Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (11. Zivilsenat) - 11 U 13/21
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 23.12.2020 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf bis 13.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Nach §§ 313a Abs. 1 S. 1, 540 Abs. 2 ZPO bedarf es weder einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil noch einer Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, denn nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist ein Rechtsmittel gegen das Berufungsurteil, das die Klägerin nicht mit mehr als 20.000,00 € beschwert, unzweifelhaft nicht zulässig. Nach § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO wird kurz begründet, weshalb die angefochtene Entscheidung auf die Berufung zu ändern war.
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Die Berufung der beklagten Stadt hat Erfolg. Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte.
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Als Grundlage des Schadensersatzanspruchs kommt § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG infrage. Die Beamten der Beklagten haben aber keine Amtspflichten bei der Versorgung des Kindes der Klägerin mit einem Krippenplatz verletzt.
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Die Pflicht zur Bereitstellung eines Krippenplatzes gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII ist Amtspflicht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche der Eltern auslösen kann (vgl. BGH, Urteil vom 20.10.2016, III ZR 278/15, Rn. 15). Dabei kann auch der Verdienstausfallschaden ersetzt verlangt werden (vgl. BGH a.a.O. Rn. 35).
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Verpflichtet ist der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 24 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 SGB VIII, danach ist ein Kind in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege ab Vollendung des ersten Lebensjahres zu fördern. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich dabei nach dem individuellen Bedarf. Diesen individuellen Bedarf hat die Beklagte pflichtgemäß ermittelt.
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Die Beklagte musste nicht davon ausgehen, dass sie dem Kind schon ab dem 07.06.2018 einen Platz zur Verfügung stellen musste. Zwar hatte die Klägerin den Betreuungsbedarf schon kurz nach der Geburt des Kindes per E-Mail am 19.06.2017 für die Zeit ab dem ersten Geburtstag geltend gemacht. Ab dem 07.06.2018 war dieser Anspruch fällig. Dass tatsächlich ab diesem Zeitpunkt individueller Betreuungsbedarf für das Kind bestand, hat die Beklagte aber pflichtgemäß verneint.
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Denn am 22.06.2017 hat die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann in dem an die Beklagte gerichteten Aufnahmeantrag für einen städtischen Kindergarten (Anlage B4) angegeben, dass sie eine Betreuung ab dem auf die Vollendung des ersten Lebensjahres folgenden 1. August wünsche. Aufgrund dieser schriftlichen Erklärung musste die Beklagte für die Zeit davor keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellen. Anders als das Landgericht sieht der Senat diese Angabe der Eltern nicht als unerheblich an. Zwar hängt die Fälligkeit des Betreuungsanspruchs von einer Datumsangabe nicht ab. Auch ist nach § 83 LVwG die Behörde verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, muss also grundsätzlich selbst herausfinden, ab wann das Kind betreut werden soll. Allerdings ist in der Bearbeitung des ausgefüllten Formulars vom 22.06.2017 diese pflichtgemäße Ermittlung zu sehen. Die Gemeinde kann sich darauf verlassen, dass die Eltern die ihnen zur Verfügung gestellten Formulare sorgfältig ausfüllen. Die Angaben auf dem Formular waren auch plausibel, wenn es dort heißt, dass die Mutter, also die Klägerin, Elternzeit bis zum 01.09.2018 geplant hat. Wenn man - wie die Klägerin - von einem Monat der Eingewöhnung in der Pflegeeinrichtung ausgeht, dann entspricht dies dem Wunsch nach einem Betreuungsbeginn ab 01.08.2018. Anlass, bei den Eltern nachzufragen, bestand deshalb nicht. Dies gilt auch dann, wenn die Klägerin zuvor mündlich den Bedarf für einen früheren Platz mitgeteilt hat, wie es in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22.08.2021 heißt. Denn diese mündliche Angabe war durch den schriftlichen Antrag überholt. Für die Beklagte erkennbar bestand der Bedarf deshalb frühestens ab dem 01.08.2018. Damit scheidet ein Schadensersatzanspruch für die Monate Juni und Juli 2018 aus.
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Pflichten hat die Beklagte auch nicht deshalb verletzt, weil ihre Beratung der Klägerin wegen des mündlichen und auch im Antragsformular enthaltenen Hinweises falsch war, dass bei einer Anmeldung für die Zeit ab 01. August „die Chancen einen Krippenplatz in einer der angemeldeten Kindertagesstätten zu bekommen, besser“, bei der ursprünglich gewünschten Anmeldung schon zum 07.06.2018 also schlechter seien.
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Dieser Hinweis war aber unstreitig richtig und deshalb nicht seinerseits pflichtwidrig; im Gegenteil war die Beklagte nach § 24 Abs.5 SGB VIII verpflichtet, die Klägerin über das Platzangebot in ihrem örtlichen Einzugsbereich zu informieren und sie bei der Auswahl zu beraten. Auch das, worauf die Beklagte hinwies, nämlich dass die Chancen auf den Wunsch-Krippenplatz in einer städtischen Kindertagesstätte bei einer Anmeldung zum 07.06.2018 schlechter waren, beruhte nicht auf einer Pflichtverletzung. Die Beklagte konnte ihre Pflicht aus § 24 Abs. 2 SGB VIII nämlich auch anders erfüllen als durch einen Platz gerade in einer städtischen Kindertagesstätte, für den die Anmeldung galt.
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Das Recht der Eltern, auch zu einem früheren Zeitpunkt die Kinderbetreuung – in welcher Form auch immer - zu verlangen, wird durch die Hinweise nicht in Abrede gestellt. Denn einen Anspruch auf Aufnahme ihres Kindes gerade in eine städtische Kindertagesstätte haben die Eltern tatsächlich nicht.
4.
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Auch in der Folgezeit ab dem 01.08.2018 war die Nichtbereitstellung eines Platzes nicht pflichtwidrig. Denn auch für diesen Zeitraum durfte die Beklagte annehmen, dass kein weiterer von ihr zu deckender Betreuungsbedarf für das Kind bestehe. Am 09.07.2018 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, dass das Kind ab 01.09.2018 in der Kindertagesstätte Kinderhaus in X. frühkindlich gefördert werden solle, und hierfür eine schriftliche Zusage der Übernahme der höheren Kosten im Vergleich zu einem entsprechenden Krippenplatz in Y. erbeten. Dies konnte die Beklagte so verstehen, dass jedenfalls für August 2018 keine anderweitige Betreuung mehr beantragt werden sollte. Selbst wenn die Beklagte einen Platz zur Verfügung gehabt hätte, hätte sie keine Veranlassung mehr gehabt, diesen für August der Klägerin noch zur Verfügung zu stellen.
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Um der Beklagten Gelegenheit zu geben, ihr einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, hätte die Klägerin in ihrem Schreiben vom 09.07.2018 diesen Wunsch ausdrücklich angeben müssen. Zwar heißt es in dem Schreiben, dass seitens der Beklagten trotz gesetzlichen Anspruchs und rechtzeitigen Antrags mangels freier Krippenplatzkapazitäten dem Anspruch nicht entsprochen worden sei und auch Tagespflegepersonen nicht hätten zur Verfügung gestellt werden können. Daraus wird indessen nicht deutlich, dass die Klägerin für diesen Zeitraum weiterhin einen Krippenplatz von der Beklagten verlangt. Diesen wollte sie tatsächlich ja auch nicht. Denn sie hat in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht angegeben, dass sie, nachdem sie einen Platz in X. erhalten hat, nicht weiter nach einem Platz für die Zeit vor September 2018 gesucht hat.
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Ein Schadensersatzanspruch scheitert auch aus einem weiteren Grund.
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Die Beklagte hat den Betreuungsanspruch dadurch erfüllt, dass sie Tagespflegestellen benannt hat. Die Klägerin hat zwar vorgetragen, dass eine Betreuung dort wegen nicht ausreichender Betreuungszeiten nicht möglich gewesen sein. Allerdings konnte die Beklagte nicht wissen, dass sie Betreuungszeiten von mehr als 8 Stunden täglich gewährleisten muss, hierfür also Bedarf besteht. Denn die Klägerin hatte in dem Antragsformular eine Berufstätigkeit nach der Elternzeit mit 30 Stunden in der Woche als geplant angegeben. Dass keine der benannten Tagespflegestellen diese Zeiten gewährleisten konnte, hat die Klägerin nicht bewiesen. Aus der Anhörung der Klägerin und der Vernehmung ihres Ehemanns als Zeugen ergibt sich vielmehr, dass Vorbehalte gegenüber einer Tagespflege generell bestanden. Es liegt nahe, dass dies dazu geführt hat, dass sie sich nicht ausreichend um eine Tagespflege gekümmert haben. Die Klägerin wollte lieber einen Krippenplatz. Nach § 24 Abs. 1 SGB VIII kann die Betreuung aber auch in einer Kindertagespflege erfolgen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Bei der Wertfestsetzung hat der Senat den im Urteil titulierten Zahlungsbetrag von 10.884,72 € sowie die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung, deren Wert auf 500,00 € geschätzt wird, berücksichtigt.
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Referenzen
- ZPO § 544 Nichtzulassungsbeschwerde 1x
- § 24 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- § 83 LVwG 1x (nicht zugeordnet)
- III ZR 278/15 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 540 Inhalt des Berufungsurteils 2x
- § 24 Abs. 2 SGB VIII 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- ZPO § 313a Weglassen von Tatbestand und Entscheidungsgründen 1x
- BGB § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung 1x
- § 24 Abs. 1 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)
- § 24 Abs.5 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)