Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 Ws 67/17

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft U. gegen den Beschluss des Landgerichts U. vom 05. Januar 2017 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
I.
D. - ein im Inland wohnhafter deutscher Staatsangehöriger - wurde durch das seit 04.08.2015 rechtskräftige Urteil des Landgerichts G./Kroatien vom 08.07.2015 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und anderer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, weil er im Zeitraum vom 22.07.2014 bis zum 27.01.2015 gemeinsam mit anderen Tätern in mehreren Städten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit verschiedenen Staatsbürgerinnen aus Bosnien-Herzegowina oder Kroatien vereinbart hatte, dass diese in Hotelzimmern sexuelle Diensthandlungen gegen Zahlungen erbringen, wobei diese nach Bezahlung von Unterkunftskosten die ihnen verbleibende Hälfte der Gelder an den Verurteilten und andere Tatbeteiligte abzugeben gehabt hatten. Am 22.03.2016 gingen bei der Staatsanwaltschaft U. ein Vollstreckungsübernahmeersuchen des Landgerichts in G./Kroatien vom 11.03.2016, eine Bescheinigung nach Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2008/909/Ji vom 27.11.2008 sowie - nach Übersetzung in die deutsche Sprache - das Urteil des Landgerichts G./Kroatien vom 08.07.2015 ein, woraufhin die Staatsanwaltschaft U. unter Fassung einer vorläufigen Bewilligungsentschließung am 31.05.2016 die gerichtliche Entscheidung über die Vollstreckbarkeit des Urteils in Deutschland beim Landgericht U. beantragte. Nach Anhörung des Verurteilten wies die dortige Strafvollstreckungskammer den Antrag mit der Begründung zurück, die vom Landgericht G./Kroatien abgeurteilten Straftaten seien nach deutschem Recht nicht strafbar. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, mit welchem sie die Ansicht vertritt, dass sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe durchaus der dringende Verdacht ergebe, dass die abgeurteilten Straftaten auch nach deutschem Recht strafbar seien. Auch wäre das Landgericht insoweit zur Einholung ergänzender Informationen bei den kroatischen Justizbehörden gehalten gewesen, um solche nach deutschem Recht strafrechtsrelevante weitere Tatumstände aufzuklären.
II.
Die gemäß § 84g Abs. 3 Satz 3 IRG i. V. m. § 55 Abs. 2 Satz 1 IRG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (§§ 77 Abs. 1, 84 Abs.2 Nr. 1 IRG, § 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Der Senat schließt sich der wohlbegründeten Bewertung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts U. an.
1. Die Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse über freiheitsentziehende Sanktionen in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich im Bereich des hier in Rede stehenden Vollstreckungshilfeverkehrs mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach §§ 84 ff IRG in der seit dem 25.07.2015 geltenden Fassung, durch die der Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union (ABl. L 327 vom 05.12.2008, S. 27) in das nationale Recht umgesetzt worden ist (Senat Beschlüsse vom 22.03.2017, 1 Ws 8/17; vom 20.02.2017, 1 Ws 216/16 und vom 31.01.2017, 1 Ws 235/16, alle abgedruckt bei juris).
2. Entsprechend dieser Regelung haben die kroatischen Justizbehörden ihr Gesuch um Übernahme der Strafvollstreckung unter Hinweis auf den Rb-Freiheitsstrafen (§ 84 Abs.2 Nr.2 IRG) und unter Vorlage der dort in Artikel 4 vorgesehenen und in der Anlage 1 aufgeführten Bescheinigung vollständig ausgefüllt (§ 84c IRG) nebst dem der Verurteilung zugrundeliegenden Erkenntnis in deutscher Sprache (vgl. hierzu Bt-Drucks. 18/4347 S. 117 ff. 18) vollständig übermittelt, so dass zunächst den formalen Anforderungen Rechnung getragen ist.
3. Zu Recht ist das Landgericht U. aber davon ausgegangen, dass in materieller Hinsicht eine Übernahme der Vollstreckung jedenfalls daran scheitert, dass der vom Landgericht G./Kroatien im Urteil vom 08.07.2015 abgeurteilte und dort ausführlich dargestellte Sachverhalt nach deutschem Recht nicht strafbar ist (§ 84a Abs. 1 Nr. 2 IRG), es mithin am Merkmal der beiderseitigen Strafbarkeit bzw. der beiderseitigen Vollstreckbarkeit fehlt. Bezüglich der rechtlichen Ausführungen zu den Anforderungen an die insoweit maßgeblichen Vorschriften der §§ 180a, 181a, 129 StGB tritt der Senat vollinhaltlich den ausführlichen und sorgfältig begründeten Ausführungen des Landgerichts U. bei und verweist auf diese.
4. Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31.03.1977 (BGHSt 27, 168) die Ansicht vertritt, im Auslieferungsverfahren dürften nicht die gleichen strengen Anforderungen an die Tatbestandserfüllung wie im Revisionsverfahren gestellt werden, vielmehr reiche es aus, wenn sich aus dem Gesamtheit der Urteilsgründe und sonstiger dem Gericht vorliegender Erkenntnisquellen der dringende Verdacht ergebe, dass der Verfolgte den Straftatbestand auch nach deutschem Recht erfüllt habe, trifft dies jedenfalls in diesem Umfang nicht -mehr- zu. Insoweit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nämlich im Rahmen eines Verfahrens der Übernahme der Vollstreckung einer von einem tschechischen Gericht verhängten Freiheitsstrafe in der Slowakei mit Urteil vom 11.01.2017 ausgesprochen (EuGH, Urteil vom 11.01.2017, C-289/15, Grundza), dass Art. 7 Abs. 3 und Art. 9 Abs. 1 Buchst. d des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26.02.2009 (im folgenden: Rb Freiheitsstrafen) geänderten Fassung dahin auszulegen sei, dass die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit als erfüllt anzusehen ist, wenn die der Straftat zugrunde liegenden Sachverhaltselemente, wie sie in dem von der zuständigen Stelle des Ausstellungsstaats erlassenen Urteil wiedergegeben werden, als solche auch im Vollstreckungsstaat, wenn sie sich in dessen Hoheitsgebiet ereignet hätten, einer strafrechtlichen Sanktion unterliegen würden.
Insoweit ist vorliegend, was auch von der Staatsanwaltschaft U. nicht in Abrede gestellt wird, zunächst festzustellen, dass sich aus der im Urteil des Landgerichts G./Kroatien am 08.07.2015 erfolgten Tatbeschreibung nicht ergibt, dass die Taten auch nach deutschem Recht eine Straftat darstellen, da der dort niederlegte Sachverhalt -unabhängig vom Vorliegen einzelner Tatbestandsmerkmale oder der Bezeichnung der Norm- keiner deutschen Strafvorschrift unterfällt. So ergibt sich aus dem Urteil weder, dass die Frauen in Deutschland in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten noch zur Prostitution gezwungen wurden, sondern im Urteil des Landgerichts G./Kroatien vom 08.07.2015 ist ausdrücklich festgehalten, dass die Frauen einer Prostitutionsausübung in Deutschland ausdrücklich zugestimmt haben, mithin diese freiwillig erfolgte. Nach der Entscheidung des EuGH reicht es aber für die Annahme des Vorliegens des Merkmals der beiderseitigen Strafbarkeit weder aus, dass das Recht des ersuchenden Staates ein ähnliches oder vergleichbares Verhalten abstrakt unter Strafe stellt bzw. ein ähnliches Interesse schützt (vgl. EuGH a.a.O; vgl. hierzu allgemein Böhm in: Ahlbrecht/Böhm/Esser/Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2018, Rn. 790) noch - wie die Staatsanwaltschaft meint - nach dem Gesamtsachverhalt der Urteilsgründe der dringende Verdacht bestehen müsse, der mitgeteilte Sachverhalt sei auch nach deutschem Recht strafbar.
Eine derart enge und urteilsbezogene Auslegung des Merkmals der beiderseitigen Strafbarkeit entspricht im Bereich der Vollstreckungsübernahme auch dem Willen des deutschen Gesetzgebers, welcher bei der Umsetzung des Rb-Freiheitsstrafen in das nationale Recht von der ihm nach Art. 7 des RB-Freiheitsstrafen eingeräumten Möglichkeit des Verzichts auf die Prüfung des Merkmals der beiderseitigen Strafbarkeit ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht hat, weil bei Übernahme der Strafvollstreckung für einen anderen Staat die Resozialisierung der verurteilten Person nur zureichend gelingen könne, wenn das dem Verurteilten vorgeworfene Verhalten auch im Inland strafbar sei (BT-Drucks. 18/4347, Seite 109).
5. Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft U. war das Landgericht U. auch nicht von sich aus zur Heranziehung von anderen Erkenntnisquellen zur Begründung des Merkmals der beiderseitigen Strafbarkeit zu Lasten des Verurteilten gehalten.
10 
Zwar ist auch im Exequaturverfahren nach §§ 84 f Abs. 5 Satz 1, 30 Abs. 2 Satz 2 IRG die Durchführung einer Beweisaufnahme durch Heranziehung anderer Erkenntnisquellen grundsätzlich möglich, jedoch bestimmt das Gericht Art und Umfang derselben, ohne an Anträge, Verzichte und frühere Beschlüsse gebunden zu sein (§ 84 f Abs. 5 Satz 2, 30 Abs. 2 Satz 4 IRG). Insoweit steht der Strafvollstreckungskammer ein Ermessen zu (Böhm in Grützner/Pötz/Kress/Gazeas, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Auflage, § 30 Rn. 63). Bei der Ausübung des danach bestehenden Spielraumes ist zu beachten, dass auch nach deutschem Recht die im ausländischen Straferkenntnis getroffenen tatsächlichen Feststellungen Grundlage der Bewertung des Vorliegens des Merkmals der beiderseitigen Strafbarkeit sind (§ 84 a Abs.1 Nr. 2 IRG), die ebensowenig wie die im ausländischen Verfahren getroffenen rechtlichen Schlussfolgerungen nachgeprüft werden dürfen. Auch die Frage des Tatverdachts fällt ebenso wie die Würdigung der Beweise im Allgemeinen in die alleinige Zuständigkeit des Urteilsstaates (vgl. hierzu Bt-Drucks. 18/4347 S.110). Schon aus diesem Grund verbietet sich die Heranziehung anderer Erkenntnisquellen, wenn hierdurch die durch den Urteilsstaat getroffenen Tatsachenfeststellungen in Frage gestellt werden würden. Die von der Staatsanwaltschaft der Sache nach vorliegend für erforderlich angesehene Einholung von ergänzenden Informationen bei den kroatischen Justizbehörden zur Begründung des Merkmals der beiderseitigen Strafbarkeit hätte - jedenfalls vorliegend - letztendlich die Durchführung einer dem Exequaturverfahren fremdem eigenen gerichtlichen Bewertung zur Verlässlichkeit solcher nicht im Urteil wiedergegebenen Sachverhaltsfeststellungen erfordert (vgl. hierzu auch Hüttemann StV 2016, 519). Unabhängigkeit davon hätte sich eine solche Sachaufklärung vorliegend auch nicht aufgedrängt, weil die durch das Landgericht G./Kroatien abgeurteilten Straftaten in Deutschland verübt wurden und die von 22.07.2014 bis zum 27.01.2015 erfolgte Prostitutionsausübung - soweit aus den Akten ersichtlich - für deutsche Strafverfolgungsbehörden keinen rechtlich erheblichen Tatverdacht begründen konnten. Inwieweit der Grundsatz der bestmöglichen Sachaufklärung zu Gunsten eines Verurteilten hiervon abweichend eine solche Aufklärung gebieten könnte (vgl. hierzu BVerfG StV 2017, 244; vgl. auch Grotz in: Grützner/Pötz/Kreß/ Gazeas, a.a.O., § 52 Rn. 3; Bt-Drucks. 18/4347 S. 110), musste der Senat nicht entscheiden, weil eine solche Fallgestaltung nicht vorliegt.
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Mangels Entscheidungserheblichkeit konnte auch die der gerichtlichen Aufklärungspflicht vorgelagerte grundsätzliche Frage offenbleiben, ob und in welchem Umfang von der Staatsanwaltschaft beim Urteilsstaat aufgrund eigener Veranlassung etwaig eingeholte ergänzende Informationen im Exequaturverfahren überhaupt verwertet werden dürfen. Insoweit neigt der Senat zur Ansicht, dass jedenfalls im Bereich der Übernahme der Strafvollstreckung das Merkmal der beiderseitigen Strafbarkeit allein nach dem Inhalt des übermittelten Urteils geprüft werden kann und darf und ergänzende Information des Urteilsstaates zu Lasten eines Verurteilten nur insoweit verwertet werden dürfen, als diese auf offensichtlichen Erkenntnissen, wie etwa zum Alter einer Person, beruhen. Da die vorliegende Entscheidung auf dieser Bewertung aber nicht beruht, bedurfte es einer Vorlage an den EuGH nicht (Art. 267 Abs. 3 AEUV).
III.
12 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO, § 77 IRG.

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