Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Strafsenat) - 2 Ss 79/13

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bernburg - Schöffengericht - vom 15. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an ein anderes Schöffengericht des Amtsgerichts Bernburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

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Das Schöffengericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zur Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich seine Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und mit den Verfahrensrügen beanstandet, dass

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1. nicht das Schöffengericht, sondern der Strafrichter für die Sache zuständig gewesen sei (Verletzung der §§ 338 Nr. 4 StPO, 25 GVG) und

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2. die Hauptverhandlung teilweise in Abwesenheit eines notwendigen Verteidigers stattgefunden habe (Verletzung der §§ 338 Nr. 5 StPO, 140 Abs. 2 StPO).

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

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Die Revision dringt mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO i. V. m. § 140 Abs. 2 StPO durch.

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1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Verhandlung und Entscheidung der Sache durch das Schöffengericht anstelle des Strafrichters frei von Rechtsfehlern. Der Strafrichter ist im Verhältnis zum Schöffengericht das Gericht „niederer Ordnung“ (vergl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, Rdnr. 5 zu § 269). Verhandelt ein Gericht „höherer Ordnung“ anstelle eines solchen, dessen Zuständigkeit auch in Betracht kam (hier: Schöffengericht statt Strafrichter), ist dies im Revisionsverfahren nur zu beanstanden, wenn das Schöffengericht seine Zuständigkeit willkürlich angenommen hat (vergl. Meyer-Goßner, a. a. O., Rdnr. 8). Angesichts der von der Revision vollständig mitgeteilten Umstände kann von einer willkürlichen Annahme der Zuständigkeit des Schöffengerichts keine Rede sein.

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Zwar ist grundsätzlich der Strafrichter zuständig, wenn - wie hier - keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu erwarten ist (§ 25 Nr. 2 GVG). Indes ist das Schöffengericht nach einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Mindermeinung auch bei einer geringeren Straferwartung zuständig, wenn die Sache nicht nur von minderer Bedeutung ist (AG Höxter MDR 94,1139; Fuhse NStZ 95,165; Hohendorf NJW 95,1454; Schäfer DRiZ 97, 169; Siegismund/Wickern wistra 93, 137; Kalf, NJW 97, 1489). Angesichts der Vorstrafen des Angeklagten und der Tatsache, dass gegen ihn ein weiteres Verfahren gerichtlich anhängig war (und wohl auch noch ist), in dem ihm unter anderem ein Verbrechen zur Last liegt, ist der Vorsitzende des Schöffengerichts bei der Eröffnungsentscheidung offenbar davon ausgegangen, die Sache sei nicht „von minderer Bedeutung“ und gehöre daher vor das Schöffengericht. Damit hat er sich einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht angeschlossen. Der Bundesgerichtshof (JR 1997, 430, 431) hat darauf hingewiesen, dass die Eröffnung eines Verfahrens, bei dem die Straferwartung unter zwei Jahren liegt, vor dem Schöffengericht bei Annahme einer nicht nur minderen Bedeutung der Sache nicht willkürlich ist, zumal dem Angeklagten gegen die Entscheidung des Schöffengerichts exakt derselbe Rechtsmittelzug offensteht wie gegen eine Entscheidung des Strafrichters.

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2. Dagegen dringt die Rüge, die Hauptverhandlung habe teilweise in Abwesenheit eines notwendigen Verteidigers stattgefunden, durch. Bei Verfahren vor dem Schöffengericht ist, sofern sich die Zuständigkeit dieses Spruchkörpers nicht allein wegen der einem Mitangeklagten zur Last gelegten Tat(en) ergibt, stets gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen (Meyer-Goßner, Rdnr. 23 zu § 140 mit umfangreichen Nachweisen). Hier hat sich der Verteidiger, nachdem er sich in der Hauptverhandlung erneut vergeblich darum bemüht hatte, seine Bestellung zum Pflichtverteidiger zu erreichen, in den Zuschauerraum begeben und den Angeklagten damit – so das Protokoll der Hauptverhandlung – „verteidigungslos gestellt“. Damit war der Angeklagte während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung unverteidigt. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft war dieses Verhalten nicht ungehörig und führt erst recht nicht zu einer Rügeverwirkung. Die von der Generalstaatsanwaltschaft zitierte Entscheidung BGH NStZ 1998, 209 ist nicht einschlägig. Im vorliegenden Fall hatte der Verteidiger bereits am 26. Juni 2012 seine Bestellung zum Pflichtverteidiger beantragt und gegen die unterbliebene Beiordnung am 7. August 2012 Beschwerde eingelegt, ohne dass das Amtsgericht dies zum Anlass genommen hat, die Sache der zuständigen Beschwerdekammer vorzulegen. Nachdem sein erneuter Vorstoß in der Hauptverhandlung, doch noch beigeordnet zu werden, erfolglos geblieben war, war es keineswegs pflichtwidrig, die Verteidigung während eines Teils der Hauptverhandlung nicht fortzuführen, weil er andernfalls dem Angeklagten die Möglichkeit genommen hätte, die in der Nichtbeiordnung eines Pflichtverteidigers liegende Rechtsverletzung im Rechtsmittelzug geltend zu machen.


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