Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (1. Strafsenat) - 1 Ws 513/20
Tenor
Der Antrag des Anzeigeerstatters auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vom 5. Juni 2020 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
- 1
Mit am 27. Februar 2020 bei dem Polizeipräsidium ...[Z] eingegangenem Schreiben (Bl. 6 f. d.A.) erstattete der Antragsteller, der Mitglied der AfD ist, Strafanzeige gegen den Sitzungspräsidenten der vom ...[D] übertragenen Fastnachtssitzung „...“ und den Intendanten des ...[D], da sich der Sitzungspräsident in einer im Rahmen dieser Veranstaltung gehaltenen Rede in einer Art und Weise über die AfD geäußert habe, die mehrere Straftatbestände (u.a. die der Volksverhetzung und Beleidigung) erfülle, wobei insbesondere die Formulierung „unsere Kinder werden nicht mehr für Euch erfrieren, auf keinen Schlachtfeldern mehr krepieren“ beanstandet wurde. Die Staatsanwaltschaft Mainz sah mit Verfügung vom 28. April 2020 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab (Bl. 12 ff. d.A.), da kein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten bestehe. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers vom 17. Mai 2020 (Bl. 18 ff. d.A.) wies die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz mit Bescheid vom 5. Juni 2020 als unbegründet zurück (Bl. 21 f. d.A.). Mit seinem am 13. Juli 2020 beim Oberlandesgericht Koblenz eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Bl. 28 ff. d.A.) erstrebt der Antragsteller die Anordnung der Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Angezeigten wegen Volksverhetzung und Beleidigung. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2020 (Bl. 74 ff. d.A.), den Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Der Anzeigeerstatter hat mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 20. August 2020 (Bl. 83 ff. d.A.) hierzu und mit Schriftsatz vom 16. September 2020 (Bl. 100 ff. d.A.) zu der ergänzenden Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. August 2020 (Bl. 97 f. d.A.) Stellung genommen.
II.
1.
- 2
a) Der fristgerecht eingegangene und formgerecht von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Antrag auf gerichtliche Entscheidung genügt den formellen Anforderungen des § 172 Abs. 3 S. 1 StPO. Der Antragsteller hat den Gang des Verfahrens, den ablehnenden Bescheid der Staatsanwaltschaft und die Beschwerdeentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, den jeweiligen Zugangszeitpunkt sowie den Zeitpunkt der Erhebung seiner Beschwerde angegeben. In der Sache führt er Umstände an, aus denen sich nach seiner Auffassung Anhaltspunkte für eine Straftat im Sinne eines Anfangsverdachts ergeben. Er hat sich auch mit der Begründung der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft in ihren jeweiligen Bescheiden hinreichend auseinandergesetzt, wenn es auch hinsichtlich der Entscheidung der Staatsanwaltschaft an der Mitteilung der Erwägungen zum subjektiven Tatbestand fehlt.
- 3
b) Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, dass § 172 StPO die Statthaftigkeit des Klageerzwingungsverfahrens grundsätzlich nur für den Fall vorsieht, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt Ermittlungen aufgenommen und das Verfahren sodann mangels genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Beschließt - wie im vorliegenden Fall - die Staatsanwaltschaft, von der Aufnahme von Ermittlungen abzusehen, so kann ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 172 ff. StPO ungeachtet dessen, dass er nach der gesetzlichen Konzeption grundsätzlich nur dem Ziel einer unmittelbaren Erhebung der öffentlichen Klage dient, ausnahmsweise auch auf die Aufnahme von Ermittlungen gerichtet werden. Im Falle einer unterlassenen Aufnahme von Ermittlungen hat der Antrag nach gefestigter Rechtsprechung namentlich dann Erfolg, wenn die Ermittlungsbehörden von einer verfehlten Rechtsauffassung ausgegangen sind oder wenn die Ermittlungshandlungen in tatsächlicher Hinsicht unzureichend geblieben sind, weil die Ermittlungsbehörden die Reichweite der Vorschrift des § 152 Abs. 2 StPO verkannt haben (vgl. Senat, 1 Ws 865/19 v. 27.04.2020; 1 Ws 205/17 v. 15.12.2017 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 172 Rn. 1b). Vorliegend richtet sich der Antrag zwar auf die Erhebung der öffentlichen Klage, ist jedoch mangels Durchführung jeglicher Ermittlungen im vorgenannten Sinne auszulegen.
- 4
c) Der Antragsteller ist hinsichtlich der den Angezeigten vorgeworfenen Volksverhetzung gemäß § 130 StGB als Mitglied der AfD auch Verletzter der behaupteten Straftat und damit berechtigt, den Antrag nach § 172 Abs. 2 StPO zu stellen. Verletzter in diesem Sinne ist, wer durch die behauptete Tat - ihre tatsächliche Begehung unterstellt - unmittelbar in seinen Rechten, Rechtsgütern oder rechtlich anerkannten Interessen beeinträchtigt ist (vgl. OLG Koblenz, 1 Ws 315/19 v. 30.09.2019; OLG Bamberg, 3 Ws 47/15 v. 17.12.2015 - juris; KK-StPO/Moldenhauer, 8. Auflage 2019, § 172 Rn. 19). Da die Vorschrift des § 130 StGB neben dem öffentlichen Frieden auch die Menschenwürde jedes Einzelnen schützt (vgl. BVerfG, 2 BvR 1421/05 v. 22.6.2006 - juris; BGH, 1 StR 656/94 v. 15.12.1994 - NJW 1995, 340; KK-StPO/Moldenhauer, a.a.O., § 172 Rn. 23; BeckOK StGB/Rackow, 49. Edition 01.02.2021, § 130 Rn. 10), ist der Angehörige eines durch eine Volksverhetzung betroffenen Bevölkerungsteils in den Fällen des § 130 Abs. 1 und 2 StGB Verletzter (vgl. KK-StPO/Moldenhauer, a.a.O.). Teile der Bevölkerung im Sinne von § 130 Abs. 1 und 2 StGB sind inländische Personenmehrheiten, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und damit individuell nicht mehr überschaubar sind und sich von der Gesamtheit der Bevölkerung aufgrund gemeinsamer innerer oder äußerer Merkmale politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheiden (vgl. BGH, 3 StR 394/07 v. 03.04.2008 - juris; OLG Braunschweig, Ss 2/07 v. 06.03.2007 - juris; OLG Stuttgart, 1 Ws 9/02 v. 23.01.2002 - NJW 2002, 2893; BeckOK StGB/ Rackow, a.a.O., § 130 Rn. 15). Die Mitglieder der Partei AfD stellen als politische Gruppierung einen solchen, insbesondere im Gegensatz zu Bezeichnungen wie „Linke“ oder „Rote“ (vgl. BGH, a.a.O.) auch hinreichend abgrenzbaren Teil der Bevölkerung dar. Zwar weist die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darauf hin, dass zu den in § 130 StGB geschützten Teilen der Bevölkerung nicht institutionalisierte Personenmehrheiten zählen, soweit es um die Institution als solche und nicht - zumindest auch - um die hinter ihr stehenden Menschen geht (vgl. BGH, 1 StR 641/88 v. 19.01.1989 - BGHSt 36, 83, Rn. 31 n. juris „die Bundeswehr“; MüKoStGB/Schäfer, 3. Auflage 2017, § 130 Rn. 32). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Wie der Verfahrensbevollmächtigte zutreffend ausführt, bezieht sich die gegenständliche Rede nicht nur auf die Partei als solche, sondern - zumindest auch - auf ihre Mitglieder und deren politische Einstellung, was durch Formulierungen wie “Ihr“ (etwa „Ihr braunen Wichte“) und „Euch“ (etwa „Eure Gesinnung wird Euch nichts nützen“) sowie die Bezugnahme auf gegebene Interviews und die Person des Fraktionsvorsitzenden ...[E] deutlich wird.
2.
- 5
Der Antrag ist hinsichtlich des Vorwurfs der Volksverhetzung allerdings unbegründet (§ 174 Abs. 1 StPO). Ein Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO setzt Tatsachen voraus, die die Begehung einer Straftat als möglich erscheinen lassen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen hierfür noch nicht aus. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft bei der Frage, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, einen gewissen Beurteilungsspielraum (vgl. Senat, 1 Ws 326/20 v. 10.11.2020; 1 Ws 865/19 v. 27.04.2020; OLG Karlsruhe, 1 Ws 285/19 v. 26.02.2020 - juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 152 Rn. 4). Den Anfangsverdacht schlüssig darzulegen, obliegt hierbei dem Antragsteller (vgl. Senat, 1 Ws 865/19 v. 27.04.2020; 1 Ws 775/17 v. 08.03.2018). Nach diesen Maßstäben besteht kein genügender Anlass zur Anordnung der Aufnahme von Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft haben zutreffend das Vorliegen hinreichender Anknüpfungspunkte zur Annahme eines Anfangsverdachts nach § 152 Abs. 2 StPO verneint, so dass die Staatsanwaltschaft zu Recht von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Angezeigten abgesehen hat. Die gegenständliche Rede ist bereits in objektiver Hinsicht nicht geeignet, den Tatbestand der Volksverhetzung zu erfüllen.
- 6
Der Redetext enthält weder eine Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen noch ein Aufstacheln zum Hass gegen die Mitglieder der AfD. Unter einem - hier allein in Betracht kommenden - Aufstacheln zum Hass im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil oder die betreffende Gruppe zu erzeugen oder zu verstärken (vgl. BVerfG, 1 BvR 232/97 v. 12.11.2002 - NJW 2003, 660; BGH, 3 StR 394/07 v. 03.04.2008 - juris; BeckOK StGB/Rackow, a.a.O., § 130 Rn. 18). Unmittelbare Aktionen bestimmter Art brauchen nicht beabsichtigt zu sein, wohl aber muss es sich um eine Stimmungsmache handeln, die zugleich den geistigen Nährboden für die Bereitschaft zu Exzessen gegenüber der betroffenen Bevölkerungsgruppe liefert (vgl. OLG Brandenburg, 1 Ss 52/01 v. 28.11.2001 - NJW 2002, 1440; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, StGB, 30. Auflage 2019, § 130 Rn. 5a). Da die Vorschrift das Grundrecht der Meinungsfreiheit einschränkt, sind bei der Auslegung die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene zur Geltung kommt (st. Rspr. d. BVerfG, vgl. etwa 1 BvR 1753/03 v. 25.03.2008 - NJW 2008, 2907). Bei der zunächst erforderlichen zutreffenden Erfassung des objektiven Sinns einer Äußerung sind insofern ausgehend vom Wortlaut auch der Kontext und die sonstigen - erkennbaren - Begleitumstände zu beachten (vgl. BVerfG, 1 BvR 1753/03 v. 25.03.2008 - NJW 2008, 2907; 1 BvR 232/97 v. 12.11.2002 - NJW 2003, 660; MüKoStGB/Schä- fer, a.a.O., § 130 Rn. 110). Maßgeblich ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat (vgl. BVerfG, 1 BvR 1753/03 v. 25.03.2008 - NJW 2008, 2907; MüKoStGB/Schäfer, a.a.O.). Fällt die nach diesen Maßstäben gedeutete Äußerung in den Schutzbereich des Art. 5 GG, erfordert die Wahrung der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit in einem zweiten Schritt regelmäßig - mit Ausnahme einer Verletzung der Menschenwürde - eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsgutes (vgl. BVerfG, 1 BvR 1753/03 v. 25.03.2008 - NJW 2008, 2907; 1 BvR 232/97 v. 12.11.2002 - NJW 2003, 660; MüKoStGB/Schäfer, a.a.O., § 130 Rn. 111). Insofern kommt dem Umstand, ob es um Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geht, eine erhebliche Bedeutung zu (vgl. BVerfG, 1 BvR 1423/92 v. 25.08.1994 - NJW 1994, 2943).
- 7
Nach diesen Maßstäben lässt sich der Rede kein Aufstacheln zum Hass im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB entnehmen. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass der Text durch wiederholte Vergleiche mit dem NS-Regime sehr scharfe, abwertende, polemische und verallgemeinernde Äußerungen hinsichtlich der politischen Linie der AfD und ihrer Mitglieder enthält. Die erforderliche besonders intensive Form der Einwirkung (vgl. BGH, 3 StR 394/07 v. 03.04.2008 - juris) im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist insbesondere unter Beachtung des zu berücksichtigenden Kontextes sowie des Umstandes, dass der Redebeitrag die Öffentlichkeit wesentlich berührende Themen zum Gegenstand hatte, dennoch nicht gegeben. Die Generalstaatsanwaltschaft führt hierzu aus:
- 8
„Zwar bedient sich der Redner teils überspitzter bis polemischer Wendungen und Verallgemeinerungen, um seine Missbilligung und Ablehnung auszudrücken. Er überschreitet jedoch nicht die zuvor genannte Grenze. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Rahmens, in dem der Vortrag präsentiert wurde. Es ist das Wesen der politischen Fastnacht, wie sie insbesondere in ...[X] zelebriert wird, dass sich Vortragende in teils deutlich überspitzter Form mit politischen Institutionen, Politikern und dem aktuellen Zeitgeschehen auseinandersetzen, um sich auf diese Weise in karnevalistischer Form am politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen und Kritik zu üben. Der Redner fordert das demokratische Eintreten gegen die - nach seiner Auffassung - bestehenden Bestrebungen gegen die Demokratie und deren Werte. (...) Die AfD hat sich gerade in der Debatte um die Flüchtlingspolitik sowie die historische Auseinandersetzung mit dem Holocaust, beides Punkte, die in dem angegriffenen Vortrag thematisiert werden, in der öffentlichen Diskussion politisch exponiert und kontrovers diskutierte Thesen aufgestellt. Diese wurden in dem Vortrag aufgegriffen und der Vortragende hat sich hiermit anlässlich eines öffentlichen Beitrages in einer Fernsehsendung der politischen Fastnacht in einer dort üblichen sowie dem Brauchtum entsprechenden Weise auseinandergesetzt. Eine solche überspitzte und polemische Kritik muss in der öffentlichen Auseinandersetzung hingenommen werden. Die Äußerungen waren mithin von dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt.“
- 9
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Die Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten in der Antragsbegründung sowie den Schriftsätzen vom 20. August und 16. September 2020 führen nicht zu einer anderen Bewertung. So sind den Äußerungen im Rahmen der Rede insbesondere nicht die Tatsachen zu entnehmen, die AfD werde tatsächlich Kinder „krepieren und erfrieren“ lassen, wenn ihre politischen Vorstellungen realisiert würden, und sei zum Massenmord willens und fähig. Die insoweit erfolgten - ohne Frage polemischen - Übertreibungen dienten vielmehr ersichtlich nur der Verdeutlichung der Auffassung des Redners, wonach die AfD eine Gefahr für die Demokratie und deren Werte darstellt, womit es sich auch bei den überspitzten Formulierungen um Meinungsäußerungen handelt, die eine politische Partei und deren Mitglieder hinnehmen müssen. Auch ändert der Umstand, dass es sich bei der Übertragung der Fastnachtssitzung um eine Unterhaltungssendung handelte, nichts an der Einordnung als politischer Meinungskampf in karnevalistischer Form. Eine öffentliche Auseinandersetzung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist insofern an keine besonderen - insbesondere keine formalen - Voraussetzungen gebunden. Die Generalstaatsanwaltschaft legt in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 28. August 2020 zudem zutreffend dar, dass der Formulierung „Die Demokratie, die werden wir schützen, Eure Gesinnung wird Euch nichts nützen. Sie vor Euch zu schützen, ist erste Bürgerpflicht“ entgegen der Auslegung seitens des Bevollmächtigten nicht der Inhalt zu entnehmen ist, dass jedes - und damit auch gewaltsame - Mittel erlaubt sei, um die Demokratie vor der AfD zu schützen, sondern gerade auch angesichts des Appells an die Bürgerpflicht hierzu die jedem Bürger zustehenden Rechte und Pflichten, die die demokratische Grundordnung bietet, genutzt werden sollen.
- 10
Ein Angriff auf die Menschenwürde im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB lässt sich dem Redetext ebenfalls nicht entnehmen. Ein solcher setzt - unter Beachtung des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts (s.o., BVerfG, 1 BvR 1753/03 v. 25.03.2008 - NJW 2008, 2907) - voraus, dass den angegriffenen Personen "ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft" bestritten wird und sie unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt werden. Das "Menschentum" der Angegriffenen muss bestritten oder relativiert, der Betroffene im Kernbereich seiner Persönlichkeit getroffen werden; die Beeinträchtigung einzelner Persönlichkeitsrechte genügt nicht (vgl. BGH, 3 StR 394/07 v. 03.04.2008 - juris; 1 StR 641/88 v. 19.01.1989 - BGHSt 36, 83, Rn. 31 n. juris). Wie die Generalstaatsanwaltschaft auch insofern zutreffend ausführt, enthält der Redetext, der sich gegen die politische Ausrichtung der AfD und ihrer Mitglieder wendet, keine derartigen, den Kernbereich der Persönlichkeit betreffenden Äußerungen.
4.
- 11
Hinsichtlich des Tatvorwurfs der Beleidigung, bei der es sich gemäß § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO um ein Privatklagedelikt handelt, ist der Antrag bereits nicht statthaft. Zwar ist der Antrag gemäß § 172 Abs. 2 S. 3 StPO nur dann unzulässig, wenn das Verfahren ausschließlich eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden kann. Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, wird der Antrag jedoch hinsichtlich eines Privatklagedelikts auch dann unzulässig, wenn das Privatklagedelikt in Tateinheit mit einem Offizialdelikt vorgeworfen wird, der Verdacht eines Offizialdelikts jedoch - wie hier - nicht begründet ist (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, 1 Ws 225/08 v. 11.12.2008 - Rn. 4 n. juris; OLG Frankfurt a. M., 3 Ws 992/05 v. 09.12. 2005 - NStZ-RR 2006, 47; KK-StPO/Moldenhauer, a.a.O., § 172 Rn. 40).
5.
- 12
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 174, 177 StPO in entsprechender Anwendung (vgl. Senat, 1 Ws 205/17 v. 15.12.2017).
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