Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (1. Strafsenat) - 1 StE 3/09 - 8
Tenor
Der Antrag des Verurteilten, die Vollstreckung des Restes der durch Urteil des Senats vom 19. Juli 2010 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung auszusetzen, wird abgelehnt.
Gründe
I.
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Durch Urteil des Senats vom 19. Juli 2010 wurde der Antragsteller wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Urteil ist seit dem 20. Mai 2011 rechtskräftig.
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Nach den Urteilsfeststellungen überbrachte der Verurteilte dem in Deutschland lebenden al-Qaida-Mitglied N.
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- vor dessen Pakistanreise ab dem 13. April 2006 mindestens zwölf neue Entfernungsmessgeräte der Marke Bushnell, drei Frequenzmessgeräte, mindestens zwei Metalldetektoren, ein Richtmikrofon und zwei Wanzendetektoren und
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- vor dessen Pakistanreise ab dem 15. Juli 2006 mindestens 300 € und fünf Entfernungsmessgeräte
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zur Übergabe an al-Qaida-Verantwortliche im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Darüber hinaus übergab er ihm zu demselben Zweck vor einer der beiden vorgenannten Reisen oder vor einem anderen Pakistanaufenthalt des N. (im November 2005 oder über die Jahreswende 2006/2007) folgende Ausrüstungsgegenstände:
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- mindestens fünf weitere Entfernungsmessgeräte und drei Nachtsichtgeräte, davon eines aus sowjetischen Armeebeständen.
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N. übergab das von dem Verurteilten beschaffte Geld und die vorgenannten Gegenstände verabredungsgemäß an al-Qaida-Verantwortliche im pakistanisch-afghani-schen Grenzgebiet (Urteil S. 93 – 95). Die Ausrüstungsgegenstände waren für den Einsatz im militärischen Kampf bestimmt (Urteil S. 294). Als Einzelstrafe für die zeitlich erste Tat verhängte der Senat Freiheitsstrafe von zwei Jahren und für die zweite Tat Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten (Urteil S. 294). Die keiner Reise des N. eindeutig zuzuordnenden Gegenstände fanden bei der Bemessung der Gesamtstrafe Berücksichtigung (Urteil S. 294 f.).
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Der Verurteilte befand sich seit seiner Festnahme am 6. Februar 2009 aufgrund Haftbefehls bis zum Tag der Urteilsverkündung in Untersuchungshaft, durch deren Anrechnung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB mithin 17 Monate und 2 Wochen der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als verbüßt gelten. Da die Halbstrafe 15 Monate beträgt, ist der Halbstrafenzeitpunkt bereits überschritten. Der Zweidrittelzeitpunkt (Verbüßung von 20 Monaten Freiheitsstrafe) wird erst nach weiterer Verbüßung von rund zweieinhalb Monaten erreicht sein.
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Nach Erhalt der Ladung zum Strafantritt hat der Verurteilte mit Verteidigerschriftsatz vom 9. Juni 2011 beantragt, die Gesamtfreiheitsstrafe (gemeint ist deren noch nicht verbüßter Rest) zur Bewährung auszusetzen. Die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB erforderliche Einwilligung hat er erteilt. Zur Begründung seines Antrags hat er ausgeführt, es sei während der Untersuchungshaft zu keinerlei Beanstandungen gekommen. Auch habe er sich nach der Haftentlassung am 19. Juli 2010 – d.h. seit nunmehr einem Jahr – vorbildlich verhalten. Er habe sich nämlich trotz der sehr schwierigen Ausgangslage intensiv bemüht, eine feste Grundlage für sein Leben zu schaffen: Durch einen vor dem Arbeitsgericht Stuttgart geführten Rechtsstreit bemühe er sich, seinen früheren Arbeitsplatz bei der D. AG zu erhalten. Darüber hinaus habe er sich intensiv, aber bislang ohne Erfolg, um andere Beschäftigungsverhältnisse bemüht. Beispielhaft hat er zum Nachweis seiner Bemühungen die Antwortschreiben von acht Unternehmen vorgelegt, bei denen er sich im Frühjahr 2011 in seinem Beruf als staatlich geprüfter Farb- und Lacktechniker oder für kaufmännische Tätigkeiten beworben hatte. Außerdem habe er am 2. März 2011 zur Besserung seiner beruflichen und allgemeinen Qualifikationen ein Studium an der Hochschule P. in dem Studiengang „International Business Communications“ mit dem Abschluss Bachelor of Arts aufgenommen (die Immatrikulationsbescheinigung für das 1. Semester ist dem Antrag beigefügt). Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit könne nicht von ihm verlangt werden, das für den Erhalt eines adäquaten Arbeitsplatzes erforderliche Studium zurückzustellen. Nach wie vor habe er enge soziale Bindungen an seine Eltern und seine Brüder. Auch habe er sich deutlich „von dem Umfeld, welches Gegenstand der Verurteilung war distanziert“ (Verteidigerschriftsatz Bl. 153 <156> d.A.).
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Am 14. Juni 2011 hat der Generalbundesanwalt die Strafvollstreckung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Halbstrafengesuch, längstens jedoch bis zum 17. Oktober 2011, zurückgestellt (Bl. 179 d.A.).
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Die Justizvollzugsanstalt D., in der die Untersuchungshaft ab dem 10. September 2009 vollzogen wurde, hat mit Schreiben vom 20. Juni 2011 mitgeteilt, keine Persönlichkeitseinschätzung abgeben zu können, da Untersuchungsgefangene keinen Behandlungsuntersuchungen des Sozialdienstes und des psychologischen Dienstes der Anstalt unterliegen. Das Verhalten des Verurteilten während des Vollzugs der Untersuchungshaft sei ohne Beanstandungen gewesen (Bl. 192 d.A.). Dies deckt sich mit früheren im Zusammenhang mit Sicherungsmaßnahmen während der laufenden Hauptverhandlung abgegebenen Stellungnahmen derselben Justizvollzugsanstalt, in denen der Verurteilten als ruhig, freundlich, höflich und zuvorkommend beschrieben und ihm beanstandungsfreies Vollzugsverhalten bescheinigt wird (Bl. 186 <187>, 189 d.A.).
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Der Generalbundesanwalt hat sich in seiner Stellungnahme vom 22. Juni 2011 gegen die Reststrafaussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt ausgesprochen (Bl. 180 ff. d.A.).
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Der Senat hat den Verurteilten im Beisein seines Verteidigers am heutigen Tag mündlich angehört. Dabei hat der Verurteilte darauf hingewiesen, dass das erstinstanzliche Arbeitsgerichtsverfahren gegen die D. AG noch nicht abgeschlossen sei. Auch im Anschluss an die mit Verteidigerschriftsatz vorgelegten Absagen habe er sich weiterhin um Arbeit bemüht. Die Arbeitsplatzsuche habe sich aus finanziellen Gründen – er beziehe derzeit Arbeitslosengeld II und wohne bei den Eltern – überwiegend auf den Raum S. konzentriert. Wenn es ihm gelinge, eine Arbeitsstelle zu finden, werde er gleichwohl sein Studium fortsetzen. Den Bachelor-Abschluss werde er dann aber nicht in den derzeit avisierten 2 ½ Jahren erreichen können. Das Studium sei zwar in erster Linie ein Fernstudium. Es habe aber auch Präsenzanteile, insbesondere Klausurtermine und mehrtägige Seminare. Es sei zutreffend, dass seine Einbürgerung zurückgenommen worden sei (nach Angaben des Verteidigers durch Bescheid des Landratsamtes B. vom 3. März 2011) und er dagegen Widerspruch eingelegt habe. Ein Widerspruchsbescheid sei noch nicht ergangen (was der Verteidiger bestätigt hat). Er sei nach wie vor praktizierender Muslim. Er besuche in S. hauptsächlich die D.-Moschee und zuweilen wegen der günstigeren Zeiten des Freitagsgebets auch die S.-Moschee. Auf die Frage, ob er auch wieder in der (vormals) in S.-Z. gelegenen Moschee gewesen sei (Anm. des Senats: gemeint ist die M.-Moschee, die sich nunmehr in S.-B. befindet) hat der Verurteilte erklärt, er sei nach seiner Haftentlassung zwei- bis viermal dort gewesen. Er habe den in Haft befindlichen Mitverurteilten Ö. besuchen wollen, habe aber keine Besuchserlaubnis erhalten. C. (s. dazu Urteil S. 38 f. u.a.) habe er nur einmal nach der Haftentlassung zufällig in einer Moschee getroffen, in welcher der Rechtsanwalt, der ihn im arbeitsgerichtlichen Verfahren vertrete, im Vorstand tätig sei. Man habe nur Höflichkeiten ausgetauscht. Befragt nach den der Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten könne er nur sagen, er akzeptiere das Urteil. Für ihn sei die Sache abgeschlossen und er wolle daran nicht mehr denken. Jeder Gedanke daran führe dazu, dass es ihm schlecht gehe. Er wolle nur noch nach vorne sehen. Auf weiteres Befragen zu seiner Reaktion auf den Tod Usama Bin Ladens durch seinen Verteidiger hat er erklärt, froh gewesen zu sein, als er diese Nachricht gehört habe. Dieses Kapitel sei nunmehr abgeschlossen und Bin Laden habe seine Strafe erhalten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Anhörungsprotokoll Bezug genommen (Bl. 195 ff.).
II.
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Der zulässige Antrag des Verurteilten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB liegen nicht vor.
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Da die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht gegeben sind, weil die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre übersteigt, kommt eine Reststrafaussetzung zur Bewährung vor der Vollstreckung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe nur unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht. Nach dieser Bestimmung kann schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, die Vollstreckung des Restes zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen, und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind. Danach ist neben der Einwilligung des Verurteilten (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) weitere Voraussetzung, dass die Reststrafaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Bei der zu treffenden Prognoseentscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind (§ 57 Abs. 1 Satz 2 StGB).
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1. Schon die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StGB sind nicht gegeben.
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a) Im Gegensatz zu § 56 Abs. 1 StGB stellt die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffende Prognoseentscheidung nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung - weiteren - Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Haftentlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Dieser unterschiedliche Maßstab beruht darauf, dass der Verurteilte die gegen ihn verhängte Strafe bereits teilweise als Freiheitsentzug erlitten hat und im Strafvollzug (zu dem es hier aber noch nicht gekommen ist) resozialisierend auf ihn eingewirkt worden ist (BGHR StGB § 57 Abs. 1 Erprobung 2; Senat, Beschluss vom 04.02.2005, 1 Ws 69/05).Eine Reststrafaussetzung kommt somit nicht in Betracht, wenn die angestrebte Resozialisierung entweder fehlgeschlagen oder noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass der Grad des derzeit noch vorhandenen und nie völlig auszuschließenden Rückfallrisikos im Hinblick auf die bei einem Rückfall drohende Rechtsgutsverletzung hinnehmbar erscheint (Senat a.a.O.). Dabei muss auch berücksichtigt werden, inwieweit einem Rückfallrisiko durch Auflagen und Weisungen (§ 57 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. §§ 56b, 56c StGB) entgegengewirkt werden kann (BGH a.a.O. m.w.N.).
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Verbüßt ein nicht vorbestrafter Verurteilter erstmals eine Freiheitsstrafe und gibt seine Führung während des Vollzugs keinen Anlass zu der Annahme, die Resozialisierung sei misslungen, muss die Feststellung, die Strafe habe ihre spezialpräventiven Wirkungen noch nicht ausreichend entfaltet, weshalb es unverantwortbar sei, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, auf eine aussagekräftige Tatsachengrundlage gestützt werden (Senat a.a.O.).
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b) Gemessen an diesen Kriterien kann dem Verurteilten derzeit keine günstige Prognose gestellt werden.
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Er war zwar vor der zu vollstreckenden Verurteilung unbestraft und hat durch die Verbüßung von nahezu 1 ½ Jahren Untersuchungshaft erstmals Freiheitsentzug erlitten, während dessen Vollzug er sich völlig beanstandungsfrei geführt hat. In dieser Zeit konnte allerdings nicht wie im Strafvollzug resozialisierend auf ihn eingewirkt werden. Von ihm drohen nach wie vor die öffentliche Sicherheit im In- und Ausland bedrohende Unterstützungshandlungen zugunsten islamistischer Terrororganisationen. Es liegen konkrete Tatsachen vor, aus denen sich ergibt, dass die – ohnehin anderen Zwecken dienende – Untersuchungshaft keine resozialisierenden Wirkungen entfaltet hat. Der Verurteilte ist nämlich – wie seine Anhörung durch den Senat ergeben hat – nach seiner Freilassung am Tag der Urteilsverkündung in das Umfeld zurückgekehrt, in dem er radikalisiert wurde. Er hat nicht nur glaubhaft eingeräumt, nach wie vor die S.-Moschee in S., sondern auch die M.-Moschee in S. zu besuchen. Beide Moscheen sind Anlaufstellen für radikale Islamisten, die den Gedanken des kriegerischen Jihad vertreten (zur S.-Moschee s. Urteil S. 39, 42, 109, 164, 169 f.; zur M.-Moschee s. Urteil S. 36, 38 f., 96, 109, 163 ff., 261). Seine durch den Aufenthalt in M. ab Dezember 2007 herbeigeführte Trennung von diesem Umfeld, die den Senat dazu veranlasst hatte, davon auszugehen, dass er seither nicht weiter vorhatte, al-Qaida zu unterstützen (Urteil S. 294), hat er nach seiner Haftentlassung ohne Not aufgegeben. Denn sein Bedürfnis nach Religionsausübung könnte er unproblematisch in anderen, im Raum S. zahlreich vorhandenen Moscheen stillen, die nicht dem radikalen Spektrum zugerechnet werden. Vor dem Hintergrund des Umfeldes, in das er zurückgekehrt ist, geht der Senat davon aus, dass die auf gezieltes Nachfragen der Verteidigung abgegebene Erklärung des Verurteilten, er habe sich über den Tod Bin Ladens gefreut und dieser habe seine gerechte Strafe erhalten, taktischen Erwägungen geschuldet ist und keine Distanzierung von seinen Straftaten beinhaltet. Zu einer ausdrücklichen Erklärung zu seinen Taten, die er in der Hauptverhandlung ausdrücklich bestritten hatte, hat er sich bei seiner Anhörung ohnehin nicht durchringen können. Der Senat übersieht nicht, dass seine ausweichende Antwort, er akzeptiere das Urteil, auf taktische Erwägungen im Hinblick auf die schwebende arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung und die Rücknahme seiner Einbürgerung zurückzuführen sein könnte. Möglicherweise möchte er sich die Option erhalten, die Taten dort zu bestreiten. Seine ausweichende Erklärung stünde dann nicht im zwingenden Zusammenhang mit einer unzureichenden Auseinandersetzung mit seinen Taten. Dass es an dieser fehlt, spiegelt sich aber deutlich wider in der Rückkehr des Verurteilten in sein früheres Umfeld, in dem es zu seiner Radikalisierung kam.
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Das Rückfallrisiko wird auch nicht durch die soziale Integration des Verurteilten geschmälert. Denn sie war auch im Tatzeitraum stets gegeben.
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2. Ungeachtet der ungünstigen Prognose könnte eine Reststrafaussetzung nach Verbüßung der Hälfte der Gesamtfreiheitsstrafe nicht erfolgen, weil keine besonderen Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 StGB vorliegen.
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a) Für die Annahme besonderer Umstände nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt es nicht darauf an, ob diese Ausnahmecharakter haben. Maßgebend ist vielmehr, eine einzelfallbezogene, auf Sinn und Zweck des § 57 Abs. 2 StGB abstellende Gesamtschau der die Tat, die Persönlichkeit und die Entwicklung im Vollzug bestimmenden Faktoren (BGHR StGB § 57 Abs. 2 Umstände 1), wobei in diese Gesamtwürdigung auch die Schuldschwere der abgeurteilten Tat einfließt (BGHR StGB § 57 Abs. 2 Versagung 2).
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b) In die Gesamtabwägung hat der Senat insbesondere folgende Gesichtspunkte eingestellt:
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Zugunsten des Verurteilten war insbesondere zu werten, dass er vor der Verurteilung vom 19. Juli 2010 unbestraft und bis zu seiner Festnahme am 6. Februar 2009 in der elterlichen Familie und beruflich sozial integriert war. Er hat sich vor dem Hintergrund seiner tiefen Religiosität von falschen Ratgebern beeinflussen und radikalisieren lassen. Seine Taten liegen nunmehr bereits fünf Jahre zurück. Sein Vollzugsverhalten während der Untersuchungshaft war völlig beanstandungsfrei. Nach der Haftentlassung ist er wieder zu seinen Eltern gezogen, die nach wie vor zu ihm stehen. Bedingt durch das Strafverfahren, das großes Öffentlichkeitsinteresse ausgelöst und dazu geführt hat, dass durch Internetrecherchen jedermann Einzelheiten über den Gegenstand der Verurteilung abrufen kann, wird der Verurteilte voraussichtlich nur schwer eine neue Anstellung finden. Er sieht sich auch einem noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren zur Rücknahme seiner Einbürgerung ausgesetzt. Gleichwohl bemüht er sich nach Kräften um eine neue Arbeitsstelle und hat im März 2011 ein Studium zur Weiterbildung und Verbesserung seiner Berufsaussichten aufgenommen. Der Antritt zum weiteren Vollzug der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe bedeutet für ihn eine Unterbrechung seines seit nunmehr einem Jahr neu strukturierten Tagesablaufs und damit ein besonderes Übel.
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Gegen eine Entlassung vor Verbüßung von zwei Drittel der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe spricht dem gegenüber, dass bislang keine hinreichende Auseinandersetzung des Verurteilten mit seinen Taten stattgefunden hat. Er ist nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft in das Umfeld zurückgekehrt, in dem sich seine tatauslösende Radikalisierung vollzog. Erst recht steht das Gewicht seiner Taten der vorzeitigen Aussetzung der Reststrafe entgegen. Insoweit ist insbesondere von Bedeutung, dass der Verurteilte eine der gefährlichsten terroristischen Vereinigungen im Ausland durch größere Mengen im Kampf verwendbaren militärischen Geräts (insgesamt 22 Entfernungs-, drei Nachtsicht- und drei Frequenzmessgeräte, zwei Metall- und zwei Wanzendetektoren sowie ein Richtmikrofon) unterstützt hat.
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c) Die Gesamtwürdigung ergibt, dass den zugunsten des Verurteilten sprechenden Gesichtspunkten keine solche Bedeutung zukommt, dass trotz des hohen Unrechts- und Schuldgehalts der Tat eine vorzeitige Aussetzung der Strafe nach § 57 Abs. 2 StGB gerechtfertigt wäre. Das Übel, sich nach einem Jahr in Freiheit der Strafverbüßung stellen zu müssen, teilt der Antragsteller mit sämtlichen Verurteilten, die sich zum Zeitpunkt der Verkündung eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils nicht oder nicht mehr in Untersuchungshaft befinden und sich aus der Freiheit heraus dem Strafantritt stellen müssen. Er konnte auch nicht darauf vertrauen, die Strafe bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder eines Studiums dauerhaft nicht antreten zu müssen. Sein erst im März 2011 begonnenes Studium kann er, sofern es (mit Ausnahme der Präsenztermine) nicht ohnehin auch während des Vollzugs fortgesetzt werden kann, jedenfalls ohne größere Nachteile unterbrechen.
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