Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (2. Strafsenat) - 2 OLG 6 Ss 184/20
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 8. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 23. September 2020 aufgehoben.
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 11. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seiner Berufung und der Revision zu tragen.
Gründe
I.
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Das Amtsgericht Koblenz verurteilte den anwesenden Angeklagten am 11. Juli 2019 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchter Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 40 Euro. Am 12. Juli 2019 reichte der Verteidiger des Angeklagten einen auf den gleichen Tag datierten Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach beim Amtsgericht ein, indem er namens und mit Vollmacht des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung einlegte. Signiert war das Schreiben mit seinem maschinenschriftlichen Namenszug. Die Übermittlung erfolgte ohne qualifizierte elektronische Signatur. Eine weitere Berufungseinlegung erfolgte nicht.
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Mit Urteil vom 23. September 2020 hat die 8. kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz die Berufung des anwesenden Angeklagten kostenpflichtig als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die über das besondere elektronische Anwaltspostfach durch den Verteidiger mit Schriftsatz vom 29. September 2020 am gleichen Tag – wiederum ohne qualifizierte elektronische Signatur – dem Landgericht Koblenz übermittelte Revision des Angeklagten. Nach der Zustellung des Urteils am 25. September 2020 übermittelte der Verteidiger am 29. Oktober 2020 mit Schriftsatz vom gleichen Tag die Revisionsbegründung – erneut unter Verwendung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs und ohne qualifizierte elektronische Signatur. Der Angeklagte erstrebt mit seinem Rechtsmittel, welches er auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt, die Aufhebung des Urteils und seinen Freispruch oder hilfsweise die Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt dem Hilfsantrag stattzugeben.
II.
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Die Revision des Angeklagten ist zulässig, ihr bleibt jedoch der angestrebte Erfolg sowohl auf den Haupt- als auch den Hilfsantrag versagt. Das Berufungsurteil war aufzuheben, da es an einer Sachurteilsvoraussetzung fehlte. Die Berufung wurde entgegen § 314 Abs. 1 StPO nicht innerhalb der Berufungsfrist formgerecht eingelegt und ist daher unzulässig gewesen. Sie hätte gemäß § 319 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen werden müssen. Dies war nach der Aufhebung des Urteils nun durch den Senat auszusprechen.
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1. Die Revision des Angeklagten wurde durch die Schriftsätze seines Verteidigers jeweils form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet. Die Übermittlung der mit seinem maschinenschriftlichen Namenszug signierten Schriftsätze am 29. September und 29. Oktober 2020 unter Verwendung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs erfüllte jeweils die gemäß § 341 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO zu beachtende Schriftform.
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Gemäß § 32a Abs. 3 StPO wird die Schriftform bei elektronischen Dokumenten dadurch gewahrt, dass sie von der zu verantwortenden Person mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden oder von ihr signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Gemäß § 32a Abs. 4 Nr. 2 StPO gilt der vorliegend verwandte Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts als sicher.
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2. Auf die zulässige Revision ist das Urteil des Landgerichts aufzuheben. Allerdings kann dem weiteren Antrag bzw. Hilfsantrag des Angeklagten nicht entsprochen werden. Vielmehr ist durch den Senat auszusprechen, dass die Berufung als unzulässig zu verwerfen ist.
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a) Bei einer zulässigen Revision hat der Senat von Amts wegen zu überprüfen, ob die Sachurteilsvoraussetzungen für die angefochtene Berufungsentscheidung vorgelegen haben. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Berufung vom Angeklagten innerhalb der einwöchigen Berufungsfrist nach Verkündung des Urteils am 11. September 2019 gemäß § 314 Abs. 1 StPO schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt worden ist. Diese Prüfung ergibt hier, dass die Berufungseinlegung des Angeklagten innerhalb der gebotenen Frist nicht formgerecht erfolgte.
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Die am 12. Juli 2019 vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach des Verteidigers an das elektronische Postfach des Amtsgerichts übermittelte Berufung genügt nicht der Schriftform, da sie ohne qualifizierte elektronische Signatur erfolgte. § 32a Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 StPO war zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung in Rheinland-Pfalz noch nicht anwendbar. Die Landesregierung hat in § 1 der Landesverordnung zur Ausführung des § 15 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung und des § 134 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 6. November 2017 (GVBl. S. 246) von der gemäß § 15 Satz 1 EGStPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht und § 32a StPO für die Einreichung elektronischer Dokumente erst ab dem 1. Januar 2020 mit der Folge für anwendbar erklärt, dass bis zum 31. Dezember 2019 noch § 41a StPO in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung Anwendung fand.
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Bis zum 31. Dezember 2019 genügten daher nach dem mittlerweile außer Kraft getretenen § 41a Abs. 1 Satz 1 StPO an rheinland-pfälzischen Gerichten elektronisch eingereichte Dokumente nur dann der Schriftform, wenn sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen und für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet waren. § 41a Abs. 1 Satz 2 StPO eröffnete zwar die Möglichkeit, per Rechtsverordnung neben der qualifizierten elektronischen Signatur auch ein anderes sicheres Verfahren zuzulassen, welches die Authentizität und die Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sicherstellt. Von dieser Möglichkeit ist jedoch in der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Rheinland-Pfalz vom 10. Juli 2015 (GVGBl. 2015,175 – im Folgenden: ERVLVO) kein Gebrauch gemacht worden (vgl. § 2 Abs. 3 ERVLVO).
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Den Formverstoß hat auch das Landgericht in seinem Urteil erkannt, sich jedoch auf den Standpunkt gestellt, dass durch den Ausdruck des übermittelten Schriftsatzes durch das Amtsgericht innerhalb der Berufungsfrist die Schriftform gewahrt sei. Dem vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Eine Heilung des Formverstoßes kommt im vorliegenden Fall durch den Ausdruck der elektronisch eingereichten Berufungsschrift nicht in Betracht.
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Eine solche Heilungsmöglichkeit haben der Bundesgerichtshof (in Zivil- und Familiensachen: NJW 2019, 2096, 2097; 2015, 1527, 1528) wie auch verschiedene Obergerichte (OLG Zweibrücken, 1 OWi 2 SsBs 68/20 v. 07.05.2020; OLG Rostock, 20 Ws 311/16 v. 06.01.2017 - jeweils nach juris) für den Fall bejaht, dass ein mit einer eingescannten Unterschrift versehener Schriftsatz ausgedruckt wird und zur Akte gelangt. Der Zeitpunkt des Ausdruckens entspricht dabei dem Zeitpunkt des Eingangs des Dokuments, da zu diesem Zeitpunkt eine verkörperte Erklärung beim Gericht vorliegt. Ähnlich wie beim Telefax ist in diesen Fällen damit beim Empfänger eine Kopie des Originals eingegangen.
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Diese Konstellation ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar (so auch OLG Düsseldorf, 2 RVs 15/20 v. 10.03.2020 – juris). Von der lediglich über das besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelten Berufungsschrift gab es ersichtlich keine verkörperte Originalurkunde. Der übermittelte Schriftsatz weist als Urheber lediglich in Computerschrift den Namen des Verteidigers aus. Übermittelt wurde auch keine handschriftlich unterzeichnete und anschließend eingescannte Originalurkunde. Eine verkörperte Erklärung ist erstmals durch das Ausdrucken der Berufungsschrift beim Amtsgericht entstanden. Der mit der Schriftform verfolgte Zweck, nämlich die Identität des Urhebers und dessen unbedingten Willen zu belegen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schreibens zu übernehmen und dieses bei Gericht einzureichen, wird durch den Ausdruck eines im Original nicht abgezeichneten Schriftsatzes nicht gewahrt. Der als Zahlenfolge übermittelte Computertext enthält keine individualisierenden Merkmale, an die eine entsprechende Identifikation oder Authentifizierung geknüpft werden könnte. Die Annahme einer Heilung würde hier eine bloße Umgehung des nach § 41a Abs. 1 StPO in der Fassung bis zum 31. Dezember 2017 zu beachtenden Willens des Gesetzgebers bedeuten, der bei derartigen Übermittlungen die Zwecke der Schriftform – also Identifikation und Authentifizierung – nur bei einer qualifizierten elektronischen Signatur durch den Verantwortlichen ausreichend gewahrt sieht.
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b) Ungeachtet der Frage, ob bei dem vorliegenden Formmangel der Berufungsbegründungsschrift überhaupt eine Wiedereinsetzung in Betracht kommt, hat der Senat über eine solche nicht zu befinden. Zuständig für eine solche Entscheidung wäre allenfalls das Landgericht (OLG Frankfurt a. M., 1 Ss 381/15 v. 17.06.2016 – juris mwN). Außerdem fehlt es hier bereits an einer formgerechten Nachholung der Berufungseinlegung. Der Formmangel ist dem Angeklagten aus der Begründung des Berufungsurteils bekannt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Der Angeklagte hat hiernach die Kosten seiner Berufung und Revision zu tragen, da beide im Ergebnis erfolglos waren (MüKoStPO/Maier, 1. Aufl. 2019, StPO § 473 Rn. 63). Die Berufung war unzulässig. Die Revision führte zwar zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, jedoch nicht zu dem angestrebten Erfolg.
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Referenzen
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- § 32a StPO 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 314 Form und Frist 2x
- StPO § 341 Form und Frist 1x
- § 32a Abs. 4 Nr. 2 StPO 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 3 ERVLVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 15 Satz 1 EGStPO 1x (nicht zugeordnet)
- § 32a Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 StPO 1x (nicht zugeordnet)
- § 32a Abs. 3 StPO 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 41a Elektronischer Rechtsverkehr mit Gerichten und Staatsanwaltschaften 4x
- Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 2 RVs 15/20 1x
- 2 SsBs 68/20 1x (nicht zugeordnet)
- 20 Ws 311/16 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 319 Verspätete Einlegung 1x
- 1 Ss 381/15 1x (nicht zugeordnet)