Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 17 WF 57/05

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen Ziffer 1 des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - vom 21.12.2004 (29 F 2272/03) wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

II. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird Ziffer 4 des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - vom 21.12.2004 (29 F 2272/03)

a b g e ä n d e r t

und wie folgt neu gefasst:

Dem Antragsgegner wird die Fortführung der Folgesache Zugewinnausgleich vorbehalten.

III. Die Kosten beider Beschwerdeverfahren fallen der Antragstellerin zur Last.

Beschwerdewert:

Beschwerde der Antragstellerin: 5.400,00 EUR

Beschwerde des Antragsgegners: 5.000,00 EUR

Gründe

 
I. Beschwerde der Antragstellerin:
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Amtsgericht die Kostenfolge des § 626 Abs. 1 i.V. m. 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO angewandt. Danach trägt derjenige die Kosten des Verfahrens, der den (Klag-) Antrag zurückgenommen hat. Eine in § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO geregelte Ausnahme von diesem Grundsatz - anderweitige Vereinbarung oder Auferlegung der Kosten auf den Beklagten aus anderem Grunde (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 269 Rdn. 18a) - liegt offensichtlich nicht vor Billigkeitsgesichtspunkte können bei der Kostenentscheidung hinsichtlich der Ehescheidung keine Berücksichtigung finden. § 626 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der eine Billigkeitsentscheidung ermöglicht, bezieht sich ausdrücklich nur auf bestimmte Folgesachen. Eine Fallgestaltung, die danach eine anderweitige Kostenverteilung nach Billigkeitsgesichtspunkten zulässt, liegt - wie das Amtsgericht im Beschluss vom 07.01.2005 ausgeführt hat - nicht vor.
II. Beschwerde des Antragsgegners:
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist ebenfalls zulässig und hat in der Sache Erfolg. Ihm steht das Recht zu, die Folgesache Zugewinnausgleich, die er nicht anhängig gemacht hat, fortzuführen.
1.
Der Antrag wurde rechtzeitig gestellt, obwohl im Zeitpunkt der Antragstellung das Scheidungsverfahren und damit Folgesachen nicht mehr rechtshängig waren, nachdem der Scheidungsantrag vor einer mündlichen Verhandlung zur Sache zurückgenommen worden war. Eine Frist für den Antrag nach § 626 Abs. 2 ZPO sieht das Gesetz nicht vor. Er ist vielmehr zulässig bis zur Rechtskraft eines Beschlusses des Gerichts nach § 626 Abs. 1 Satz 3 ZPO (allg. Meinung, vgl. Musielak-Borth, a.a.O. Rdn. 7, Zöller-Philippi, a.a.O. Rdn. 9).
2.
Voraussetzung der Fortführung ist, dass die Folgesache als isoliertes Verfahren - nach entsprechender Antragsumstellung - betrieben werden kann. Das ist bei der Folgesache Zugewinn der Fall. Sie eignet sich dazu grundsätzlich in Form des vorzeitigen Zugewinnausgleichs nach §§ 1385, 1386 BGB (all. Meinung, vgl. Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 626 Rdn. 8e). Das vom Antragsgegner beabsichtigte Verfahren, das u.a. auf § 1386 Abs. 3 BGB gestützt wird, ist statthaft und nicht unzulässig. Eine Überprüfung der Schlüssigkeit des beabsichtigten Antrags obliegt dem Beschwerdegericht nicht.
3.
Die Frage, welcher Ehegatte gemäß § 626 Abs. 2 ZPO das Recht hat, den Antrag zu stellen, ihm die Fortführung einer Folgesache vorzubehalten, ist umstritten. Einerseits wird mit dem Wortlaut argumentiert (Vgl. Musielak-Borth; ZPO, 2. Aufl., § 626 Rdn. 7; Sedemund-Treiber in Johannsen/Henrich, Eherecht, 5. Aufl. § 626 Rdn. 6; nicht eindeutig Schwab-Maurer/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 5. Aufl., Kap. I Rdn. 356), andererseits mit dem Interesse der Parteien und dem Gedanken der Prozessökonomie (vgl. Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl. § 626 Rdn. 9; Kemper in Wieczorek-Schütze, ZPO, § 626, Rdn. 15; Münchner Kommentar-Finger, ZPO, 2.Aufl., § 626 Rdn. 15; Stein-Jonas-Schlosser, ZPO, 21. Aufl. § 626 Rdn. 4;).
3.
Der Senat schließt sich der letzt genannten Auffassung an.
a)
Eine Einschränkung dahingehend, dass nur die Partei befugt sein soll, den Fortführungsantrag zu stellen, die die Folgesache anhängig gemacht hat, lässt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht ableiten. Danach ist „einer“ Partei auf Antrag die Fortführung vorzubehalten. Aus dem unbestimmten Artikel ergibt sich nicht, dass dies nur die Partei sein kann, die die Folgesache anhängig gemacht hat. „Eine“ Partei ist üblicherweise irgendeine von zwei Parteien. Der Begriff des Fortführens ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ebenfalls nicht zwingend mit derjenigen Person (hier: Partei) verbunden, die ein Unternehmen begonnen hat. Dieses kann auch eine andere Person/Partei „fortführen“.
b)
10 
Auch Sinn und Zweck der Vorschrift verbieten eine Anwendung auf die Partei, die die Folgesache nicht anhängig gemacht hat, hier der Antragsgegner, nicht. Auch diese kann ein Interesse am Betreiben der Folgesache unabhängig von der Scheidung haben, z.B. in Form einer vollständigen oder teilweisen Abweisung des Antrags, also ein negatives Feststellungsinteresse. Dies ist als rechtlich schützenswertes Interesse in Form der negativen Feststellungsklage grundsätzlich anerkannt. Es erschließt sich dem Senat nicht, warum diese Klageart dem Antragsgegner bei der Fortführungsbefugnis von Folgesachen verwehrt sein soll.
11 
Gegen die einschränkende Auslegung spricht gerade bei den häufig komplizierten und langwierigen Zugewinnausgleichsverfahren auch der Gedanke der Prozessökonomie und der Vermeidung doppelter Kosten, dem die Vorschrift unstreitig dient (MüKo-Finger, a.a.O., Rdn. 17; Schwab-Maurer/Borth, a.a.O., Rdn. 354). Diese Erleichterungen darf auch der Antragsgegner für sich beanspruchen.
12 
Das unter anderem gegen diese Auffassung vorgebrachte Argument, dem Antrag des anderen Ehegatten könnte durch Rücknahme des Folgeantrags begegnet werden, erscheint nicht durchgreifend (Musielak/Borth a.a.O. Rdn. 7). Es ist nicht ersichtlich, wann die Partei, die den Scheidungsantrag und die Folgesache ursprünglich anhängig gemacht hat, nach Rücknahme des Scheidungsantrags noch die prozessuale Verfügungsbefugnis haben könnte, um die Folgesache - gegen den Willen der anderen Partei - zurückzunehmen. Nach Rücknahme des Scheidungsantrags ist auch die Folgesache als nicht anhängig geworden anzusehen (MüKo-Finger, a.a.O. Rdn. 6). Sie lebt durch einen Antrag auf das Vorbehalten des Fortführens der Folgesache auch nicht wieder auf. Erst nach dem Beschluss, der die Fortführung gestattet, gilt die Folgesache als nicht gegenstandslos. Dann ist aber (nur) die von der Entscheidung begünstigte Partei, der die Fortführung vorbehalten wurde, befugt, über das Verfahren zu verfügen bzw. es fortzuführen. Erst wenn sie davon keinen Gebrauch macht, mag es sein, dass die Partei, die das Verfahren als Folgesache anhängig gemacht hatte, das Verfahren fortführen darf (vgl. Schwab-Maurer/Borth a.a.O. Rdn. 361 m. w. N.). Erfolgt dann eine Rücknahme, so beeinträchtigt sie den Prozessführungswillen der anderen Partei offenkundig nicht mehr.
c)
13 
Es könnte erwogen werden, den Antragsgegner darauf zu verweisen, entweder rechtzeitig einen eigenen Scheidungsantrag zu stellen, um den Stichtag zu wahren oder im (nächsten) Zugewinnausgleichsverfahren die Einwendung nach § 1375 Abs. 2 BGB vorzubringen. Beide Argumente erschüttern die hier vertretene Auffassung nicht. Die Notwendigkeit eines eigenen Scheidungsantrags wird häufig zu Beginn des Verfahrens nicht absehbar sein und würde zu überflüssigen Anträgen führen. Die Einwendung nach § 1375 BGB bietet dem dann für die in § 1375 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB (u.a. Vermögensverschwendung, Benachteiligungsabsicht) beweispflichtigen Antragsgegner nicht ohne weiteres gleichwertigen Rechtsschutz.
III.
14 
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 3, 97 Abs. 1 ZPO.

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