähnlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Rechtsbeschwerdegericht lediglich eine Rechtskontrolle auf der Grundlage der in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Tatsachenfeststellungen vorzunehmen. Die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung müssen daher so abgefasst sein, dass sie ohne Rückgriff auf die Akten eine umfassende und abschließende rechtliche Prüfung ermöglichen. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer muss danach die Gründe wiedergeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung zum Sachverhalt und für dessen rechtliche Beurteilung im Einzelfall maßgebend gewesen sind, d.h. er muss alle entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte enthalten. Der Sach- und Streitstand muss dabei in den Gründen selbst seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt dargestellt sein (§ 115 Abs. 1 Satz 2 StVollzG); nur wegen der weiteren Einzelheiten kann auf bei den Akten befindliche - genau bezeichnete - Schriftstücke verwiesen werden (zum Ganzen OLG Karlsruhe - Senat - RuP 2017, 245; OLG Hamburg NStZ 2005, 346; OLG Celle NStZ-RR 2005, 356; OLG Nürnberg ZfStrVo 2006, 122; OLG München NStZ-RR 2012, 295; KG StraFo 2013, 483, OLGSt StVollzG § 109 Nr. 12 und NStZ 2018, 172; OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2013 - 2 Ws (Vollz) 148/13, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28.10.2014 - III 1 Vollz (Ws) 497/14, juris). Jedenfalls dann, wenn sich der Antrag gegen eine Entscheidung der Vollzugsbehörde richtet, bei der ihr ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zusteht, ist es wegen der nur beschränkten gerichtlichen Überprüfung unerlässlich, die beanstandete Entscheidung der Vollzugsbehörde ihrem wesentlichen Inhalt nach in den Gründen der gerichtlichen Entscheidung wiederzugeben (OLG Rostock, Beschluss vom 06.02.2012 - I Vollz (Ws) 3/12, juris; OLG Celle a.a.O.; OLG Brandenburg a.a.O.; KG OLGSt StVollzG § 109 Nr. 12).
b) Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht. Er beschränkt sich auf eine Darstellung des Vorbringens der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren. Der Inhalt des Vollzugsplans, mit dem nach der Darstellung des Antragstellers seine vorgehenden Anträge bei der Antragsgegnerin (konkludent) abgelehnt worden sein sollen, wird dagegen in der landgerichtlichen Entscheidung nicht mitgeteilt. Das wäre aber erforderlich gewesen, weil der Antragsgegnerin sowohl hinsichtlich der Gründe, die einer Zulassung zum offenen Vollzug entgegenstehen (§ 7 Abs. 1 JVollzGB III BW), als auch der Auswahl der einem Gefangenen anzubietenden Behandlungsmaßnahmen, ungeachtet ob die Verpflichtung hierzu aus §§ 33, 36 JVollzGB III BW (KG NStZ 2006, 699; NStZ-RR 2013, 189; OLG Nürnberg NStZ 1999, 479; OLG Hamm, Beschluss vom 13.07.1993 - 1 Vollz (Ws) 99/93, juris - jeweils zur Vorgängervorschrift des § 58 StVollzG) oder unmittelbar aus dem in §§ 1 und 2 Abs. 3 und 4 JVollzGB IIII BW festgeschriebenen Resozialisierungsgebot (vgl. OLG Karlsruhe StV 2009, 595) abzuleiten ist, ein Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum eingeräumt ist (BGHSt 30, 320; OLG Karlsruhe StV 2009, 595; KG StV 2010, 644; Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., StVollzG § 10 Rn. 7 - jeweils zu der insoweit inhaltlich mit § 7 JVollzGB III BW identischen Vorgängervorschrift des § 10 StVollzG; OLG Karlsruhe StV 2009, 595; KG NStZ 2006, 699 - zu Behandlungsmaßnahmen). Deshalb kann der Senat schon nicht beurteilen, ob mit dem Vollzugsplan eine Entscheidung i.S.d. § 109 Abs. 1 StVollzG getroffen wurde, geschweige denn eine solche inhaltlich prüfen. Mit der behaupteten Versagung der Zulassung des Antragstellers zum offenen Vollzug setzt sich der angefochtene Beschluss zudem überhaupt nicht auseinander.
2. Wegen der vorstehend aufgezeigten Darstellungsmängel ist der angefochtene Beschluss auf die erhobene Sachrüge aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat wegen der unzureichenden tatsächlichen Feststellungen nicht möglich, weshalb zwar dem mit der Rechtsbeschwerde gestellten Hauptantrag kein Erfolg beschieden ist, die Sache aber auf den Hilfsantrag an das Landgericht zurückzuverweisen ist.
II.
10 
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
11 
1. Hinsichtlich der Zulassung zum offenen Vollzug ist der gerichtliche Prüfungsmaßstab weitgehend dadurch bestimmt, dass der Antragsgegnerin ein Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum zusteht. Die Prüfung durch die Strafvollstreckungskammer ist danach darauf beschränkt, ob die Antragsgegnerin bei der Beurteilung der Eignung des Antragstellers für den offenen Vollzug und der einer Verlegung entgegenstehenden Flucht- oder Missbrauchsgefahr von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt und einer zutreffenden Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe ausgegangen ist und die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungs- und Ermessenspielraums (Arloth/Krä a.a.O., StVollzG § 10 Rn. 4, 7; Lesting in Feest/Lesting/Lindemann, StVollzG, 7. Aufl., Teil II § 15 LandesR Rn. 16, 21, 45, jew. m.w.N.) eingehalten hat (BGH a.a.O.; Arloth/Krä a.a.O, StVollzG § 115 Rn. 16; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann a.a.O., Teil IV vor § 109 StVollzG Rn. 3; § 115 StVollzG Rn. 41 ff.). Sollte die behördliche Entscheidung dem nicht genügen, ist die Strafvollstreckungskammer, wenn nicht eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, an einer eigenen Sachentscheidung gehindert; vielmehr ist die Antragsgegnerin dann zur Neubescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten (§ 115 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).
12 
2. Bezüglich der weiteren auf die Gestattung einer psychotherapeutischen Behandlung bei einem externen Psychologen abzielenden Anträge wird zunächst nach psychologisch-fachlichen Kriterien zu prüfen sein, ob die Indikation für die Durchführung einer (Einzel-)Psychotherapie besteht (vgl. OLG Hamm NStZ 2009, 219). Maßgeblich ist dabei, ob eine solche Psychotherapie geeignet ist, die Aussicht auf die Erreichung des Vollzugsziels, den Gefangenen zu befähigen, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, zu verbessern oder schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken (§§ 1 und 2 Abs. 3 Satz 1 JVollzGB III BW). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die beantragte Maßnahme den „optimalen“ Weg zur Erreichung des Vollzugsziels darstellt (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 287 m.w.N.).
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Soweit mehrere geeignete Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung stehen, steht der Vollzugsbehörde bei der Auswahl zwar ein Ermessensspielraum zu (siehe oben I 1 b). Zu sachgerechter Ermessensausübung gehört dabei aber auch, ob eine nach fachlichen Kriterien gegenüber einer indizierten umfassenden Behandlungsmaßnahme (hier: Verlegung in die Sozialtherapeutische Anstalt) möglicherweise weniger geeignete (auch dies bedarf entsprechender Feststellungen) Maßnahme (hier: Einzelpsychotherapie) gleichwohl deshalb anzubieten ist, weil die „bessere“ Maßnahme - etwa weil die Restdauer der Strafe für eine erfolgversprechende Durchführung nicht ausreicht - voraussichtlich nicht umgesetzt werden kann (vgl. OLG Karlsruhe StV 2009, 595). Soweit der Durchführung der von der Behörde favorisierten Maßnahme die Weigerung des Gefangenen zur Teilnahme entgegensteht, wird dabei auch in die Prüfung einzubeziehen sein, ob die Aussicht besteht, dass die Weigerung - etwa auch durch die weitere beantragte Maßnahme - noch aufgelöst werden kann, oder umgekehrt die Teilnahme an der beantragten Maßnahme das Ziel der Durchführung der weitergehenden Behandlung behindert (was bei einzelpsychotherapeutischer Betreuung im Verhältnis zu einer Sozialtherapie allerdings eher fernliegen dürfte).
14 
Soweit danach eine einzelpsychotherapeutische Betreuung geboten ist, besteht ein Anspruch auf die Zuziehung eines anstaltsexternen Psychologen jedoch nur, wenn die anstaltsinternen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichen, weil entsprechende Angebote nicht oder nicht in ausreichender Form zur Verfügung stehen (KG NStZ-RR 2013, 189; OLG Nürnberg a.a.O.).
15 
3. Da die Gerichte bezüglich aller gestellter Anträge im Hinblick auf den Beurteilungsspielraum bzw. das Ermessen der Vollzugsbehörde keine eigenen Entscheidungen zu treffen haben, sondern auf die Überprüfung der jeweiligen behördlichen Entscheidung beschränkt sind, ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung maßgebend (OLG Celle NStE Nr. 1 zu § 121 StVollzG; OLG Hamm NStZ 1991, 303; KG NStZ 1990, 559; FS 2012, 113; Arloth/Krä a.a.O., § 115 StVollzG Rn. 5; Spaniol a.a.O., Teil IV § 115 StVollzG Rn. 51; vgl. auch BVerwGE 61, 176; a.A. - jeweils nicht tragend - OLG Koblenz, Beschlüsse vom 04.03.2013 - 2 Ws 1152/12 (Vollz) und vom 17.03.2016 - 2 Ws 419/15 Vollz, juris; OLG Nürnberg StV 2000, 573). Treten nach der behördlichen Entscheidung neue - möglicherweise für den Antragsteller günstige - Umstände ein, bleibt ihm unbenommen, auf dieser Grundlage eine weitere Entscheidung herbeizuführen.
C.
16 
Die Festsetzung des Streitwertes für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 65 GKG.
17 
Die Bemessung des Streitwertes in Strafvollzugssachen ist unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Antragstellers nach der Bedeutung der Sache für den Antragsteller festzusetzen. Dabei sind die Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen eines Erfolgs des Antrags zu berücksichtigen. Einigkeit besteht dabei, dass der in § 52 Abs. 2 GKG genannte Betrag von 5.000 EUR in der Regel außer Betracht zu bleiben hat, da es sich nur um einen subsidiären Ausnahmewert handelt. Angesichts der geringen Leistungsfähigkeit vieler Gefangener ist der Streitwert prinzipiell eher niedrig anzusetzen, da seine Bemessung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen darf, dass die Anrufung des Gerichts für den Betroffenen mit einem unzumutbar hohen Kostenrisiko verbunden ist; andererseits darf er nicht so niedrig sein, dass die anwaltliche Tätigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht völlig unmöglich wird (OLG Karlsruhe - Senat - AGS 2016, 428; KG, Beschluss vom 14.02.2014 - 2 Ws 27/14 Vollz, juris; Bachmann in LNNV, StVollzG, 12. Aufl., Abschn. P Rn. 141; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, StVollzG, 7. Aufl., Teil IV § 121 StVollzG Rn. 9; Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 121 Rn. 1).
18 
Bei der Entscheidung im Einzelfall ist zwar festzustellen, dass die in der Hauptsache gestellten Anträge für den Gefangenen im Hinblick auf das Ziel einer vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft von erheblicher Bedeutung sind. Auch handelt es sich um rechtlich anspruchsvolle Fragen, die die Zuziehung anwaltlichen Beistands nahelegen. Daraus erwächst jedoch für den Fall des Unterliegens ein nicht unerhebliches Kostenrisiko, das bei der Festsetzung eines hohen Streitwertes abschreckend wirken kann. So ergibt sich allein für das Rechtsbeschwerdeverfahren bei einem Streitwert von 4.000 EUR ein Kostenrisiko in Höhe von mindestens 757,61 EUR (Gerichtsgebühren Nr. 3820 VV GKG: 254 EUR; anwaltlicher Gebührenanspruch, mindestens 403,20 EUR Verfahrensgebühr Nr. 3206 VV RVG + 20 EUR Pauschale Nr. 7002 VV RVG, zuzüglich Umsatzsteuer), was für den durchschnittlichen Strafgefangenen eine erhebliche Belastung darstellt. Unter Berücksichtigung der eingangs dargestellten Abwägungskriterien erscheint danach vorliegend die Festsetzung eines Streitwertes in Höhe von 2.000 EUR angemessen.

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