Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg - 1 Ws (RB) 110/14
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal vom 14. August 2014 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Landeskasse trägt die Kosten der Rechtsbeschwerde und die notwendigen Auslagen des Antragstellers.
3. Der Gegenstandswert wird auf 500,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Antragsteller befindet sich seit dem 19. Januar 2012 im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ... . Mit Wirkung vom 20. September 2012 wies ihm die Antragsgegnerin eine Tätigkeit im dortigen Unternehmerbetrieb "B. " zu.
- 2
Der Antragsteller wurde vor Arbeitsantritt von einem Bediensteten u. a. darüber belehrt, dass Arbeitsgeräte und -einrichtungen nicht zu verändern oder zu manipulieren und Defekte bei den Bediensteten/ B. -Angestellten/ Vorarbeitern anzuzeigen sind sowie die Montage der Elektroartikel ausschließlich nach den vorliegenden Modellmustern zu erfolgen hat und die Mitnahme von Materialien, Kleinteilen etc. nicht gestattet ist.
- 3
Mit Schreiben vom 08. Oktober 2012 wandte sich der Antragsteller gemeinsam mit einem Mitgefangenen an die " B. GmbH u. Co. KG – Geschäftsführung" in T. und führte u. a. aus, das bei der Produktion im Unternehmensbetrieb in der Justizvollzugsanstalt ... "schwerwiegende technische Fertigungsmängel offenkundig" geworden seien, die eine "hochgradige Gefahr für den Endverbraucher" darstellen würden. Diesem Schreiben waren zwei schriftliche Produktionsaufträge der Fa. B. GmbH u. Co. KG an die Justizvollzugsanstalt ... im Original beigefügt. Mit weiterem Schreiben vom 24. Oktober 2012 wandte sich der Antragsteller und der Mitgefangene erneut an die " B. GmbH u. Co. KG – Geschäftsführung" und führte zu "weiterhin bestehenden Defizite in der Fertigung des Unternehmerbetriebes in der Justizvollzugsanstalt ... " aus. Diesem Schreiben war ein bei der Herstellung dort gefertigter Elektroschalter "zerstörtes Kontaktblättchen" beigefügt.
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Nach Kenntnis der Schreiben überprüfte die Antragsgegnerin die behaupteten Mängel und stellte bei dem vom Antragsteller gegenüber dem Unternehmen benannten Packstück Produktmängel fest. Die Antragsgegnerin vermutete, dass der Antragssteller vorsätzlich Manipulationen an Einzelbauteilen vorgenommen, diese bewusst in die weitere Verarbeitungskette im Unternehmerbetrieb eingebracht und bis zur Verpackung und Auslieferung an das Unternehmen verfolgt hatte. Des Weiteren nahm sie eine Entwendung betrieblicher Unterlagen sowie von Material (Kleinkabel) durch den Antragsteller an.
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Aufgrund dessen setzte die Antragsgegnerin den Antragsteller ab dem 22. Oktober 2012 "auf Abruf", d. h. sie beschäftigte ihn nicht mehr in dem Unternehmerbetrieb, und leitete ein Verfahren zur Ablösung des Antragstellers von der Arbeit ein. Am 27. November 2012 hörte sie den Antragsteller an. Mit Bescheid vom 07. Dezember 2012, der dem Antragsteller am 13. Dezember 2012 zugestellt wurde, widerrief die Antragsgegnerin die Zuweisung des Antragstellers zur Arbeit im Unternehmerbetrieb "B. ". Den hiergegen gerichteten Antrag des Antragstellers auf Aufhebung des Widerrufsbescheids wies die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal mit seit dem 09. April 2014 rechtskräftigen Beschluss vom 18. Juni 2013 (508 StVK 1775/12) als unbegründet zurück.
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Nachdem der Antragsteller zunächst mit Schreiben vom 29. Oktober 2012 die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt hatte, ihn mit sofortiger Wirkung wieder auf dem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz beim Unternehmerbetrieb "B. " einzusetzen, stellte er seinen Antrag mit Schreiben vom 28. Januar 2013 auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der unterbliebenen Beschäftigung bis zum Zugang des Widerrufs der Zuweisung am 13. Dezember 2012 um.
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Mit Beschluss vom 14. August 2014 (508 StVK 1546/12) stellte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal fest, dass "der nicht erfolgte Arbeitsabruf des Antragstellers in der Zeit vom 22. Oktober 2012 bis zum Zugang des Widerrufs der Zuweisung am 13. Dezember 2012 aufgrund einer zwischenzeitlichen Überprüfung einer Ablösung rechtswidrig war."
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Gegen die der Antragsgegnerin am 19. August 2014 zugestellte Entscheidung des Landgerichts wendet sich diese mit ihrer am 26. August 2014 beim Landgericht Stendal eingegangenen Rechtsbeschwerde vom selben Tage, die sie auf die Verletzung materiellen Rechts stützt. Zur Begründung führt sie aus, es sei möglich, einen Gefangenen, dem ein pflichtwidriges Verhalten im Arbeitsbetrieb vorgeworfen werde, während des Prüfungsverfahrens bis zur Eröffnung des Bescheids, mit der er endgültig von der Arbeit abgelöst wird, auf der Grundlage der §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 17 Abs. 3 Nr. 3 StVollzG vorübergehend nicht mehr zur Arbeit abzurufen.
II.
1.
- 9
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§§ 116 Abs. 1, 118 StVollzG). Sie gibt Anlass, zu der Frage, ob einem Gefangenen bereits vor dem Widerruf der rechtmäßigen Zuweisung eines Arbeitsplatzes vorläufig die zugewiesene Arbeit entzogen werden kann, indem er "auf Abruf gesetzt" wird, mithin während der Arbeitszeit nicht mehr zur Arbeit gerufen wird und auf seinem Haftraum verbleibt, Stellung zu nehmen.
2.
- 10
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Strafvollstreckungskammer hat auf Antrag des Antragstellers unter Zugrundelegung seines berechtigten Feststellungsinteresses im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass eine Rechtsgrundlage für den hier in Rede stehenden vorläufigen Entzug der zugewiesenen Arbeit nicht vorhanden ist, weshalb dieser rechtswidrig war.
- 11
Die Entfernung eines Gefangenen von der ihm zuvor rechtmäßig zugewiesenen Arbeit kann dauerhaft nur unter den Voraussetzungen erfolgen, unter denen ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt nach § 49 Abs. 2 VwVfG widerrufen werden kann (vgl. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 41 Rn. 2 m. w. Nw.). Dies ist hier mit Widerruf der Zuweisung durch den dem Antragsteller am 13. Dezember 2012 zugegangenen Bescheid erfolgt.
- 12
Für die vorläufige Entfernung sieht das Gesetz die Möglichkeit des § 103 Abs. 1 Nr. 7 StVollzG vor, wonach der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der Bezüge eine zulässige Disziplinarmaßnahme ist. Deren Verhängung setzt allerdings einen schuldhaften Pflichtenverstoß des Gefangenen voraus, der unter Beachtung der in § 106 StVollzG niedergelegten verfahrensrechtlichen Mindesterfordernisse für die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme festgestellt worden ist, sowie die dahingehende Ausübung des Auswahlermessens gemäß § 102 Abs. 1 StVollzG durch den hierzu berufenen Anstaltsleiter voraus. All dies ist nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer nicht geschehen und war auch nach den Ausführungen der Antragsgegnerin nicht Ziel ihres Entschlusses, den Antragsteller vorerst nicht mehr zu Tätigkeiten in dem Beschäftigungsbetrieb einzusetzen und zugleich das Verfahren für eine verschuldete Ablösung aus dem Beschäftigungsprozess einzuleiten.
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Damit kommen als Rechtsgrundlage für den vorläufige Entzug der zugewiesenen Arbeit allein die Norm des § 17 Abs. 3 StPO sowie die gegenüber einer speziellen Eingriffsgrundlage subsidiäre Generalklausel (vgl. Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 4 Rn. 5) des § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG in Betracht. Die Voraussetzungen beider Regelungen liegen indes nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer hier nicht vor.
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Nach § 17 Abs. 3 StVollzG kann die gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit – und Freizeit – u. a. dann eingeschränkt werden, wenn es die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert (Nr. 3). Dies ist auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen indes nicht der Fall. Weder gefährdete das Verhalten des Antragstellers, der auf aus seiner Sicht bestehende Mängel bei der Produktion im Unternehmerbetrieb "B. " trotz entsprechender Belehrung nicht unmittelbar gegenüber dem Vorarbeiter vor Ort sondern in einem Schreiben gegenüber der Geschäftsführung der Fa. B. hinwies, mangels unmittelbarer Auswirkungen dieses Pflichtverstoßes Personen oder Sachen in der Anstalt oder die Sicherung des durch den Freiheitsentzug begründeten Gewahrsams, mithin die innere oder äußere Sicherheit der Anstalt noch stellte dies eine Gefahr für das geordnete Zusammenleben innerhalb der Anstalt dar. Weitergehende, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt beeinträchtigende Pflichtverletzungen des Antragstellers vor seiner "vorläufigen" Ablösung im Oktober 2012 sind im rechtskräftigen Beschluss des Landgerichts Stendal vom 18. Juni 2013 (508 StVK 1775/12), der die Rechtmäßigkeit des Zuweisungswiderrufs bestätigte, dagegen nicht festgestellt worden.
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Ebenso wenig lagen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG vor. Danach dürfen dem Gefangenen, soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Gefahr der Ordnung in der Anstalt unerlässlich sind. Dabei kann dahinstehen, ob hier – im Gegensatz zu § 17 Abs. 3 StVollzG - unter dem Begriff der Sicherheit über die innere und äußere Sicherheit der Anstalt hinaus auch die Sicherheit der Allgemeinheit umfasst ist (dafür: Arloth, a. a. O., § 4 Rn. 7; SBJL-Böhm/Jehle, StVollzG, 5. Aufl., § 4 Rn. 21; dagegen: AK-Bling/Feest, StVollzG, 6. Aufl., § 4 Rn. 12f.; Calliess/Müller-Dietz, a. a. O., § 4 Rn. 18). Denn jedenfalls ist die Beschränkung nur zulässig, wenn und soweit sie im Einzelfall zum Erreichen der aufgeführten Zwecke unerlässlich ist. Der Eingriff in die Freiheit des Gefangenen muss damit das einzig noch mögliche Mittel, also ultima ratio sein (vgl. Calliess/Müller-Dietz, a. a. O., § 4 Rn. 20 m. w. Nw.), um eine schwerwiegende Gefahr abzuwenden.
- 16
Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer ist die Annahme nicht gerechtfertigt, allein das Verbleiben des Antragstellers während der Arbeitszeit in seinem Haftraum und damit räumlich getrennt von dem Unternehmerbetrieb "B. ", sei das einzig noch mögliche Mittel gewesen, schwerwiegende Gefahren abzuwenden. Selbst wenn der von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Verdacht, der Antragsteller habe an im Unternehmerbetrieb "B. " hergestellten Produkte bewusst manipuliert, zugrunde gelegt werden würde, ist zu berücksichtigen, dass dies dann allein zu dem Zweck geschehen wäre, um zugleich unter Benennung der betroffenen Packstücke die Produkte der Geschäftsleitung der Fa. B. anzeigen zu können und diese aus dem weiteren Vertrieb herausnehmen zu lassen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller auch nach der absehbaren Aufdeckung seines Pflichtenverstoßes Manipulationen an Produkten vornehmen würde, um sie nunmehr nicht mehr zu offenbaren und verborgen für die Qualitätskontrollen im Unternehmerbetrieb und in der Fa. B. in den Vertrieb zum Endverbraucher gelangen zu lassen, sind nicht gegeben. Gleiches gilt für die von der Antragsgegnerin angenommene Entwendung von betrieblichen Unterlagen und Kleinmaterial. Vielmehr standen der vom Landgericht Stendal mit Beschluss vom 18. Juni 2013 festgestellte Pflichtverstoß sowie die von der Antragsgegnerin angenommenen weiteren Pflichtverstöße immer im Zusammenhang mit der Fertigung der "Mängelanzeigen" durch den Antragsteller und eines Mitgefangenen unmittelbar gegenüber der Fa. "B. ". Weshalb die Weiterbeschäftigung des Antragstellers im Unternehmerbetrieb "B. " nach dem Bekanntwerden der "Mängelanzeigen" gegenüber der Fa. B. unter entsprechend verschärfter Beaufsichtigung nicht mehr möglich gewesen sein soll, ist nicht festgestellt. Auch der Ausschluss der Zuweisung einer anderen Tätigkeit im Unternehmerbetrieb ohne die Möglichkeit von sicherheitsrelevanten Pflichtverstößen als milderes Mittel als das "Aufabrufsetzen" ist von der Antragsgegnerin im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer nicht dargetan worden. Damit erweist sich der vollständige "vorläufige" Entzug der Arbeit für den hier in Rede stehenden Zeitraum von siebeneinhalb Wochen zur Durchführung des Verfahrens für eine verschuldete Ablösung aus dem Beschäftigungsprozess jedenfalls nicht als unerlässlich.
III.
- 17
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus §§ 121 Abs. 1 und Abs. 4 StVollzG, 467, 473 Abs. 2 StPO.
- 18
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.
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Referenzen
- StVollzG § 106 Verfahren 1x
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- 508 StVK 1775/12 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- StVollzG § 103 Arten der Disziplinarmaßnahmen 1x
- VwVfG § 49 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes 1x
- StVollzG § 118 Form. Frist. Begründung 1x
- StVollzG § 4 Stellung des Gefangenen 3x
- StVollzG § 102 Voraussetzungen 1x
- StVollzG § 121 Kosten des Verfahrens 1x
- StPO § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung 1x
- 508 StVK 1546/12 1x (nicht zugeordnet)
- § 17 Abs. 3 StPO 1x (nicht zugeordnet)
- StVollzG § 17 Unterbringung während der Arbeit und Freizeit 3x
- StVollzG § 116 Rechtsbeschwerde 1x