Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (2. Zivilsenat) - 2 AR 37/21

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Hamburg-Altona bestimmt.

Gründe

I.

1

Das vorlegende Landgericht Kiel und das Amtsgericht Hamburg-Altona streiten darüber, welches Gericht für den Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontopfändung zuständig ist.

2

Der Antragsteller hat beim Amtsgericht Hamburg-Altona am 21.01.2021 gegen den Antragsgegner einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid über 30.938,97 Euro erwirkt.

3

Mit Schriftsatz vom 22.04.2021 hat der Antragsteller beim Landgericht Kiel den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Kontopfändung beantragt. Durch Beschluss vom 17.06.2021 hat das Landgericht Kiel den Antrag abgelehnt mit der Begründung, das Landgericht sei nicht zuständig, zuständig sei vielmehr das Amtsgericht Hamburg-Altona als Mahngericht, dieses sei Gericht der Hauptsache im Sinne des § 946 ZPO.

4

Die Antragstellerin hat daraufhin am 25.06.2021 beim Amtsgericht Hamburg-Altona den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Kontopfändung gestellt. Durch Beschluss vom 08.09.2021 hat das Amtsgericht Hamburg-Altona den Antrag wegen fehlender Zuständigkeit zurückgewiesen. Gericht der Hauptsache im Sinne des § 946 ZPO sei nicht das Mahngericht, das den Vollstreckungsbescheid erlassen habe, sondern das Landgericht Kiel als Streitgericht der Hauptsache. Der Streitwert liege über 5.000 Euro und der Antragsgegner wohne im Bezirk des Landgerichts Kiel.

5

Am 01.10.2021 hat die Antragstellerin erneut beim Landgericht Kiel den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Kontopfändung beantragt. Durch Beschluss vom 17.11.2021 hat das Landgericht Kiel die Sache dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II.

6

1. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat liegen vor. Mit dem Landgericht Kiel und dem Amtsgericht Hamburg-Altona haben sich verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit (hier: Antrag) zuständig ist, rechtskräftig für unzuständig erklärt. Zur Zuständigkeitsbestimmung ist das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht gemäß § 36 Abs. 2 ZPO berufen, das nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht (Rechtsmittelzuständigkeit) ist der Bundesgerichtshof, das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Kiel gehört zum Bezirk des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes.

7

Eine Bestimmung ist vorliegend trotz fehlender Rechtshängigkeit des Verfahrens möglich. Zwar ist grundsätzlich die Rechtshängigkeit des prozessualen Anspruches erforderlich (MüKoZPO/Patzina, 6. Aufl. 2020, ZPO § 36 Rn. 35). Etwas anderes gilt jedoch in Verfahren, in denen die Gegenpartei vor der Entscheidung am Verfahren nicht zu beteiligen ist (vgl. Musielak/Voit/Heinrich, 18. Aufl. 2021, ZPO § 36 Rn. 29). Im Verfahren für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung darf dem Schuldner vor Erlass des Beschlusses keine Kenntnis von dem Antrag gegeben werden, er darf keine Gelegenheit zur Äußerung erhalten (Musielak/Voit, ZPO vor § 946 Rn. 23, beck-online; Meixner/Bailly, DRiZ 2017, 402, beck-online).

8

2. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Hamburg-Altona.

9

Die Zuständigkeit richtet sich vorliegend nach § 946 ZPO, zuständig ist das Gericht der Hauptsache. Das Gericht der Hauptsache ist grundsätzlich nach denselben Kriterien zu bestimmen wie bei §§ 919 und 943 ZPO (BeckOK ZPO/Kreutz, 43. Ed. 1.12.2021, ZPO § 946 Rn. 2; MüKoZPO/Lugani, 6. Aufl. 2022, ZPO § 946 Rn. 11; Musielak/Voit, ZPO vor § 946 Rn. 15, beck-online; Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 946 ZPO, Rn. 14). Nach § 943 Abs. 1 ZPO, der gemäß § 946 Abs. 1 S. 2 ZPO entsprechende Anwendung findet, ist das Gericht zum Erlass des Pfändungsbeschlusses berufen, vor dem die Sache gegenwärtig anhängig ist, unabhängig davon, ob diese Zuständigkeit korrekt begründet wurde (BeckOK ZPO/Kreutz, 43. Ed. 1.12.2021, ZPO § 946 Rn. 3).

10

Bei Mahnverfahren ist Gericht der Hauptsache das Amtsgericht, dessen Rechtspfleger den Mahnbescheid erlassen hat (LG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 20. August 2018 – 5 O 269/18 –, juris; Musielak/Voit, ZPO vor § 946 Rn. 15, beck-online; MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 919 Rn. 7; BeckOK ZPO/Mayer, 43. Ed. 1.12.2021, ZPO § 919 Rn. 5; Cranshaw, jurisPR-HaGesR 7/2020 Anm. 1; a.A. G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 919 ZPO, Rn. 4; Schlosser/Hess/Hess, 5. Aufl. 2021, VO (EU) Nr. 655/2014 Art. 6 Rn. 2; OLG Hamm, Beschluss vom 10. April 2017 – I-32 SA 28/17 –, Rn. 6, juris). Es bleibt grundsätzlich bis zur Abgabe in das streitige Verfahren zuständig, ohne dass es auf die Höhe des Streitwertes ankommt (MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 919 Rn. 7) und ist auch nach Abschluss des Verfahrens (hier durch Rechtskraft des Vollstreckungsbescheides) das für diese Sache zuständige Gericht (LG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 20. August 2018 – 5 O 269/18 –, Rn. 6, juris; vgl. allgemein: Saenger, Zivilprozessordnung, ZPO § 919 Rn. 4, beck-online: Gericht der Hauptsache ist auch das erstinstanzliche Gericht, bei dem eine bereits abgeschlossene Hauptsache anhängig war).

11

Die hier vertretene Auffassung steht auch - anders als die Gegenauffassung - im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH (vgl. Cranshaw, jurisPR-HaGesR 7/2020 Anm. 1). Dieser hat entschieden, dass Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 655/2014 dahin auszulegen ist, dass ein Mahnverfahren (in Bulgarien) als „Verfahren in der Hauptsache“ im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist (EuGH, Urteil vom 07. November 2019 – C-555/18 –, Rn. 46-52, juris). Das ist auch auf das deutsche Mahnverfahren übertragbar, weil der Begriff „Verfahren in der Hauptsache“ weit auszulegen ist. Es umfasst alle Verfahren, die darauf gerichtet sind, einen vollstreckbaren Titel über die zugrunde liegende Forderung zu erwirken, einschließlich beispielsweise summarischer Mahnverfahren (EuGH, Urteil vom 07. November 2019 – C-555/18 –, Rn. 47, juris).

12

Die Gegenansicht, die von einer auf das Mahnverfahren begrenzten Zuständigkeit des Amtsgerichts ausgeht, das den Mahnbescheid erlassen hat, (so G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 919 ZPO, Rn. 4), überzeugt demgegenüber nicht. Folgte man ihr, würde die Zuständigkeit von einem Gericht, bei dem die Sache während des Mahnverfahrens anhängig ist oder war und rechtskräftig abgeschlossen wurde, auf ein anderes Gericht verlagert.

13

Für die hier vertretene Ansicht spricht schließlich, dass § 796 Abs. 3 ZPO bei der Zwangsvollstreckung aus Vollstreckungsbescheiden für bestimmte Klagen (Klagen auf Erteilung der Vollstreckungsklausel sowie Klagen, durch welche die den Anspruch selbst betreffenden Einwendungen geltend gemacht werden) das Gericht für zuständig erklärt, das für eine Entscheidung im Streitverfahren zuständig gewesen wäre. Weil sich diese Vorschrift nicht auf das Verfahren nach § 946 ff. ZPO erstreckt und es an einer vergleichbaren Vorschrift für den Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung fehlt, ist in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich von der Zuständigkeit des Gerichts auszugehen, bei dem das Mahnverfahren anhängig ist bzw. rechtskräftig abgeschlossen wurde.


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