Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 11 W 4/12

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird das Zwischenurteil des Landgerichts Rottweil vom 27.9.2012 (3 O 182/11)

abgeändert:

Der Zeuge Dr. med. V. J. ist nicht gemäß § 142 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO berechtigt, die Vorlage der Unterlagen, die ihm mit Beschluss vom 30. Januar 2012 aufgegeben worden ist, zu verweigern.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Zwischenstreits in 1. Instanz sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Frage, ob die Anwendung des § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO voraussetzt, dass alle Parteien des Rechtsstreits Familienangehörige sein müssen, sowie zur Frage der durch das Familienverhältnis bedingten Vermögensangelegenheit zugelassen.

Beschwerdewert: 35.000 EUR

Gründe

 
Die Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des Zeugen Dr. J.. Sie nimmt die Beklagten Rechtsanwälte als Gesellschaft bürgerlichen Rechts auf Schadensersatz in Anspruch und behauptet, sie sei bei Abschluss eines Scheidungsfolgenvergleichs mit dem Zeugen anwaltlich nicht richtig beraten worden. Streitpunkt ist dabei auch die Bewertung der Arztpraxis des Zeugen zum Stichtag des Endvermögens im Rahmen der Bemessung des Zugewinnausgleichsanspruchs der Klägerin.
Im Rahmen dieses Schadensersatzprozesses verkündete das Landgericht am 22.9.2011 einen Beweisbeschluss, in dem die Feststellung des Werts der Arztpraxis des Zeugen zum Stichtag Endvermögen durch ein Sachverständigengutachten angeordnet wurde. Daraufhin forderte der Sachverständige beim Zeugen entsprechende Unterlagen, die zur Anfertigung des Gutachtens erforderlich sind, an. Nachdem der Zeuge diese Unterlagen nicht vorlegte, gab die Kammer dem Zeugen durch Beschluss vom 30. Januar 2012 gemäß § 142 Abs. 1 ZPO die Vorlage dieser Unterlagen auf und belehrte ihn über sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §§ 142 Abs. 2, 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Gegen diese Belehrung wandte sich die Klägerin mit dem Argument, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 385 Abs. 1 3 ZPO im konkreten Fall nicht bestehe und beantragte den Erlass eines Zwischenurteils.
Nachdem sich der Zeuge mit Schreiben vom 31.5.2012 auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte, entschied die Kammer durch das am 27.9.2012 erlassene Zwischenurteil dahingehend, dass dem Zeugen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Die Entscheidung wird damit begründet, dass zur Anwendung des § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Voraussetzung ist, dass die Beteiligten des Rechtsstreits Familienmitglieder sind, zudem handle es sich nicht um eine durch das Familienverhältnis bedingten Vermögensangelegenheiten, weil das Betreiben der Arztpraxis durch den Zeugen nicht durch die geschiedene Ehe mit der Klägerin bedingt sei.
Gegen dieses der Klägerin am 2.10.2012 zugestellte Zwischenurteil legte sie am 16.10.2012 sofortige Beschwerde ein.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 387 Abs. 3, 567 ff ZPO statthaft und zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Das Landgericht stützt das Argument, dass die Anwendung des § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, von der hier nicht gegebenen Ausnahme der Abtretung des Anspruchs abgesehen, voraussetzt, dass alle Parteien des Rechtsstreits Familienmitglieder sind, im wesentlichen auf die Kommentierung von Ahrens (Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, § 385 Rn. 16). Diese Ansicht wird damit begründet, dass § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich für Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Familie gedacht sei, denn nur dann könne die Zeugnisverweigerung aus Rücksicht auf die familiäre Bindung zu einer Partei den Interessen anderer Familienmitglieder zuwiderlaufen; die beweisführende Partei werde bei solchen Streitigkeiten vielfach auf Zeugen aus der Familie angewiesen sein und andere Beweismittel würden häufig fehlen, weil Vermögensangelegenheiten der Familie erfahrungsgemäß nicht nach außen getragen würden. Die hieraus resultierenden Beweisschwierigkeiten ließen befürchten, dass die Zeugnisverweigerung aus familiären Gründen bei familieninternen Streitigkeiten dem Familienfrieden nicht dienlich sei. Könne die Zeugnisverweigerung aber nicht zur Wahrung des Familienfriedens beitragen, verliere das Zeugnisverweigerungsrecht aus familiären Gründen seine Rechtfertigung. Auch Scheuch (Beck'scher Online-Kommentar ZPO, § 385 Rn. 5) führt ohne nähere Begründung aus, dass § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Rechtsstreitigkeiten, die innerhalb der Familie geführt werden, zu beschränken sei. Das OLG Karlsruhe (FamRZ 1989,764) entschied im Fall eines auf das klagende Bundesland übergegangenen Anspruchs gemäß § 37 BaFöG, dass § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch in diesem Fall anwendbar ist, da für die Anwendung der §§ 383, 385 ZPO nicht Voraussetzung sei, dass sämtliche Parteien des Rechtsstreits nahe Angehörige seien. Diese Entscheidung enthält keine Einschränkung dahingehend, dass dies nur im konkreten Fall des Anspruchsüberganges gelten soll.
Das Reichsgericht hat zu dieser Frage in einer Entscheidung (RGZ 40, 345, 347) ausgeführt, die Ausnahme vom Zeugnisverweigerungsrecht beruhe auf dem durch den mutmaßlichen Mangel anderer Beweismittel hervorgerufenen Bedürfnis. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung könne also nicht daran geknüpft sein, dass die Art der in Frage kommenden Vermögensangelegenheiten nur auf dem Boden eines Familienverhältnisses entstehen könne, sie könne nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass eine gleichgelagerte Vermögensangelegenheit zwischen Personen in Frage kommen könne, die in keinem Familienverband stehen. Entscheidend sei lediglich, dass die konkrete Vermögensangelegenheit ihre Grundlage im Familienverband habe. Das OLG Nürnberg führt in einer Entscheidung (FamRZ 1992, 1315 f) aus, dass es in § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO keine so einschränkende Auffassung erkennen könne, wie von Ahrens (aaO.) geäußert.
Auch der Senat vermag der letztgenannten einschränkenden Auslegung von Ahrens nicht zu folgen. Insbesondere wird die dort genannte Ansicht, nur bei Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Familie könne die Zeugnisverweigerung aus Rücksicht auf die familiäre Bindung zu einer Partei den Interessen anderer Familienmitglieder zuwiderlaufen, nicht geteilt. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass auch in einer aus einer Familienangelegenheit resultierenden Anwaltshaftungssache die Zeugnisverweigerung des geschiedenen Ehegatten den Interessen der Klägerin erheblich zuwiderlaufen kann. Genau die gleichen von Ahrens beschriebenen Beweisschwierigkeiten treten nicht nur in einem Verfahren zwischen Familienangehörigen, sondern unter Umständen auch bei Streitigkeiten zwischen Familienangehörigen und dritten Personen auf.
Ein weiteres Argument spricht gegen die einschränkende Auslegung des § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Der Gesetzgeber hat, wie die angefochtene Entscheidung zutreffend ausführt, die Ausnahmevorschrift damit begründet, dass das Interesse des grundsätzlich zur Aussageverweigerung berechtigten Familienmitglieds zur Vermeidung der Störung des Familienfriedens zurückzutreten habe. Zutreffend dürfte auch der weitere Gesichtspunkt sein, dass dieser Gesetzeszweck jedenfalls dann nicht einschlägig ist, wenn dem Familienfrieden angesichts der rechtskräftigen Scheidung der Ehe und der erfolgten güterrechtlichen Auseinandersetzung keine entscheidende Bedeutung mehr zukomme. Dann muss aber auch berücksichtigt werden, dass schon das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zur Vermeidung einer Konfliktsituation innerhalb der Familie geschaffen wurde (Zöller/Greger, ZPO, 29. Auflage, § 383 Randnummer1a). Wenn daher, wie die Kammer ausführt, dem Familienfrieden angesichts der rechtskräftigen Scheidung der Ehe und der erfolgten güterrechtlichen Auseinandersetzung keine entscheidende Bedeutung mehr zukommt, kommt auch schon dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO ebenso wenig eine entscheidende Bedeutung mehr zu, so dass, wenn schon das Zeugnisverweigerungsrecht bei geschiedenen Ehegatten überhaupt weitergelten soll, die Ausnahmevorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entsprechend weit auszulegen ist.
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Entsprechend führt auch das OLG Nürnberg in der zitierten Entscheidung aus, wenn schon innerhalb eines bestehenden Familienverbandes ein Zurücktreten persönlicher Konfliktsituationen vom Gesetzgeber gewollt sei, so müsse dies erst recht gelten, wenn durch die Scheidung der Ehe die persönlichen Berührungspunkte wesentlich vermindert und in aller Regel für die Zukunft sogar ausgeschlossen seien, so dass die Konfliktgefahr erheblich herabgesetzt sei.
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Auch dem zweiten Argument des angefochtenen Beschlusses, dass es sich nicht um eine durch das Familienverhältnis bedingte Vermögensangelegenheit handle, weil die Arztpraxis des Zeugen auch ohne die Ehe existieren würde, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Angelegenheit müsse durch die Zugehörigkeit zur Familie bedingt sein und entfallen, wenn die Betroffenen im konkreten Fall nicht Familienmitglieder wären. Dass der Rechtsstreit irgendwie auf der Vermögensangelegenheit beruhe, sei nicht erforderlich, es genüge, dass die familienbedingte Vermögensangelegenheit in einem tatsächlichen Zusammenhang mit dem Rechtsstreit stehe (Damrau, Münchner Kommentar, ZPO, 3. Auflage § 385 Rn. 4.). Ähnlich weit ist die bereits zitierte Definition des Reichsgerichts, wonach entscheidend lediglich ist, dass die konkrete Vermögensangelegenheit ihre Grundlage im Familienverband hat (RG aaO.). Nach diesen Definitionen handelt es sich bei der Angelegenheit, zu der der Zeuge Unterlagen vorlegen soll, um eine durch das Familienverhältnis bedingte Vermögensangelegenheit. Dabei darf nicht isoliert nur auf die Praxis des Zeugen als Vermögenswert zum Stichtag des Endvermögens gesehen werden, sondern insbesondere auf den hieraus resultierenden Zugewinnausgleichsanspruch der Ehefrau, der wiederum letztlich Gegenstand des Haftungsprozesses ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Gegenstandswert entspricht dem Interesse der beweisführenden Partei an der Durchführung der Beweisaufnahme.

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