Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Strafsenat) - 1 Ws 105/13

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal vom 18. Dezember 2012 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

1

Mit Beschluss vom 18. Dezember 2012 (504 StVK 180/12) hat die große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal – erneut - die Fortdauer der aufgrund des seit dem 15. November 2005 rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Halle vom 07. November 2005 (21 Ks 160 Js 7415/05 (7/05)) bestimmten Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Untergebrachte befindet sich – zunächst vorläufig nach § 126a StPO - seit dem 04. März 2005 in der Maßregelvollzugseinrichtung.

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Gegen den seiner Verteidigerin am 07. Januar 2013 zugestellten Beschluss richtet sich die mit anwaltlichem Schriftsatz vom 07. Januar 2013 eingelegte und am selben Tag bei dem Landgericht Stendal eingegangene sofortige Beschwerde des Betroffenen.

II.

3

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1, 311 StPO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

4

Auch nach Auffassung des Senats kommt derzeit weder eine Erledigung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 StGB in Betracht, noch kann die weitere Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt werden, weil noch nicht zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67d Abs. 2 S. 1 StGB).

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Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zustimmend auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg mit Zuschrift vom 12. Februar 2013 Bezug, die u. a. wie folgt lauten:

6

„Gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklären, wenn das Gericht nach Beginn der Unterbringung feststellt, dass die Voraussetzungen der Maßregelanordnung entweder von Anfang an nicht bestanden haben oder aber später weggefallen sind. Dies ist dann der Fall, wenn der Zustand, aufgrund dessen Feststellung die Unterbringung erfolgt ist, nicht mehr vorliegt, mithin die psychische Störung des Betroffenen beseitigt ist oder wenn die von § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeit des Betroffenen im Rahmen der Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung durch die Strafvollstreckungskammer nicht mehr festgestellt werden kann (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 67d Rn. 23).

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Die Strafvollstreckungskammer ist in ausführlicher Würdigung der sich aus der schriftlichen fachärztlichen Stellungnahme der Vollzugseinrichtung vom 27.09.2012 (Bd. II Bl. 72 d. VH) ergebenden Diagnose, die im Termin zur mündlichen Anhörung von der Dipl.-Psychologin K. erläutert und ergänzt worden ist und der sich aus dem persönlichen Eindruck von dem Betroffenen im Anhörungstermin ergebenden Erkenntnisse zutreffend zu der Einschätzung gelangt, dass der zur Unterbringung führende psychische Zustand des Betroffenen und dessen Gefährlichkeit fortbesteht.

8

Die Kammer konnte rechtsfehlerfrei ihre Entscheidung über die weitere Unterbringung auf die Stellungnahme der Klinik stützen.

9

Danach liegt bei dem Betroffenen diagnostisch weiterhin eine paranoide Schizophrenie, unvollständige Remission (ICD-10: F 20.4) vor, wie sie seinerzeit von dem durch die Kammer beauftragten Sachverständigen Dr. med. W. vom 23.06.2007 getroffen worden ist. Diese Diagnose entspricht dem Befund, den der Sachverständige Prof. Dr. M. im Gutachten vom 02.09.2010 festgestellt hat, wonach der Betroffene neben der paranoiden Schizophrenie, unvollständige Remission (ICD-10: F 20.04) zusätzlich an einer Grand-Mal-Epilepsie leide.

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Das Gutachten vom 02.09.2010 konnte die Kammer rechtsfehlerfrei ihrer Entscheidungsfindung zugrunde legen. Denn es entspricht den Anforderungen, die an ein unparteiisches Prognosegutachten nach § 463 Abs. 4 StPO zu stellen sind. Obgleich die Formulierung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 27.05.2010 (Bd. I Bl. 182-183 d. VH), mit dem sie Prof. Dr. med. J. M. mit der Fertigung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob von dem Betroffenen aufgrund seiner psychiatrischen Erkrankung weitere rechtswidrige Taten zu erwarten seien und unter welchen Voraussetzungen eine günstige Täterprognose gestellt werden könne, § 463 Abs. 4 StPO, beauftragt hatte, darauf schließen lässt, dass das Gericht praktisch den Fortbestand der psychiatrischen Erkrankung des Betroffenen vorausgesetzt hat, so bestehen noch keine Zweifel daran, dass der Sachverständige seine Begutachtung unvoreingenommen durchgeführt und nicht lediglich ungeprüft zuvor gestellte Diagnosen übernommen hat. Dies hat auch seinerzeit schon der Senat so gesehen. Denn insoweit hatte er dieses Gutachten seiner Entscheidung vom 19.04.2012 (1 Ws 148/12), mit der die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 20.12.2011 (Bd. II Bl. 33-37 d. VH) als unbegründet verworfen hat (Bd. II Bl. 57-59 d. VH), zugrunde gelegt.

11

Zutreffend gelangte die Strafvollstreckungskammer zu der Einschätzung, dass eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung gegenwärtig nicht in Betracht kommt, da das Erprobungswagnis i. S.d. § 67d Abs. 2 Satz 1 StPO noch nicht verantwortet werden kann. Es lässt sich nicht feststellen, dass sich die Gefährlichkeit des Betroffenen durch die bisherige Behandlung in der Unterbringung im Maßregelvollzug, die bislang zu keinen Fortschritten geführt hat, für eine Entlassung im ausreichenden Maß verringert hat.

12

Vorrangig ist dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Betroffene nach wie vor keine Einsicht in Bezug auf seine Erkrankung hat und aus diesem Grund auch jegliche Behandlung ablehnt. Der Umstand, dass der Betroffene nach wie vor die empfohlene Medikation abgelehnt habe, hat dazu geführt, dass bereits im Juli 2011 bestehende erste Lockerungsstufen ausgesetzt werden mussten. Der Betroffene beharrt (dabei auch sein offenkundiges Unvermögen einer selbständigen Lebensführung verkennend) auf einer Entlassung in sein altes häusliches Umfeld (das gar nicht mehr existiert), fordere die Aufhebung der Gottesurteile und wirke daher an realitätskonformen zukunftsgerichteten Überlegungen in keiner Weise mit. Diese Einschätzung des Landeskrankenhauses spiegelt sich auch in der Anhörung des Betroffenen am 03.12.2012 wider, im Rahmen derer er angegeben habe, das ganze Verfahren nicht zu verstehen, die Aufhebung des Gottesurteils begehre, wieder nach Hause wolle, keine Tabletten brauche und letztlich seine Frau es gewesen sei, die alles kaputt gemacht habe.

13

Schon im Gutachten vom 02.09.2010 hatte der Sachverständige darauf hingewiesen, dass außerhalb einer gesicherten Einrichtung - hier das Landeskrankenhaus - und ohne die derzeit noch notwendige enge Kontrolle, auch unter Berücksichtigung früherer Erfahrungen, mit einer erneuten Zuspitzung der psychotischen Symptomatik, mit einer Erhöhung der Wahndynamik, mit einer Verstärkung des Erlebens von Bedrohtsein und - ohne weiteren Halt - mit einer alsbaldigen sozialen Desintegration als weiteren Risikofaktor für gefährliches Handeln anderen gegenüber zu rechnen wäre (SH „medizinisch-psychologisches Gutachten Prof. Dr. M. vom 02.09.2010“, S.48).

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Die weitere Vollstreckung der seit nahezu 8 Jahren andauernden Unterbringung des Betroffenen ist auch noch verhältnismäßig (§ 62 StG).

15

Zwar kann bei sehr lang andauernden Unterbringungen - trotz negativer Kriminalprognose - aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Entlassung des Untergebrachten angezeigt sein, wobei es zunächst auf die Art und Schwere der Anlass- bzw. Unterbringungstat und besonders auf die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls ankommt (Beschluss des OLG Naumburg vom 15.07.2011 - 1 Ws 577/11 -).

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Vorliegend indes hat der Vollzug der Unterbringung noch nicht die Dauer erreicht, bei deren Erreichen die Aufhebung der Maßregel aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zwingend erfolgen müsse. Mit Rücksicht auf den hohen Rang des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit, dessen Verletzung der Gesetzgeber strafrechtlich im Höchstmaß mit einer über die Dauer der bisher vollzogenen Unterbringung liegenden Freiheitsstrafstrafe sanktioniert hat, muss angesichts der von dem Betroffenen weiter ausgehenden Gefahr gleichartiger Delikte sein Freiheitsrecht derzeit dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden Rechtsgutverletzungen zurücktreten.“

17

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass obgleich die mit der vormaligen Entscheidung durch Beschluss vom 20. Dezember 2011 gemäß § 67e Abs. 4 S. 2 StGB erneut beginnende Überprüfungsfrist des § 67e Abs. 2 2. Alt. StGB mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Dezember 2012 nicht überschritten worden ist, die Strafvollstreckungskammer bei der erneuten Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung gehalten sein wird, hierüber bis spätestens 15. November 2013 zu entscheiden. Die Wahrung der Grundrechte des Untergebrachten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. November 2011, 2 BvR 1665/10) gebietet es, deren verfahrensrechtlichen Absicherung durch die Bestimmung einer Höchstfrist zur Überprüfung auch insoweit Geltung zu verschaffen, dass im Hinblick auf den bisherigen Gesamtverlauf der Unterbringung kein – zeitliches - Überprüfungsdefizit durch die im Einzelfall nicht korrigierte Verlängerung der einzelnen Überprüfungsabstände eintritt und gegebenenfalls über die weiteren Jahre hinweg perpetuiert wird.

18

Der entscheidende Zeitpunkt für den Beginn des Laufs der Fristen für die periodische Überprüfung nach § 67e Abs. 4 S. 1 StGB ist hier der Eintritt der Rechtskraft des die Unterbringung des Betroffenen anordnenden Urteils vom 07. November 2005 am 15. November 2005, da sich der Betroffene zuvor in einstweiliger Unterbringung gemäß § 126a StPO befand, sodass es auf nicht auf seinen tatsächlichen Aufenthalt in einer Unterbringungseinrichtung ankommt (vgl. LK-Rissing-van Saan/Peglau, 12. Aufl, StGB, § 67e Rn. 20). Es ist nun Sorge zu tragen, dass die Überprüfungen der Fortdauer der Unterbringung mindestens einmal jährlich bis zum 15. November des Jahres erfolgen, um so auch insgesamt für die gesamte Unterbringungsdauer die jeweilige Einhaltung der Höchstfrist des § 67e Abs. 2 2. Alt. StGB zu gewährleisten.

III.

19

Die Kostenfolge beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.


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