Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (Vergabesenat) - 7 Verg 6/16

Tenor

Das Nachprüfungsverfahren und damit auch die gegen den Beschluss der zweiten Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. September 2016 gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin haben sich durch Erteilung des Zuschlags erledigt.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag der Antragstellerin wird als unzulässig verworfen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem Senat einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragsgegners zu tragen.

Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten war auch im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig.

Der Gegenstandswert wird auf 27.872,84 Euro festgesetzt.

Gründe

A.

1

Der Antragsgegner schrieb mit europaweiter Bekanntmachung vom ... im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union die Lieferung von ... im offenen Verfahren aus.

2

Die Auftragsbekanntmachung sandte der Antragsgegner am 15. April 2016 zur Veröffentlichung ab.

3

Die im offenen Vergabeverfahren zu beschaffende Schutzausstattung soll dem körperlichen Schutz von Polizeivollzugsbeamten des Landes Sachsen-Anhalt im Einsatz dienen und besteht aus einer Basisweste, Armprotektoren, Beinprotektoren, dem Unterleibschutz für Damen oder Herren, einer Bereitschaftstasche und einem Halsschutz nach zuvor ermitteltem Größenschlüssel für die unterschiedlichen Konfektionsgrößen. In der Bekanntmachung waren unter Abschnitt IV Ziffer 2.1. als Zuschlagskriterien genannt:

4

„wirtschaftlich günstiges Angebot in Bezug auf die nachstehenden Kriterien:

5

15.1. Preis Gewichtung: 45

6

2.2 Material Gewichtung: 50

7

3.3 Logistik Gewichtung: 5“

8

Unter Abschnitt II Ziffer 1.5 der öffentlichen Bekanntmachung war vermerkt, dass die Bewertungskriterien für das Angebotsmuster der beigefügten Anlage 2 zu entnehmen seien. In Blatt 1 zu Anlage 2 war hierzu eine Abstufung der Wichtigkeit des Angebotsmusters vorgesehen, und zwar von 4 = besonders wichtig über 3 = sehr wichtig, 2 = wichtig bis hin zu 1 = weniger wichtig. Im Hinblick auf die technischen Forderungen an das Angebotsmuster nahm Blatt 1 der Anlage 2 unter Ziffer 1.1 folgende Zuordnung der Bewertungskriterien nach deren Wichtigkeit vor:

9

„Bewertungskriterium

Wichtigkeit

Material

Verarbeitung

Gebrauchsfähigkeit/Funktionalität    

Passform

Optik

2“

10

Gemäß Ziffer 1.2 sollte die Bewertung nach einem Notensystem erfolgen, wobei der Zahl 5 die Note sehr gut, der Zahl 4 die Note gut, der Zahl 3 die Note befriedigend, der Zahl 2 die Note ausreichend und der Zahl 1 die Note mangelhaft zugewiesen war. Die Endzahl für die Punktebewertung sollte sich ausweislich Ziffer 2.1 von Blatt 2 der Anlage 2 sodann aus einer Multiplikation der Wichtigkeitszahl mit der den Bewertungskriterien zugewiesenen Note ergeben. Die Punktebewertung aus diesem Produkt war wie folgt erläutert:

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„voll erfüllt

= 72 - 75 Punkte 

erfüllt

= 67 - 71 Punkte 

überwiegend erfüllt    

= 60 - 66 Punkte 

teilweise erfüllt

= 50 - 59 Punkte 

nicht erfüllt

=  0 - 49 Punkte“

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Weiterführende Angaben, Unterteilungen, Erläuterungen finden sich in der Bewertungsmatrix nicht.

13

Zur Beschaffenheit des Artikels „Schlag- und Stichschutzausrüstung“ – Leichte Ausführung in der Farbe RAL 5004 Schwarzblau“ sah das Formblatt „Angebot“ der Anlage 2 unter anderem folgende Vorgabe vor:

14

„1. Basisweste

15

gem. TR „Körperschutzausstattung“

16

Stand: November 2009

17

Aktuelle VPAM: KDIW 2004 (18.05.2011).“

18

Unter dieser Position war ferner vermerkt:

19

„Die technischen Forderungen lt. TR sind für alle verwendeten Materialien durch Datenblätter und Zertifikate nachzuweisen. Die Nachweise sind mit der Angebotsabgabe einzureichen. Ohne Nachweise und Zertifikate erfolgt keine Wertung des Angebots.“

20

Noch vor der Versendung und Veröffentlichung der Bekanntmachung vom ... hatte sich die Antragstellerin in einem Rundschreiben vom 14. April 2016 an die Beschaffungsstellen und Bedarfsträger von Bund und Ländern, darunter auch den Antragsgegner, gewandt und darüber informiert, dass das Prüfverfahren nach der Richtlinie „Stich- und Schlagschutz/Klinge-Dorn-Injektions-Würfel 2004“, Stand 18. Mai 2011 der Vereinigung der Prüfstelle für angriffshemmende Materialien und Konstruktionen (VPAM, im Folgenden: VPAM: KDIW 2004, 18.05.2011) mit „eklatanten“ Mängeln behaftet sei. Die Antragstellerin verfolgte mit diesem Rundschreiben den Zweck, ihre potenziellen Kunden über die im Rahmen einer von ihr beauftragten Produktprüfung zutage getretenen Mängel im technischen Prüfungsaufbau und in der Dokumentation der Funktionsprüfung zu unterrichten. Sie führte insbesondere aus, dass aufgrund der festgestellten Mängel im Prüfverfahren keine Vergleichbarkeit mit den Prüfergebnissen inländischer und anderer ausländischer Prüfämter und damit keine Markttransparenz gewährleistet sei.

21

Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf das „Rundschreiben an öffentliche Auftraggeber in Sachen Ungereimtheiten der Prüfrichtlinie VPAM KDIW 2004“ nebst dem Schreiben der Rechtsanwaltskanzlei D. vom 11. April 2016 – Anlage Ast. 4 der Verfahrensakte der Vergabekammer 2 VK LSA 16/16 – Bezug.

22

Die Antragstellerin reichte ihr Angebot am 27. Mai 2016 beim Antragsgegner ein. Mit Vorabinformationsschreiben vom 03. Juli 2016 teilte dieser ihr mit, dass er beabsichtige, einem anderen Mitbieter den Zuschlag zu erteilen. Zur Begründung war ausgeführt, dass das Angebot der Antragstellerin zwar dieselben Leistungsparameter aufweise, jedoch dem Mitbewerber preislich unterlegen sei. Mit Anwaltsschreiben vom 11. Juli 2016 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung darauf hin als vergaberechtswidrig. Sie ist der Ansicht gewesen, dass schon die durch die Vergabestelle aufgestellten Vergabebedingungen im Hinblick auf die Qualitätswertung unzulässig seien. Die Wertung der angebotenen Leistung sei auf der Grundlage des Wertungskriteriums „Material-Gewichtung 50“ in den Vergabeunterlagen nicht nachvollziehbar beschrieben. So sei für einen Bieter bei objektiver Betrachtung gerade hinsichtlich des Zuschlagskriteriums „Material“ nicht zu erkennen, auf welcher Grundlage die Vergabestelle zwischen mehreren Angeboten sachlich differenzieren wolle, mithin auf welche Gesichtspunkte es für den im Wettbewerb stehenden Bieter ankomme, um ein bestmögliches Angebot abzugeben. Das unter Abschnitt IV Ziffer 2.1 der Bekanntmachung aufgeführte weitere Zuschlagskriterium „Logistik“, welches zu 5 % in der Angebotswertung Berücksichtigung finde, habe der Antragsgegner zudem weder in der Bekanntmachung noch in den übrigen zur Verfügung gestellten Dokumenten in irgendeiner Weise erläutert. Außerdem rügte sie, dass laut den Vergabeunterlagen die Basisweste gemäß der TR Körperschutzausstattung, Stand November 2009, aktuell VPAM: KDIW 2004 (18. Mai 2011) anzubieten sei, obgleich sie in ihrem Rundschreiben vom 12. April 2016 unter anderem auch den Antragsgegner darüber informiert habe, dass eine vergleichende Wertung auf Grundlage der VPAM: KDIW 2004 (18.05.2011) – ohne nähere Präzisierung – nicht geeignet sei für eine differenzierende Angebotswertung der Leistung zum Wertungskriterium Material.

23

Mit Schreiben vom 13. Juli 2016 teilte der Antragsgegner mit, dass er den Rügen nicht abhelfen werde, weil er die Antragstellerin hiermit bereits für präkludiert halte. Außerdem sei zu bedenken, dass die Antragstellerin bei der Materialbewertung die volle Punktzahl erhalten habe und bei dem Zuschlagskriterium „Logistik“ nur geringfügig schlechter als der Mitbieter bewertet worden sei. Selbst bei Erreichen der vollen Punktzahl für das Kriterium „Logistik“ hätte die Beschwerdeführerin deshalb nicht den Zuschlag erhalten können, weil das Angebot des Mitbieters B. preislich deutlich günstiger gewesen sei.

24

Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2016 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der 2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dem Antragsgegner zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot von B. GmbH zu erteilen.

25

Die zweite Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 22. September 2016 als unzulässig verworfen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragstellerin bereits gegen ihre Rügeobliegenheit aus § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB in der bis zum 17. April 2016 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.) verstoßen habe, da sie versäumt habe, die von ihr behaupteten Vergaberechtsverstöße hinsichtlich der Wertungskriterien sowie der Anwendung der Richtlinie VPAM: KDIW 2004 nach Erhalt der Angebotsunterlagen noch vor Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Für die Beurteilung der Frage, ob die gerügten Vergaberechtsverstöße der Antragstellerin bereits vor Zugang des Vorabinformationsschreibens erkennbar gewesen seien, sei auf die Verhältnisse des konkret betroffenen Unternehmens, hier mithin die Antragstellerin abzustellen. Diese betreibe ein mittelständisches Unternehmen, das sich auf Herstellung und Vertrieb von Schutzbekleidung spezialisiert habe und bereits seit 20 Jahren öffentliche Auftraggeber, nämlich Justizvollzugsanstalten, Ordnungsämter und die Bundeswehr mit Sicherheitsausrüstungen beliefere, und deshalb mit öffentlichen Vergabeverfahren durchaus vertraut sei. Anhand der den Angebotsunterlagen beigefügten Anlage 2, Blatt 1 und 2 sei ihr in rein tatsächlicher Hinsicht erkennbar gewesen, welche Wertungskriterien der Antragsgegner zugrunde gelegt habe. Der Anlage 2 habe sie nämlich ohne weiteres entnehmen können, dass dort hinsichtlich des Zuschlagskriteriums „Material“ nicht weiter konkretisiert worden sei, welche Anforderungen gestellt würden, um den Zielerfüllungsgrad zu erreichen. Dass nicht näher umschrieben gewesen sei, auf welche speziellen Parameter der Antragsgegner besonderen Wert gelegt habe und in welcher Weise die Benotung für die Ermittlung der Punktebewertung erfolgen sollte, habe sie durch einfaches Studium der Vergabeunterlagen feststellen können. Außerdem sei für die Antragstellerin ohne weiteres ersichtlich gewesen, dass die Vergabeunterlagen für die Wertung des weiteren Zuschlagskriteriums „Logistik“ keinerlei Vorgaben enthielten. Auch in rechtlicher Hinsicht habe sie deshalb die Erkenntnis gewinnen müssen, dass hieraus ein Vergaberechtsverstoß resultiere, weil der Antragsgegner durch die aus ihrer Sicht zu unpräzisen Bewertungsmaßstäbe dem vergaberechtlichen Transparenzgebot zuwidergehandelt habe. Ob die fachlichen Bewertungskriterien für sie verständlich und nachvollziehbar seien, habe sie als fachkundige Bieterin dabei auch ohne Inanspruchnahme rechtlicher Beratung selbst beurteilen können. Es sei nämlich allein darauf angekommen, inwieweit die Antragstellerin sich aufgrund der Informationen imstande gesehen habe, ein wettbewerbsfähiges Angebot zu erstellen. Spätestens bei der Erstellung des Angebots hätte sie als erfahrene Bieterin aber erkennen müssen, dass aus den Bewertungskriterien nicht hinreichend hervor ginge, worauf der Antragsgegner bei seiner Wertung letztlich abstellen wolle. Sobald sich ein Bieter außerstande sehe, wegen der unzureichenden Bewertungsmaßstäbe ein aussichtsreiches Angebot abzugeben, müsse es für ihn jedoch auf der Hand liegen, dass der Auftraggeber damit gegen das Transparenzgebot verstoßen habe, zumal er sich bei Erstellung des Angebotes mit den Bewertungsmaßstäben gründlich auseinander zu setzen habe. Entsprechendes gelte hinsichtlich der weiteren Rüge der Antragstellerin, dass der Antragsgegner die Richtlinie VPAM: KDIW 2004 zu Unrecht als alleinigem Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Stich- und Schlagschutzeigenschaften der Basisschutzweste herangezogen habe. Hierbei sei von Bedeutung gewesen, dass sich die Antragstellerin bereits vor Einleitung des Vergabeverfahrens mit der streitbefangenen Richtlinie detailliert fachlich auseinander gesetzt habe, wie aus ihrem Rundschreiben vom 11. April 2016 hervor ginge. Da nun aber gerade die von ihr zuvor beanstandete Richtlinie in dem Vergabeverfahren als „technische Lieferbedingung“ vorgegeben worden sei, hätte sie erkennen können, dass dies vergaberechtlichen Grundsätzen widerstreite, zumal sie die Richtlinie auch weiterhin als alleinige Grundlage für eine qualitative Wertung der Angebote für ungeeignet halte. Ohne Erfolg habe die Antragstellerin dagegen eingewandt, dass auch der Antragsgegner selbst die monierten Vergaberechtsverstöße nicht erkannt habe und deshalb von ihr keine bessere Erkenntnismöglichkeit erwartet werden könne. Denn es liege in der Natur des Verfahrens begründet, dass es Sache des Bieters sei, die Vergaberechtsverstöße nach § 107 Abs. 3 GWB zu rügen.

26

Gegen diesen, ihr am 29. September 2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit einem am 11. Oktober 2016 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, den sie mit einem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels bis zur Entscheidung des Vergabesenates nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB in der bis zum 17. April 2016 gültigen Fassung verbunden hat.

27

Mit dem am 28. Oktober 2016 ergangenen Beschluss hat der Senat den Eilantrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB wegen fehlender Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde abgelehnt, weil er in Übereinstimmung mit der zweiten Vergabekammer der Auffassung ist, dass die Beschwerdeführerin mit ihren zur Nachprüfung gestellten Rügevorbringen gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB in der bis zum 17. April 2016 gültigen Fassung präkludiert ist, weil sie versäumt hat, die streitbefangenen Vergaberechtsverstöße rechtzeitig noch vor Ablauf der in  der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe zu rügen.

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Nachdem der Antragsgegner der Mitbieterin B. GmbH zwischenzeitlich am 07. November 2016 den Zuschlag erteilt hatte, hat die Antragstellerin ihr Antragsbegehren daraufhin auf die Feststellung umgestellt, durch die Zuschlagserteilung in ihren Rechten verletzt zu sein.

29

Sie trägt insoweit vor, dass sie sowohl in rechtlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht über ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtsverletzung verfüge. Insbesondere lasse sich das gebotene Feststellungsinteresse ohne weiteres daraus ableiten, dass die beantragte Feststellung der Vorbereitung eines Schadensersatzprozesses gegen die Antragsgegnerin diene.

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Sie ist im Übrigen weiterhin der Meinung, dass die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag in dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht als unzulässig verworfen habe, denn sie sei ihrer Rügeobliegenheit aus § 107 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 GWB a.F. rechtzeitig nachgekommen. Die in ihrem Nachprüfungsantrag geltend gemachten Vergaberechtsverstöße habe sie insbesondere unverzüglich nach Kenntniserlangung gerügt (§ 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB a.F.). Von den Vergaberechtsverstößen hinsichtlich der Zuschlagskriterien „Material“ und „Logistik“ habe sie aber erst positive Kenntnis erlangt, nachdem sie nach Erhalt der Vorabinformation nach § 101 GWB a.F. den anwaltlichen Rat ihrer jetzigen Verfahrensbevollmächtigten eingeholt habe. Erst dann habe sie erkannt, dass sie von dem Antragsgegner über die Bewertungsmethode und die zu Grunde liegenden Bewertungsmaßstäbe im Unklaren gelassen worden sei. Ihr sei vor anwaltlicher Beratung auch nicht bekannt gewesen, dass die ausschließliche Heranziehung der VPAM: KDIW 2004 als alleinigem Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Stich- und Schlagschutzeigenschaften einen Vergaberechtsverstoß begründen könnte. Die Rechtslage sei hierzu keineswegs eindeutig, weil es insoweit keine einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung gebe. Daran ändere auch letztlich ihr Rundschreiben vom 14. April 2016 nichts. Sie habe vielmehr davon ausgehen dürfen, dass der Antragsgegner die in dem Rundschreiben aufgeführten Mängel und Unzulänglichkeiten des Prüfverfahrens bei seiner qualitativen Wertung im laufenden Vergabeverfahren berücksichtigen werde. Mit ihrem Vorbringen sei sie aber auch nicht nach § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB a.F. präkludiert. Denn eine solche Rügepräklusion könnte nur bei auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhenden und ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht kommen, wovon hier indessen nicht ausgegangen werden dürfe. Die geltend gemachten Vergabeverstöße seien für sie noch nicht allein anhand der Angebotsunterlagen bis zum Ablauf der Angebotsfrist erkennbar geworden. Die Vergabekammer habe hierzu offensichtlich verkannt, dass sich die Erkennbarkeit eines Vergaberechtsverstoßes auf zwei Komponenten beziehen müsse, nämlich zum einen auf die zugrunde liegenden, den Rechtsverstoß begründenden Tatsachen und zum anderen auf die sich hieran anschließende rechtliche Bewertung und Schlussfolgerung als vergaberechtswidrig. Diese Unterscheidung zwischen der tatsächlichen Erkennbarkeit der den Vergaberechtsverstößen zugrunde liegenden Tatsachen einerseits und der rechtlichen Bewertung dieser Tatsachenbasis andererseits habe die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss indessen nicht vorgenommen, sondern aus der tatsächlichen Erkennbarkeit ohne weitere Zwischenschritte direkt auf die rechtliche Erkennbarkeit der Vergaberechtswidrigkeit geschlossen. Dies zeige sich schließlich auch darin, dass sie im Hinblick auf die Frage der Erkennbarkeit eines Vergaberechtsverstoßes nicht zwischen den Zuschlagskriterien „Material“ und „Logistik“ unterschieden, sondern diese beiden Punkte zusammengefasst habe. Richtig sei zwar, dass sie die Tatsachengrundlagen für die gerügten Vergaberechtsverstöße aus den Vergabeunterlagen habe ablesen können. Die rechtliche Bewertung, dass insoweit ein Verstoß gegen vergaberechtliche Grundsätze vorliege, habe sie aber ohne vorherige Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe nicht nachvollziehen können. So stelle insbesondere die von ihr gerügte Verletzung des Transparenzgebotes in Bezug auf das Zuschlagskriterium „Material“ keineswegs ein ins Auge fallender Rechtsverstoß dar, dessen Vorliegen auch von einem durchschnittlichen Bieter ohne weiteres hätte erkannt werden müssen. Die Vergaberechtswidrigkeit eines reinen Schulnotensystems, aus dem nicht hervorginge, unter welchen Voraussetzungen das Angebot einer Schulnote zugewiesen werde, sei vielmehr erst in der neueren Vergaberechtsrechtsprechung des OLG Düsseldorf bestätigt worden. Von einem durchschnittlichen Bieter könne indessen nicht erwartet werden, dass er mit dieser Rechtsprechung vertraut sei, zumal zu  der Frage, in welchem Umfang Bewertungsmaßstäbe konkretisiert werden müssten, noch vor 1 ½ Jahren unterschiedliche Ansichten in der Rechtsprechung vertreten worden seien. Sowohl die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss als auch der Senat in seinem Beschluss vom 28. Oktober 2016 würden übersteigerte Anforderungen an die rechtliche Erkennbarkeit eines Vergaberechtsverstoßes stellen, die sich weder mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte (Oberlandesgericht Frankfurt, Entscheidung vom 23. Juni 2016, Geschäftsnummer 11 Verg 4/16, IBR 2016, 606) noch mit der Rechtsprechung des VK Bund (Beschluss vom 01. Februar 2016, VK 2-3/16) in Einklang bringen ließen. Sie meint überdies, dass es nicht angehen könne, an den Bieter einen strengeren Maßstab anzulegen als an den Auftraggeber. Wenn aber schon der in vergaberechtlichen Belangen sehr erfahrene öffentliche Auftraggeber selbst nicht erkannt habe, dass seine Bewertungsmatrix gegen vergaberechtliche Grundsätze verstoße, könne dies von der Antragstellerin, die ein mittelständisches Unternehmen ohne eine eigene Rechtsabteilung führe, aber erst Recht nicht erwartet werden. Gleiches gelte im Hinblick auf die Erkennbarkeit der Vergaberechtswidrigkeit des Zuschlagskriteriums „Logistik“. Auch insoweit sei festzustellen, dass hier kein unmittelbar ins Auge springender Rechtsverstoß vorliege, der von einem durchschnittlichen Bieter ohne weiteres erkannt werden müsste. Aus dem Fehlen jeglicher Erläuterung zu dem Zuschlagskriterium „Logistik“ müsste der Bieter jedenfalls noch nicht unmittelbar auf einen Vergaberechtsverstoß schließen. Schließlich habe die Vergabekammer auch hinsichtlich der Anwendung der Prüfrichtlinie VPAM: KDIW 2004 nicht präzise zwischen der tatsächlichen und der rechtlichen Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen unterschieden. Denn die Ausführungen der Vergabekammer beschränkten sich auf die tatsächliche Erkennbarkeit der dem gerügten Vergaberechtsverstoß zugrunde liegenden Tatsachen. Ob die ausschließliche Heranziehung der VPAM: KDIW 2004 (18.05.2011) als Prüfstandard einen Vergaberechtsverstoß begründe, sei bislang weder in der vergaberechtlichen Literatur noch in der Rechtsprechung behandelt worden, so dass bereits aus diesem Grunde von einem ins Auge fallenden Rechtsverstoß nicht die Rede sein könne.

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In der Sache ist sie der Meinung, dass ihr Nachprüfungsantrag vor dessen Erledigung durch Zuschlagserteilung begründet gewesen sei und der Antragsgegner den Zuschlag an die Mitbieterin B.GmbH nicht hätte erteilen dürfen. Denn die Bewertungsmatrix des Antragsgegners verstoße in Bezug auf die Zuschlagskriterien „Material“ und „Logistik“ gegen die vergaberechtlichen Gebote der Transparenz und der Nichtdiskriminierung sowie gegen das Wettbewerbs- und das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 97 Abs. 1, Abs. 5 GWB a.F. Gleiches gelte für die Heranziehung der „VPAM: KDIW 2004“ als alleinigem Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Stich- und Schlagschutzeigenschaften im Rahmen der Qualitätswertung. So sei in den Vergabeunterlagen die Wertung der angebotenen Leistung in Bezug auf das Zuschlagskriterium „Material – Gewichtung 50“ nicht nachvollziehbar beschrieben. Für die Beschwerdeführerin sei bei Angebotsabgabe anhand der Bewertungskriterien insbesondere nicht zu erkennen gewesen, welcher Kategorie ihr Angebot unterfallen würde und ob diesem eine bestimmte Note konkret zugewiesen werden könne. Dies hätte aber einen entscheidenden Einfluss auf ihre Wirtschaftlichkeitsberechnung und die betriebswirtschaftliche Angebotskalkulation. Ihr sei im Übrigen verschlossen geblieben, welche Angebotsdefizite bei welchem Unterkriterium einen Punkteabzug hätten veranlassen können. Entsprechendes gelte hinsichtlich des Zuschlagskriteriums „Logistik“, zu dem jegliche Erläuterung in den Vergabeunterlagen gefehlt habe. Der Antragsgegner habe den Bietern vollständig anheimgestellt, diesen weit gefassten und wertungsrelevanten Begriff „Logistik“ auszufüllen. Inwieweit der Antragsgegner eine Binnendifferenzierung zwischen mehreren Angeboten in Bezug auf dieses Wertungskriterium habe vornehmen wollen, habe sie hingegen nicht erkennen können. Schließlich habe auch die ausschließliche Zugrundelegung des Prüfstandards „VPAM: KDIW 2004 (18.05.2011)“ einen Vergaberechtsverstoß begründet. Denn diese Prüfungsrichtlinie würde eine vergleichende Angebotswertung und eine gewissenhaft differenzierende Prüfung der Angebote von vorneherein nicht zulassen.

32

Die Antragstellerin beantragt – nach Umstellung ihrer Anträge – zuletzt,

33

den Beschluss der zweiten Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. September 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Beschwerdeführerin durch Vergabeverstöße des Beschwerdegegners in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB a.F. verletzt worden ist.

34

Der Antragsgegner beantragt,

35

die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

36

Er tritt den Beschwerdeangriffen der Antragstellerin in der Sache entgegen und trägt insoweit vor, dass dem Feststellungsantrag der Antragstellerin schon deshalb ein Erfolg zu versagen sei, weil der ursprünglich geltend gemachte Nachprüfungsantrag aufgrund der eingetretenen Rügepräklusion nach § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB a.F. unzulässig gewesen sei. Denn es könne keinen Zweifeln begegnen, dass für die Antragstellerin sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht erkennbar gewesen sei, dass die Wertungskriterien für die Zuschlagskriterien „Material“ und „Logistik“ dem Transparenzgebot nicht genügen würden und auch die alleinige Heranziehung der Richtlinie VPAM: KDIW 2004 (18. Mai 2011) einen Verstoß gegen vergaberechtliche Grundsätze enthalte. Bei den gegen die Bewertungsmatrix gerichteten Rügen handele es sich um Beanstandungen, die einem verständigen Bieter bereits bei einfachem Lesen der Vergabeunterlagen ins Auge fallen müssten, da dieser sich, um ein optimales Angebot erstellen zu können, eingehend mit den Bewertungskriterien und den hierzu aufgestellten Anforderungen auseinandersetzen müsse, wie auch die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss zutreffend erkannt habe. Der von der Vergabekammer insoweit angelegte Bewertungsmaßstab stünde hierbei im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in dessen Entscheidung vom 12. März 2014 (EuZW 2015, 391). Im Übrigen sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin während des gesamten Vergabeverfahrens und damit auch schon bei Erstellung ihres Angebotes anwaltlich beraten gewesen sei, worauf die ihren Prozessbevollmächtigten erteilte umfängliche Vollmacht hinweise.

37

Er ist zudem der Ansicht, dass der Antragstellerin das für die Umstellung ihres Antrages nach § 123 S. 3 GWB a.F. in Verbindung mit § 114 Abs. 2 S. 2 GWB a.F. erforderliche Feststellungsinteresse fehlen würde. Denn soweit der Feststellungsantrag der Vorbereitung einer Schadensersatzklage dienen solle, biete diese von vorneherein jedoch keine Aussicht auf Erfolg. Da die Antragstellerin der Mitbieterin preislich unterlegen gewesen sei, hätte sie auch bei einer anderen Ausrichtung der Bewertung zu den Kriterien „Material“ und „Logistik“ keine Chance auf den Zuschlag erhalten.

38

Wegen des weitergehenden Sachvortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

39

Der Feststellungsantrag ist unzulässig.

I.

40

Auf das anhängige Vergabeverfahren findet gemäß § 186 Abs. 2 GWB in der Fassung des am 18. April 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 17. Februar 2016 (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG, BGBl. I, S. 203 ff) das bisherige Recht in der bis zum 17. April 2016 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.) weiterhin Anwendung, da es vor dem Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes eingeleitet worden ist. § 186 Abs. 2 GWB n.F. bestimmt, dass Vergabeverfahren, die vor  dem 18. April 2016 begonnen haben, einschließlich der sich an diese anschließenden Nachprüfungsverfahren sowie am 18. April 2016 anhängige Nachprüfungsverfahren nach dem Recht zu Ende geführt werden, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens galt. Was unter dem Beginn des Vergabeverfahrens zu verstehen ist, ist im GWB zwar nicht legal definiert. Nach dem zugrunde zu legenden materiellen Begriffsverständnis, setzt der Beginn eines Vergabeverfahrens zum einen die interne Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers voraus, einen gegenwärtigen oder künftigen Bedarf durch eine Beschaffung von Lieferungen, Dienst- oder Bauleistungen auf dem (Binnen-)Markt (und nicht durch Eigenleistung) zu decken (interner Beschaffungsentschluss), und zum anderen die nach außen hin (über interne Überlegungen und Vorbereitungen hinaus) zutage getretenen Maßnahmen, um den Auftragnehmer mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses zu ermitteln oder bereits zu bestimmen (externe Umsetzung). Zur Abgrenzung zwischen der – überwiegend intern vorgenommenen – Vorbereitung des Vergabeverfahrens und dem Beginn seiner Durchführung ist insoweit auf eine nach außen zutage getretene Verlautbarung durch Ergreifen einer Maßnahme abzustellen, die auf die Herbeiführung eines Vertragsschlusses gerichtet ist. Ein Vergabeverfahren beginnt dementsprechend mit der ersten nach außen getretenen Handlung der Vergabestelle (vgl. OLG Düsseldorf VergabeR 2012, 846; Zeiss in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, Rdn. 21 zu § 186 GWB). In einem förmlichen Vergabeverfahren mit einer Vergabebekanntmachung bei einer EU-weiten Ausschreibungspflicht – wie hier – stellt dies die Absendung der Vergabebekanntmachung an das EU-Amtsblatt dar. Die Veröffentlichung selbst liegt dagegen nicht mehr im Einflussbereich der Vergabestelle (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 08. Oktober 2009, 1 Verg 9/09). Danach hat das vorliegende Vergabeverfahren am 15. April 2016 und damit vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes begonnen, denn an diesem Tage ist die Vergabebekanntmachung an das EU-Amtsblatt aktenkundig abgesandt worden.

II.

41

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag der Antragstellerin ist zwar gemäß §§ 123 S. 3, S. 4, 114 Abs. 2 S. 2 GWB a.F. statthaft, nachdem sich die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen nach §§ 116 Abs. 1, 117 Abs. 1 bis 3 GWB a.F. zulässige sofortige Beschwerde durch die Zuschlagserteilung vom 07. November 2016 auf das Angebot der Mitbieterin B. GmbH erledigt und die Antragstellerin ihren bisherigen Beschwerdeantrag aus diesem Grunde in gesetzlich zulässiger Weise auf Feststellung einer Rechtsverletzung umgestellt hat.

III.

42

Die Antragstellerin mag hier auch über das erforderliche rechtsschutzwürdige Interesse an der begehrten Feststellung verfügen, das – wie allgemein bei Anträgen, die auf die Feststellung eines rechtlichen Verhältnisses gerichtet sind – für einen Antrag nach §§ 123 S. 3, 114 Abs. 2 S. 2 GWB als notwendig vorauszusetzen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Februar 2001, Verg 14/00 zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Beschluss 02. März 2005, VII Verg 70/04 zitiert nach juris; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 136/137 zu § 168 GWB n.F.).

43

Ein Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02. März 2005, VII Verg 70/04 zitiert nach juris; OLG Düsseldorf NZBau 2001, 155 = VergabeR 2001, 45; NZBau 2002, 54 = VergabeR 2001, 210; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 251 zu § 114 GWB). Sinn der Feststellung ist es, den Bieter nicht um die Früchte des von ihm angestrengten Nachprüfungsverfahrens zu bringen. Ein solches Feststellungsinteresse kann insbesondere dann angenommen werden, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dient (vgl. § 124 Abs. 1 GWB; so im Übrigen auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 13/9340; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02. März 2005,  VII Verg 70/04 zitiert nach juris; OLG Koblenz VergabeR 2009, 682; OLG Saarbrücken IBR 2013, 483; OLG Brandenburg ZfBR 2011, 383; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 252 zu § 114 GWB; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016,  Rdn. 138, 139 zu § 168 GWB). Wegen der aus § 124 Abs. 1 GWB a.F. folgenden Bindungswirkung genügt es dementsprechend in der Regel, dass der Antragsteller vorträgt, er beabsichtige, Schadensersatzansprüche gegen den Auftraggeber gerichtlich geltend zu machen (vgl. OLG Koblenz VergabeR 2009, 682; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15. Mai 2013, 1 Verg 1/13 zitiert nach juris; OLG Brandenburg ZfBR 2011, 383; Summa in Heiermann/ Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 138, 139 zu § 168 GWB). Hat sich der Antragsteller auf die beabsichtigte Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen berufen, dürfen diese allerdings nicht von vorneherein offenkundig aussichtslos erscheinen (vgl. OLG Koblenz VergabeR 2009, 682; OLG München VergabeR 2012, 856; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 138, 139 zu § 168 GWB; Thiele in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., Rdn. 70 zu § 114 GWB a.F.). Dabei ist es aber grundsätzlich nicht Aufgabe der Nachprüfungsinstanzen, hier des Senates, die Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Schadensersatzklage im Einzelnen zu prüfen (vgl. OLG München, Beschluss vom 19. Juli 2012, Verg 8/12, VergabeR 2012, 856; OLG Naumburg, Beschuss vom 02. März 2006, 1 Verg 1/06 zitiert nach juris; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 252 zu § 114 GWB; Summa in Heiermann/Zeiss, Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., Rdn. 139 zu § 114 GWB).

44

Hier hat die Antragstellerin vorgetragen, dass sie die Geltendmachung ihres Vertrauensschadens nach § 126 GWB a.F. beabsichtige. Ein auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichteter Schadensersatzanspruch nach § 126 GWB a.F. setzt insoweit voraus, dass in einem vergaberechtskonformen Verfahren eine echte Chance auf den Zuschlag bestanden hätte, was nur der Fall sein soll, wenn das Angebot besonders qualifizierte Aussichten auf die Zuschlagserteilung gehabt hätte; es genügt hingegen nicht bloß, dass das Angebot in die engere Wahl gelangt wäre (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2007, X ZR 18/07; OLG Koblenz VergabeR 2009, 682; Thiele in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., Rdn. 69; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 141 zu § 168 GWB).

45

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Antragstellerin bei vergaberechtskonformer Darstellung der Bewertungskriterien ihren Angebotspreis anders kalkuliert hätte und es in diesem Fall nicht zu einem solchen preislichen Abstand zu dem an erster Stelle liegenden Angebot gekommen wäre, erscheint es möglich, dass die Antragstellerin in diesem Fall den Zuschlag erhalten hätte. Ob und inwieweit der Antragstellerin als Bieterin ein Schaden nach § 126 GWB a.F. entstanden ist, haben jedoch nicht die Nachprüfungsinstanzen, sondern die ordentlichen Gerichte zu entscheiden.

IV.

46

Der Zulässigkeit des Feststellungsantrages steht hier allerdings entgegen, dass auch schon der ursprüngliche Nachprüfungsantrag der Antragstellerin unzulässig gewesen war (vgl. zur Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages als Zulässigkeitsvoraussetzung der Feststellungsantrages: OLG Koblenz, Beschluss vom 06. September 2006, 1 Verg 6/06 zitiert nach juris; OLG Koblenz VergabeR 2009, 682; OLG Brandenburg ZfBR 2011, 383; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 136/137 zu § 168 GWB n.F.; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 275 zu § 114 GWB a.F.).

47

Da der Feststellungsantrag nach den §§ 123 S. 3, 114 Abs. 2 S. 2 GWB a.F. ein Fall der Fortsetzung der sofortigen Beschwerde auf einen erfolglos gebliebenen Nachprüfungsantrag darstellt, müssen für den erledigten Nachprüfungsantrag auch dessen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen. Denn dem Antragsteller soll kein Vorteil daraus erwachsen, dass ein von vorneherein unzulässiger Antrag gegenstandslos geworden ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Februar 2001, Verg 14/00 zitiert nach juris; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 275 zu § 114 GWB a.F.; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 136/137 zu § 168 GWB).

48

1. Die Antragstellerin ist zwar nach § 107 Abs. 2 GWB a.F. antragsbefugt. Durch die Abgabe eines Angebots hat sie ihr Interesse an dem Auftrag bekundet und sich auf Verstöße gegen bieterschützende Vergabevorschriften berufen, die, sofern sie vorliegen würden, dem Nachprüfungsantrag zum Erfolg verhelfen könnten. Außerdem hat sie dargetan, dass ihr durch den Verlust des Auftrages, der an die Mitbieterin gehen soll, ein Schaden drohen könnte.

49

Dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin kann hierbei nicht schon entgegen gehalten werden, dass sie deshalb keine Beeinträchtigung ihrer Auftragschance erlitten habe, weil ihr Angebot hinsichtlich der erzielten Leistungspunkte demjenigen der Mitbieterin weitgehend entsprochen habe. Es kann vielmehr gleichwohl nicht ausgeschlossen werden, dass die Auftragschancen der Antragstellerin durch den gerügten Vergaberechtsverstoß vermindert worden sind. Denn möglicherweise hat sie – aus einer Fehleinschätzung der Bewertungsgrundlagen und -maßstäbe heraus – bei der Angebotserstellung auf die Leistungsqualität einen teilweisen zu hohen Wert gelegt, der sie aber beim Preiskriterium gegenüber der Beigeladenen hat unterliegen lassen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Oktober 2015, VII Verg 28/14, VergabeR 2016, 74).

50

2. Der Senat hält jedoch auch nach der mündlichen Verhandlung an seiner in dem Beschluss vom 28. Oktober 2016 vertretenen Auffassung fest, dass die Antragstellerin mit den von ihr erhobenen Rügen der mangelnden Transparenz des Wertungssystems in Bezug auf die Zuschlagskriterien „Material“ und „Logistik“ sowie der Zugrundelegung des Prüfungsstandards VPAM: KDIW 2004 (18.05.2011) als alleinigem Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Stich- und Schlagschutzeigenschaften im Rahmen der Qualitätswertung gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB a.F. präkludiert ist, da sie diese erstmals nach Ablauf der Angebotsabgabefrist geltend gemacht hat. Die Gründe der Senatsentscheidung vom 28. Oktober 2016 gelten fort.

51

Gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB a.F. sind Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung zu rügen. Dies hat die Antragstellerin hier indessen versäumt, obwohl ihr die Intransparenz des Wertungssystems insbesondere hinsichtlich der Zuschlagskriterien „Material“ und „Logistik“ sowie der angebliche Vergaberechtsverstoß in Bezug auf den Prüfstandard „VPAM: KDIW 2004 (18. Mai 2011)“ aus den allen Bietern übermittelten Vergabeunterlagen hinreichend erkennbar war.

52

a) § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB a.F. stellt ausdrücklich auf die objektive Erkennbarkeit eines für gegeben erachteten Vergabefehlers ab, nicht hingegen auf den Zeitpunkt der rechtlichen Bewertung als vergaberechtswidrig und damit auf den Zeitpunkt des tatsächlichen positiven Erkennens (vgl. Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl. Rdn. 710 zu § 107 GWB a.F.). Für die Erkennbarkeit ist maßgebend, ob dem Antragsteller das Übersehen des Verstoßes gegen das Vergaberecht als fahrlässige Vernachlässigung einer Obliegenheit vorgeworfen werden kann. Nicht erforderlich ist, dass der Vergaberechtsverstoß positiv erkannt wurde (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 266 zu § 160 GWB n.F.).

53

Wie die Antragstellerin zu Recht hervorgehoben hat, muss sich die Erkennbarkeit von Verstößen gegen Vergabevorschriften im Sinne des § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB auf zwei Komponenten beziehen, und zwar auf die den Rechtsverstoß begründenden Tatsachen einerseits und deren rechtlichen Bewertung als Vergaberechtsverstoß andererseits. Die Erkennbarkeit der die (mögliche) Vergaberechtswidrigkeit begründenden Tatsachen ist mithin nicht ausreichend; hinzutreten muss vielmehr auch das Bewusstsein, dass hieraus in rechtlicher Hinsicht ein Vergaberechtsverstoß resultieren könnte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Januar 2014, Verg 26/13, VergabeR 2014, 424; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Juni 2013, VII Verg 8/13 VergabeR 2014, 46; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Februar 2015, NZBau 2015, 319; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Juni 2016, 11 Verg 4/16, IBR 2016, 606; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. November 2014, 15 Verg 6/14, VergabeR 2015, 210; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 711 zu § 107 GWB a.F., m.w.N.). Dem Bieter muss das Erkennen des Vergaberechtsverstoßes aufgrund der Vergabeunterlagen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bei üblicher Sorgfalt mithin möglich und dessen Nichtfeststellung vorwerfbar sein. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist diese Unterscheidung zwischen der tatsächlichen Erkennbarkeit der den Vergaberechtsverstoß begründenden Tatsachen einerseits und der rechtlichen Bewertung dieser Tatsachenbasis andererseits in dem angefochtenen Beschluss der Vergabekammer nicht außer Acht geblieben. Es trifft nicht zu, dass die Vergabekammer aus der angenommenen tatsächlichen Erkennbarkeit ohne jede weitere Begründung auf die rechtliche Erkennbarkeit eines Rechtsverstoßes geschlossen habe.

54

Was die Erkennbarkeit in rechtlicher Hinsicht anbelangt, ist dabei nicht etwa auf den Erkenntnishorizont eines Vergaberechtsexperten abzustellen, sondern auf den Adressatenkreis der Bekanntmachung, nämlich die Bieter (vgl. Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 712 zu § 107 GWB a.F.). Eine Rügepräklusion kommt deshalb im allgemeinen bei solchen Rechtsverstößen in Betracht, die sich auf eine allgemeine Überzeugung der Vergabepraxis gründen und gewissermaßen aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre und ohne Anwendung juristischen Sachverstandes ins Auge fallen (vgl. OLG Frankfurt NZBau 2015, 319; OLG Düsseldorf VergabeR 2014, 46; OLG Düsseldorf VergabeR 2014, 424; OLG Karlsruhe VergabeR 2015, 210; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 713 zu § 107 GWB a.F.). Der Vergaberechtsverstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots unter Beachtung der gebotenen üblichen Sorgfalt ohne weiteres auffällt (vgl. OLG Karlsruhe VergabeR 2015, 210).

55

Umstritten ist, ob dabei an die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Bieters (vgl. OLG Koblenz VergabeR 2008, 264; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. April 2015, VII Verg 35/14, NZBau 2015, 440; OLG Frankfurt IBR 2016, 606; OLG Celle VergabeR 2012, 237; OLG Celle VergabeR 2012, 176; Summa in Hermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 268 zu § 160 GWB n.F.) oder subjektiv-individuell an die des konkreten Unternehmens anzuknüpfen ist (vgl. Wiese in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., Rdn. 112 zu § 107 GWB a.F.). Der EuGH hat durch Urteil vom 12. März 2015 (Geschäftsnummer C-538/13, VergabeR 2015, 546) hierzu entschieden, dass die Vergabeunterlagen so gefasst werden müssen, dass alle durchschnittlich fachkundigen Bieter sie bei Anwendung der üblichen Sorgfalt in gleicher Weise auslegen können (Rn. 54). Daraus folgt, dass das nationale Gericht zu prüfen hat, ob der betroffene Bieter die in Rede stehenden Vergabebedingungen tatsächlich nicht hat nachvollziehen können oder ob er sie hätte nachvollziehen können müssen, wenn man den Maßstab eines durchschnittlich fachkundigen Bieters, der die übliche Sorgfalt anwendet, anlegt (Rn. 55). Da nach der Rechtsprechung des EuGH auch die deutschen Präklusionsvorschriften an der Rechtsmittelrichtlinie zu messen sind, spricht vieles dafür, nicht auf die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Antragstellers abzustellen. Maßstab muss vielmehr sein, ob die Verstöße von einem durchschnittlichen Bieter ohne anwaltlichen Rat bei üblicher Sorgfalt und den üblichen Kenntnissen erkannt werden konnten (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Juni 2016, 11 Verg 4/15, IBR 2016, 606 m.w.N.; Summa in Heiermann/Heiss, jurisPK-Vergaberecht, 4. Aufl., § 107 GWB a.F., Rdnr. 253 m.w.N.; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 712 zu § 107 GWB a.F.).

56

Im vorliegenden Fall kann dieser den Maßstab der Erkennbarkeit betreffende Meinungsstreit aber letztlich auch dahin gestellt bleiben. Denn nach beiden Maßstäben, also sowohl nach den individuellen Erkenntnismöglichkeiten der Antragstellerin als auch nach dem objektiven Erkenntnishorizont eines sorgfältigen Durchschnittsanbieters, waren die gerügten Vergabeverstöße bei sorgfältiger Prüfung auch ohne Inanspruchnahme anwaltlichen Rates aus den Vergabeunterlagen heraus ohne weiteres erkennbar.

57

Auch wenn man bei einem Durchschnittsbieter nicht eine umfassende Kenntnis der vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung voraussetzen kann und dieser insbesondere auch nicht im Einzelnen die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Bestimmungen kennen muss (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Juni 2016, 11 Verg 4/16, IBR 2016, 606; OLG Düsseldorf VergabeR 2014, 424; Wiese in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., § 107 Rdnr. 112), darf von ihm aber zumindest in aller Regel erwartet werden, dass er den Text der einschlägigen Verfahrensordnungen zur Kenntnis nimmt und mit den wichtigsten Regeln des Vergaberechts vertraut ist sowie weiß, welchen Mindestanforderungen die Vergabeunterlagen genügen müssen (vgl. OLG Karlsruhe VergabeR 2015, 210; OLG Celle VergabeR 2012, 176; Wiese in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., Rdn. 112 zu § 107 GWB a.F.; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, JurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl.,  Rdn. 277 zu § 160 GWB n.F.; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 715 zu § 107 GWB a.F.). Von Erkennbarkeit in rechtlicher Hinsicht kann dementsprechend dann ausgegangen werden, wenn die angesprochene vergaberechtliche Problematik auch einem juristischen Laien bei sorgfältigem Studium der Vergabeunterlagen auch ohne rechtliche Beratung aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre auffallen müsste, was insbesondere im Hinblick auf einen Verstoß gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot bei objektiv verständiger Betrachtung in der Regel möglich erscheint. Ein Vergaberechtsverstoß, der sich durch bloßes Lesen der einschlägigen Normen und einen Vergleich mit dem Text der Vergabeunterlagen ohne Schwierigkeiten nach dem gesunden Menschenverstand beurteilen lässt, ist für jeden erkennbar, der über die intellektuellen Fähigkeiten verfügt, die notwendig sind, um ein Angebot zu erstellen oder gar ein Unternehmen zu leiten (vgl. OLG Koblenz VergabeR 2008, 264; OLG Celle VergabeR 2012, 237; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., Rdn. 277 zu § 160 GWB n.F.; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 715 zu § 107 GWB a.F.).

58

b) Unter Anwendung dieses Maßstabes waren die gerügten Vergaberechtsverstöße in Bezug auf die Zuschlagskriterien „Material“ und „Logistik“ sowie hinsichtlich der Heranziehung der Prüfungsrichtlinie VPAM: KDIW 2004 (18. Mai 2011) für die Antragstellerin aber  durch schlichte Lektüre der Vergabeunterlagen und der einschlägigen vergaberechtlichen Normen sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht erkennbar.

59

Im Einzelnen:

60

aa) Zuschlagskriterium „Material“

61

Die von ihr im Nachprüfungsverfahren erhobene Einzelrüge der angeblich unzureichenden Transparenz des Punktesystems zu Bedeutungsgehalt und Gewichtung des Auswahlkriteriums „Material“ stützt die Antragstellerin ausschließlich auf Umstände und Tatsachen, die unmittelbar aus den Vergabeunterlagen selbst hervorgehen. Diese mögen an sie wegen eines technischen Übertragungsfehlers zwar verzögert versandt worden sein, lagen ihr aber jedenfalls mehrere Wochen vor Ablauf der Angebotsfrist vor und wurden von ihr auch zur Abgabe eines Angebotes inhaltlich ausgewertet. Bei der Befassung mit dem Inhalt der Verdingungsunterlagen im Zusammenhang mit der eigenen Angebotserstellung wurden ihr alle tatsächlichen Umstände bekannt, aus denen sie den vorgenannten Vergaberechtsverstoß des Antragsgegners herleitet. Sie stellt selbst auch nicht in Abrede, dass ihr nach Durchsicht der Vergabeunterlagen in tatsächlicher Hinsicht erkennbar war, dass die ihr von dem Antragsgegner zur Verfügung gestellten Dokumente nur wenige Informationen über die konkreten Erwartungen des Antragsgegners an das Angebot und über die Grundlagen der Bewertung enthielten. Insoweit trägt sie vor, dass für sie im Hinblick auf die in Anlage 2 enthaltene Bewertungsmatrix mit dem darin vorgesehenen Gewichtungs- und Benotungssystem insbesondere nicht zu erkennen gewesen sei, unter welchen Voraussetzungen ihr Angebot in der jeweiligen Kategorie anhand der bezeichneten Kriterien konkret eine Note zugewiesen werde. Die Vergabeunterlagen haben dem Bieter danach keine zuverlässigen und nachvollziehbaren Informationen darüber vermittelt, wie und vor allem mit welcher Punktezahl die Angebote nach den in dem Kriterienkatalog gestellten Anforderungen bewertet werden sollen. Ebenso wenig ist aus den Unterlagen hervorgegangen, worauf es der Vergabestelle im Einzelnen angekommen ist, damit ein Bieter ein qualitativ optimales Angebot erreichen könnte. Die Antragstellerin räumt dementsprechend selbst ein, dass sie die Tatsachengrundlage für den gerügten Transparenzverstoß aus den Vergabeunterlagen habe ablesen können, dieser für sie in tatsächlicher Hinsicht mithin erkennbar gewesen sei.

62

Im Hinblick auf die für sie in tatsächlicher Hinsicht erkennbaren Defizite der Vergabeunterlagen bei der Darstellung des Bewertungssystems zu dem Zuschlagskriterium „Material“ hat es aus objektiv verständiger Sicht eines branchenerfahrenen Bieters aber auf der Hand gelegen, dass hieraus zugleich ein Verstoß gegen vergaberechtliche Grundsätze resultieren dürfte. Dies muss hier erst Recht für die Antragstellerin gelten, die unstreitig seit nahezu zwanzig Jahren in der Branche tätig ist und ihr Produkt zu einem wesentlichen Anteil an öffentliche Auftraggeber vertreibt und deshalb mit der öffentlichen Vergabepraxis vertraut ist.

63

Soweit sich beim Studium der Vergabeunterlagen – wie auch hier – Unklarheiten, Ungereimtheiten, Lücken oder Widersprüchlichkeiten ergeben, ist ein Bieter vor Angebotserstellung zunächst gehalten, diesen zumindest nachzugehen, selbst wenn er die genaue Rechtslage nicht kennt (vgl. Wiese in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., Rdn. 112 zu § 107 GWB) und den öffentlichen Auftraggeber ggf. um Klarstellung zu ersuchen. Dass das Bewertungssystem des Antragsgegners Lücken und Ungenauigkeiten aufweist und deshalb nicht in Übereinstimmung mit dem Transparenzgebot zu bringen ist, musste sich für einen fachkundigen und branchenerfahrenen Bieter wie die Antragstellerin hier aber bereits aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre aus den vorliegenden Tatsachen ohne weiteres ergeben. Hierfür hat es weder vertiefter juristischer Kenntnisse der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur bedurft, noch musste der Rechtsrat eines Vergaberechtsexperten eingeholt werden. Der Antragstellerin ist zwar darin beizupflichten, dass ihr im Rahmen ihrer Rügeobliegenheit aus § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB a.F. nicht angesonnen werden kann, die aktuelle Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zum Punktebewertungs- bzw. sog. Schulnotensystem (vgl. OLG Düsseldorf Beschluss vom 21. Oktober 2015, VII Verg 28/14, VergabeR 2016, 74; Beschluss vom 16. Dezember 2014, VII Verg 25/15, VergabeR 2016, 487) im Detail zu kennen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Juni 2016, 11 Verg 4/16, IBR 2016, 606). Es ist auch zutreffend, dass es gerade im Bereich der hier relevanten Frage, in welchem Umfang Wertungsmaßstäbe konkretisiert werden müssen, unterschiedliche Rechtsprechung gibt. In den vergangenen ein bis zwei Jahren ist die Problematik allerdings so intensiv und wiederholt in Rechtsprechung, Literatur und  den Bieterkreisen thematisiert worden, dass sich ein durchschnittliches Unternehmen, das nicht völlig unerfahren auf dem maßgeblichen Markt ist und sich für einen größeren Auftrag interessiert, diesem Thema nicht gänzlich verschließen kann. Da die hier in Rede stehende vergaberechtliche Problematik seit einiger Zeit Gegenstand der vergaberechtlichen Rechtsprechung und einer breit geführten öffentlichen Diskussion ist, dürfte bei den Bieterkreisen zumindest ein gewisses Problembewusstsein vorhanden sein. Dabei ist eine vertiefte Kenntnis der Rechtsprechung im Ergebnis auch gar nicht erforderlich gewesen, um die rechtliche Bewertung aus objektiv verständiger Sicht selbst nachvollziehen und dabei erkennen zu können, dass die Angaben des Antragsgegners zu seiner Bewertungsmatrix weder hinreichend klar noch präzise und so eindeutig formuliert sind, so dass alle gebührend informierten und mit üblicher Sorgfalt handelnden Bieter die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können (vgl. zum Transparenzgebot: EuGH, Urteil vom 10. Mai 2012, C-368/10). Auch ohne eine umfassende und genaue sowie fundierte Kenntnis und Prüfung der einschlägigen Rechtsprechung hat die Antragstellerin die rechtliche Relevanz der von ihr bei Angebotserstellung in tatsächlicher Hinsicht festgestellten Lückenhaftigkeit und Unklarheit sowie mangelnden Aussagekraft der Angaben in Bezug auf das Wertungssystem zum Zuschlagskriterium „Material“ mithin erkennen können. Einer eingehenden rechtlichen Beratung hat es für diese Erkenntnis nicht bedurft (vgl. ähnlich OLG Naumburg, Beschluss vom 08. Oktober 2009, 1 Verg 09/09). Der Umstand, dass  die Bewertungsmatrix des Antragsgegners mit dem Punktesystem wenig aussagekräftig und nicht nachvollziehbar ist, musste nämlich jedem durchschnittlichen Bieter, von dem bei Ausschreibungen mit hohen Auftragswerten erwartet werden darf, dass er über einen aktuellen Text der einschlägigen Vergabeordnung verfügt und zudem weiß, welchen Mindestanforderungen die Vergabeunterlagen genügen müssen (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, Rdn. 277 zu § 160 GWB), ins Auge fallen.

64

Für eine laienhafte rechtliche Bewertung der Intransparenz von Wertungskriterien ist es in erster Linie auf die rechtliche Einschätzung des fachkundigen Bieters angekommen, ob er sich aufgrund der ihm erteilten Informationen imstande sieht, ein wettbewerbsfähiges Angebot einschließlich einer Kalkulation zu erstellen. Es ist regelmäßig – wie auch hier – ohne rechtliche Beratung möglich und dem Bieter auch zumutbar zu entscheiden, ob anhand der mitgeteilten Zuschlagskriterien und Unterkriterien sowie ihres Verhältnisses zueinander in dem Bewertungssystem hinreichend zu erkennen ist, worauf es dem öffentlichen Auftraggeber für seine Auswahlentscheidung unter den Bewerbern ankommt. Gleiches gilt für die Bewertung, ob die vorgenommenen Einstufungen für die Punkteverteilung für einen branchen- und fachkundigen Bieter, an den sich Verdingungsunterlagen richten, eindeutig verständlich sind oder nicht. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung hierfür hilfreich sein mag, notwendig ist sie indessen nicht, denn der Maßstab der Verständlichkeit ist in erster Linie an dem Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters ausgerichtet und setzt keine fundierte juristische Bewertung einer komplexen Rechtsfrage und eine Auseinandersetzung mit gegenläufigen Rechtspositionen voraus. Soweit sich der Bieter wegen fehlender oder unzureichender Angaben zu den Wertungskriterien nicht in der Lage sieht, ein Angebot vergaberechtskonform zu unterbreiten, liegt ein Verstoß gegen vergaberechtliche Grundsätze, insbesondere gegen das Transparenzgebot, vielmehr geradezu auf der Hand (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 08. Oktober 2009, 1 Verg 09/09; OLG Naumburg Beschluss vom 25. September 2008, 1 Verg 3/08; VK Nordbayern, Beschluss vom 18. Juni 2010, 21 VK 3194-18/10; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., Rdn. 286 zu § 160 GWB n.F.; Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 726 zu § 107 GWB a.F.). So liegen die Dinge auch hier. Die Antragstellerin, die sich für die Erstellung eines eigenen Angebots mit den Vergabeunterlagen intensiv auseinander setzen musste, hat hierbei feststellen müssen, dass es ihr Schwierigkeiten bereitet, ein wettbewerbsfähiges Angebot abzugeben, weil sie anhand der vorliegenden Bewertungsmatrix nicht von vorneherein beurteilen konnte, auf welche konkreten Leistungen der Antragsgegner besonderen Wert gelegt hat. Sie trägt hierzu selbst vor, dass ihr verschlossen geblieben sei, welche Angebotsdefizite bei welchen Unterkriterien welchen Punkteabzug veranlassten. Ihre Wirtschaftlichkeitsberechnung und die betriebswirtschaftliche Angebotskalkulation seien dabei entscheidend davon abhängig gewesen, dass es ihr nach objektiven Maßstäben möglich sei, die Wertungssystematik des Auftraggebers nachzuvollziehen, was ihr hier nicht gelungen sei. Soweit sie sich wegen der tatsächlich festgestellten Defizite gehindert sieht, ein eigenes Angebot zu erstellen, hat sich ihr aber als erfahrene und verständige Bieterin, die sich für einen größeren öffentlichen Auftrag in ihrem Marktsegment interessiert, – auch ohne eine vorherige juristische Beratung zur Sach- und Rechtslage – in rechtlicher Hinsicht die Bewertung aufdrängen müssen, dass diese von ihr für unzureichend und unverständlich gehaltenen Angaben des Antragsgegners zu dem Bewertungssystem nicht den vergaberechtlichen Grundsätzen der Transparenz entsprechen kann. Die Notwendigkeit einer rechtlichen Beratung kann sich unter Umständen – so auch hier – nach dem Erkennen des vermeintlichen Vergaberechtsverstoßes ergeben. Denn dann sind die Erfolgsaussichten einer entsprechenden Rüge, ggf. die zu fordernden Abhilfemaßnahmen und das weitere Vorgehen unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu prüfen; hierfür wird dem Bieter die Rügefrist zugebilligt (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 25. September 2008, 1 Verg 3/08).

65

Nach den genannten Maßstäben hat Erkennbarkeit im Sinne des § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB danach schon vor Ablauf der Angebotsfrist vorgelegen. Da die Antragstellerin den Transparenzverstoß jedoch nicht bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe gerügt hat, ist sie hiermit im Nachprüfungsverfahren präkludiert (§ 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB). Wollte man hingegen bei diesem offen zutage tretenden Transparenzmangel die rechtliche Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes erst nach einer entsprechenden anwaltlichen Beratung annehmen, würde die Präklusionsvorschrift des § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB weitgehend ins Leere gehen. Eine solche Begrenzung der Rügeobliegenheit würde ihrem Sinn, den Auftraggeber Gelegenheit zu geben, etwaige Vergabefehler frühestmöglich zu beseitigen, nicht gerecht werden.

66

In Anbetracht der sich aufdrängenden Hinweise auf einen Verstoß gegen das Transparenzgebot in den Vergabeunterlagen spricht gegen eine Erkennbarkeit vorliegend auch nicht, dass der Antragsgegner selbst einen solchen Verstoß in Abrede gestellt hat. Wie die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt hat, liegt es in der Natur der Sache, dass er diese Position einnimmt. Denn dies beruht erkennbar auf dem Bestreben des Antragsgegners, keine Möglichkeit zur Durchsetzung der eigenen Interessen im Nachprüfungsverfahren ungenutzt zu lassen (vgl. ebenso: OLG Karlsruhe VergabeR 2015, 210).

67

bb) Zuschlagskriterium „Logistik“

68

Die Vergabekammer hat darüber hinaus zu Recht auch in Bezug auf das Auswahlkriterium „Logistik“ die Erkennbarkeit eines Vergaberechtsverstoßes sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht bejaht.

69

Soweit die Antragstellerin hierzu rügt, dass die Wertung der angebotenen Leistung auf der Grundlage des Zuschlagskriteriums „Logistik“ in keiner Weise in den Vergabeunterlagen beschrieben ist, so dass sie bei Erstellen ihres Angebots im vornehinein nicht habe beurteilen können, auf welche konkreten Leistungen der Antragsgegner besonderen Wert gelegt hat, musste ihr dies aber schon nach erster sorgfältiger Lektüre der Vergabeunterlagen vor Ablauf der Angebotsfrist aufgefallen sein. Ihr konnte bei Lesen der Vergabeunterlagen nicht verborgen geblieben sein, dass jegliche Erläuterungen zu der Wertung dieses Zuschlagskriteriums fehlen und damit auch der zugrunde liegende Wertungsmaßstab für eine Binnendifferenzierung nicht nachvollzogen werden kann. Die Erkennbarkeit in tatsächlicher Hinsicht bestreitet die Antragstellerin selbst auch nicht.

70

Soweit sie allerdings meint, aus dieser erkennbaren Tatsachenbasis habe sie noch nicht notwendig die rechtliche Wertung als Vergaberechtsverstoß nachvollziehen müssen, überzeugt dies nicht. Der Antragstellerin musste sich bereits bei Studium der Vergabeunterlagen geradezu aufdrängen, dass der gänzliche Verzicht auf eine Erläuterung des Zuschlagskriteriums „Logistik“ in rechtlicher Hinsicht nicht in Übereinstimmung mit den Vergabevorschriften zu bringen ist. Es musste ihr bei Vorbereitung ihres Angebots ins Auge fallen, dass die Vergabeunterlagen mangels konkreter Angaben zu dem Zuschlagskriterium „Logistik“ unklar, unverständlich und lückenhaft geblieben sind und deshalb auch zu diesem Rügepunkt nicht vergaberechtskonform sein können, sondern dem vergaberechtlichen Transparenzgebot offen widerstreiten. Für die Frage, ob eine Unklarheit, ein Widerspruch oder eine Abweichung innerhalb der Vergabeunterlagen vorliegt, hat es hierbei keiner besonderen Rechtskenntnisse bedurft (vgl. Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 786 zu § 107 GWB a.F.). Auch die rechtliche Einordnung, dass der Bieter das Risiko eines Ausschlusses seines Angebotes eingeht, wenn er bei erkannter Unklarheit und Lückenhaftigkeit der Verdingungsunterlagen sein eigenes Verständnis zugrunde legt und deshalb möglicherweise ein unvollständiges Angebot abgibt, ist für einen durchschnittlichen Bieter durchaus erkennbar gewesen. Es gehört zum Allgemeinwissen eines Bieters, dass unvollständige Angebote grundsätzlich vom Verfahren auszuschließen sind. Vermeintliche Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten in den Vergabeunterlagen darf er deshalb nicht einfach hinnehmen. Vielmehr muss der Bieter die sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots klären und bei dem Auftraggeber ggf. um Klarstellung nachsuchen (vgl. Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl., Rdn. 786 zu § 107 GWB a.F.). Die Antragstellerin hätte daher entweder durch eine Bieteranfrage oder durch eine Rüge vor Ablauf der Angebotsfrist eine Ergänzung der Angaben einfordern müssen.

71

cc) Zugrundelegung des Prüfungsstandards „VPAM: KDIW 2004 (18.05.2011)“:

72

Wie die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, ist der Antragstellerin schließlich auch der vermeintliche Vergaberechtsverstoß in Bezug auf die Heranziehung der Prüfungsrichtlinie „VPAM: KDIW 2004 (18.05.2011)“ als alleiniger Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Stich- und Schlagschutzeigenschaften der Schutzweste schon bei Durchsicht der Vergabeunterlagen vor Ablauf der Angebotsfrist sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht erkennbar gewesen. Zu Unrecht beanstandet die Antragstellerin hingegen, die Vergabekammer habe im Hinblick auf eine Präklusion nach § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB auch bei diesem Rügepunkt nicht präzise zwischen der tatsächlichen und der rechtlichen Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen unterschieden. Es trifft nicht zu, dass die Vergabekammer aus der angenommenen tatsächlichen Erkennbarkeit pauschal und ohne jegliche Begründung auf die rechtliche Erkennbarkeit eines Rechtsverstoßes geschlossen habe.

73

Die Antragstellerin hatte sich mit der Prüfungsrichtlinie unstreitig bereits vor Einleitung des Vergabeverfahrens eingehend inhaltlich befasst. Sie hatte hierzu ein Privatgutachten eingeholt und ihre jetzigen Verfahrensbevollmächtigten mit einer Stellungnahme gegenüber dem Beschlussamt M. beauftragt, in der diese die verschiedenen fachlichen Mängel und Defizite des Prüfverfahrens aufzeigten und das Beschlussamt zu deren unverzüglichen Behebung aufforderten. Außerdem hat sie ein Rundschreiben vom 12. April 2016 an alle Beschaffungsstellen und Bedarfsträger der Länder und des Bundes versandt, in dem sie die wesentlichen Kritikpunkte an der Prüfungsrichtlinie im Einzelnen aufgeführt hatte. Insbesondere ist darin beanstandet worden, dass keine Vergleichbarkeit mit den Prüfergebnissen inländischer und anderer ausländischer Prüfämter und keine Markttransparenz gewährleistet sei.

74

Im Hinblick hierauf waren ihr die gerügten Mängel der Prüfungsrichtlinie aber von Anfang an bekannt. Aus den Vergabeunterlagen konnte sie entnehmen, dass der Antragsgegner die Prüfungsrichtlinie „VPAM: KDIW 2004 (18. Mai 2011)“ in dem Vergabeverfahren ungeachtet deren Defizite als alleinigen Prüfungsstandard für die Basisschutzweste zugrunde gelegt hat. Für sie war außerdem ersichtlich, dass er die Richtlinie auch nicht lediglich als Mindeststandard heranziehen wollte. Soweit sie aber an der in ihrem Rundschreiben geäußerten Ansicht, dass die VPAM: KDIW 2004 (18. Mai 2011) mit erheblichen Mängeln behaftet sei, die eine Vergleichbarkeit der Produkte erschwere, weil sie es nicht erlaube, zwischen den verschiedenen Angebotsmustern angemessen zu differenzieren, weiterhin festhalten wollte, konnte sie sich nach Lektüre der Vergabeunterlagen aber auch zu diesem Rügepunkt nicht der rechtlichen Schlussfolgerung entziehen, dass die Heranziehung der Prüfungsrichtlinie als alleiniger Prüfstandard für die Beurteilung der Stich- und Schlagschutzeigenschaften der Schutzwesten keine geeignete Grundlage für eine qualitative Wertung darstellt und dementsprechend vergaberechtswidrig sein dürfte. Die Vergabekammer ist in dem angefochtenen Beschluss zu Recht davon ausgegangen, dass dieser Umstand für die erfahrene Antragstellerin offenkundig sein musste, zumal bei einer Wertung der Angebote gerade deren Unterschiede herausgearbeitet und entsprechende Vergleiche angestellt werden. Nachdem die Antragstellerin zu der Prüfungsrichtlinie bereits im Vorfeld des Vergabeverfahrens rechtliche Beratung in Anspruch genommen hatte und ihre jetzigen Verfahrensbevollmächtigten bereits am 11. April 2016 ein Aufforderungsschreiben an das Beschlussamt M. sowie am 14. April 2016 an alle öffentlichen Auftraggeber auf Bundes- und Landesebene verfasst hatten und darin auf Ungereimtheiten und fachliche Mängel der Prüfungsrichtlinie aufmerksam machten, hat es aber keiner erneuten rechtlichen Beratung mehr bedurft, um aus der erkannten Tatsache, dass der Antragsgegner diese Richtlinie trotz deren Mängel und Defizite im Formblatt „Angebot“ als ausschließlichen Prüfungsstandard für das Produkt zugrunde legt, die rechtliche Wertung eines Vergaberechtsverstoßes zu ziehen. Dass zu diesem Rügepunkt noch auf keine einschlägige vergaberechtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann und sich die vergaberechtliche Literatur hiermit ebenfalls noch nicht befasst hatte, ist – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – demgegenüber unerheblich. Dieser Umstand steht der hier aufgrund der sachlichen und rechtlichen Vorbefassung anzunehmenden Erkennbarkeit der Problematik nicht entgegen.

75

dd) Soweit die Antragstellerin im Übrigen geltend gemacht hat, dass sie sich zu den internen Wertungsvorgängen beim Antragsgegner und zur fehlerhaften Bewertung der eigenen Offerte erst habe Gedanken machen können, als ihr das Vorab-Informationsschreiben des Antragsgegners vorgelegen habe, ist dies nicht nachvollziehbar, weil sie in ihrem Nachprüfungsantrag selbst nicht auf eine Rechtsverletzung durch einen internen Wertungsvorgang des Antragsgegners bzw. eine fehlerhafte Bewertung ihres Angebots abgestellt hat, sondern auf einen Transparenzverstoß, den sie aus den Vergabeunterlagen herleitet. Durch das Vorab-Informationsschreiben des Antragsgegners vom 03. Juli 2016 und die hierauf in Anspruch genommene anwaltliche Beratung hat sie insoweit aber keine neuen Erkenntnisse gewinnen können. Sie rügt vielmehr ausschließlich Aspekte, die sich einem durchschnittlichen Bieter ohne weiteres bereits unmittelbar aus den Vergabeunterlagen aufdrängen mussten. Dabei benennt sie ausschließlich Umstände, die unabhängig von der späteren Wertung des Antragsgegners bereits bei der Ausarbeitung eines Angebots erkennbar gewesen sind. Auch nach ihrem Vorbringen im Nachprüfungsverfahren sind für sie durch das Vorabinformationsschreiben keine weiteren neuen tatsächlichen Erkenntnisse hinzugetreten, die etwa erst später die Bewertung als vermeintlich vergaberechtswidrig hätten eröffnen können.

76

Da die Antragstellerin bis zum Ablauf der Angebotsabgabefrist keine entsprechenden Rügen eingereicht hat, ist sie mit der Rüge der mangelnden Transparenz der Zuschlagskriterien „Material“ und „Logistik“ sowie der ausschließlichen Heranziehung der Richtlinie VPAM: KDIW 2004 (18. Mai 2011) als alleiniger Prüfungsstandard für die Beurteilung der der Stich- und Schlagschutzeigenschaften der Schutzwesten nunmehr gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB a.F. ausgeschlossen.

77

Nach alledem hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu Recht als unzulässig verworfen.

V.

78

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragsgegners beruht auf §§ 120 Abs. 2, 78 Abs. 1 GWB, 97 Abs. 1 ZPO.

79

Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten der Verfahrensbeteiligten ergibt sich für das Beschwerdeverfahren aus § 120 Abs. 1 GWB und war für das Verfahren vor der Vergabekammer gemäß § 128 Abs. 4 GWB festzustellen.

VI.

80

Eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof nach § 124 Abs. 2 GWB a.F. kommt im Streitfall nicht in Betracht. Denn der Senat weicht in seinen Ausführungen zur Rügepräklusion nach § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB a.F. weder von Rechtsprechungsgrundsätzen eines anderen Oberlandesgerichtes noch des Bundesgerichtshofes in entscheidungserheblicher Weise ab. Bei der Prüfung der Erkennbarkeit eines Vergaberechtsfehlers bewegt sich der Senat vielmehr im Rahmen der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin liegt insbesondere auch keine entscheidungserhebliche Divergenz zur Rechtsprechung des Vergabesenats des Oberlandesgerichts Frankfurt in dessen Beschluss vom 23. Juni 2016 (Geschäftsnummer 11 Verg 4/16) vor, soweit der Senat von der Erkennbarkeit eines Transparenzverstoßes bezogen auf das Wertungssystem und die Bewertungskriterien des Antragsgegners anhand der den Bietern übermittelten Vergabeunterlagen ausgeht.

81

Die Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht nach § 124 Abs. 2 GWB a.F. sind erfüllt, wenn das vorlegende Oberlandesgericht als tragende Begründung seiner Entscheidung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt (vgl. BGH VergabeR 2009, 156; BGHZ 199, 327). Daran fehlt es hier.

82

Der Senat legt hinsichtlich der Erkennbarkeit eines Vergaberechtsverstoßes im Hinblick auf eine Rügepräklusion nach § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB a.F. keinen anderen Maßstab an als das Oberlandesgericht Frankfurt in dessen Entscheidung vom 23. Juni 2016 (Geschäftsnummer 11 Verg 4/16), und hat seiner Entscheidung dementsprechend auch nicht einen ergebnisrelevanten Rechtssatz zugrunde gelegt, der mit einem die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt tragenden Rechtssatz zu § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB a.F. nicht übereinstimmt. Er ist in dem hier zur Entscheidung stehenden konkreten Einzelfall lediglich im Rahmen der Subsumtion zu einem anderen tatsächlichen Ergebnis gelangt als das Oberlandesgericht Frankfurt in dem dortigen Fall. Dessen Entscheidung lag im Übrigen auch ein anderer Sachverhalt zugrunde, der im Hinblick auf das dort angegriffene Wertungssystem nur bedingt vergleichbar ist.

83

Ob eine Erkennbarkeit des gerügten Transparenzverstoßes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bis zum Ablauf der Angebotsfrist durch einfache Lektüre der Vergabeunterlagen angenommen werden kann, erfordert eine in erster Linie dem Tatrichter obliegende Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalles. Ein begründeter und verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz, der einer Divergenzvorlage zugänglich wäre, lässt sich hieraus indessen nicht ableiten.

VII.

84

Die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswertes für das gerichtliche Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat hat als Bruttoauftragssumme die von der Antragstellerin geschätzte Angebotssumme zugrunde gelegt.


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