Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 Bs 25/18

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. Januar 2018, soweit darin der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt wird, geändert:

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in Bezug auf den Antragsteller abzusehen, bis die Verfügung vom 25. Oktober 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Februar 2018 bestandskräftig ist bzw. ein Klageverfahren, mit welchem auch die Aufhebung dieser Verfügung begehrt wird, abgeschlossen ist.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist ghanaischer Staatsangehöriger und begehrt Abschiebungsschutz.

2

Der Antragsteller ist am ... 1965 geboren und nach eigenen Angaben zuletzt im „Februar 2016“ in das Bundesgebiet eingereist. Ausweislich des Abstammungsgutachtens vom 12. Mai 2016 ist er biologischer Vater der am ... 2006 geborenen ..., die - in Ableitung von der deutschen Staatsangehörigkeit des rechtlichen Vaters - die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die Mutter von ... ist Frau ... ..., die ursprünglich ghanaische Staatsangehörige war. Diese reiste nach eigenen Angaben am 13. Januar 2006 - hochschwanger - in das Bundesgebiet ein. Der von ihr gestellte Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Aufgrund der Vaterschaftsanerkennung vom 28. März 2006 ist der deutsche Staatsagenhörige …, geb. am … 1960, rechtlicher Vater von …. Nach Aktenlage lebte Herr …, der in Dortmund wohnhaft ist, mit ... nie in einem Haushalt zusammen und hat allenfalls gelegentlichen Kontakt zu …. Ein Abstammungsgutachten bzgl. ... wurde auch nach entsprechender Aufforderung durch die Antragsgegnerin durch die Mutter von ... nicht vorgelegt. Das durch die Ausländerbehörde eingeleitete Verfahren zur Anfechtung der Vaterschaft wurde 2014 eingestellt, nachdem das Bundesverfassungsgericht die der Anfechtung zugrunde liegende Regelung für verfassungswidrig und nichtig erklärt hatte. Frau ... erhielt sodann im März 2014 eine Niederlassungserlaubnis und ist seit dem 10. Juli 2015 deutsche Staatsangehörige.

3

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft durch den Antragsteller wurde durch die Familiengerichte abgelehnt, da der Antragsteller die zweijährige Frist für die Anfechtung der Vaterschaft (§ 1600b Abs. 1 BGB) versäumt habe. Der Antragsteller habe spätestens um den Jahreswechsel 2006/2007 anlässlich eines Besuchs von ... mit ihrer Mutter in Ghana hinreichende Anhaltspunkte dafür gehabt, dass er Vater des Kindes sein könne (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 2.2.2017, 12 WF 231/16).

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Am 16. Juni 2016 beantragte der Antragsteller unter Hinweis auf seine biologische Vaterschaft und das Familienleben mit seiner Tochter ... die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Am 31. Januar 2017 erkannte er - bis zur Aufhebung der bestehenden Vaterschaftsanerkennung schwebend unwirksam - die Vaterschaft für ... an und vereinbarte mit Frau ... ... die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge. Laut Meldebestätigung vom 25. April 2017 ist der Antragsteller seit dem 19. April 2016 in der Wohnung von Frau ... ... gemeldet. Am 12. Juni 2017 legte der Antragsteller erstmalig einen Ausweis, einen am 22. Mai 2017 von der ghanaischen Botschaft ausgestellten Reisepass, vor.

5

Seit Februar 2017 wird der Antragsteller geduldet. Mit Verfügung vom 25. Oktober 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2018, der Prozessbevollmächtigten zugestellt am 26. Februar 2018, zurück.

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Den bereits zuvor am 27. November 2017 gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. Januar 2018, der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 5. Februar 2018 zugestellt, zurück. Dem Antragsteller stehe kein Anspruch auf Gewährung eines Aufenthaltstitels zu, da aufgrund der Einreise ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel ein Ausweisungsinteresse bestehe und zudem der Antragsteller nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei. Von diesen Voraussetzungen sei nicht zwingend abzusehen; die Ausreise des Antragstellers für die Dauer des Visumsverfahrens und die damit einhergehende Trennung von seiner Tochter für einige Wochen bis mehrere Monate stelle keinen unverhältnismäßigen Eingriff dar. Ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung bestehe nicht, da ein Abschiebungshindernis nicht vorliege. Der Beschluss wurde der Bevollmächtigten des Antragstellers am 5. Februar 2018 zugestellt. Der Antragsteller hat hiergegen am 9. Februar 2018 Beschwerde eingelegt.

7

Die Antragsgegnerin ist dem Vorbringen unter Bezugnahme auf die angefochtenen Verfügungen entgegengetreten. Hätte der Antragsteller zu einem früheren Zeitpunkt die Vaterschaftsanfechtung betrieben, hätte das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können. Der Antragsteller wäre dann darauf zu verweisen gewesen, die Lebensgemeinschaft mit seinem Kind in Ghana zu führen. Es sei unklar, ob das Kind zusätzlich auch die ghanaische Staatsangehörigkeit besitze. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht den Antragsteller auf die Durchführung des Visumverfahrens verwiesen.

II.

8

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere fristgerecht (vgl. § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhoben.

9

1. Die von dem Antragsteller innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Gründe ziehen die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Versagung eines Anspruchs auf Erteilung einer Duldung in ausreichender Weise in Zweifel, indem dieser geltend macht, er lebe in schützenswerter familiärer Gemeinschaft mit seiner Tochter und könne daher nicht auf ein Visumverfahren verwiesen werden, dessen Ausgang ungewiss sei. Insoweit wird auf die nachstehenden Ausführungen unter 2. und 3. Bezug genommen.

10

Das Beschwerdegericht ist somit befugt und gehalten, ohne Begrenzung auf die im Beschwerdeverfahren rechtzeitig dargelegten Erwägungen über den Antrag auf Gewährung von Abschiebungsschutz zu entscheiden. Die begehrte einstweilige Anordnung ist zu erlassen, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (§ 123 Abs. 1 VwGO). Es besteht ein Anordnungsgrund, da der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist (vgl. §§ 50 Abs. 1 i.V.m. 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), ihm die Abschiebung gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG in der Verfügung vom 25. Oktober 2017 angedroht worden ist und die Antragsgegnerin zudem angekündigt hat, den Antragsteller nach Ghana abschieben zu wollen; der konkrete Abschiebungstermin darf gemäß § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG dem Ausländer nicht mehr angekündigt werden. Der Antragsteller hat ferner einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es kommt zumindest ernsthaft in Betracht, dass seine Abschiebung im Hinblick auf die Gewährleistungen aus Art. 6 Abs. 1 GG aus rechtlichen Gründen unmöglich ist und ihm daher jedenfalls gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung zusteht. Ob ein entsprechender Anspruch besteht, bedarf einer näheren Prüfung der Auswirkungen einer Trennung des Antragstellers von seiner Tochter und für den Fall, dass eine Trennung nicht zumutbar sein sollte, einer Prüfung, ob der Antragsteller und seine Tochter bzw. deren Mutter darauf verwiesen werden können, die Lebensgemeinschaft außerhalb Deutschlands fortzuführen. Diese Prüfung ist vorliegend im Hinblick auf die insoweit notwendigen Ermittlungen im Hauptsacheverfahren durchzuführen. In dieser Situation ist die einstweilige Anordnung zu erlassen, weil dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten aus Art. 6 Abs. 1 GG droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte, und dem auch nicht ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.08.2010, 2 BvR 130/10, NVwZ 2011, 35, juris Rn 31).

11

2. Der Antragsteller hat trotz der biologischen Vaterschaft in Bezug auf seine Tochter ... nicht die rechtliche Stellung eines Vaters. Die rechtliche Stellung des Vaters hat vorliegend aufgrund der wirksamen Vaterschaftsanerkennung allein Herr ...; neben ihrer Mutter stammt ... nur von Herrn ... im Rechtssinne ab. Mit Herrn ..., nicht aber mit dem Antragsteller ist ... im Rechtsinne verwandt (vgl. §§ 1592, 1589 BGB). Herr ... – und nicht der Antragsteller – kann zudem Träger des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sein. Träger des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG können nur eine Mutter und ein Vater sein. Der rechtliche Vater eines Kindes, der für dieses Elternverantwortung wahrnimmt, ist Träger des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und verliert dieses Recht sowie die damit verbundene Stellung als Vater nicht allein dadurch, dass sich ein anderer Mann als leiblicher Vater des Kindes herausstellt. Die gesetzliche Bestimmung der Vaterschaft ist konstitutiv für die Möglichkeit, als Elternteil überhaupt für das Kind tatsächlich umfassend Sorge zu tragen. Sie eröffnet den Zugang zur Elternverantwortung und ist Voraussetzung für die Wahrnehmung der grundrechtlich geschützten Elternposition. Erst der Wegfall der Stellung als rechtlicher Vater entlässt diesen wieder aus der Trägerschaft des Elternrechts und aus der Verantwortung für das Kind. Auch die leibliche Vaterschaft bedarf daher der rechtlichen Anerkennung, damit aus ihr das in Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht geltend gemacht werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003, 1 BvR 1493/96 u.a., BVerfGE 108, 82, juris Rn. 57 f., 63 f.; vgl. auch: BVerfG, Beschl. v. 24.2.2015, 1 BvR 562/13, FamRZ 2015, 817, juris).

12

Sofern – wie vorliegend geltend gemacht – zwischen dem biologischen Vater und seinem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht, gehört der biologische Vater (ebenso wie z.B. Stiefeltern und Pflegekinder) zur Familie des Kindes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003, a.a.O., juris Rn. 88). Familie ist die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für diese Verantwortung tragen; die Anerkennung von Familie ist stärker von faktischen Elementen (Geburt; gelebte Gemeinschaft) bestimmt als die stärker verrechtlichte Entstehung der Ehe oder des Elternrechts; auch die Zugehörigkeit zu zwei Familien ist möglich (vgl. von Coelln in Sachs, GG, 8. Auflage 2018, Art. 6 Rn. 15 m.w.N.). Allerdings kann einer solchen Familie wegen der fehlenden Rechtsbeziehung zwischen dem Vater und dem Kind jederzeit die Basis entzogen werden. Auch in einem solchen Fall folgt aus dem nachwirkenden grundrechtlichen Schutz ein Recht des biologischen Vaters auf Umgang mit seinem Kind, jedenfalls dann, wenn dieser Umgang dem Wohl des Kindes dient (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003, a.a.O., juris Rn. 91 ff.; vgl. § 1686a Abs. 1 Nr. 1 BGB).

13

Auch in der vorliegenden Konstellation einer gelebten familiären Lebensgemeinschaft zwischen einem Kind und deren Mutter, die beide die deutsche Staatsgenhörigkeit besitzen, und dem ausländischen leiblichen Vater, der nicht rechtlicher Vater ist, ist daher bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des (hier: biologischen) Vaters und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2003, 1 C 13/02, BVerwGE 117, 380; vgl. auch: EGMR, Urt. v. 21.12.2010, 20758/07, NJW 2011, 3565, juris, Rn. 65).

14

3. Aus diesem (verfassungs- und familien-)rechtlichen Rahmen folgt vorliegend für die aufenthaltsrechtliche Stellung des Antragstellers:

15

a) Der Antragsteller unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bzw. Satz 4 AufenthG, da er nicht rechtlicher Vater seiner Tochter ... und damit im Rechtssinn nicht „Elternteil“ in Bezug auf ... ist.

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b) Der Antragsteller ist als leiblicher Vater, der nicht rechtlicher Vater ist, durch die nach seinem Vortrag seit zwei Jahren gelebte und durch die Vorlage der Meldebestätigung noch glaubhaft gemachte sozial-familiäre Beziehung zu seiner Tochter ... Teil von deren Familie i.S.d. Art. 6 Abs. 1 GG. Er ist damit sonstiger Familienangehöriger einer Deutschen, dem gemäß §§ 28 Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 2, 27 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft zum Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG zum Familiennachzug erteilt werden kann, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis nicht glaubhaft gemacht.

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(1) Ob eine außergewöhnliche Härte i.S.d. § 36 Abs. 2 AufenthG vorliegt, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden.

18

Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Der Nachzug sonstiger Familienangehöriger ist insoweit auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden. Die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe in Deutschland als Voraussetzung für den Nachzug sonstiger Familienangehöriger stellt eine höhere Hürde dar als die in den §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 AufenthG geregelten Voraussetzungen für den Nachzug von Kindern, Eltern oder Ehegatten, weil sie eine gesonderte Begründung dafür verlangt, dass die Herstellung der Familieneinheit außerhalb der Bundesrepublik Deutschland unzumutbar wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15/12, BVerwGE 147, 278, juris Rn. 11 ff.).

19

Ob die Tochter des Antragstellers zu ihrem Wohl auf die Anwesenheit des Antragstellers angewiesen ist, ist angesichts des Umstands, dass die Tochter 10 Jahre aufgewachsen ist, ohne dass der Antragsteller für sie anwesend war, im Hauptsacheverfahren zu klären. Insoweit ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Vater-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005, 2 BvR 1001/04, InfAuslR 2006, 122, juris Rn. 26) in Bezug auf den Kontakt zwischen Kindern und einem getrennt lebendem Elternteil davon auszugehen ist, dass der persönliche Kontakt des Kindes zum getrennt lebenden Elternteil und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen und das Kind beide Eltern braucht, kann dies in gleichem Maße nicht in Bezug zum leiblichen Vater, der nicht rechtlicher Vater ist, angenommen werden. Dies ist vielmehr im Einzelfall zu klären. Allerdings dürfte vorliegend nach dem Vortrag des Antragstellers derzeit mehr dafür sprechen, dass die Anwesenheit des Antragstellers dem Wohl seiner Tochter ... dient. Denn nach seinem - allerdings insoweit nicht glaubhaft gemachten - Vortrag hat er eine gute emotionale Beziehung zur Tochter aufgebaut. Zugleich kümmert sich der rechtliche Vater wohl nicht um ... .

20

Des Weiteren ist ggf. vorliegend zu klären, ob die Herstellung der Familieneinheit außerhalb der Bundesrepublik Deutschland der Tochter des Antragstellers bzw. deren Mutter, vorübergehend, solange die Tochter auf den Antragsteller angewiesen ist, zumutbar wäre (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15/12, BVerwGE 147, 278, juris Rn. 12 ff.). Dies ist vorliegend in Betracht zu ziehen, da nicht nur der Antragsteller ghanaischer Staatsangehöriger ist, sondern die Mutter von ... bis April 2015 ghanaische Staatsangehörige war und dem gemeinsamen Kind ... die ghanaischen Lebensumstände, die es offenbar auch aus Besuchen in Ghana kennt, möglicherweise vertraut sind und dort nach Aktenlage weitere Familienangehörige leben. Die Klärung kann aufgrund der dafür notwendigen Tatsachenermittlungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht vorgenommen werden, sondern hat ggf. im Hauptsacheverfahren zu erfolgen.

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(2) Zutreffend führt das Verwaltungsgericht aus, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG auch entgegensteht, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt sind und ein Absehen hiervon im Ermessen der Antragsgegnerin steht. Hinsichtlich des Vorliegens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss (S. 7 f. unter (1)) Bezug genommen. Dem hiergegen vorgebrachten Einwand des Antragstellers, es bestehe kein überwiegendes Ausweisungsinteresse, kann nicht gefolgt werden. Denn § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stellt darauf ab, dass kein Ausweisungsinteresse besteht; dass kein „überwiegendes“ Ausweisungsinteresse besteht, verlangt die Regelung nicht. Zudem dürfte angesichts der näheren Umstände des Falles kein atypischer Fall vorliegen, so dass das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegenstehen würde. Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller die näheren Umstände seiner Einreise „im Februar 2016“ nicht belegt hat, so dass nicht sicher davon ausgegangen werden kann, dass er sich nur wenige Monate illegal im Bundesgebiet aufgehalten hat. Den Pass, mit dem er in das Bundesgebiet eingereist ist und aus dem sich möglicherweise weitere Reisetätigkeiten ergeben könnten, hat der Antragsteller nie vorgelegt.

22

Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Antragsteller nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Da ihm kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht, kann von dem Visumsverfahren gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur abgesehen werden, wenn ihm dessen Durchführung aufgrund der Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist. Dies dürfte derzeit der Fall sein, weil unklar ist, ob dem Antragsteller nach seiner Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland ein Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung nach § 36 Abs. 2 AufenthG erteilt werden würde. Insoweit ist nicht nur unklar, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben sind, sondern auch, ob die zuständige Ausländerbehörde das ihr nach § 36 Abs. 2 AufenthG zustehende Ermessen zugunsten des Antragstellers ausüben würde, oder ob eine Ermessensreduktion in Betracht kommt. Erst wenn eine solche Erteilung nach Ausreise dem Antragsteller - ggf. nach Einschaltung der Deutschen Botschaft in Accra - von der Antragsgegnerin in Aussicht gestellt werden würde, wäre dem Antragsteller die Durchführung des Visumsverfahrens zuzumuten, da mit diesem dann eine zumutbare räumliche Trennung von der Tochter von nur einigen Monaten verbunden wäre.

23

c) Einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, da das Absehen von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des Fehlens eines Ausweisungsinteresses im Ermessen der Antragsgegnerin steht, vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 AufenthG.

24

d) Entsprechend den vorstehenden Ausführungen unter b) kommt aber ernsthaft in Betracht, dass eine Aufenthaltsbeendigung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist. Ob die Abschiebung daher aus rechtlichen Gründen unmöglich ist und dem Antragsteller im Hinblick hierauf jedenfalls eine Duldung zu erteilen ist, wird davon abhängen, ob die Anwesenheit des Antragstellers dem Wohl seiner Tochter ... dient und die dargelegte familiäre Lebensgemeinschaft zumutbar nur im Bundesgebiet gelebt werden kann. Dies ist im Hauptsacheverfahren näher zu klären.

25

In dieser Situation ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten, da ohne diese die Gefahr bestünde, dass die schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter nicht nur für einen kurzen überschaubaren Zeitraum in einer Phase getrennt würde, in der ein Kind regelmäßig noch auf die kontinuierliche Anwesenheit von Vater und Mutter angewiesen ist. Damit kommt eine erhebliche Verletzung der Rechte des Antragstellers aus Art. 6 Abs. 1 GG in Betracht, die bei Durchführung einer Abschiebung für den Zeitraum der dann eintretenden Trennung durch eine mögliche Entscheidung in der Hauptsache zu Gunsten des Antragstellers nicht mehr beseitigt werden könnte.

III.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 52 Abs. 1 und 2 GKG.

27

Da die Beschwerde des Antragstellers Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung über sein Prozesskostenhilfe-Gesuch für das Beschwerdeverfahren.

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