Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 7 U 220/08

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29.10.2008 - 18 O 207/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Berufungsstreitwert: 100.000, - Euro

Gründe

 
I.
(1) Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Luftfahrt-Kaskoversicherung geltend.
Der Kläger ist Berufspilot. Er unterhielt für sein Flugzeug mit dem polnischen Kennzeichen SP-YMR eine Kaskoversicherung bei der Beklagten.
Bei dem genannten Flugzeug (Bj. 2005) handelt es sich um den Nachbau eines historischen einmotorigen und zweisitzigen Doppeldeckers mit Spornrad am Bug.
Dem Versicherungsvertrag liegen die Kaskoversicherung-Bedingungen AVIATEC 400 _04 (künftig: Bedingungen) zugrunde.
Deren § 1 Nr. 3 lautet (auszugsweise):
" Luftfahrzeuge sind nur versichert,
3.1 wenn sie sich bei Eintritt des Schadensereignisses in einem Zustand befunden haben, der den gesetzlichen Bestimmungen und behördlichen Auflagen über das Halten und den Betrieb von Luftfahrzeugen entsprochen hat und/oder wenn behördliche Genehmigungen, so weit erforderlich, erteilt waren; ".
3.2 wenn der/die Führer des Luftfahrzeugs bei Eintritt des Schadensereignisses die vorgeschriebenen Erlaubnisse und erforderlichen Berechtigungen oder wetterbedingte Freigabe hatte/n. Das Fehlen der Erlaubnisse und Berechtigungen beeinflusst den Versicherungsschutz nicht, wenn das Luftfahrzeug ohne Wissen, Willen und Verschulden des Versicherungsnehmers geführt wurde.
Am 15.8.2007 landete der Kläger mit der genannten Maschine auf dem Außenstart- und Außenlandegelände L. (bei S.). Dort stieg ein Fluggast zu. Der Kläger startete. Nach dem Abheben beschrieb das Flugzeug eine Linkskurve und kollidierte mit einer ca. neun Meter über Grund verlaufender Strom-Überlandleitung. Das Flugzeug stürzte ab und brannte aus. Die Insassen erlitten schwerste Verbrennungen, wobei der Fluggast an seinen Brandverletzungen verstarb.
Der Kläger war nicht im Besitz der nach § 25 LuftVG in Verbindung mit § 15 LuftVO erforderlichen behördlichen Erlaubnis um auf dem Außengelände L. landen und starten zu dürfen.
Der Kläger hat behauptet, dass nach Start und Einleitung der Linkskurve in einer Höhe von ca. 20 Metern ein deutlicher Leistungsabfall des Motors aufgetreten sei. Hierdurch habe er 10 bis 15 Metern Höhe verloren und eine Notlandung eingeleitet, bei der es dann zum Kontakt mit der Stromleitung gekommen sei. Das Fehlen der Außenstartgenehmigung stelle eine Obliegenheitsverletzung dar. Diese sei für den Unfall jedoch wegen des Leistungsabfalls und weiter deswegen nicht kausal gewesen, da die Startphase nach Erreichen einer Höhe von 15 Metern beendet gewesen sei.
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Die Beklagte sieht in § 1 Nr. 3.1 und 3.2 der Bedingungen eine Risikobegrenzung und verweist hilfsweise auf weitere Ausschüsse des Versicherungsschutzes nach § 3 der Bedingungen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Es ist der Auffassung der Beklagten gefolgt, wonach § 1 Nr. 3.1 der Bedingungen eine Risikobegrenzung darstelle. Die erforderliche behördliche Erlaubnis zu Landung und Start auf dem Außengelände habe nicht vorgelegen. Die Bedeutung dieser Erlaubnis zeige deren Strafbewehrung nach § 60 Abs. 1 Ziff. 4 LuftVG.
13 
Der Kläger könne auch nicht damit gehört werden, dass der Start beendet gewesen sei. Aus dem von Beklagtenseite vorgelegten Sachverständigengutachten ergebe sich, dass der Kläger bis zum Erreichen einer Flughöhe von mehr als 15 Metern eine Startstrecke von mehr als 930 Meter benötigt habe. Da der Abstand zur Überlandleitung deutlich unter diesem Wert gelegen habe, habe es zwangsläufig zu einer Kollision kommen müssen. Der für die klägerseits behauptete Flughöhe benannte Zeuge sei nicht zu vernehmen gewesen, da gerichtsbekannt sei, dass Schätzungen selten genau erfolgten.
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Für die weiteren Feststellungen, die weitere Begründung sowie die Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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(2) Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag weiter. Unter Aufrechterhaltung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages nebst weiteren Beweisangeboten rügt der Kläger, dass das Landgericht den zur behauptet erreichten Flughöhe von 20 Metern angebotenen Zeugenbeweis fehlerhaft nicht eingeholt habe.
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Er beantragt:
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Unter Abänderung des am 29.10.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart - Az.: 18 O 207/08 - wird die Beklagte kostenpflichtig verurteilt, an denen Kläger 100.000, - Euro zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz aus Euro 100.000, - seit dem 15.8.2007 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt:
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Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
23 
Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler (1), noch rechtfertigen gem. § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (2), § 513 Abs. 1 ZPO.
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(1) Das Landgericht ist darin zu bestätigen, dass § 1 Nr. 3.1 und 3. 2 der Bedingungen keine (verhüllte) Obliegenheit sondern eine Risikobegrenzung darstellt.
25 
(a) Für die Abgrenzung einer (verhüllten) Obliegenheit von einer Risikobegrenzung sind nicht vorrangig Wortlaut und Stellung einer Klausel innerhalb eines Bedingungswerks maßgeblich. Entscheidend ist der materielle Gehalt der Klausel. Es kommt darauf an, ob sie die individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der Versicherer keinen Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur ausschnittsweise Deckung gewährt, handelt es sich um eine Risikobeschränkung; wird dagegen ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers wieder entzogen, liegt eine Obliegenheit vor (BGH NJW-RR 2008, 1411; BGH NJW-RR 2006, 394).
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Für die danach vorzunehmende Abgrenzung kommt es, wie stets für die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen, auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an, die sich am Wortlaut der Klausel und deren Sinn und Zweck orientieren (BGH NJW-RR 2008, 1411; BGH NJW-RR 2000, 1190).
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(b) Der Versicherungsnehmer, der sich darüber informieren will, wie und unter welchen Voraussetzungen sein Luftfahrzeug im Schadensfall kaskoversichert ist, wird auf § 1 Nr. 3.1 und 3.2 der Bedingungen stoßen. Er wird dort lesen, dass Luftfahrzeuge nur versichert sind, wenn bei Eintritt des Schadensereignisses alle erforderlichen behördlichen Genehmigungen erteilt waren und das Gelesene dahin verstehen, dass nach der Klausel die Erteilung einer erforderlichen Genehmigung Voraussetzung des Versicherungsschutzes ist und umgekehrt, im Fall ihres Fehlens Versicherungsschutz nicht besteht. Es erschließt sich ihm, dass eine Anknüpfung an sein eigenes Verhalten hierbei gerade nicht stattfindet.
28 
Dieses Verständnis entspricht auch der für den Versicherungsnehmer leicht erkennbaren Interessenlage beider Vertragsparteien. Der Versicherer will das übernommene Risiko in einem kalkulierbaren Rahmen halten. Daraus folgt, dass Versicherungsschutz nur für Schäden bei Benutzung des Luftfahrzeugs im technisch einwandfreiem Zustand (§ 1 Nr. 3.1 der Bedingungen) und für luftrechtlich genehmigte Flugbewegungen (§ 1 Nr. 3.2 der Bedingungen) gewährt wird. Für eine vorhersehbar besonders gefährliche Benutzung des Fluggeräts gewährt der Versicherer keinen Versicherungsschutz. Dies entspricht auch dem wohlverstandenen Interesse des Versicherungsnehmers, der - im Allgemeinen - schon aus eigenem Interesse solche Gefahrenlagen meiden wird.
29 
(c) Bei seiner Abgrenzung zwischen Risikobeschränkung und (verhüllter) Obliegenheit sieht sich der Senat in Übereinstimmung mit dem BGH, Urteil vom 31.1.1990 - IV ZR 227/88 und dem OLG Oldenburg, Urt. vom 11.12.1996 - 2 U 169/96, wobei entgegenstehende Entscheidungen nicht ersichtlich sind.
30 
Die höchstrichterliche Entscheidung erging zu § 4 Nr. 1 lit. a und c der "Besonderen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung der Luftfahrzeughalter und Luftfrachtführer". Die Klausel lautet:
31 
"§ 4 Einschränkung des Versicherungsschutzes
1. Der Versicherungsschutz wird nur dann gewährt, wenn
a) der Luftfahrtbetrieb, so weit gesetzlich vorgeschrieben, behördlich genehmigt ist,
c) die verantwortlichen Luftfahrer im Besitz einer gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungen für die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten sind.“
32 
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Klausel eine Risikobegrenzung darstellt. Dafür spreche bereits ihre sprachliche Fassung. Aus dieser ergebe sich, dass der Versicherer Deckungsschutz nur bei Vorliegen der erforderlichen behördlichen Genehmigung gewähren wolle.
33 
Was für die Absicherung einer weit reichenden Haftung gegenüber Dritten gilt, hat für die Kaskoversicherung erst recht zu gelten.
34 
In diesem Sinne hat das OLG Oldenburg entschieden, dass § 4 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der AKB/Lu keine Obliegenheiten sondern Risikobeschränkungen darstellen.
35 
Diese lauten:
36 
" Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn
1. sich das Luftfahrzeuge nicht in einem Zustand befindet, der den gesetzlichen Bestimmungen und behördlichen Auflagen über das Halten und den Betrieb von Luftfahrzeugen entspricht und/oder die diesbezüglichen behördlichen Genehmigungen nicht erteilt sind,
2. der/die Führer des Luftfahrzeugs bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht die vorgeschriebenen Erlaubnisse und erforderlichen Berechtigungen zu führen dieses Luftfahrzeuges hatten. "
37 
Für die Risikobeschränkung spreche der materielle Inhalt der Klausel. Aus ihm ergebe sich, dass der Versicherer von vornherein Deckungsschutz nur bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und behördlichen Auflagen bzw. bei Vorliegen der vorgeschriebenen Erlaubnisse und erforderlichen Berechtigungen gewähren wolle.
38 
Damit stellt § 1 Nr. 3.1 der Bedingungen eine Risikobeschränkung dar.
39 
(2) Die tatsächlichen Voraussetzungen der Risikobeschränkung sind gegeben.
40 
Die erforderliche Außenstartgenehmigung lag zum Zeitpunkt des Schadensereignisses nicht vor.
41 
(a) An der Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellung, wonach der Start vom Außengelände L. der Erlaubnis des Luftamts Südbayern nach § 25 LuftVG in Verbindung mit § 15 LuftVO bedurfte, bestehen - auch nach Auffassung der Berufung - keine Zweifel.
42 
(b) Der geltend gemachte Schaden ereignete sich - in Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags, dass in einer Flughöhe von 20 Metern ein plötzlicher Motorleistungsabfall eintrat, welcher dann zum Höhenverlust von gut 10 Metern und letztlich zur Kollision mit der Strom-Überlandleitung in 9 Metern Höhe führte - auch noch in dem Bereich der mit dem Start verbundenen Gefahren.
43 
Die Auffassung der Berufung, der Start sei bei Erreichen einer Höhe von 15 Metern über Grund beendet, wird den Sicherheitsanforderungen des Luftverkehrsgesetzes nicht gerecht. Er findet weder in den hierzu ergangenen Vorschriften noch in der Kommentierung (Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Loseblattsammlung, Stand Dezember 2008) eine Stütze.
44 
§ 1 Nr. 3.1 und 3.2 der Bedingungen will ihrem Sinn und Zweck entsprechend - im hier zu entscheidenden Zusammenhang - das von einem ungenehmigten Start ausgehende Risiko vom Versicherungsschutz ausnehmen. Damit erstreckt sich die Beschränkung auch bei einer engen Auslegung der Klausel erkennbar und interessengerecht auf den Schutzbereich der Genehmigung nach § 25 LuftVG i. V. m. § 15 LuftVO im Lichte der Interessen der Parteien des Versicherungsvertrages. Die Startgenehmigung hat alle mit einem Start zusammenhängenden Gefahren zu berücksichtigen und nicht nur die beim Beschleunigungsvorgang auf der Startbahn selbst auftretenden Gefahren. Ansonsten könnte die Vorschrift des § 25 LuftVG ihren nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbewehrten Sinn und Zweckes, nämlich Schutz dritter, nicht im Luftfahrzeug beförderter Personen und Sachen und Schutz des Luftfahrzeugs und seiner Insassen (Giemulla/Schmid, aaO, Rdnr. 5, 22), nicht wirksam erfüllen. Ihre Anwendung wäre allein auf die seltenen Fälle beschränkt, in denen ein Flug infolge technischen Defekts oder anderer Widrigkeiten unmittelbar nach Beginn des Starts noch am Boden abgebrochen würde. Der vom Genehmigungserfordernis verfolgte Zweck, die Sicherheit des Starts zu gewährleisten umfasst bei verständiger Würdigung also auch mögliche Gefahren unmittelbar nach dem Abheben jedenfalls bis zum Erreichen der Sicherheitsmindesthöhe, welche nach § 6 Abs. 1 LuftVO im allgemeinen bei 150 Metern (500 Fuß) liegt und die ohne Erlaubnis grundsätzlich nicht unterschritten werden darf.
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Schließlich ist bei Auslegung der Klausel zu berücksichtigen, dass der verständige Versicherungsnehmer nicht erwartet, dass Kaskoversicherungsschutz im Rahmen strafbaren Handelns gewährt wird.
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(c) Einer weiteren Beweiserhebung bedarf es aus Rechtsgründen nicht.
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(d) Auf ein Verschulden des Piloten kommt es bei einer Risikobeschränkung nicht an.
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(3) Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.
51 
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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