Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 251/22

Tenor

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 28.07.2022 wird abgelehnt.

Gründe

 
I.
Mit Aushang vom 15.11.2021 traf die Justizvollzugsanstalt X. vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie unterschiedliche Maßnahmen zur Regelung der Besuche von Gefangenen. Der Antragsteller, Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt, beanstandete die Regelungen, dass der Besuch auch geimpfter bzw. genesener Insassen an einem Zwei-Meter-Tisch mit Plexiglasaufsteller ohne Kontakt durchzuführen ist, die Besucheranzahl auf eine Person beschränkt wird, alle Insassen und Besucher während des gesamten Besuchs eine FFP2-Maske zu tragen haben und die Terminierung des Langzeit- und Familienbesuchs bis auf weiteres ausgesetzt wurde. Die mit Aushang vom 15.11.2021 getroffenen Regelungen sind nicht mehr in Kraft.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28.07.2022, dem Antragsteller am 03.08.2022 zugestellt, stellte das Landgericht Freiburg fest, dass der Aushang der Antragsgegnerin vom 15.11.2021 insoweit rechtswidrig war, als der Langzeit- und Familienbesuch bis auf weiteres ausgesetzt wurde. Im Übrigen wies das Landgericht den Antrag des Antragstellers als unbegründet zurück.
Soweit seine Anträge zurückgewiesen wurden, beantragt der Antragsteller mit bei Gericht am 09.08.2022 eingegangenen Schreiben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines (namentlich benannten) Rechtsanwalts für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde.
II.
Die Anträge des Antragstellers sind abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat, § 120 Abs. 2 StVollzG i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.
1. Der Ablehnung des Antrags steht zunächst nicht entgegen, dass die mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung aufgeworfene Rechtsfrage, welchen Beschränkungen Besuche von Strafgefangenen im baden-württembergischen Strafvollzug im Hinblick auf die Corona-Pandemie unterworfen werden dürfen, bislang - soweit ersichtlich - noch nicht obergerichtlich entschieden wurde.
a) Soweit die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig ist, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint, darf die Prüfung der Erfolgsaussichten nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zwar nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (BVerfGE 81, 347, 357). Dabei muss Prozesskostenhilfe allerdings nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Denn die Ablehnung von Prozesskostenhilfe kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung auch dann gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8.12.2020 - 1 BvR 149/16, juris = BayVBl 2021, 247).
b) Für die vorliegend zu beurteilende Rechtsfrage ist danach zunächst von ausschlaggebender Bedeutung, dass die in Frage stehenden Beschränkungen des Gebots räumlichen Abstands, der Beschränkung der Besucherzahl und des Tragens einer FFP2-Maske der Verhinderung der Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus in der Justizvollzugsanstalt sowohl zum Zweck der Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit der Anstalt als Teil der Strafrechtspflege als auch zum Schutz der Insassen vor Ansteckung dienten und damit einer Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt entgegenwirken sollten, was gemäß § 20 Nr. 1 JVollzGB III BW das Verbot von Besuchen rechtfertigen und damit auch gegenüber einem Besuchsverbot mildere Beschränkungen begründen kann. Zum anderen gewinnt insoweit Bedeutung, dass der Senat bereits entschieden hat, dass die Einhaltung räumlichen Abstands und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes geeignete und generell verhältnismäßige Beschränkungen bei Zusammenkünften von Menschen im Hinblick auf die Verhinderung der Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus sind (OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 30.3.2021 - 2 Rb 34 Ss 1/21 und 2 Rb 34 Ss 2/21, vom 27.4.2021 - 2 Rb 34 Ss 198/21, vom 11.6.2021 - 2 Rb 35 Ss 94/21, vom 21.12.2021 - 2 Rb 37 Ss 423/21 und vom 25.4.2022 - 2 Rb 37 Ss 25/22, jew. juris; vgl. auch BVerfG NJW 2022, 139). Hinsichtlich der Reduzierung der Besucheranzahl ist zu sehen, dass Beschränkungen zwischenmenschlicher Kontakte ein wirkungsvolles Mittel zur Reduzierung des Infektionsgeschehens darstellen, da das Virus zur Verbreitung neue Wirte benötigt und diese nur bei direktem oder indirektem Kontakt zwischen Menschen findet. Insofern leisten Kontaktbeschränkungen einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung von Virusübertragungen und sind daher ebenfalls geeignete Maßnahmen (vgl. BVerfG, a.a.O.).
2. Die noch verfahrensgegenständlichen mit Aushang vom 15.11.2021 angeordneten Besuchsbeschränkungen fanden ihre Grundlage in § 20 Nr. 1 JVollzGB III BW.
a) Nach dieser Vorschrift - mit der die vorhergehende Regelung in § 25 StVollzG inhaltsgleich übernommen wurde (LT-Drs. 14/5012 S. 217), weshalb die zu § 25 StVollzG ergangene Rechtsprechung auch zur Auslegung von § 20 JVollzGB III BW herangezogen werden kann - kann der Anstaltsleiter Besuche, auf die der Gefangene nach § 19 Abs. 2 Satz 1 JVollzGB III BW grundsätzlich Anspruch hat, untersagen, wenn die Sicherheit oder Ordnung in der Justizvollzugsanstalt gefährdet würde. Sie bildet damit auch die rechtliche Grundlage für gegenüber einem Besuchsverbot mildere Maßnahmen, wie sie die vorliegend mit Aushang vom 15.11.2021 getroffenen Besuchsregelungen darstellen.
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Der gerichtlich voll überprüfbare (KG NStZ 1998, 479; OLG München NStZ 2013, 364) unbestimmte Rechtsbegriff der Sicherheit und Ordnung der Anstalt umfasst die Gesamtheit der Voraussetzungen für ein zivilisiertes und menschenwürdiges Zusammenleben in der Anstalt einschließlich der dafür erforderlichen organisatorischen Abläufe; als Anknüpfungspunkt für Beschränkungen bezeichnet sie neben der äußeren auch die innere Sicherheit im Sinn der Abwendung von Gefahren für Personen und Sachen in der Anstalt, insbesondere auch von Gesundheitsgefährdungen (OLG Stuttgart StV 1988, 441; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 81 StVollzG Rn. 2; Harrendorf/Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 11. Kapitel A Rn. 5 jew. m.w.N.).
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b) Die vom Antragsteller gerügten Maßnahmen in dem Aushang vom 15.11.2021 dienten dem Gesundheitsschutz in Form der Verhinderung der Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus. Der räumliche Abstand von Insasse zum Besucher, die Beschränkung der Anzahl der Besucher sowie das Tragen einer FFP2-Maske waren im Hinblick auf die Ausbreitung des Virus durch Aerosole bei einem hohen Infektionsgeschehen im Winter 2021/2022 im Raum Freiburg hierzu auch geeignet und erforderlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen sich auch geimpfte Personen mit dem Virus anstecken und dieses weiter übertragen können, wobei die Infektiösität schon vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen bestehen kann. Zudem ist offensichtlich, dass angesichts des engen Zusammenlebens innerhalb einer Justizvollzugsanstalt ein besonders hohes Risiko der Ausbreitung der Erkrankung besteht und deshalb im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit als Vollzugseinrichtung Schutzmaßnahmen geboten sind. Bei den angeordneten Beschränkungen handelt es sich dabei um die Maßnahmen mit der vergleichsweise geringsten Eingriffsintensität, weshalb sie im Hinblick auf die Erreichung des damit verfolgten Ziels auch verhältnismäßig sind.
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Soweit bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dem Anstaltsleiter hinsichtlich der Anordnung von Beschränkungen ein Ermessen eingeräumt ist (OLG Nürnberg NStZ 1984, 93; OLG Zweibrücken NStZ 1987, 95; Arloth/Krä a.a.O., § 25 StVollzG Rn. 2), lässt der Aushang vom 15.11.2021 keinen Ermessensfehler erkennen. Aus dem Inhalt der getroffenen Maßnahmen ergibt sich, dass die Belange der Gefangenen, insbesondere ihres durch § 19 Abs. 2 S. 1 JVollzGB III BW generell gewährleisteten Besuchsrechts mit den Belangen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt abgewogen wurden, ohne dass eine Überschreitung der dafür gezogenen Grenzen ersichtlich wäre. So weist der Aushang darauf hin, dass angesichts der damals besonders hohen Gefahr einer Infizierung mit dem Corona-Virus aus Sicht der Anstalt Schutzmaßnahmen notwendig waren. Das Abwägung der Gefahren mit den Belangen der Gefangenen kommt darin zum Ausdruck, dass in dem Aushang nach dem Grad der Gefährdung, der nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen maßgeblich davon beeinflusst ist, ob eine Person geimpft oder (nach überstandener Infektion) genesen ist, abgestufte Anordnungen getroffen wurden. Weiter hat die Justizvollzugsanstalt ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Skype-Telefonate, bei denen das Gesicht des Gesprächspartners vollständig erkennbar und nicht durch eine Maske zum Teil verdeckt ist, weiterhin ermöglicht werden. Angesichts des Umstandes, dass eine Infektiösität bei Vorliegen einer niedrigen Viruslast, wie zum Beispiel in der frühen Phase nach einer Ansteckung, durch einen Corona-Schnelltest nicht immer zuverlässig nachgewiesen werden kann, war es auch nicht ermessensfehlerhaft, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich der getroffenen Besuchsbeschränkungen keine Ausnahme für Personen mit tagesaktuellem negativen Schnelltest vorsah. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers musste die Antragsgegnerin den Gefangenen auch nicht einen Besuch ohne Einschränkungen aber mit der Maßgabe einer anschließenden mehrtägigen Quarantäne ermöglichen, da dies zum einen das Einschleppen des Virus in die Anstalt nicht gleich effektiv verhindert und zum anderen aufgrund des erheblichen organisatorischen Aufwandes die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Vollzugseinrichtung erheblich beeinträchtigt hätte.

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