Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 2 U 442/19

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer – Einzelrichterin - des Landgerichts Stuttgart vom 15. August 2019 (Az. :6 O 231/18) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung  a b g e ä n d e r t  und wie folgt  n e u  g e f a s s t:

1. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 16.272,82 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 17.584,24 EUR für die Zeit vom 17. Januar 2019 bis zum 09. Mai 2019 und aus 16.272,62 EUR seit 10. Mai 2019 Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des PKW X., Fahrzeugkennnummer ... zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

I. Die Anschlussberufung der Klägerin wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

II. Die Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 2/5 und die Beklagte 3/5.

III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Jeder der Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen, soweit die Klage auf Zinsen aus § 849 BGB abgewiesen worden ist. Im Übrigen wird sie nicht zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 30.000,- EUR.

Tatbestand

 
A
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz nach dem Erwerb eines Personenkraftwagens.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Feststellungen in dem Urteil der 6. Zivilkammer – Einzelrichterin - des Landgerichts Stuttgart vom 15. August 2019 (Az.: 6 O 231/14) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 20.620,20 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2019 Zug um Zug gegen Übereignung und Übertragung des PKW X., Fahrzeugkennnummer ... zu bezahlen. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Es hat die auf Feststellung einer Erstattungspflicht der Beklagten für zukünftige Schäden gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen, einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bejaht und vom Kaufpreis des Fahrzeugs einen Nutzungswert für die unstreitig bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zurückgelegte Fahrleistung von 127.205 km abgezogen. Bei dessen Berechnung ist es von einer zu erwartenden Fahrleistung von 300.000 km ausgegangen. Den Annahmeverzug hat das Landgericht bejahrt, einen Anspruch auf Deliktszinsen aus § 849 BGB aus Rechtsgründen verneint.
Gegen dieses Urteil haben, je form- und fristgerecht, die Beklagte Berufung und die Klägerin Anschlussberufung eingelegt. Beide Parteien haben ihr Rechtsmittel prozessordnungsgemäß begründet.
Die Beklagte trägt im Kern vor, die Voraussetzungen des § 826 BGB seien nicht erfüllt. Es sei von einer geringeren zu erwartenden Fahrleistung auszugehen. Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil gegen die Angriffe der Klägerin.
Die Beklagte beantragt zu ihrer Berufung,
das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Anschlussberufung der Klägerin beantragt sie,
10 
diese zurückzuweisen.
11 
Die Klägerin beantragt,
12 
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
13 
Zu ihrer Anschlussberufung beantragt sie,
14 
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.08.2019, Az. 6 0 231/18 wird wie folgt abgeändert:
15 
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin EUR 20.620,20 zzgl. Zinsen in Höhe von 4 Prozent ab 26.06.2012 bis zur Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Übereignung und Übertragung des PKW X., Fahrzeugkennnummer ... zu bezahlen.
16 
Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil gegen die Angriffe der Berufung und verfolgt ihr erstinstanzliches Klagebegehren aus § 849 BGB weiter.
17 
Bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hatte das Fahrzeug unstreitig eine Laufleistung von 136.363 km.
18 
Wegen des Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07. Mai 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
B
19 
Die zulässige Berufung der Beklagten ist infolge einer gestiegenen Fahrleistung des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs und gegen die Feststellung des Annahmeverzugs im Ergebnis teilweise begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
20 
Der Klägerin steht aus § 826 BGB ein Kaufpreiserstattungsanspruch gegen die Beklagte zu, hinzu kommen die vom Senat zugesprochenen Zinsen (§§ 288, 291 BGB).
1.
21 
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz ihres Schadens gemäß § 826 BGB. Indem die Beklagte das streitgegenständliche Kraftfahrzeug mit einer nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung (eingehend BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, juris Rn. 6 bis 16) in Verkehr gebracht hat, hat sie der Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt und ist ihr daher zum Schadensersatz verpflichtet. Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt. Der Senat verweist zum Ganzen ergänzend auf sein Urteil vom 30. Januar 2020 – 2 U 306/19, juris Rz. 18 ff., m.w.N., sowie auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19.
2.
22 
Der Klägerin ist, indem sie das streitgegenständliche Fahrzeug gekauft hat, ein Schaden entstanden (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14, juris Rn. 19; vom 19. Juli 2004 – II ZR 402/02, juris Rn. 41; und vom 21. Dezember 2004 – VI ZR 306/03, juris Rn. 17 a.A. OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019 – 7 U 134/17, juris Rn. 171). Dieser besteht darin, dass die Klägerin einen Vertrag abgeschlossen hat, den sie ohne die sittenwidrige Täuschung nicht abgeschlossen hätte. Auch dies hat das Landgericht zutreffend erkannt.
3.
23 
Auf den daraus resultierenden Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises von ursprünglich 35.800 EUR Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe (insoweit hat der Senat den Antrag der Klägerin nur redaktionell berichtigt) ist nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung der Wert der von der Klägerin gezogenen Nutzungen abzuziehen (vgl. nun auch BGH; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19). Auch dies hat das Landgericht im Grundsatz zutreffend ausgeführt. Nicht zu folgen ist seiner Berechnung dieses Nutzungswertes.
a)
24 
Der Nutzungswert errechnet sich nach dem Bruttokaufpreis in Multiplikation mit den gefahrenen Kilometern dividiert durch die erwartete Restlaufleistung (vgl. BGH, Urteil vom 08. September 2016 – IX ZR 52/15, juris Rn. 13, m.w.N.).
b)
25 
Bei der Berechnung des Vorteilsausgleichs für das streitgegenständliche Fahrzeug ist bei Ausübung des Schätzungsermessens (§ 287 ZPO) eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km zugrunde zu legen. Der Senat verkennt nicht, dass die Rechtsprechung hierzu uneinheitlich ist. Die unterschiedlichen Annahmen geben jedoch keinen Anlass, die Rechtsprechung des Senats zu ändern. Maßgebende Grundlage für diese richterliche Schadensschätzung ist nicht eine später erzielte höhere oder geringere Gesamtlaufleistung, sondern eine pauschalierte ex-ante-Betrachtung, ausgehend vom Zeitpunkt des anspruchsbegründenden Vertragsschlusses. Dass hier eine über 250.000 km hinausgehende Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs zu erwarten gewesen wäre, ist nicht ersichtlich.
c)
26 
Nach diesen Grundsätzen hat sich die Klägerin hier einen Nutzungswert in Höhe von 19.527,18 EUR anrechnen zu lassen.
27 
Ausgehend von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km und einem Kaufpreis von 35.800 EUR beträgt der Nutzungswert je gefahrenem Kilometer 14,32 ct., bei 127.205 km (Stand vor LG) mithin 18.215,76 EUR und bei dem nunmehr maßgebenden, unstreitigen Kilometerstand von 136.363 km bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat 19.527,18 EUR. Dies führt zu einem verbleibenden Zahlungsanspruch von 16.272,82 EUR.
4.
28 
Hinzu kommt der Anspruch auf Prozesszinsen aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
a)
29 
Da die Hauptforderung sich durch die Fahrleistung der Klägerin sukzessive verringert hat, verringerte sich damit auch die Basis des Zinsanspruchs. Da es sich hierbei um eine Anspruchsvoraussetzung handelt, hätte es der Klägerin oblegen, die anspruchsbegründenden Tatsachen vorzutragen.
b)
30 
Verwertbarer Vortrag liegt lediglich über die Fahrleistung zum Schluss der mündlichen Verhandlungen vor dem Landgericht und vor dem Senat vor. Dieser Vortrag ist zur Berechnung eines Mindestanspruchs heranzuziehen. Er ist unstreitig.
31 
Aus ihm errechnet sich ausgehend von der Zustellung der Klage am 16. Januar 2019 und dem Verhandlungstermin erster Instanz (09. Mai 2019) der zugesprochene Anspruch auf Prozesszinsen.
II.
32 
Der Antrag der Klägerin, den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen, ist zulässig, aber unbegründet. Annahmeverzug ist weder vorgerichtlich, noch durch die Klageerhebung (dazu BGH, Urteil vom 15. November 1996 – V ZR 292/95, juris Rn. 11) eingetreten. Der Eintritt des Annahmeverzuges scheitert daran, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt nur dasjenige von der Beklagten gefordert hat, was von dieser geschuldet war. Eine Zuvielforderung hindert den Eintritt des Annahmeverzugs (BGH, Urteil vom 20. Juli 2005 – VIII ZR 275/04, juris Rn. 30; OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19, juris Rn. 100, m.w.N.; zum Meinungsstand Niemeyer/König, NJW 2013, 3213).
C
33 
Die Anschlussberufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten keine Zinsen aus § 849 BGB auf den unstreitig entrichteten Kaufpreis verlangen. Auch dies hat das Landgericht zutreffend erkannt.
I.
34 
Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte nach § 849 BGB Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird. Zwar ist die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nicht auf die Wegnahme beschränkt und verlangt auch nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird. Auch fällt Geld in ihren Anwendungsbereich (BGH, Urteil vom 26. November 2007 – II ZR 167/06, juris Rn. 4 bis 6). Wer durch eine unerlaubte Handlung dazu bestimmt wird, Geld zu überweisen oder zu übergeben, kann grundsätzlich vom Schädiger eine Verzinsung nach § 849 BGB beanspruchen.
II.
35 
Der Zweck der Vorschrift verlangt eine andere Beurteilung allerdings in Fällen, in denen der Geschädigte durch den Täter im Gegenzug für die Hingabe des Geldes eine als gleichwertig anzusehende Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes erhalten hat. § 849 BGB will dem Geschädigten die Beweislast dafür abnehmen, welchen Schaden er durch die Einbuße an Nutzbarkeit der Sache erlitten hat, indem er ihm ohne Nachweis eines konkreten Schadens - als pauschalierten Mindestbetrag des Nutzungsentgangs - Schadensersatz in Form von Zinszahlungen zuerkennt (BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 – VI ZR 191/81, juris Rn. 8). Soll allerdings der Zinsanspruch mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann, ist vorliegend maßgebend zu beachten, dass der Kläger im Gegenzug für die Zahlung des Kaufpreises ein Fahrzeug erhalten hat, das zunächst im Straßenverkehr uneingeschränkt nutzbar war. Von einer Betriebsstilllegung war das Fahrzeug bislang nicht betroffen. Der Kläger hat zwar als Geschädigter einer deliktischen Handlung Geld weggegeben, hierfür allerdings die uneingeschränkte Nutzung über ein gleichwertiges vermögenswertes Gut erhalten. Die uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit ändert zwar nichts daran, dass ein Vermögensschaden eingetreten ist. Bei der Beurteilung einer in Deliktszinsen zum Ausdruck kommenden pauschalierten Nutzungsentschädigung ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Nutzung des Vermögenswertes tatsächlich nicht beeinträchtigt war (i.E. ebenfalls OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019 – 13 U 149/18, juris Rn. 99; a.A. OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19, juris Rn. 110; OLG Oldenburg, Urteil vom 02. Oktober 2019 – 5 U 47/19, juris Rn. 47; OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 27. Juni 2019 – 27 U 14/19, juris Rn. 35).
III.
36 
Zwar folgt aus diesem Ansatz, dass Deliktszinsen zu leisten sind, wenn der Geschädigte in Folge der sittenwidrigen Handlung lediglich einen wertgeminderten Gegenstand erhalten hat, was im Falle eines unerwünschten Kaufvertrages nach den Maßstäben des § 441 Absatz 3 BGB ermittelt werden kann (OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19, juris Rn. 84). Auch dann hält es der Senat jedoch für erforderlich, dass sich die Wertminderung für den Geschädigten ausgewirkt haben muss. Dies ist vorliegend allenfalls für die Zeit nach dem öffentlichen Bekanntwerden der rechtswidrigen Motorsteuerungssoftware am 22. September 2015 denkbar, jedoch selbst dann nicht ersichtlich, wenn – wie hier – der Ersatz des geleisteten Kaufpreises verlangt wird.
37 
Der bloße Gebrauch des Fahrzeugs war auch nicht dadurch gemindert, dass das Fahrzeug im Falle eines (gar nicht angestrebten Verkaufes) einen geringeren Erlös erzielt hätte.
IV.
38 
Die Fragen nach einem Verzehr der Verzinsungsbasis durch die Nutzung des Fahrzeugs und nach einer daraus in Betracht zu ziehenden Darlegungslast des Klägers zur Zunahme seiner Gesamtnutzung im Laufe seiner Besitzzeit nach Abschluss des Kaufvertrages stellt sich damit nicht.
D
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Ein Fall des § 92 Abs. 2 ZPO liegt angesichts der wertanteilig hohen, unberechtigten Forderung aus § 849 BGB nicht vor.
40 
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.
41 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 43 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO. Der Wert des Berufungsverfahrens setzt sich zusammen aus den Werten der Berufung und der Anschlussberufung, hier aus dem vom Landgericht als Kaufpreiserstattung zuerkannten Betrag sowie den mit der Anschlussberufung verlangten Deliktszinsen. Diese werden in der Anschlussberufung von Anfang an nicht als Nebenforderung zu einem anderen Berufungsanspruch verfolgt.
42 
Die Voraussetzung für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nur zu der höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Rechtsfrage einer Anwendung des § 849 BGB in derartigen Fällen vor. In Bezug auf diesen abtrennbaren Anspruch war die Revision daher zuzulassen, im Übrigen nicht.

Gründe

 
B
19 
Die zulässige Berufung der Beklagten ist infolge einer gestiegenen Fahrleistung des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs und gegen die Feststellung des Annahmeverzugs im Ergebnis teilweise begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
20 
Der Klägerin steht aus § 826 BGB ein Kaufpreiserstattungsanspruch gegen die Beklagte zu, hinzu kommen die vom Senat zugesprochenen Zinsen (§§ 288, 291 BGB).
1.
21 
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz ihres Schadens gemäß § 826 BGB. Indem die Beklagte das streitgegenständliche Kraftfahrzeug mit einer nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung (eingehend BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, juris Rn. 6 bis 16) in Verkehr gebracht hat, hat sie der Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt und ist ihr daher zum Schadensersatz verpflichtet. Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt. Der Senat verweist zum Ganzen ergänzend auf sein Urteil vom 30. Januar 2020 – 2 U 306/19, juris Rz. 18 ff., m.w.N., sowie auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19.
2.
22 
Der Klägerin ist, indem sie das streitgegenständliche Fahrzeug gekauft hat, ein Schaden entstanden (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14, juris Rn. 19; vom 19. Juli 2004 – II ZR 402/02, juris Rn. 41; und vom 21. Dezember 2004 – VI ZR 306/03, juris Rn. 17 a.A. OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019 – 7 U 134/17, juris Rn. 171). Dieser besteht darin, dass die Klägerin einen Vertrag abgeschlossen hat, den sie ohne die sittenwidrige Täuschung nicht abgeschlossen hätte. Auch dies hat das Landgericht zutreffend erkannt.
3.
23 
Auf den daraus resultierenden Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises von ursprünglich 35.800 EUR Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe (insoweit hat der Senat den Antrag der Klägerin nur redaktionell berichtigt) ist nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung der Wert der von der Klägerin gezogenen Nutzungen abzuziehen (vgl. nun auch BGH; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19). Auch dies hat das Landgericht im Grundsatz zutreffend ausgeführt. Nicht zu folgen ist seiner Berechnung dieses Nutzungswertes.
a)
24 
Der Nutzungswert errechnet sich nach dem Bruttokaufpreis in Multiplikation mit den gefahrenen Kilometern dividiert durch die erwartete Restlaufleistung (vgl. BGH, Urteil vom 08. September 2016 – IX ZR 52/15, juris Rn. 13, m.w.N.).
b)
25 
Bei der Berechnung des Vorteilsausgleichs für das streitgegenständliche Fahrzeug ist bei Ausübung des Schätzungsermessens (§ 287 ZPO) eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km zugrunde zu legen. Der Senat verkennt nicht, dass die Rechtsprechung hierzu uneinheitlich ist. Die unterschiedlichen Annahmen geben jedoch keinen Anlass, die Rechtsprechung des Senats zu ändern. Maßgebende Grundlage für diese richterliche Schadensschätzung ist nicht eine später erzielte höhere oder geringere Gesamtlaufleistung, sondern eine pauschalierte ex-ante-Betrachtung, ausgehend vom Zeitpunkt des anspruchsbegründenden Vertragsschlusses. Dass hier eine über 250.000 km hinausgehende Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs zu erwarten gewesen wäre, ist nicht ersichtlich.
c)
26 
Nach diesen Grundsätzen hat sich die Klägerin hier einen Nutzungswert in Höhe von 19.527,18 EUR anrechnen zu lassen.
27 
Ausgehend von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km und einem Kaufpreis von 35.800 EUR beträgt der Nutzungswert je gefahrenem Kilometer 14,32 ct., bei 127.205 km (Stand vor LG) mithin 18.215,76 EUR und bei dem nunmehr maßgebenden, unstreitigen Kilometerstand von 136.363 km bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat 19.527,18 EUR. Dies führt zu einem verbleibenden Zahlungsanspruch von 16.272,82 EUR.
4.
28 
Hinzu kommt der Anspruch auf Prozesszinsen aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
a)
29 
Da die Hauptforderung sich durch die Fahrleistung der Klägerin sukzessive verringert hat, verringerte sich damit auch die Basis des Zinsanspruchs. Da es sich hierbei um eine Anspruchsvoraussetzung handelt, hätte es der Klägerin oblegen, die anspruchsbegründenden Tatsachen vorzutragen.
b)
30 
Verwertbarer Vortrag liegt lediglich über die Fahrleistung zum Schluss der mündlichen Verhandlungen vor dem Landgericht und vor dem Senat vor. Dieser Vortrag ist zur Berechnung eines Mindestanspruchs heranzuziehen. Er ist unstreitig.
31 
Aus ihm errechnet sich ausgehend von der Zustellung der Klage am 16. Januar 2019 und dem Verhandlungstermin erster Instanz (09. Mai 2019) der zugesprochene Anspruch auf Prozesszinsen.
II.
32 
Der Antrag der Klägerin, den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen, ist zulässig, aber unbegründet. Annahmeverzug ist weder vorgerichtlich, noch durch die Klageerhebung (dazu BGH, Urteil vom 15. November 1996 – V ZR 292/95, juris Rn. 11) eingetreten. Der Eintritt des Annahmeverzuges scheitert daran, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt nur dasjenige von der Beklagten gefordert hat, was von dieser geschuldet war. Eine Zuvielforderung hindert den Eintritt des Annahmeverzugs (BGH, Urteil vom 20. Juli 2005 – VIII ZR 275/04, juris Rn. 30; OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19, juris Rn. 100, m.w.N.; zum Meinungsstand Niemeyer/König, NJW 2013, 3213).
C
33 
Die Anschlussberufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten keine Zinsen aus § 849 BGB auf den unstreitig entrichteten Kaufpreis verlangen. Auch dies hat das Landgericht zutreffend erkannt.
I.
34 
Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte nach § 849 BGB Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird. Zwar ist die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nicht auf die Wegnahme beschränkt und verlangt auch nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird. Auch fällt Geld in ihren Anwendungsbereich (BGH, Urteil vom 26. November 2007 – II ZR 167/06, juris Rn. 4 bis 6). Wer durch eine unerlaubte Handlung dazu bestimmt wird, Geld zu überweisen oder zu übergeben, kann grundsätzlich vom Schädiger eine Verzinsung nach § 849 BGB beanspruchen.
II.
35 
Der Zweck der Vorschrift verlangt eine andere Beurteilung allerdings in Fällen, in denen der Geschädigte durch den Täter im Gegenzug für die Hingabe des Geldes eine als gleichwertig anzusehende Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes erhalten hat. § 849 BGB will dem Geschädigten die Beweislast dafür abnehmen, welchen Schaden er durch die Einbuße an Nutzbarkeit der Sache erlitten hat, indem er ihm ohne Nachweis eines konkreten Schadens - als pauschalierten Mindestbetrag des Nutzungsentgangs - Schadensersatz in Form von Zinszahlungen zuerkennt (BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 – VI ZR 191/81, juris Rn. 8). Soll allerdings der Zinsanspruch mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann, ist vorliegend maßgebend zu beachten, dass der Kläger im Gegenzug für die Zahlung des Kaufpreises ein Fahrzeug erhalten hat, das zunächst im Straßenverkehr uneingeschränkt nutzbar war. Von einer Betriebsstilllegung war das Fahrzeug bislang nicht betroffen. Der Kläger hat zwar als Geschädigter einer deliktischen Handlung Geld weggegeben, hierfür allerdings die uneingeschränkte Nutzung über ein gleichwertiges vermögenswertes Gut erhalten. Die uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit ändert zwar nichts daran, dass ein Vermögensschaden eingetreten ist. Bei der Beurteilung einer in Deliktszinsen zum Ausdruck kommenden pauschalierten Nutzungsentschädigung ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Nutzung des Vermögenswertes tatsächlich nicht beeinträchtigt war (i.E. ebenfalls OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019 – 13 U 149/18, juris Rn. 99; a.A. OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19, juris Rn. 110; OLG Oldenburg, Urteil vom 02. Oktober 2019 – 5 U 47/19, juris Rn. 47; OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 27. Juni 2019 – 27 U 14/19, juris Rn. 35).
III.
36 
Zwar folgt aus diesem Ansatz, dass Deliktszinsen zu leisten sind, wenn der Geschädigte in Folge der sittenwidrigen Handlung lediglich einen wertgeminderten Gegenstand erhalten hat, was im Falle eines unerwünschten Kaufvertrages nach den Maßstäben des § 441 Absatz 3 BGB ermittelt werden kann (OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19, juris Rn. 84). Auch dann hält es der Senat jedoch für erforderlich, dass sich die Wertminderung für den Geschädigten ausgewirkt haben muss. Dies ist vorliegend allenfalls für die Zeit nach dem öffentlichen Bekanntwerden der rechtswidrigen Motorsteuerungssoftware am 22. September 2015 denkbar, jedoch selbst dann nicht ersichtlich, wenn – wie hier – der Ersatz des geleisteten Kaufpreises verlangt wird.
37 
Der bloße Gebrauch des Fahrzeugs war auch nicht dadurch gemindert, dass das Fahrzeug im Falle eines (gar nicht angestrebten Verkaufes) einen geringeren Erlös erzielt hätte.
IV.
38 
Die Fragen nach einem Verzehr der Verzinsungsbasis durch die Nutzung des Fahrzeugs und nach einer daraus in Betracht zu ziehenden Darlegungslast des Klägers zur Zunahme seiner Gesamtnutzung im Laufe seiner Besitzzeit nach Abschluss des Kaufvertrages stellt sich damit nicht.
D
39 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Ein Fall des § 92 Abs. 2 ZPO liegt angesichts der wertanteilig hohen, unberechtigten Forderung aus § 849 BGB nicht vor.
40 
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.
41 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 43 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO. Der Wert des Berufungsverfahrens setzt sich zusammen aus den Werten der Berufung und der Anschlussberufung, hier aus dem vom Landgericht als Kaufpreiserstattung zuerkannten Betrag sowie den mit der Anschlussberufung verlangten Deliktszinsen. Diese werden in der Anschlussberufung von Anfang an nicht als Nebenforderung zu einem anderen Berufungsanspruch verfolgt.
42 
Die Voraussetzung für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nur zu der höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Rechtsfrage einer Anwendung des § 849 BGB in derartigen Fällen vor. In Bezug auf diesen abtrennbaren Anspruch war die Revision daher zuzulassen, im Übrigen nicht.

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