Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 17 WF 122/15

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Böblingen vom 12.06.2015, Az. 16 F 104/15, wird

zurückgewiesen.

Gründe

 
I.
1.
Während der nichtehelichen Beziehung zwischen dem Antragsteller und der Kindesmutter wurde am 03.06.2010 das Kind T. geboren. Der Antragsteller hat seine Vaterschaft durch Jugendamtsurkunde anerkannt.
Der Antragsteller hat mit am 26.01.2015 beim Amtsgericht Böblingen eingegangenem Schriftsatz seine Vaterschaft zu dem Kind T. angefochten. Der Antragsteller hat in diesem Schriftsatz die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für seinen Anfechtungsantrag beantragt.
Er hat hierzu vorgetragen, dass er erst im Dezember 2014 erfahren habe, dass er nicht der Vater des Kindes sei, als ein Besprechungstermin beim Jugendamt anberaumt worden sei.
Die Kindesmutter hat angegeben, dass sie im März/April 2009 Geschlechtsverkehr mit dem Beschwerdeführer gehabt habe, dann aber bis Dezember 2009 nicht mehr. Zwischenzeitlich sei sie von einem anderen Mann schwanger geworden, was dem Beschwerdeführer schon vor der Geburt des Kindes T. bekannt gewesen sei. Ungeachtet dessen sei dieser in die Geburtsurkunde als Vater des Kindes eingetragen worden, da er als solcher haben gelten wollen.
2.
Mit Beschluss vom 12.06.2015 wies das Amtsgericht Böblingen den Antrag des Antragstellers in der Hauptsache zurück, nachdem es nach dem Ergebnis einer am 20.05.2015 durchgeführten Beweisaufnahme mit der Vernehmung mehrerer Zeugen davon ausging, dass der Antragsteller bereits Ende 2009 davon Kenntnis hatte, dass nicht er, sondern eine dritte Person der leibliche Vater des Kindes T. sei. Die zweijährige Anfechtungsfrist sei damit zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags des Antragstellers abgelaufen gewesen.
Ebenfalls mit Beschluss vom 12.06.2015 hat das Amtsgericht Böblingen den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen, da der Antragsteller nach Überzeugung des Gerichts seit 2009 sichere Kenntnis vom Nichtbestehen seiner Vaterschaft gehabt habe.
Gegen den ihm am 18.06.2015 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit am 26.06.2015 beim Amtsgericht Böblingen eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.
Er weist darauf hin, dass das Amtsgericht fehlerhaft über seinen VKH-Antrag nicht vorab entschieden und dann die Versagung der Verfahrenskostenhilfe nach durchgeführter Beweisaufnahme darauf gestützt habe, dass sein Antrag keine Erfolgsaussicht gehabt habe. Dass Erfolgsaussicht bestanden habe, zeige sich aber schon daran, dass das Amtsgericht Zeugen vernommen habe, bevor es seinen Endbeschluss erlassen habe.
Im Übrigen habe das Amtsgericht die Beweisaufnahme fehlerhaft gewürdigt und sei daher zu Unrecht zu dem Schluss gekommen sei, er habe bereits 2009 Kenntnis von dem Nichtbestehen seiner Vaterschaft gehabt.
10 
Der Beschluss des Amtsgerichts sei daher abzuändern und ihm sei Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
11 
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und hat hierbei darauf hingewiesen, dass auch für den Fall einer früheren Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe diese gemäß § 124 Nr. 1 ZPO aufgrund der Kenntnis des Antragstellers vom Nichtbestehen seiner Vaterschaft wieder aufzuheben gewesen wäre.
II.
1.
12 
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist statthaft gemäß § 76 Abs. 2 FamFG, § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO. Sie ist auch im Übrigen in zulässiger Weise, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
2.
13 
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.
a)
14 
Der Antragsteller hat zutreffend darauf hingewiesen, dass über einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden ist, wenn Entscheidungs-/Bewilligungsreife eingetreten ist. Eine solche lag bereits vor der am 20.05.2015 durchgeführten Beweisaufnahme vor, nachdem der Antragsteller sein Verfahrenskostenhilfegesuch schlüssig begründet sowie eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hatte und die übrigen Beteiligten Gelegenheit gehabt hatten, sich innerhalb angemessener Frist zum Verfahrenskostenhilfegesuch zu äußern.
15 
Zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife bestand für den Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragstellers (noch) Erfolgsaussicht, nachdem die Entscheidung darüber, ab wann er Kenntnis vom Nichtbestehen seiner Vaterschaft hatte, maßgeblich vom Ergebnis der Beweisaufnahme abhing.
b)
16 
Nach Durchführung der Beweisaufnahme bestand keine Erfolgsaussicht für den Antrag des Antragstellers mehr. Bei Würdigung der Aussagen der vom Amtsgericht vernommenen Zeugen bestehen aus Sicht des Senats keine Zweifel, dass der Antragsteller bereits im Jahr 2009, vor der Geburt des Kindes T., wusste, dass er nicht der Vater des Kindes ist.
17 
Die Zeugin C. hat ausgesagt, dass es - bevor das Kind geboren worden war - zwischen dem Antragsteller und der Kindesmutter zu einem Riesenstreit gekommen sei, weil der Antragsteller gewusst habe, dass die Zeugin C. von der Kindesmutter darüber informiert worden sei, dass er nicht der Vater des Kindes sei. Dass die Zeugin dies jedem erzählen würde, habe der Antragsteller selbst der Zeugin vorgehalten. Es habe jeder gewusst, dass der Antragsteller nicht der Vater des Kindes sei.
18 
Die Zeugin B. gab bei ihrer Aussage an, dass die Kindesmutter, ihre Schwester, ihr bereits vor der Geburt des Kindes T. mitgeteilt habe, dass sie den Antragsteller davon informiert habe, dass sie von einem anderen Mann bereits schwanger sei. Der Antragsteller habe nach der Mitteilung der Kindesmutter aber als Vater des Kindes gelten wollen und sei deshalb als solcher eingetragen worden. Dass er wisse, dass das Kind T. nicht von ihm stamme, habe der Antragsteller der Zeugin gegenüber selbst bestätigt.
19 
Die Zeugin E., die Mutter der Kindesmutter, sagte aus, dass ihre Tochter ihr mitgeteilt habe, dass der Antragsgegner nicht der Vater des Kindes T. sei. Dies sei in der Familie „klar“ gewesen. Der Antragsgegner habe ihr gegenüber mehrfach gesagt, dass er für das Kind immer da sein werde, auch wenn er nicht der leibliche Vater sei. Er habe nach außen unbedingt als der Vater gelten wollen.
20 
Der Ehemann der Zeugin E., Herr U., der Stiefvater der Kindesmutter, teilte ebenfalls mit, dass ihm klar war, dass der Antragsteller nicht der Vater des Kindes T. sei, weil in der Familie darüber gesprochen worden sei. Ob der Antragsteller bei diesen Gesprächen mit anwesend gewesen sei, wisse er nicht mehr.
21 
Die Aussagen der Zeuginnen C., B. und E. sind eindeutig und belegen den Vortrag der Kindesmutter, wonach dem Antragsteller bereits vor der Geburt des Kindes T. bekannt war, dass er nicht dessen Vater ist. Dass der Zeuge U. nicht mehr wusste, ob der Antragsteller bei einem der Familiengespräche mit anwesend gewesen war, begründet keinen maßgeblichen Widerspruch innerhalb der Aussagen der Zeugen. Dass die Mutter des Antragstellers, die Zeugin C., angab, dass die Kindesmutter ihr zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt habe, dass ihr Sohn nicht der Kindesvater sei und dass solches auch ihr Sohn niemals zu ihr gesagt habe, begründet für den Senat ebenfalls keine Zweifel am Ergebnis der Beweisaufnahme. Denn die Kindesmutter hatte hierzu als - plausible - Erklärung angegeben, zwischen ihr und dem Antragsteller sei ausgemacht worden, dass dieser das Nichtbestehen seiner Vaterschaft selbst seiner Mutter mitteile, weshalb sie insoweit auf diese nicht zugegangen sei.
c)
22 
Gemäß § 1600 b Abs. 1 S. 1 BGB kann eine Vaterschaft nur binnen zwei Jahren gerichtlich angefochten werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Die genannten Umstände müssen bei sachlicher Beurteilung geeignet sein, aus der objektiven Sicht eines verständigen, naturwissenschaftlich nicht vorgebildeten Laien Zweifel an der bestehenden Vaterschaft zu erwecken und die nicht ganz fernliegende Möglichkeit der nichtehelichen Abstammung zu begründen.
23 
Nachdem der Antragsteller schon vor der Geburt des Kindes Kenntnis vom Nichtbestehen seiner Vaterschaft hatte, wurde die Anfechtungsfrist durch den am 26.01.2015 beim Amtsgericht eingegangenen Anfechtungsantrag nicht gewahrt.
3.
a)
24 
Die Prüfung der Erfolgsaussicht hat das Gericht grundsätzlich aufgrund des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Verfahrenskostenhilfegesuchs vorzunehmen. Dies gilt auch für den Fall, wenn sich im Verlauf des Verfahrens infolge einer verzögerten Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung, etwa aufgrund des Ergebnisses einer zwischenzeitlich durchgeführten Beweisaufnahme, verschlechtert haben.
25 
Etwas anderes gilt nur dann, wenn z. B. aufgrund einer Beweisaufnahme gewonnene spätere Erkenntnisse zugleich die Unwahrheit des Prozessvortrags des Antragstellers im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergeben, weil in diesem Fall sogar eine rückwirkende Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe begründet wäre. Für diesen Fall ist auf die Erfolgsprognose zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen (BGH, FamRZ 2012, 964 Rn. 21).
26 
Der Sinn eines Abstellens auf die Erfolgsaussicht bei Bewilligungsreife ist, die antragstellende Partei vor den Nachteilen zu schützen, die eine für sie unverschuldete Verzögerung des Verfahrens bringen würde. Eine solche Schutzbedürftigkeit besteht jedoch nicht, wenn die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorliegen, d.h. wenn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit täuschenden Angaben betrieben worden ist. Dementsprechend ist keine Prozesskostenhilfe zu gewähren, die gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sofort wieder entzogen werden kann (OLG Düsseldorf, FamRZ 1997, 1088).
27 
Zwar würde ein Prozessbevollmächtigter besser stehen, wenn Prozesskostenhilfe zunächst bewilligt und die Bewilligung erst später nach § 124 ZPO wieder aufgehoben werden würde. Denn während für die PKH-Partei mit der Aufhebung sämtliche Vorteile der PKH rückwirkend auf den Zeitpunkt der Bewilligung entfallen, bleiben für bereits vorgenommene, gebührenauslösende Tätigkeiten des Anwalts seine Vergütungsansprüche nach §§ 45 ff. RVG gegen die Staatskasse erhalten (MüKoZPO/Motzer, 4. Aufl. 2013, § 124 Rn. 25 f.; Kratz BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 17. Edition, Stand 01.06.2015, § 124 Rn. 27 f.).
28 
Maßgebend ist hier jedoch, dass das Bedürfnis, auch den Anwalt vor von der Partei nicht verschuldeter Verzögerung der PKH-Bewilligung zu schützen, von dem Schutz, der der Partei des PKH-Verfahrens zusteht, abgeleitet ist und nicht darüber hinaus geht (OLG Düsseldorf, FamRZ 1997, 1088).
b)
29 
Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen hier vor, was dazu führt, dass entsprechend der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2012, 964 Rn. 21) - nach durchgeführter Beweisaufnahme - auf die Erfolgsprognose zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist mit der Folge, dass das Amtsgericht dem Antragsteller für den ersten Rechtszug zu Recht keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt hat.
30 
Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO soll das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei durch eine unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat.
31 
Die Darstellung des Streitverhältnisses durch den Antragsteller war unrichtig, nachdem nach Durchführung der Beweisaufnahme feststeht, dass er - entgegen seinem Vortrag - nicht erst Ende 2014, sondern bereits im Jahr 2009 Kenntnis von dem Nichtbestehen seiner Vaterschaft hatte. Dem Antragsteller war im Zeitpunkt seines (streiterheblichen) Vortrags somit bewusst, dass dieser unzutreffend ist; von zumindest bedingtem Vorsatz (MüKoZPO/Motzer, 4. Aufl. 2013, § 124 Rn. 8) dahingehend, dass vollständige und wahrheitsgemäße Angaben möglicherweise zu einer Versagung der Verfahrenskostenhilfe führen könnten, ist auszugehen.

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