Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (Vergabesenat) - 7 Verg 5/16

Tenor

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner sofortigen Beschwerde vom 15. August 2016 gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 26. Juli 2016, Az.: 1 VK 08/16, bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen zur Beförderung von Schülern an Förderschulen im S. Kreis . Der Antragsgegner schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 3. Februar 2016 auf der Grundlage der Vergabe und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) im Wege des offenen Verfahrens Beförderungsleistungen von Schülerinnen und Schülern des S. Kreises zu ihren jeweiligen Förderschulen in L. und G. in den Losen 1 – 7 aus.

2

Der Antragsteller reichte am 22. März 2016 Angebote zu Beförderungsleistungen der Lose 4, 5, 6 und 7 mit Angebotssummen in Höhe von 291.299,55 € (Los 4), mit 379.124,70 € (Los 5), mit 306.036,65 € (Los 6) und mit 307.544,50 € (Lo7s) ein.

3

Im Ergebnis der formellen Wertung schloss der Antragsgegner den Antragsteller und einen weiteren Bieter wegen Veränderungen an den Vergabeunterlagen vom weiteren Verfahren gemäß § 16 Abs. 4 in Verb. mit § 19 Abs. 3 lit. d) VOL/A EG aus, worüber der Antragsgegner den Antragsteller am 18. April 2016 per Fax informierte. Zur Begründung führte er aus, der Antragsteller habe die Touren nicht vollständig angegeben, Angaben über gefahrene Kilometer fehlten, insbesondere vom Stützpunkt zum ersten Abholpunkt und zurück.

4

Am 25. April 2016 rügte der Antragsteller Verstöße gegen die Vergabevorschriften und leitete am 26. April 2016 das Nachprüfungsverfahren bezüglich der Lose 4, 5, 6 und 7 ein. Zur Begründung führte er aus, es liege kein Ausschlussgrund vor, weil er an den vorgegebenen Vergabeunterlagen keine Änderungen vorgenommen habe, sondern die vom Antragsgegner übersandten geänderten Formulare der Tourenlisten der Anlagen 2.1 und 2.2 verwendet habe. Lediglich an den dafür vorgesehenen Stellen habe er die Abfahrtszeiten, die jeweiligen mit Schülern gefahrenen Kilometern und die vorgegebenen Abholpunkte und die Anzahl der Schüler eingetragen. Streichungen oder Ergänzungen fänden sich nicht. Der Ausschluss sei auch wegen des angeblichen Fehlens von Tourenangaben rechtswidrig. Die Leistungsbeschreibung sei insoweit eindeutig und gehe von der Kilometerangabe ab dem Abholpunkt ohne die Berücksichtigung von Leerstrecken aus. Außerdem sei die Ausschreibung unvollständig, weil nicht sämtliche Eignungsnachweise aufgezählt seien. Darüber hinaus werde nicht hinreichend zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien unterschieden; die Bewertungsmatrix sei intransparent. Im Übrigen sei das Verbot des Nachunternehmereinsatzes vergaberechtswidrig.

5

Der Antragsteller hat beantragt,

6

1. den Antragsgegner zu verpflichten, die jeweiligen Vergabeverfahren aufzuheben, gegebenenfalls bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Berücksichtigung der Auffassung der Vergabekammer zu wiederholen und

7

2. festzustellen, dass die Hinzuziehung des Unterfertigenden zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung des Antragstellers notwendig war.

8

Der Antragsgegner hat beantragt,

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1. die Nachprüfungsanträge des Antragstellers zurückzuweisen und

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2. die Kosten der Verfahren dem Antragsteller aufzuerlegen.

11

Der Antragsgegner hat die Ansicht vertreten, die Nachprüfungsanträge seien bereits mangels Vergaberechtsverstößen unzulässig. Der Antragsteller habe im Vergabeverfahren keine Hinweise auf Unklarheiten, Unvollständigkeiten oder Fehler gegeben, so dass er nun präkludiert sei. Er sei ein fachkundiger Bieter und langjähriger Vertragspartner, dem eventuelle Fehler hätten auffallen müssen. Darüber hinaus fehle ihm die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB, da er durch die behaupteten Vergabeverstöße nicht in seinen Rechten verletzt sei. Seine Angebote hätten keine Aussicht auf Erteilung des Zuschlags, weil sie unabhängig von den geltend gemachten Verstößen nicht zum Zuge kommen könnten. Sie seien wegen der Änderungen an den Vertragsunterlagen zwingend von der Wertung auszuschließen gewesen. In den Eintragungen des Antragstellers sei eine Änderung der Vergabeunterlagen zu sehen. Die Preise sollten entsprechend den Anlagen 2.1, 2.2 und 4 kalkuliert werden. Nach den Tourenlisten dieser Anlagen habe man gefordert, die gesamten Kilometer der Hin- und Rückfahrt sowie die Einzelpreise pro gefahrenen Kilometer ab Stützpunkt anzugeben. Dies ergebe sich auch nach Ziffer 7. Eventuell bestehende widersprüchliche Angaben habe er mit den Nachsendungen 1 und 2 an alle Bieter ausgeräumt. Der Antragsteller habe jedoch am 4. April 2016 mitgeteilt, dass die Kalkulation der Preise auf der Grundlage der Besetzt-Kilometer erfolgt sei. Daneben habe er einen neuen Preis unter Berücksichtigung der Leerkilometer angegeben. Darin liege ein Ändern bzw. Verhandeln von Angeboten oder Preisen, welches gemäß § 18 EGVOL/A unzulässig sei.

12

Der Antragsgegner teilte mit Email vom 7. Juni 2016 mit, er werde aufgrund des Nachprüfungsverfahrens die streitgegenständlichen Leistungen im Wege der Interimsvergabe vergeben, deren Zeitraum er mit weiterer Email vom 15. Juni 2016 auf das erste Schulhalbjahr 2016/2017 korrigierte.

13

Mit Beschluss vom 26. Juli 2016 hat die Vergabekammer die Nachprüfungsanträge des Antragstellers zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Nachprüfungsanträge seien entweder unzulässig oder unbegründet. Die sachliche Zuständigkeit der Vergabekammer ergebe sich aus § 100 GWB; der maßgebliche Schwellenwert von 209.000 € gemäß §§ 100 Abs. 1, 127 GWB in Verb. § 2 VGV in Verb. mit den einschlägigen EU-Verordnungen 2015/2117, 2015/2171 und 2015/2172 vom 24.11.2015 sei überschritten. Hinsichtlich des Vorwurfs, der Antragsgegner habe keine Plausibilitätskontrolle der Kalkulationen der Beigeladenen zu 1. durchgeführt, fehle es bereits an der Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB, weil § 19 Abs. 6 Satz 2 VOL/A EG grundsätzlich nicht bieterschützend sei. Dieses gelte auch hinsichtlich des Ausschlusses von Nachunternehmerleistungen. Der Antragsteller habe nicht vorgetragen, durch diese Festlegung bei der beabsichtigten konkreten Ausgestaltung des eigenen Angebotes beeinträchtigt worden zu sein. Antragsbefugnis sei nicht gegeben, soweit sich der Antragsteller gegen die unvollständige Aufzählung sämtlicher Eignungsnachweise in der Bekanntmachung wende. Zwar liege eine Pflichtverletzung des Antragsgegners vor, diese sei jedoch nicht geeignet, die Wettbewerbsposition des Antragstellers zu schwächen, weil sich der vorgebrachte Mangel im Vergabeverfahren nicht ausgewirkt habe. Im Übrigen wäre der Antragsteller insoweit auch präkludiert, weil er diese gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bis zum Zeitpunkt der Abgabe des Angebotes hätte rügen müssen.

14

Gleiches gelte hinsichtlich der Rüge zur Intransparenz der Wertungsmatrix einschließlich fehlender Berechnungsformel. Im Übrigen sei der Vortrag auch unbegründet, weil die Bewertungsmatrix nachvollziehbar sei. Die Rüge des Antragstellers hinsichtlich des Ausschlusses seiner Angebote wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen sei jedenfalls unbegründet. Das Anforderungsprofil des Antragsgegners sei nicht unklar. Vielmehr ergebe sich aus der Bieterinformation vom 23. Februar 2016 ausdrücklich, dass in der ersten Zeile der tatsächliche Beginn und in der letzten Zeile das tatsächliche Ende der Tour für den Auftragnehmer eingetragen werden sollte. Dies sei erforderlich, um die gesamten gefahrenen Kilometer ermitteln zu können, die gemäß Pkt. 7 der Leistungsbeschreibung als Preis pro gefahrenen Kilometer Vertragsgrundlage werden sollten. Damit habe der Antragsgegner durch Angabe der tatsächlichen Start- und Zielposition eine klare Festlegung gegeben. Außerdem habe der Antragsgegner am 8. März 2013 nochmals darauf verwiesen, die Kilometerangabe nachvollziehbar zu gestalten.

15

Mit der hiergegen gerichteten form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde begehrt der Antragsteller die Wiederholung des Vergabeverfahrens. Zur Begründung führt er aus, er habe im Hinblick auf die fehlende Plausibilitätskontrolle keine Rüge erhoben, weil ihm die bieterschützende Funktion nicht bewusst gewesen sei. Bezüglich der Frage des Ausschlusses der Nachunternehmerleistungen sei er antragsbefugt, weil dieses Verbot bewirke, dass er einen unvorhergesehenen Fahrzeugausfall einkalkulieren müsse, welcher teurer sei. Diese Kalkulation bewirke geringere Zuschlagschancen. Er sei bezüglich der gerügten Vergabeverstöße hinsichtlich der Bewertungsmatrix auch nicht präkludiert, weil er hiervon keine Kenntnis gehabt habe. Er sei kein erfahrener Bieter; lediglich in den Jahren 1995/1996 habe er sich an einem Vergabeverfahren beteiligt. Ihm sei die Fehlerhaftigkeit erst mit dem Schreiben vom 18. April 2016 deutlich geworden. Die Rüge wegen des Ausschlusses aufgrund von Änderungen in den Verdingungsunterlagen sei auch begründet, weil aus den vorgegebenen Tourenlisten-Formularen nicht erkennbar sei, dass der tatsächliche Beginn und das tatsächliche Ende der Tour einzutragen sei. Es sei gerade nicht ersichtlich, dass Leerkilometer anzugeben seien. Dem stehe auch die Beschreibung des Leistungsumfanges entgegen, wonach die Schülerinnen und Schüler von Abholpunkten abzuholen und zu diesen zurückzubringen seien. Daraus ergebe sich, dass lediglich diese Strecke kalkuliert werden solle. Dies sei auch der Antwort auf die Bieteranfrage vom 8. März 2016 zu entnehmen. Unterstützt werde diese Auslegung von § 4 Abs. 2 des Beförderungsvertrages, der ebenfalls keinen Hinweis auf Leerkilometer enthalte. Ein neutraler Bieter könne den Unterlagen nicht entnehmen, dass – was unüblich sei – die Leerkilometer vom Startpunkt bis zum ersten Abholpunkt einzukalkulieren seien. Außerdem könne er in seiner Kalkulation diese Strecke aussparen; er habe den Ausfall bewusst durch andere Aufträge kompensieren wollen. Dies sei eine zulässige offene Risikokalkulation. Im Hinblick auf die Kalkulation für eine Begleitperson sei nicht ersichtlich gewesen, dass das als Anlage 4 auszufüllende Formblatt als Zusammenfassung aller Touren für ein Los zu verstehen gewesen sei. Vielmehr sei er davon ausgegangen, dass diese Position für jede Tour anzugeben sei, was zu einem höheren Preis geführt habe.

16

Der Antragsteller beantragt,

17

die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über diese zu verlängern.

18

Der Antragsgegner beantragt,

19

den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen.

20

Der Antragsgegner hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass vor dem 23. September 2016 kein Zuschlag erfolgen werde. Er hält den Antrag aufgrund dieser Stillhaltererklärung für unzulässig, weil das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers nicht die Interessen der Allgemeinheit überwiege. Im Falle des Überwiegens der nachteiligen Folgen einer Vergabeverzögerung gegenüber den Vorteilen einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung sei der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen. Die sofortige Beschwerde sei außerdem aber auch nicht begründet. Der Nachprüfungsantrag sei aufgrund der Präklusion nicht zulässig, jedenfalls aber nicht begründet. Die wirtschaftlichen Interessen der Allgemeinheit seien schon durch die Interimsvergabe beeinträchtigt worden. Da es sich um Leistungen der Daseinsvorsorge handele, sei ein rascher Abschluss des Vergabeverfahrens erforderlich.

II.

1.

21

Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde ist zulässig, er hat in der Sache keinen Erfolg (§ 118 Abs. 2 S. 3 GWB).

22

Gegen den dem Antragsteller am 28. Juli 2016 zugestellten Beschluss der Vergabekammer vom 26. Juli 2016 hat er mit am 15. August 2016 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schreiben sofortige Beschwerde eingelegt und diese begründet (§§ 116, 117 Abs. 1 bis 3 GWB). Der Antragsteller ist auch Beteiligter des vorausgegangenen Verfahrens vor der Vergabekammer gewesen (§ 116 Abs. 1 S. 2 GWB). Auf das vorliegende Vergabenachprüfungsverfahren findet nach der Übergangsvorschrift des § 186 Abs. 2 VergRModG vom 17. Februar 2016 (BGBl. I, S. 203 ff) noch altes Vergaberecht und nicht die am 18. April 2016 in Kraft getretene Neuregelung Anwendung.

23

Der Zulässigkeit steht nicht die Stillhalteerklärung des Antragsgegners entgegen. Zwar hat er erklärt, bis 23. September 2016 keinen Zuschlag erteilen zu wollen. Diese Erklärung ist ersichtlich nicht ausreichend, weil die mündliche Verhandlung zwar auf diesen Tag anberaumt ist; ob jedoch sofort mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ist nicht sicher.

2.

24

Ein Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ist abzulehnen, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen der Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen (§ 118 Abs. 2 S. 2 GWB). Darüber hinaus sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde in die Abwägung einzubeziehen (§ 118 Abs. 2 S. 3 GWB). Die im Eilverfahren gebotene summarische Bewertung des Sachstands und die zumindest erforderliche Plausibilitätsprüfung der Rechtsfragen (Bassius in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2014, § 118, Rn. 25) führen hier zu dem Ergebnis, dass die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde verneint werden müssen, auch wenn für die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung i.S.d. § 118 Abs. 1 S. 3 GWB nicht Voraussetzung ist, dass das Obsiegen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren wesentlich wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen. Die Erfolgsaussichten der Beschwerde sind aber gem. § 118 Abs. 2 S. 3 GWB jedenfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu berücksichtigen (ebenda Rn. 18), besondere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Erfolgsaussicht lassen sich § 118 Abs. 2 S. 2 und 3 GWB - auch nach der Umsetzung der Richtlinie 2007/66/EG - nicht entnehmen.

25

Danach erweist sich das Verlängerungsbegehren als unbegründet, denn die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird voraussichtlich keinen Erfolg haben können, weil die Vergabekammer seinen Nachprüfungsantrag zu Recht zurückgewiesen hat. Das Angebot des Antragstellers ist zwingend auszuschließen, so dass ihm letztlich kein Schaden droht.

a)

26

§ 107 Abs. 2 S. 2 GWB fordert für die Antragsbefugnis nicht nur die Verletzung eines subjektiven Rechts des Antragstellers nach § 97 Abs. 7 GWB, sondern auch die Möglichkeit eines hieraus resultierenden Schadens. Dabei ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses gemäß § 19 Abs. 3 lit. d) VOL/A EG zu bewerten. Auf eventuelle weitere Rechtsverletzungen kommt es nicht an. Können sich nämlich die behaupteten weiteren Rechtsverletzungen – hier die Unvollständigkeit der Ausschreibung im Hinblick auf die Eignungskriterien, die intransparente Bewertungsmatrix und das Verbot des Nachunternehmereinsatzes – nicht zum Nachteil des Antragstellers auswirken, weil er den Zuschlag ohnehin wegen des Ausschlusses gemäß § 19 Abs. 3 lit. d) VOL/A EG nicht hätte erhalten dürfen, kann sein Nachprüfungsantrag nicht zum Erfolg führen. Denn ein Schaden droht einem Antragsteller durch die weiteren behaupteten Rechtsverletzungen nicht, wenn er bei objektiver Betrachtung keine Aussicht auf Erteilung des Zuschlages hat, weil sein Angebot ohnehin hätte ausgeschlossen werden müssen (OLG Naumburg, Beschluss v. 01.11.2000, 1 Verg 7/00; Beschluss vom 18.07.2005, 1 Verg 5/05; alle zitiert nach Juris; OLG Jena, VergabeR 2002, 256; OLG Düsseldorf, VergabeR 2001, 221; OLG Koblenz, NZBau 2000, 445; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 21. November 2001, Verg 17/01, zitiert nach juris; Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl., § 107 GWB Rn. 25 m. N.).

27

Dabei kann in diesem Stadium des Verfahrens zunächst offen bleiben, ob es sich insoweit um eine Frage der Zulässigkeit oder der Begründetheit des Nachprüfungsantrages handelt (vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 18.05.2004, VergabeR 2004, 473, 476 - "Mischkalkulationen"; dem folgend: OLG Jena, Beschl. v. 20.06.2005, 9 Verg 3/05, ZfBR 2005, 706 f.).

b)

28

Mit der Rüge des Ausschlusses seines Angebots kann der Antragsteller voraussichtlich nicht durchdringen. Das Angebot des Antragstellers war bereits wegen unzulässiger Änderung an den Vertragsunterlagen gemäß § 19 Abs. 3 lit. d) i.V.m. § 16 Abs. 4 VOL/A EG von der Wertung auszuschließen, die Vergabestelle hatte insoweit kein Ermessen. Unstreitig hat der Antragsteller die Formularerklärung bezüglich der Touren in den Anlagen 2.1 und 2.2 verändert und die Kilometer vom Stützpunkt zum ersten Abholpunkt und vom letzten Abholpunkt zum Stützpunkt nicht angegeben, sondern mit "0" bezeichnet.

29

aa) Gemäß § 19 Abs. 3 lit. d VOL/A EG i. V. m. § 16 Abs. 4 Satz 1 VOL/A EG sind Angebote, bei denen Änderungen an den Vertragsunterlagen vorgenommen wurden, zwingend von der Angebotswertung auszuschließen. Das Verbot der Änderung der Vorgaben der Vergabeunterlagen trägt dem Umstand Rechnung, dass ein fairer Wettbewerb vergleichbare Angebote verlangt. Durch diese Bestimmung sollen die Transparenz des Vergabeverfahrens und die Gleichbehandlung aller Bieter sichergestellt werden: jeder Bieter darf nur anbieten, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat und sich nicht durch eine Abweichung von den Vergabeunterlagen einen – wie der Antragsteller hier – (kalkulatorischen) Vorteil verschaffen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Juni 2010, VII-Verg 5/10, zitiert nach Juris; Müller-Wrede, VOL/A, 4. Aufl., § 19 EG, Rn. 128). Der durch eine Ausschreibung eröffnete Wettbewerb kann nur dann gewährleistet werden, wenn Änderungen an den Verdingungsunterlagen unterbunden werden, weil anderenfalls die Vergleichbarkeit der Angebote leidet. Angebote, die gegen § 16 Abs. 4 Satz 1 VOL/A EG verstoßen, müssen deshalb von der Wertung ausgeschlossen werden (vgl. zur insoweit identischen Vorgängerregelung des § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A bereits BGH, Urteil vom 8. September 1998, NJW 1998, 3644). Nur wenn Änderungen an den Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden, wird der transparente und diskriminierungsfreie Wettbewerb der Bieter gewährleistet (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.10.2003, Az.: Verg 49/02, zitiert nach ibr-online). Die Bieter müssen daher grundsätzlich davon ausgehen, dass der Auftraggeber die Leistung auch so angeboten haben will, wie er sie in den Verdingungsunterlagen festgelegt hat. Weicht der Bieter im Rahmen seines Angebotes von den Vorgaben der Vergabeunterlagen ab, so führt dies zum zwingenden Ausschluss nach §19 EG Abs. 3 lit. d VOL/A. Diesem Regelungs- und Schutzzweck entspricht dabei ein weites Verständnis des Begriffs der "Änderung". Eine solche liegt immer vor, wenn das Angebot von den Vergabeunterlagen abweicht, also immer dann, wenn Angebot und Nachfrage sich nicht decken (BGH VergabeR 2007, 73).

30

Zur Entscheidung der Frage, ob ein Bieter im Angebot von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abgewichen ist, sind die Vergabeunterlagen ggf. aus der objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist, auszulegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Juni 2004, VII-Verg 20/04, zitiert nach Juris; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Kom. zur VOL/A, 4. Aufl., § 19 EG VOL/A, Rn. 128; Dittmann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kom. zur VOL/A, 3. Aufl., § 16 EG VOL/A, Rn. 80). Die Vergleichbarkeit der Angebote wäre empfindlich beeinträchtigt, wenn den Bietern die Möglichkeit eingeräumt würde, die Unterlagen nach ihrem rechtlichen Dafürhalten zu korrigieren. Hat ein Bieter Zweifel an der rechtlichen oder auch fachlichen oder rechnerischen Richtigkeit der Vergabeunterlagen, obliegt es ihm vielmehr, diese vor Ablauf der Angebotsfrist dem Auftraggeber – z. B. im Wege einer Bieteranfrage – anzuzeigen (vgl. Müller-Wrede, a. a. O., § 19 EG, Rn. 131).

31

bb) Ob das Angebot eines Bieters von den Vertragsunterlagen abweicht und diese damit ändert, ist anhand der Leistungsbeschreibung einschließlich sämtlicher Anlagen, wie Erläuterungen, etwaigen Datenblättern etc., durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Für die Auslegung der Vertragsunterlagen ist ein objektiver Maßstab anzulegen und auf den Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters, der mit der Leistung vertraut ist, abzustellen (BGH NJW 2002, 1954; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2016 – 15 Verg 1/16 –, juris, Rn 44). Maßgeblich ist hierfür nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern es kommt darauf an, wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung verstehen muss (BGH, NZBau 2002, 500; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2016 – 15 Verg 1/16 –, juris, Rn 44; Prieß in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 8 EG VOL/A Rn. 54).

32

Dies setzt voraus, dass Gegenstand und Inhalt der Leistung entsprechend § 8 Abs. 1 EG VOL/A eindeutig beschrieben sind (OLG Karlsruhe, a.a.O.; Prieß in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 8 EG VOL/A Rn. 56; Lausen in Müller-Wrede, a.a.O., § 16 EG VOL/A Rn. 107). Verstöße gegen interpretierbare oder missverständliche bzw. mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen führen somit nicht zum Angebotsausschluss (BGH Urteil vom 3. April 2012, X ZR 130/10, zitiert nach juris; KG Berlin, Beschluss vom 21. November 2013, Verg 22/13, zitiert nach Juris).

33

Eine Leistungsbeschreibung ist dann eindeutig und vollständig, wenn sie Art und Umfang der geforderten Leistung mit allen dafür maßgebenden Bedingungen zur Ermittlung des Leistungsumfangs zweifelsfrei erkennen lässt, keine Widersprüche in sich, zu den Plänen oder zu anderen vertraglichen Regelungen enthält und alle für die Leistung spezifischen Bedingungen und Anforderungen benennt (Prieß in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 8 EG VOL/A Rn. 19). Hierzu zählt auch, dass die Leistungsbeschreibung den Bietern ermöglichen muss, ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten zu kalkulieren. Dabei müssen die Bieter die für die Auftragsdurchführung wesentlichen Begleitumstände kennen oder zumindest zuverlässig abschätzen können (Prieß in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 8 EG VOL/A Rn. 29).

34

cc) Die Vorgaben des Antragsgegners zur Berechnung der Kilometerangaben waren eindeutig.

35

Ein verständiger Bieter könnte eindeutig und zweifelsfrei erkennen, dass die Kilometer ab dem tatsächlichen Fahrtbeginn zu kalkulieren waren. Die Tourenlisten lassen insoweit keinen Spielraum zu, sondern sind unmissverständlich. Bis zum ersten Abholpunkt sind die seit Beginn der Fahrt gefahrenen Leer-Kilometer anzugeben.

36

Die Vergabeunterlagen des Antragsgegners (Tourenlisten 2.1 - Hinfahrt und 2.2 - Rückfahrt) in der fortgeschriebenen Fassung vom 23. Februar 2016 regelten, dass am Kilometerpunkt "0" der Fahrtbeginn des Auftragnehmers ist; das Fahrtende nach dem letzten Abholpunkt liegt und hierfür weitere Kilometer anzugeben sind. Dem entspricht auch die "Nachsendung 1" vom 23. Februar 2016. Dort heißt es:

37

Gemäß Punkt VII. der Leistungsbeschreibung ist der Preis pro gefahrenen Kilometer Vertragsgrundlage. Die Kalkulationsdatei wurde dahingehend überarbeitet, dass in der ersten Zeile der tatsächliche Beginn und in der letzten Zeile das tatsächliche Ende der Tour für den Auftragnehmer einzutragen ist, um die gesamte Strecke kalkulieren zu können."

38

Aus diesen Angaben ergab sich für einen durchschnittlichen, mit der Art der Ausschreibung vertrauten Bieterkreis, dass in den Tourenlisten der Fahrtbeginn und nicht der erste bzw. letzte Abholpunkt als Beginn/Ende der Kilometerberechnung anzugeben war, sondern der für den jeweiligen Auftragnehmer tatsächliche Fahrtbeginn bzw. Fahrtende. Auch der Begriff "Tour" ist entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht missverständlich. Vielmehr ergibt sich der Umfang der Touren aus den Anlagen zur Leistungsbeschreibung, in denen jeweils die Abholpunkte und die Anzahl der zu befördernden Schüler für jedes Los beschrieben ist. Die Ausschreibungsunterlagen sind insoweit weder missverständlich noch auslegungsbedürftig. Es kommt nicht darauf an, ob diese Art und Weise der Ausschreibung üblich ist.

39

Den Bietern wurden am 23. Februar 2016 die überarbeiteten Tourenlisten zur Verfügung gestellt. Dem folgte sodann noch die Nachsendung 2 vom 8. März 2016, wonach in der ersten Zeile in der Spalte "Abfahrtszeit" die Startzeit des Fahrers anzugeben sei und die (hierzu korrespondierende) Kilometerangabe nachvollziehbar sein muss.

40

Unerheblich ist, ob die Vorgaben des Antragsgegners zur Berechnung der Fahrtkilometer wirtschaftlich plausibel waren oder auch – worauf der Antragsteller seine Argumentation stützt – eine andere Kalkulation (ohne Leerkilometer) möglich war. Selbst eine falsche Leistungsbeschreibung kann eindeutig sein, weil auch eine solche sicherstellt, dass alle Bieter sie in gleicher Weise verstehen (BGH, Beschluss vom 1. August 2008, zitiert nach juris; Prieß in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 8 EG VOL/A Rn. 21). Auf weitere Möglichkeiten der Ausgestaltung der Kalkulation wegen möglicher Abweichung von der Üblichkeit kann sich der Antragsteller daher nicht stützen. Entscheidend ist vielmehr, dass für einen Bieter hinreichend klar war, dass er nach den Vorgaben der Vergabeunterlagen die Kilometer ab Fahrtbeginn zu kalkulieren hat.

41

Dies war auch für den Antragsteller ohne weiteres erkennbar. Denn er hat mit seiner Beschwerdebegründung vorgetragen, er habe bewusst die Anfahrt zum ersten Abholpunkt mit der Kilometerangabe "0" versehen, weil er die Unterkalkulation durch andere Aufträge habe kompensieren wollen. Daraus entnimmt der Senat, dass der Antragsteller die Vergabeunterlagen eindeutig verstanden hat und die ersten Leer-Kilometer bewusst nicht einkalkulieren wollte. Ein derartiges Angebot hat der Antragsgegner jedoch nicht ausgeschrieben.

42

Nach Bewertung des Senates ergaben sich damit auch für den Antragsteller als verständigen Bieter, auf den bei der Auslegung der Vergabeunterlagen abzustellen ist, keine Unklarheiten.

43

Der Ausschluss des Angebots des Antragstellers musste gemäß § 19 Abs. 3 lit. d) VOL/A EG zwingend erfolgen.

3.

44

Der rechtmäßige oder gar zwingende Ausschluss nimmt einem Bieter ohne Rücksicht auf die Wertungsfähigkeit anderer Angebote den Anspruch auf Gleichbehandlung nach § 97 Abs. 2 GWB und wird nach summarischer Prüfung zur Zurückweisung der Beschwerde führen.

4.

45

Die einheitliche Kostenentscheidung ist erst mit der die Beschwerdeinstanz abschließenden Entscheidung zu treffen.


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