Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 201 Kart 1/06

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin vom 12.06.2006 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde vom 24.05.2006 gegen die Auskunftsverfügung des Antragsgegners vom 02.05.2006, Az. 1-4452.87/380, wird

zurückgewiesen.

Gründe

 
I.
Mit ihrem Antrag vom 12.06.2006 (Bl. 1/4) beantragt die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde vom 24.05.2006 gegen die Auskunftsverfügung des Antragsgegners vom 02.05.2006 anzuordnen.
Mit Schreiben vom 04.04.2006 (K 1, Bl. 6) forderte der Antragsgegner die Antragstellerin unter Hinweis darauf, dass er gem. § 32 e GWB die Gaspreisgestaltung im Tarifkundenmarkt der G in B-W untersuchen wolle, auf, über die im Schreiben im Einzelnen angegebenen Umstände Auskunft zu geben, darunter gem. I.3 auch über die „Boni, Rabatte, Werbekostenbeihilfen usw.“, die die Antragstellerin „vom Vorlieferanten oder im Zusammenhang mit dem Gasbezug für das Gaseinkaufswirtschaftsjahr 2004/2005 erhalten“ habe. Nachdem die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.04.2006 die Auskunft über diese Umstände – bei gleichzeitiger Erteilung der im Übrigen geforderten Auskünfte – verweigerte, erließ der Antragsgegner mit Schreiben vom 02.05.2006 gegen die Antragstellerin eine Auskunftsverfügung bezüglich der unter I. 3 seines Schreibens vom 04.04.2006 geforderten Angaben (K 2, Bl. 9). Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 24.05.2006 (K 3, Bl. 11) Beschwerde ein, mit der sie die Aufhebung der Auskunftsverfügung erstrebt.
Mit ihrem den Gegenstand des hiesigen Verfahrens bildenden Antrag vom 12.06.2006 beantragt die Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung der Beschwerde der Antragstellerin vom 24.05.2006 gegen die Auskunftsverfügung des Antragsgegners vom 02.05.2006, Az. 1-4452.87/380, anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde vom 24.05.2006 gegen die Auskunftsverfügung vom 02.05.2006 ist gem. § 65 Abs. 3 S. 3 GWB zulässig, in der Sache jedoch ohne Erfolg.
Gem. § 65 Abs. 3 S. 3 GWB kann das Beschwerdegericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung – die der gegen die Auskunftsverfügung gerichteten Beschwerde gem. § 64 GWB nicht zukommt – ganz oder teilweise anordnen, wenn entweder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung i. S. v. § 65 Abs. 3 S.1 Nr. 2 GWB bestehen oder deren Vollziehung im Sinne von § 65 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
1. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auskunftsverfügung bestehen nicht.
10 
a) Gem. § 32 e Abs. 1 GWB kann die Landeskartellbehörde (§ 48 GWB), hier also der Antragsgegner, die Untersuchung eines bestimmten Wirtschaftszweiges durchführen, wenn starre Preise oder andere Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb im Inland möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist (sog. Enquêteuntersuchung). Im Rahmen dieser Untersuchung kann die L gem. § 32 e Abs. 2 GWB die zur Anwendung des GWB oder der Art. 81, 82 EGV erforderlichen Ermittlungen durchführen und in deren Rahmen von den betreffenden Unternehmen Auskünfte verlangen.
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Bei der Beurteilung der Frage, ob i. S. v. § 32 e Abs. 1 GWB Umstände vorliegen, die vermuten lassen, dass der Wettbewerb im Inland möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist, steht der L, wie sich schon aus der weiten Formulierung der Ermächtigung ergibt, ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Rechtswidrig ist die Durchführung der Enquêteuntersuchung erst dann, wenn die Annahme einer möglichen Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs nicht vertretbar ist, d. h. unter keinem plausiblen Gesichtspunkt gerechtfertigt sein kann (Rehbinder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, § 32 e GWB Rdnr. 2). Die Grenzen dieses weiten Beurteilungsspielraums hat der Antragsgegner nicht überschritten.
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Wie der Antragsgegner dargelegt hat, hat insbesondere die von ihm durchgeführte Gaspreisabfrage zum 01.11.2005 ergeben, dass bei – regional marktbeherrschenden – G im L B-W mit denselben Vorlieferanten und etwa gleichen Strukturmerkmalen, vergleichbarer Absatzdichte und Topographie beachtliche Preisunterschiede von mehr als 30% bestehen, die kaum erklärt werden können. Hinzukommt, dass sowohl die Gaspreisabfrage als auch die auf ihrer Grundlage eingeleiteten Missbrauchsverfahren im Januar 2006 ergeben haben, dass es einzelne Unternehmen gibt, die gerade in der Hochlastzeit (November 2005 bis Januar 2006) im Vergleich zum Anstieg ihrer Bezugspreise die Gashaushaltskundenpreise über das Maß angehoben haben. Damit aber liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Wettbewerb im Tarifkundenbereich der G in B-W eingeschränkt oder verfälscht ist. Dass der Antragsgegner insoweit von unzutreffenden tatsächlichen Annahmen ausgeht, ist nicht ersichtlich. Auch die Antragstellerin bringt nichts vor, was die Vermutung eines eingeschränkten oder verfälschten Wettbewerbs in Frage stellen könnte.
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Die Durchführung der Enquêteuntersuchung ist daher nach § 32 e GWB zulässig. In ihrem Rahmen ist der Antragsgegner berechtigt, zur Ermittlung etwaiger Verstöße gegen § 19 GWB – insbesondere 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB – oder Art. 81, 82 EGV von allen zu dem untersuchten Wirtschaftszweig gehörenden Unternehmen, mithin auch der Antragstellerin, Auskünfte zu verlangen.
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b) Gem. § 32 Abs. 4 GWB i. V. m. § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB kann der Antragsgegner von den Unternehmen hierbei insbesondere Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Herausgabe der diesbezüglichen Unterlagen verlangen, dies allerdings nur, soweit es zur Durchführung der Untersuchung nach § 32 e GWB erforderlich ist und nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 59 Rdnr. 3) verstößt.
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aa) Der Begriff der wirtschaftlichen Verhältnisse ist weit zu fassen. Er umfasst alle tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen des Adressaten und betrifft die gesamte betriebliche und gesellschaftsrechtliche Sphäre des Unternehmens (Klaue in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 59 Rdnr. 25). Insbesondere werden auch Angaben über Produkte, Preise, Kalkulations- und Kostengrundlagen sowie Geschäftsbedingungen umfasst (Becker in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 59 Rdnr. 5). Der Antragsgegner kann daher grundsätzlich auch umfassende Auskunft über die Einkaufsbedingungen der von der Untersuchung erfassten Gasversorgungsunternehmen verlangen, die nicht nur Angaben über die nominellen Einkaufspreise, sondern auch über die von den Lieferanten erhaltenen Boni, Rabatte, Werbekostenbeihilfen und sonstigen Vergünstigungen umfasst. Ebenso kann er die Herausgabe der diesbezüglichen Unterlagen fordern.
16 
bb) Diese Auskünfte und die Herausgabe der Unterlagen sind zur Durchführung der Enquêteuntersuchung auch erforderlich.
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Zu berücksichtigen ist, dass der L bei der Prüfung der Erforderlichkeit ihrer Ermittlungen grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zusteht (Bechtold, § 59 Rdnr. 5). Die angeordneten Ermittlungsmaßnahmen müssen jedoch zur Erreichung des Untersuchungszwecks – Feststellung von Verstößen gegen das GWB oder die Art. 81, 82 EGV – geeignet sein und es darf kein milderes Mittel zur Verfügung stehen. Dies ist hier der Fall.
18 
Die geforderten Auskünfte über die Boni, Rabatte, Werbekostenbeihilfen und ähnlichen Vergünstigungen sowie die Herausgabe der diesbezüglichen Unterlagen sind nicht nur geeignet, die Frage eines Ausbeutungsmissbrauchs der Gasversorgungsunternehmen nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB oder einer sonstigen missbräuchlichen Preisgestaltung nach § 19 Abs. 1 GWB im Bereich der Tarifkundenversorgung zu klären, sondern es stehen auch keine milderen, gleichermaßen erfolgversprechenden Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung. Insbesondere die Frage, ob in dem untersuchten Wirtschaftszweig Fälle des Ausbeutungsmissbrauchs nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB vorliegen, weil bestimmte Gasversorgungsunternehmen Entgelte fordern, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, kann von der Kartellbehörde zuverlässig erst beurteilt werden, wenn sie über eine umfassende Kenntnis der preisbildenden Faktoren, insbesondere auch über die Kostenstruktur und Kalkulation, die der Preisbildung zugrunde liegt, verfügt (Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rdnr. 54; vgl. auch vgl. OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 914, 916). Zur sicheren Feststellung des Ausbeutungsmissbrauchs nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB reicht es daher nicht aus, dass der Kartellbehörde nur die „normalen“, also nominellen Einkaufspreise genannt werden. Denn diese allein geben kein zutreffendes Bild der tatsächlichen Einkaufskosten der Gasversorgungsunternehmen, wenn deren Lieferanten daneben besondere Boni, Rabatte, Werbekostenbeihilfen und sonstige Vergünstigungen gewähren. Erst wenn der Antragsgegner aber aufgrund der geforderten Auskünfte ein umfassendes Bild über die effektiven Einkaufs- und sonstigen Kosten (Netznutzungsentgelte etc.) erhalten hat, kann er auch im Rahmen des sog. Vergleichsmarktkonzepts zuverlässig beurteilen, ob die von den Tarifkunden geforderten Endpreise denjenigen entsprechen, die sich bei wirksamem Wettbewerb ergeben würden (vgl. hierzu Wiedemann, a.a.O., § 93 Rdnr. 53).
19 
cc) Die Antragstellerin wird durch die geforderte Auskunft und Herausgabe von Unterlagen auch nicht in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt.
20 
(1) Dass die Antragstellerin auf dem untersuchten Markt nach eigenem Vorbringen zu den preisgünstigen Anbietern zählt und deshalb ggf. ihr gegenüber kein Anfangsverdacht eines Verstoßes gegen das GWB oder die Art. 81, 82 EGV bestehen mag, ist unerheblich. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 32e GWB die Kartellbehörden gerade dazu ermächtigt, einen gesamten Wirtschaftszweig zu untersuchen und hierzu von allen zugehörigen Unternehmen Auskünfte zu fordern, wenn die Vermutung besteht, dass der Wettbewerb in diesem Wirtschaftszweig eingeschränkt oder verfälscht ist. Die Pflicht zur Auskunft und Herausgabe nach § 32 e i.V.m. § 59 GWB setzt also im Falle der Enquêteuntersuchung gerade nicht voraus, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass gerade die Unternehmen, von denen Auskunft verlangt wird, gegen das GWB oder Art. 81, 82 EGV verstoßen haben.
21 
(2) Dass die Antragstellerin durch die Auskunftsverfügung zu einer Preisgabe von, wie sie geltend macht, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verpflichtet wird, begründet keine Unverhältnismäßigkeit. Dem berechtigten Interesse der Antragstellerin an dem Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse wird in ausreichender Weise Rechnung getragen durch die besonderen gesetzlichen Regelungen des § 72 GWB (für das Beschwerdeverfahren) bzw. des für das Kartellverwaltungsverfahren entsprechend geltenden § 29 (L)VwVfG (vgl. zur Anwendbarkeit: Mees in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 72 Rdnr. 1; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, § 72 Rdnr. 1), dessen Handhabung im Verwaltungsverfahren sich insbesondere in Bezug auf Geheimhaltungspflichten an den Maßstäben des § 72 GWB zu orientieren hat (Schmidt, ebd.), sowie durch die Verschwiegenheitspflichten der Mitarbeiter des Antragsgegners und die von ihm in der Antragserwiderung geschilderten behördeninternen Maßnahmen zur Wahrung des Geheimnisschutzes. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass gerade die Bestimmung des § 72 Abs. 2 S. 2 GWB, gemäß der die Kartellbehörde die Zustimmung zur Einsicht in die ihr gehörigen Unterlagen zu versagen hat, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist, zeigt, dass sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Ermittlungsmaßnahmen der Kartellbehörde gerade auch auf Umstände erstrecken dürfen, bei denen es sich um Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse handelt (KG WuW OLG 3721, 3725). Dem Auskunftsverlangen der Kartellbehörde steht daher die Tatsache, dass sich die Auskunft auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse bezieht, grundsätzlich nicht entgegen (Becker in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 59 Rdnr. 12).
22 
c) Ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 32 e Abs. 4 GWB i. V. m. § 59 Abs. 5 GWB besteht schon deshalb nicht, weil der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung vom 04.07.2006 gegenüber der Antragstellerin ausdrücklich auf die Durchführung eines etwaigen Ordnungswidrigkeitenverfahrens wegen des aufzuklärenden Sachverhaltes verzichtet hat.
23 
3. Anhaltspunkte dafür, dass die Vollziehung der Auskunftsverfügung trotz ihrer Rechtmäßigkeit eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, bestehen nicht. An der Durchführung des Untersuchungsverfahrens nach § 32 e GWB und den hierzu erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen besteht ein gewichtiges, die Interessen der Antragstellerin deutlich überwiegendes öffentliches Interesse. Eine unbillige Härte liegt nicht vor.
24 
Aus diesen Gründen ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen.
25 
Die Rechtsbeschwerde findet nicht statt, da der Beschluss nicht in der Hauptsache ergangen ist, § 74 Abs. 1 GWB. Bei dem entgegenstehenden Wortlaut des § 65 Abs. 5 S. 2 GWB handelt es sich um ein Redaktionsversehen (Mees in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 65 Rdnr. 10; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, § 65 Rdnr. 7; Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 65 Rdnr. 7).

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