Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Strafsenat) - 2 Rv 88/16

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Wernigerode vom 8. Juni 2016 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Volksverhetzung zur Geldstrafe von 60 Tagessätzen á 20,00 € verurteilt.

2

Hiergegen richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und das Verfahren beanstandet.

3

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, diese als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

4

Die Revision ist zulässig und hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.

5

Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten nicht.

6

Gegen die vom Amtsgericht vorgenommene Auslegung der Äußerung des Angeklagten bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Zwar sind die Feststellungen des Tatrichters für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend. Das gilt auch für die Auslegung von Texten. Voraussetzung ist jedoch, dass der Tatrichter den Sachverhalt erschöpfend gewürdigt hat. Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen sich die Gerichte im Bewusstsein der Mehrdeutigkeit mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinander setzen und für die gefundene Lösung nachvollziehbare Gründe angeben (vgl. BVerfGE 93, 266 [295 f.]; 94, 1 [10]).

7

Ein sachlich-rechtlicher Fehler liegt vor, wenn der Tatrichter die Möglichkeit mehrerer Folgerungen nicht erkannt oder eine lediglich mögliche Schlussfolgerung für zwingend erachtet und deshalb bei seiner Überzeugungsbildung andere denkbare Schlüsse außer Acht gelassen hat. Grundlage für die Bewertung jeder Meinungsäußerung ist die Ermittlung ihres Sinns. Dabei kommt es nicht auf nach außen nicht erkennbare Absichten des Urhebers der Äußerung an, sondern auf die Sichtweise eines verständigen Empfängers unter Berücksichtigung der für ihn wahrnehmbaren, den Sinn der Äußerung mitbestimmenden Umstände (vgl. BVerfGE 93, 266, 295).

8

Dies zugrunde gelegt, hat sich das Amtsgericht nicht hinreichend mit anderen Auslegungsmöglichkeiten des Textes auseinandergesetzt.

9

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

10

Der Angeklagte postete am 13. August 2015 von seinem Handy ... folgenden Text:

11

"Asylunterkünfte = Konzentrationslager, die hat doch eine an der Waffel. Ich stelle mich gern zur Verfügung, um ihr eine echte KZ-Erfahrung nahe zu bringen, bis hin zur letzten "Dusche".

12

Diese Erklärung ist eine Reaktion des Angeklagten auf ein auf Facebook zu sehendes Video, in dem eine dunkelhäutige Frau, dem Namen nach N. L., bei einer Pressekonferenz gezeigt wird. Der im Original von ihr gesprochene Text wird hierbei überblendet und mit deutscher Sprache übersprochen. Ob es sich hierbei um eine Übersetzung handelt ist offen. Der deutsche Text lautet unter anderem wie folgt: "Wie nennt ihr nochmal den großen Mann der Konzentrationslager gebaut hat? Wenn ich sage Konzentrationslager, die gibt es in Deutschland immer noch, wisst ihr das? Versteht mich nicht falsch, wir sind wirklich in Konzentrationslagern, Menschen töten sich selbst, wir sind keine menschlichen Wesen mehr, wir sind nicht mehr wir selbst."

13

Das Amtsgericht sah hierin eine Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB.

14

Der Angeklagte habe durch seine Äußerungen den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung in Konzentrationslagern des Dritten Reiches in verherrlichender Weise gebilligt. Indem er bekundet habe, sich selbst zur Verfügung stellen zu wollen, um der dunkelhäutigen Rednerin "eine echte KZ-Erfahrung bis hin zur letzten Dusche nahe zu bringen", distanziere er sich gerade nicht ... von den Gräueltaten, sondern billige die Verbrechen des Nationalsozialismus, da er sie selbst zur Anwendung bringen wolle, um der dunkelhäutigen Frau eine authentische Lehre zu erteilen.

15

Hierbei hat das Amtsgericht andere und näherliegende Interpretationsmöglichkeiten der Aussage des Angeklagten unberücksichtigt gelassen und sich unzureichend mit deren Äußerungszusammenhang auseinander gesetzt.

16

Die Aussage des Angeklagten bezog sich erkennbar auf die Gleichsetzung der heutigen Praxis der Unterbringung von Asylbewerbern mit der Behandlung von Juden, Sinti und Roma, Kriegsgefangenen und Oppositionellen in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.

17

In wie weit die Aussage der Frau in dem auf Facebook veröffentlichten Video durch die Gleichsetzung der Behandlung von Asylbewerbern heute mit der systematischen Misshandlung und Ermordung in den Konzentrationslagern eine Verharmlosung des Nationalsozialismus darstellt, hat der Senat nicht zu entscheiden. Die Äußerung des Angeklagten kann jedenfalls eher in dem Sinne aufgefasst werden, dass sich der Nationalsozialismus im Umgang mit den Gefangenen in den Konzentrationslagern anderer und mit der derzeitigen Praxis der Unterbringung von Flüchtlingen nicht ansatzweise vergleichbarer Maßnahmen wie Folter und Mord bedient habe, welche er der Frau, die die Flüchtlingsunterkünfte als Konzentrationslager bezeichnet, auch vorführen könne. Für diese Interpretation spricht auch die vom Angeklagten gewählte Einleitung: "Asylunterkünfte = Konzentrationslager, die hat doch eine an der Waffel". Dies kann in dem Sinn verstanden werden, dass die heutige Unterbringung von Asylbewerbern sich deutlich von den Verbrechen der Nationalsozialisten unterscheidet und ein normaler Mensch diese Methoden nicht vergleichen würde (und wer es eben tut "eine an der Waffel hat").

18

Damit wird - in geschmackloser und gänzlich unangemessener Weise - dargestellt, dass die Gleichsetzung der heutigen Willkommenskultur mit dem Massenmord in den Konzentrationslagern nach Ansicht des Angeklagten absurd ist.

19

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann die Äußerung des Angeklagten auch nicht allein dahingehend verstanden werden, dass er die im Video gezeigte Frau tatsächlich foltern und vergasen ("letzte Dusche") wollte. Mit den Worten, er "stelle sich gern zur Verfügung", hat er dies von dem - ersichtlich ausgeschlossenen - Einverständnis der Frau abhängig gemacht. Der Passus ist daher keine mangelnde Distanzierung von den Verbrechen der Nationalsozialisten, sondern eine drastische Verdeutlichung der Unterschiede zwischen Flüchtlingsheimen und Konzentrationslagern.

20

Auch andere Straftatbestände sind nicht erfüllt. Eine Strafbarkeit wegen Bedrohung (§ 241 StGB) scheitert schon daran, dass der Angeklagte mit seiner Aussage nicht den Eindruck der Ernstlichkeit erwecken wollte (vgl. dazu Fischer in StGB 63. Aufl. 2016, § 241 RdNr. 3a). Er hat sein Verhalten nur für den Fall angekündigt, dass die Frau diese Behandlungsweise auch "nachfragt", was ersichtlich nicht in Betracht kam.

21

Für die Verfolgung der Tat als Beleidigung fehlt es schon an dem nach § 194 Abs. 1 StGB erforderlichen Strafantrag.

III.

22

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

23

gez. Henss

gez. Wiederhold

gez. Becker

Vorsitzender Richter
am Oberlandesgericht    

Richterin
am Amtsgericht    

Richter
am Oberlandesgericht


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