Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (Vergabesenat) - 1 Verg 9/10
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 14.05.2010 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Gebührenwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens war die Ausschreibung der Speiseversorgung des Uniklinikums H. Die Antragstellerin hatte nach vorheriger Rüge am 18.12.2009 einen Nachprüfungsantrag gestellt. Mit Schreiben vom 26.02.2010 teilte die Antragsgegnerin den Bietern mit, dass das Vergabeverfahren gemäß § 26 Nr. 1 a VOL/A aufgehoben worden sei, da kein zuschlagsfähiges Angebot eingegangen sei, das die notwendigen Angaben enthalte. Auch das Angebot der Antragstellerin sei ausgeschlossen worden, weil es Ergänzungen an den Verdingungsunterlagen aufgewiesen habe.
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Daraufhin erklärte die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren mit Schreiben vom 15.03.2010 für erledigt. Dem schloss die Antragsgegnerin sich am 15.03.2010 an.
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Mit Beschluss vom 14.05.2010, der Antragstellerin zugestellt am 18.05.2010, stellte die Vergabekammer das Nachprüfungsverfahren wegen Erledigung der Hauptsache ein. Zugleich wurden der Antragsgegnerin die Kosten der Vergabekammer in Höhe von 1.580,13 € auferlegt. Unter Ziffer 3 ihrer Entscheidung stellte die Vergabekammer fest, dass die Antragstellerin ihre Aufwendungen selbst zu tragen habe.
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Gegen die zuletzt genannte Versagung eines Erstattungsanspruches für ihre Aufwendungen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die am 01.06.2010 beim Oberlandesgericht einging. Sie vertritt die Ansicht, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, die notwendigen Auslagen der Antragstellerin zu erstatten, weil sie mit der Aufhebung der Ausschreibung, die dem Hilfsantrag der Antragstellerin entsprochen habe, einem Unterliegen im Nachprüfungsverfahren zuvorgekommen sei. Insofern müsse § 128 Abs. 4 S. 1 GWB entsprechende Anwendung finden, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu finden. Die anders lautende Rechtsprechung des BGH sei hier nicht einschlägig.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den angefochtenen Beschluss zu Ziffer 3 abzuändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Aufwendungen der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung unter Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten zu tragen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie teilt die Auffassung der Vergabekammer, dass eine Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen nicht gegeben sei, da die Vergabekammer keine Sachentscheidung getroffen habe. Außerdem, so trägt sie vor, wäre der Nachprüfungsantrag bei streitiger Entscheidung erfolglos geblieben, nachdem das Angebot der Antragstellerin zu Recht ausgeschlossen worden sei. Die Aufhebung der Ausschreibung sei nur erfolgt, weil letztlich keines der Angebote vollständig gewesen sei.
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Beide Verfahrensbeteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt .
II.
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 116 GWB zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Eine Erstattung der Auslagen (Aufwendungen) der Antragstellerin findet im vorliegenden Verfahren vor der Vergabekammer nicht statt.
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1. Die Antragstellerin kann ihre Ansprüche insbesondere nicht auf § 128 Abs. 4 GWB stützen.
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a) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu dieser Frage ist eindeutig: Erledigt sich das Verfahren vor der Vergabekammer ohne Entscheidung zur Sache, hat der Antragsteller die durch die Tätigkeit der Vergabekammer entstandenen Kosten zu tragen und es findet eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten nicht statt. Auf die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrages kommt es für die Kostenentscheidung daher nicht an (BGH, Beschluss vom 09.12.2003, X ZB 14/03, NZBau 2004, 285 f.).
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Weshalb die Antragstellerin meint, diese Entscheidung des BGH sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar und daher nicht einschlägig, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Zwar handelte es sich dort um die Beschwerde einer Vergabestelle, das ändert aber nichts an der vom BGH getroffenen Entscheidung.
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Die tragende Begründung des BGH, die dieser stets fortgeführt hat (vgl. zuletzt Beschluss v. 24.03.2009, X ZB 29/08, VergabeR 2009, 607 ff.), gilt ohne Zweifel auch für den hier vorliegenden Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung. Denn eine Erstattung gibt es nur, sofern sie vom Gesetz vorgesehen ist. Dies ist im Hinblick auf die Aufwendungen im Verfahren vor der Vergabekammer nicht der Fall.
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c) Die Anrufung der Vergabekammer durch die Antragstellerin war weder erfolgreich, noch hat es eine abhelfende Entscheidung einer Vergabeprüfstelle gegeben, wie § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB dies voraussetzt.
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aa) Nach § 128 Abs. 4 Satz 2 GWB hat ein Beteiligter die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Auslagen seines Gegners zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt (vgl. BGH, Beschluss v. 25.10.2005, X ZB 22/05, NZBau 2006, 196 f.; der auf einer Divergenzvorlage des OLG Düsseldorf wegen einer Entscheidung des erkennenden Senates [Beschl. v. 04.01.2005, 1 Verg 19/04, VergabeR 2005, 547 ff.] beruht). Mit diesem Beschluss vom 25.10.2005 hat der Bundesgerichtshof nicht nur entschieden, dass die Rücknahme des Nachprüfungsantrags kein Unterliegen im Sinne dieser Vorschrift darstellt, sondern hat auch die Voraussetzungen der Auslagenerstattung grundsätzlich definiert und auf die geregelten Fälle des § 128 Abs. 4 i.V.m. § 80 VwVfG begrenzt. Ein Unterliegen eines Beteiligten setzt danach in jedem Fall eine Sachentscheidung voraus (vgl. BGH, a.a.O. Ziff. II. 3. a) des Beschlusses), die hier gerade nicht getroffen wurde. Die von der Antragstellerin mit ihrem Rechtsmittel erstrebte analoge Anwendung des § 128 Abs. 4 S. 1 GWB ist daher nach der Rechtsprechung des BGH ausdrücklich ausgeschlossen.
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bb) Auch der erkennende Senat hatte schon zuvor die Ansicht vertreten, dass diese Vorschrift auf ein Unterliegen bzw. Obsiegen in formeller Hinsicht abstellt, also auf ein Unterliegen bzw. Obsiegen aufgrund einer Entscheidung der Vergabekammer, welches sich im Verhältnis des Entscheidungsausspruches zu den Sachanträgen des jeweiligen Verfahrensbeteiligten äußert (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats v. 28.09.2001, 1 Verg 9/01; VergabeR 2002, 200, v. 23.04.2003, 1 Verg 1/03; v. 12.01.2004, 1 Verg 13/03; v. 28.06.2004, 1 Verg 5/04, OLGReport 2004, 420; v. 16.12.2004, 1 Verg 15/04, und v. 22.02.2005, 1 Verg 1/05).
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d) Die Antragstellerin kann ihren Erstattungsantrag auch nicht auf das in § 128 Abs. 4 Satz 3 GWB für entsprechend anwendbar erklärten Verwaltungsverfahrensgesetze des Landes Sachsen-Anhalt stützen. In dem hier maßgeblichen § 80 VwVfG des Bundes (i.V.m. § 1 VwVfG LSA) ist nämlich eine Kostenauferlegung für den Fall der anderweitigen Erledigung ebenfalls nicht vorgesehen.
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2. Die analoge Anwendung anderer verfahrensrechtlicher Vorschriften ist mangels plan-widriger Regelungslücke auch nicht möglich.
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a) Eine analoge Anwendung des § 91 a ZPO bzw. des § 161 Abs. 2 VwGO muss nach der eindeutigen Rechtsprechung des BGH ausscheiden (vgl. BGH, Beschluss v. 09.12.2003, a.a.O.). Denn aus § 128 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 GWB ist zu ersehen, dass der Gesetzgeber den Fall der Beendigung des Nachprüfungsverfahrens durch (...) dessen anderweitige Erledigung gesehen hat (so BGH, Beschluss v. 25.10.2005, a.a.O. Ziff. II, 3. d). Gleichwohl hat er nur eine Regelung über die Höhe der in diesen Fällen zu entrichtenden Gebühr nach § 128 Abs. 2 GWB getroffen. Unter diesen Umständen kann eine planwidrige Regelungslücke, die für die Heranziehung der Grundsätze über die Analogie notwendig wäre, nicht darin gesehen werden, dass für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer anders als für das zivilgerichtliche Streitverfahren oder das verwaltungsgerichtliche Verfahren eine Kostenerstattung auch im Falle der übereinstimmenden Erledigung nicht vorgesehen ist.
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b) Es muss deshalb bei dem allgemeinen Kostengrundsatz bleiben, dass derjenige, der wegen eines Verfahrens, das er anstrengt oder an dem er sich beteiligt, etwas aufwendet, diese Auslagen selbst zu tragen hat (vgl. BGH, Beschluss v. 24.03.2009, a.a.O.).
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3. Ein Antragsteller, der dennoch nach Erledigung des Nachprüfungsverfahrens die Erstattung seiner Auslagen vor der Vergabekammer anstrebt, bleibt aber nicht rechtlos. Es steht ihm frei, den vom Gesetzgeber aufgezeigten Weg zu beschreiten und nach der übereinstimmenden Erledigung der Hauptsache einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gemäß § 114 Abs. 2 GWB zu stellen, wenn er meint, dass sein Nachprüfungsantrag ohne das erledigende Ereignis begründet gewesen wäre.
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a) Nach dieser Vorschrift stellt die Vergabekammer, wenn sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Verfahrens vor der Vergabekammer oder in sonstiger Weise erledigt hat, auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat. Zwar setzt dieser Feststellungsantrag als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein Feststellungsinteresse voraus. Ein solches Feststellungsinteresse kann aber durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art gerechtfertigt sein, wenn die beantragte Feststellung geeignet ist, die Rechtsposition wenigstens zu verbessern (vgl. OLG Düsseldorf, 23.3.2005, Verg 77/04; OLG Jena, 30.3.2009, 9 Verg 12/08). Das Feststellungsinteresse kann sich deshalb schon daraus ergeben, dass ein Antragsteller darauf angewiesen ist, nach Erledigung des Vergabekammerverfahrens aus Kostengründen eine Entscheidung der Kammer zur Sache herbeizuführen. Insofern ist auch die Abwendung einer nachteiligen Auslagenentscheidung ein berechtigtes Interesse, das im Rahmen eines Feststellungsantrages als ausreichend angesehen werden kann. In einem solchen Fall hat die Vergabestelle gemäß § 128 Abs. 4 GWB als unterliegende Partei die Aufwendungen des Gegners für dessen zweckentsprechende Rechtsverfolgung zu tragen, wenn der Feststellungsantrag begründet ist (vgl. Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster, Beschluss v. 22.09.2009, VK 13/09).
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b) Dieser Schritt, über einen Feststellungsantrag zur Auslagenerstattung zu gelangen, mag aus Sicht der Verfahrensökonomie auf den ersten Blick nicht ideal erscheinen. Er ergibt sich aber zwingend aus der Gesetzeslage und der Kostenrechtsprechung des BGH, der eine “Billigkeitsentscheidung” bei Erledigung des Verfahrens ohne Sachentscheidung entgegen der Ansicht mancher Vergabekammern (so z.B. VK Köln, Beschluss vom 19.08.2009 - VK VOB 11/2009; VK Arnsberg, Beschluss vom 12.02.2008 - VK 44/07) ausdrücklich nicht zulässt.
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c) Außerdem verhindert der dargestellte Übergang zum Feststellungsantrag, dass die Frage der Begründetheit des ursprünglichen Nachprüfungsantrages nur in die Entscheidung über die Auslagenerstattung verlagert würde. Denn auch nach der zitierten abweichenden Auffassung mancher Vergabekammern setzt die Billigkeitsentscheidung zu Gunsten des Antragstellers voraus, dass die Vergabestelle mit dem erledigenden Ereignis (hier: Rücknahme der Ausschreibung) quasi ein Anerkenntnis des voraussichtlichen Erfolgs des Nachprüfungsantrags abgegeben hat. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist aber oft streitig, wie auch im vorliegenden Fall, so dass hierüber regelmäßig ohnehin entschieden werden müsste.
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d) Von der gesetzlichen Möglichkeit des § 114 Abs. 2 GWB hat die Antragstellerin hier jedoch keinen Gebrauch gemacht.
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Die Entscheidung über die Kosten des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO in entsprechender Anwendung (BGHZ 146, 202, 216 f.).
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