Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (2. Strafsenat) - 2 VAs 18/17

Tenor

1. Für die Anträge

a) des Untersuchungsgefangenen B., seines Verteidigers Rechtsanwalt F. und dessen amtlich bestellten Vertreters Rechtsanwalt K. auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung eines Besuchs des amtlich bestellten Vertreters des Verteidigers bei dem Untersuchungsgefangenen durch die Justizvollzugsanstalt aufgrund des Rundschreibens des Ministeriums der Justiz vom 4. Juli 2016 (4100-4-76) wegen fehlender Genehmigung durch den zuständigen Richter und

b) des Untersuchungsgefangenen D. und seines Verteidigers Rechtsanwalt F. auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung eines Verteidigerbesuchs bei dem Untersuchungsgefangenen durch die Justizvollzugsanstalt aufgrund des Rundschreibens des Ministeriums der Justiz vom 4. Juli 2016 (4100 - 4 - 76) trotz Durchführung eines mit Besuchserlaubnis erfolgten Verteidigerbesuchs und Vorlage einer schriftlichen Verteidigervollmacht bei der Justizvollzugsanstalt und der zuständigen Staatsanwaltschaft

ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nach §§ 23 ff. EGGVG nicht eröffnet.

2. Das Verfahren wird, soweit es den zu Ziffer 1. a) genannten Antrag betrifft, nach §§ 119a, 126 Abs. 2 Satz 1 StPO an die zuständige 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Koblenz verwiesen.

3. Soweit es den zu Ziffer 1. b) genannten Antrag betrifft, wird das Verfahren nach §§ 119a, 126 Abs. 2 Satz 1 StPO an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Koblenz verwiesen.

4. Die sofortige Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Mit Telefax vom 6. September 2017 hat der Verteidiger der in der Justizvollzugsanstalt … in Untersuchungshaft befindlichen Antragsteller zu 3 und 4 in deren, im Namen seines amtlich bestellten Vertreters (Antragsteller zu 2) und im eigenen Namen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG gestellt, mit dem er die Feststellung erstrebt, dass die Verweigerung von Verteidigerbesuchen aufgrund des Rundschreibens des Ministeriums der Justiz vom 4. Juli 2016 (4100-4-76, JBl. 2016, 157 ff.) jedenfalls dann rechtswidrig sei und die beteiligten Antragsteller in ihren Rechten verletzte, wenn der Zutritt dem gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 BRAO bestellten Vertreter des Verteidigers oder einem Verteidiger, der einen Untersuchungsgefangenen bereits mit Besuchserlaubnis besucht und nach dem Besuch eine schriftliche Verteidigervollmacht vorgelegt hat, verwehrt werde. In der Antragsbegründung hat er ausgeführt, dass der Antragsteller zu 2 den Antragsteller zu 3 in der Justizvollzugsanstalt …, in die letztgenannter überraschend verlegt worden sei, habe aufsuchen wollen, um die neue Situation zu besprechen. Obwohl der Antragsteller zu 2 das Bestellungsschreiben als bestellter Vertreter des Verteidigers vorgelegt habe, sei der Besuch durch die Justizvollzugsanstalt unter Verweis auf das vorgenannte Rundschreiben des Justizministeriums zurückgewiesen worden, weil keine Genehmigung des zuständigen Richters vorliege. Dem zweiten Teil des Feststellungsantrags liege folgendes zugrunde: Am 23. August 2017 habe er, der Antragsteller zu 1, den Antragsteller zu 4 mit Besuchserlaubnis in der Justizvollzugsanstalt … aufgesucht. Dieser habe ihm schriftlich Verteidigervollmacht erteilt, was er am selben Tag der Justizvollzugsanstalt schriftlich mitgeteilt habe. Diese habe das Schreiben nebst Vollmacht an ihn zurückgesandt. Auch der Staatsanwaltschaft Koblenz habe er am 23. August 2017 mitgeteilt, die Verteidigung übernommen zu haben; seine Beauftragung habe er dabei anwaltlich versichert. Gleichwohl sei ihm am 6. September 2017 der Besuch des Mandanten durch die Justizvollzugsanstalt verweigert worden mit der Begründung, dass hierfür eine ausdrückliche Genehmigung des zuständigen Richters erforderlich sei. In beiden Fällen sei die Verteidigung unzulässig beschränkt worden; es liege ein eindeutiger Verstoß gegen die Regelungen der StPO vor, die nicht vorsehe, dass ein Staatsanwalt oder Richter die Verteidigung eines Beschuldigten „genehmigen“ müsse. Die Maßnahmen der Vollzugsanstalt aufgrund des Erlasses des Justizministeriums seien daher ein unzulässiger Eingriff in die Rechte des Beschuldigten, eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung und ein Eingriff in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts. Da Wiederholungsgefahr bestehe, sei der Feststellungsantrag zulässig.

2

Mit Stellungnahme vom 26. Oktober 2017 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Anträge auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zu verwerfen. Hinsichtlich der Antragsteller zu 2 - 4 sei vom Antragsteller zu 1 bereits kein Vertretungsverhältnis angezeigt worden; hinsichtlich des ersten Teils des Feststellungsantrags sei außerdem eine Verletzung des Antragstellers zu 1 in eigenen Rechten nicht ersichtlich. Darüber hinaus sei der beschrittene Rechtsweg nach § 23 EGGVG unzulässig, da es sich bei den angegriffenen, auf der Grundlage des Rundschreibens über die Ausführung von Beschränkungsanordnungen in der Untersuchungshaft ergangenen Maßnahmen um solche des Untersuchungshaftvollzugs handele, für die der Rechtsweg nach § 119a StPO eröffnet sei. Eine Verweisung an das zuständige Gericht gemäß § 17a GVG müsse gegenwärtig ausscheiden, weil weder dem Antrag noch den beigefügten Anlagen zu entnehmen sei, in welchen Verfahren sich die Antragsteller zu 3 und 4 in Untersuchungshaft befänden und in welchem Stadium das jeweilige Verfahren sei.

3

Nach Zuleitung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft hat der Antragsteller zu 1 Vertretungsvollmachten der Antragsteller zu 2 - 4 vorgelegt und mit Schriftsatz vom 21. November 2017 klargestellt, dass sich die Feststellungsanträge nicht nur gegen die konkreten Besuchsverweigerungen richten, sondern auch gegen die ihnen zugrundeliegende Anordnung des Justizministeriums vom 4. Juli 2016 (4100-4-76). Außerdem hat er mitgeteilt, dass sich der Antragsteller zu 3 im Verfahren 2070 Js 23751/17 der Staatsanwaltschaft Koblenz in Untersuchungshaft befindet, in dem zwischenzeitlich Anklage zum Landgericht Koblenz erhoben worden sei, wo das Verfahren das Aktenzeichen 2 Ks 2070 Js 23751/17 jug. trage. Der Antragsteller zu 4 sei im Ermittlungsverfahren 2010 Js 42708/17 der Staatsanwaltschaft Koblenz in Untersuchungshaft; Anklage sei noch nicht erhoben. Der Antragsteller zu 1 ist - ohne nähere Begründung - weiterhin der Auffassung, dass der Rechtsweg nach § 23 EGGVG eröffnet sei. Hilfsweise beantragt er aber die Verweisung an das zuständige Gericht.

4

Am 23. November 2017 hat die Generalstaatsanwaltschaft die Angaben des Antragstellers zu 1 zu den der Untersuchungshaft der Antragsteller zu 3 und 4 zugrundeliegenden Strafverfahren bestätigt und mitgeteilt, dass die Untersuchungshaft gegen den Antragstellers zu 4 aufgrund eines Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vollzogen wird und mit einer Anklageerhebung in etwa zwei bis drei Wochen gerechnet werden könne.

II.

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Für die im Tenor näher bezeichneten Anträge ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nach §§ 23 ff. EGGVG nicht eröffnet. Die Verfahren sind gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an die nach §§ 119a, 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständigen Gerichte zu verweisen (vgl. Senat, 2 VAs 16, 18, 19/13 v. 10.12.2013; s.a. OLG München, 4 VAs 5/13 v. 21.03.2013, juris).

6

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 26. Oktober 2017 folgendes ausgeführt:

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„Der beschrittene Rechtsweg eines Antrags gemäß § 23 EGGVG (ist) unzulässig, da es sich bei den angegriffenen Maßnahmen (Anm. des Senats: der Justizvollzugsanstalt) - die auf Grundlage des Rundschreibens über die Ausführung der Beschränkungsanordnungen in der Untersuchungshaft ergangen sind - um solche des Untersuchungshaftvollzuges handelt.

8

Anders als nach früherer, bis 31.12.2009 geltender Rechtslage (vgl. dazu OLG Karlsruhe NStZ 1997, 407) ist der subsidiäre (§ 23 Abs. 3 EGGVG) Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG nach der gesetzlichen Neuregelung in § 119a StPO auch bei den Untersuchungshaftvollzug betreffenden abstrakt-generellen Regelungen mit unmittelbarer Außenwirkung, welche über den individuellen Interessenbereich einzelner Inhaftierter hinausgehen, nicht mehr gegeben (OLG Koblenz, Beschl. v. 10.12.2013 - 2 VAS 16, 18,19/ 13; KG NStZ-RR 2011, 388 eine Allgemeinverfügung betreffend - indes ohne weitere Erörterung; KG NStZ-RR 2013, 284; Karlsruher Kommentar/Schultheis, StPO, 7. Aufl. § 119a Rdnr. 3; LR-Hilger StPO, 26. Aufl., § 119 Rn. 160 ff.; LR-Böttcher a.a.O. § 23 EGGVG Rn. 63, 67-69;, Schultheis NStZ 2013, 87, 91). Soweit abweichend hiervon unter Berufung auf die Entscheidung des OLG Hamm von 04.10.2011 (NStZ-RR 2012, 62) bei den Untersuchungshaftvollzug betreffenden abstrakt-generellen Regelungen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 119a StPO als unzulässig angesehen wird, da es sich bei diesen nicht um Angelegenheiten des U-Haft Vollzuges handele (Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Auflage § 119a Rdnr. 4; Münchner Kommentar/Böhm/Werner, StPO, § 119a Rdnr. 10), kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen setzt sich die Entscheidung des OLG Hamm nicht mit der geänderten Rechtslage auseinander, zum anderen war die Frage in dem dort entschiedenen Sachverhalt nicht entscheidungserheblich. Die Regelung des § 119a StPO gilt nach seiner allgemeinen Formulierung („behördliche Entscheidung oder Maßnahme im Untersuchungshaftvollzug“) sowohl für die nach altem Recht von § 119 Abs. 3, 2. Alt., Abs. 6 StPO a.F. erfassten Anordnungen als auch für diejenigen Maßnahmen, die vor der Novellierung nur im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG überprüfbar waren (OLG Koblenz, Beschl. v. 10.12.2013 - 2 VAs 16, 18,19/ 13; KG a.a.O.; LR-Hilger StPO, 26. Aufl., § 119 Rn. 160 ff.; LR-Böttcher a.a.O. § 23 EGGVG Rn. 63, 67-69; Schultheis NStZ 2013, 87, 91). Die Ablösung des letztgenannten, als unangemessen aufwändig erachteten Rechtswegs durch eine „praxisgerechtere“ Lösung war auch ausdrückliches Ziel der Reform (vgl. BT-Drucksache 16/11644, S. 31). Warum hier für Anordnungen in Form einer abstrakt-generellen Regelung mit unmittelbarer Außenwirkung eine Ausnahme erfolgen soll, ist nicht ersichtlich.

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Eine derartige Ausnahme ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass der Antrag nicht durch den Untersuchungsgefangenen, sondern durch dessen Verteidiger im eigenen Namen gestellt wird. Gemäß § 119a Abs. 1 StPO antragsberechtigt sind auch Dritte, sofern sie materiell oder zumindest formell negativ in ihren Rechten betroffen sein können (OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.11.2013 - III-3 Ws 343-344/13 StV 2014, 229 (229); OLG Münchner Kommentar/Böhm/Werner, StPO, § 119a Rdnr. 10).“

10

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Sie entsprechen der von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Senatsrechtsprechung. Ergänzend bemerkt der Senat: Der Begriff der Maßnahme in § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO ist nicht anders auszulegen als in § 109 StVollzG, für den in ständiger Rechtspraxis davon ausgegangen wird, dass Allgemeinverfügungen (abstrakt-generelle Regelungen mit unmittelbarer Außenwirkung) des Anstaltsleiters als „Maßnahmen” im Sinne der Vorschrift statthafter Gegenstand des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG sind (Schultheis NStZ 2013, 87, 91).

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Für das weitere Verfahren vor dem Amts- und Landgericht Koblenz weist der Senat auf die vom Antragsteller zu 1 offensichtlich übersehene gesetzliche Regelung des § 119 Abs. 4 Satz 1 und 3 StPO hin. Die haftgrundbezogenen Beschränkungen während der Untersuchungshaft lassen das Recht auf ungehinderte Kommunikation des Beschuldigten mit dem Verteidiger zwar unberührt (§§ 119 Abs. 4 Satz 1, 148 StPO). Das bedeutet aber nicht, dass jedermann unter Berufung auf die Verteidigereigenschaft den Beschuldigten besuchen könnte. Gemäß § 119 Abs. 4 Satz 3 StPO obliegt es der nach Abs. 2 zuständigen Stelle, d.h. dem Haftrichter bzw. der Staatsanwaltschaft, falls ihr die Ausführung der Beschränkungsanordnungen übertragen worden ist, das Vorliegen der Voraussetzungen für den nichtüberwachten Verkehr nach Satz 1 festzustellen. Nichts anderes ergibt sich aus dem beanstandeten Rundschreiben des Ministeriums der Justiz vom 4. Juli 2016 (4100-4-76).

12

Die Voraussetzungen für die Zulassung der sofortigen Beschwerde an den Bundesgerichtshof (§ 17a Abs. 4 GVG) sind nicht gegeben. Die Rechtsfrage hat zwar grundsätzliche Bedeutung. Sie kann aber durch die Senatsentscheidung 2 VAs 16, 18, 19/13 vom 10. Dezember 2013, die genannten Entscheidungen des Kammergerichts und Literaturstimmen als abschließend geklärt gelten. Da das Oberlandesgericht Hamm sich in seinem Beschluss 1 VAs 72/11 vom 4. Oktober 2011 (a.a.O.), nicht mit der geänderten Rechtslage auseinandergesetzt hat und die Rechtsfrage dort nicht entscheidungserheblich war (der Antrag war bereits aus anderen Gründen unzulässig), ist davon auszugehen, dass das Oberlandesgericht Hamm an seiner von der herrschenden Meinung abweichenden Auffassung künftig nicht festhalten wird.

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