Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 W 46/15

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 9.11.2015 ( 4 OH 17/15 ) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert:

Es soll Beweis erhoben werden über folgende Fragen:

( 1 ) Wie ist der zahnmedizinische Zustand der Antragstellerin?

( 2 ) Worauf ist dieser zurückzuführen?

( 3 ) Erfolgte die Anfertigung des Zahnersatzes durch den Antragsgegner lege artis?

( 4 ) War es richtig, den Zahnersatz zu inkorporieren, obwohl die Antragstellerin Zahnschmerzen hatte?

( 5 ) Ist der Frontzahnbereich lege artis gestaltet?

( 6 ) Was ist zahnmedizinisch aus gutachterlicher Sicht jetzt sinnvoll zu unternehmen?

( 7 ) Mit welchem Kostenaufwand?

Die erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen werden dem Landgericht Dessau-Roßlau übertragen.

Im Übrigen wird der Antrag auf Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 10.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin hat die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt, in dem Fragen im Zusammenhang mit einer zahnärztlichen Behandlung durch den Antragsgegner geklärt werden sollen. Die Antragstellerin hat folgende Beweisfragen formuliert:

2

1. Antragsschrift:

3

( 1 ) Erfolgte die Anfertigung des Zahnersatzes lege artis?

4

( 2 ) War es richtig, den Zahnersatz zu inkorporieren, obwohl die Antragstellerin Zahnschmerzen hatte?

5

( 3 ) Ist der Frontzahnbereich lege artis gestaltet?

6

( 4 ) Wenn alles lege artis gearbeitet wurde: Worauf können die dargestellten Schmerzen der Klägerin beruhen?

7

( 5 ) Was ist zahnmedizinisch aus gutachterlicher Sicht jetzt sinnvoll zu unternehmen?

8

2. Schriftsatz vom 13.10.2015:

9

( 1 ) Was ist der zahnmedizinische Zustand?

10

( 2 ) Worauf ist dieser zurückzuführen?

11

( 3 ) Wie ist dieser zu beheben?

12

( 4 ) Mit welchem Kostenaufwand?

13

In diesem Rahmen beantragt sie die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegen getreten. Mit Beschluss vom 9.11.2015 hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

II.

14

Die Zurückweisung eines Antrages auf Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden ( Senat Beschluss vom 14.10.2013 - 1 W 34/13 - [ MedR 2014, 903 ] ).

15

Die sofortige Beschwerde ist auch überwiegend begründet. Die Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens auch in Arzthaftungssachen wird allgemein für zulässig erachtet ( Übersicht bei Martis/Winkhart Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., Anm. B 505ff. ). Der Senat hatte in dem genannten Beschluss noch den Standpunkt vertreten, dass Fragen nach einem Behandlungsfehler und zur Kausalität nicht Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens sein können, wohl aber Fragen nach den Ursachen eines Schadens. Zeitlich unmittelbar davor hat der Bundesgerichtshof ( Beschluss vom 24.9.2013 - VI ZB 12/13 - [ z.B. BGHZ 198, 237 ]; hier: zitiert nach juris ) den Anwendungsbereich des selbständigen Beweisverfahrens erheblich erweitert, soweit er Feststellungen zum Behandlungsfehler, sogar zu den tatsächlichen Grundlagen für die Bewertung als grober Behandlungsfehler zulässt ( Rn. 22 in der Zitierung nach juris ). Ob der Bundesgerichtshof Fragen nach der Kausalität weiter für nicht zulässig im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens hält ( dazu: Rn. 21 in der Zitierung nach juris ), kann für das vorliegende Verfahren dahinstehen, weil sich die Beweisfragen darauf nicht beziehen. Zwar gilt auch im Rahmen von § 487 Nr. 2 ZPO grundsätzlich das Verbot des Ausforschungsbeweises ( Zöller/Herget ZPO, 31. Auf., § 487, Rn. 4 ). Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens keine höheren Substanziierungsanforderungen gestellt werden können als in einem Klageverfahren selbst ( Senat a.a.O. und Beschluss vom 11.8.2015 - 1 W 33/15 - ). Die Anforderungen an die Substanziierungspflicht in Arzthaftungsfragen sind denkbar gering, mit der Tendenz zur Amtsermittlung. Der Sachverhalt, in den die Beweisfragen eingebettet sind, ergibt sich vor diesem Hintergrund hinreichend aus dem Inhalt des Schriftsatzes vom 13.10.2015 ( zur Frage ( 1 ) aus dem Schriftsatz vom 13.10.2015: OLG Köln Beschluss vom 7.8.2002 - 5 W 98/02 - [ VersR 2002, 375 ] ). Insbesondere sind die in der dem Schriftsatz vom 13.10.2015 anliegenden eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin enthaltenen Tatsachenbehauptungen - anders als in dem vom BGH (Beschluss vom 10.11.2015 - VI ZB 11/15 [GesR 2016, 86, 88 ] ) entschiedenen Fall - nicht ohne Einzelfallbezug und nicht nur formelhaft vorgebracht. Vielmehr werden von der Antragstellerin gesundheitliche Folgeerscheinungen der zahnärztlichen Behandlung durch den Antragsgegner behauptet, die zu konkret bezeichneten und potentiell einen Fehler begründenden Beschwerden geführt haben sollen. Nicht Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens sein kann die Frage ( 4 ) aus der Antragsschrift. Erweist sich der Vorwurf des Behandlungsfehlers als unbegründet, kann nicht Gegenstand des Verfahrens die Suche nach alternativen Ursachen sein, die in keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Antragsgegners stehen. Bedenken bestehen zwar isoliert gegen die Frage ( 5 ) aus der Antragsschrift und der Frage ( 3 ) aus dem Schriftsatz vom 13.10.2015. Diese müssen inzident aber gleichwohl geklärt werden, weil nur dann die zulässige ( § 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ) Frage ( 4 ) aus dem Schriftsatz vom 13.10.2015 beantwortet werden kann. Dabei ist aber festzuhalten, dass die beiden Fragen inhaltlich identisch sind, sodass nur eine in den Tenor aufzunehmen ist.

16

Soweit das Landgericht auch auf die Weiterbehandlung durch eine Zahnärztin L. abstellt, mag dies im Ergebnis der Beantwortung der Beweisfragen entgegenstehen. Nur wäre dies - als mögliches Ergebnis der Begutachtung - durch den/die Sachverständige(n) festzustellen.

17

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst ( Zöller/Herget a.a.O., § 487; Rn. 5 ). Zwar ist im Beschwerdeverfahren bei Erfolglosigkeit des Rechtsmittels § 97 Abs. 1 ZPO zu beachten. Eine Teilkostenentscheidung über den zurückgewiesenen Teil ist indes nicht möglich und auch nicht erforderlich, weil der Frage ( 4 ) aus der Antragsschrift gegenüber den restlichen Fragen kein eigenständiges wirtschaftliches Gewicht zukommt ( Senat Beschluss vom 11.8.2015 ).

18

Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt der Angabe in der Antragsschrift.


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