Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 Bs 211/19
Tenor
Dem Antragsteller wird für das Verfahren zweiter Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
Gründe
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Dem Antragsteller ist im tenorierten Umfang Prozesskostenhilfe zu gewähren.
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1. Der Antragsteller hat hinreichend dargelegt, dass er i.S.d. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
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Der Antragsteller verfügt auf der Grundlage der von ihm eingereichten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse selbst über kein hinreichendes eigenes Einkommen, um die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
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Zu dem gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO einzusetzenden Vermögen rechnet zwar auch ein aus einer entsprechenden Anwendung des § 1360a Abs. 4 BGB abzuleitender Anspruch des Antragstellers gegenüber seinen Eltern auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses für Rechtsstreitigkeiten in persönlichen Angelegenheiten - zu diesen zählt der vorliegende Streit über die Erstellung eines Förderplans -, wenn die Vorschusspflicht der Eltern der Billigkeit entspricht. Denn Eltern schulden in entsprechender Anwendung von § 1360a Abs. 4 BGB grundsätzlich auch ihren volljährigen Kindern als Sonderbedarf einen Vorschuss für die Kosten eines Rechtsstreits in persönlichen Angelegenheiten, wenn diese - wie der Antragsteller - wegen der Fortdauer ihrer Ausbildung noch keine eigene Lebensstellung erlangt haben. Ein solcher Anspruch ist grundsätzlich vorrangig gegenüber dem Anspruch auf Prozesskostenhilfe.
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a) Es kann offen bleiben, ob es vorliegend der Billigkeit entspräche, dass die Eltern einen Prozesskostenvorschuss zu leisten hätten.
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Unbillig ist die Leistung eines Prozesskostenvorschusses für den Vorschusspflichtigen regelmäßig zum einen dann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach dem Maßstab des Prozesskostenhilferechts (vgl. § 114 ZPO) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; denn dem Vorschusspflichtigen kann die Finanzierung eines aussichtslosen Prozesses nicht zugemutet werden (vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2001, XII ZB 2/01, NJW 2001, 1646). Es kann offen bleiben, ob dieser Maßstab auch vorliegend anzuwenden ist, weil gemäß § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen ist, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn - wie vorliegend - der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat.
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Zum anderen kommt in Betracht, dass die Eltern selbst nicht leistungsfähig sind, sodass die Gewährung eines Prozesskostenvorschusses für diese deshalb unbillig wäre. Ob dies der Fall ist, kann das Gericht derzeit nicht beurteilen, solange die Eltern über ihre Vermögensverhältnisse keine Auskunft erteilen. Demzufolge hat der Antragsteller grundsätzlich den Anspruch auf Gewährung eines Prozesskostenvorschusses nach § 1360a Abs. 4 BGB gegenüber seinen Eltern bzw. den Anspruch auf Erteilung einer Auskunft über deren Vermögensverhältnisse (vgl. § 1605 BGB) gerichtlich geltend zu machen, wenn ihm dies zumutbar ist.
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b) Dies ist vorliegend nicht der Fall; dem Antragsteller ist es derzeit nicht zuzumuten, gerichtlich gegen seine Eltern vorzugehen.
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Für eine Unzumutbarkeit reicht es zwar regelmäßig nicht aus, dass sich der Rechtsstreit gegen den Vorschusspflichtigen richtet, da dies die normale Situation beim Unterhaltsverfahren ist (vgl. Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Auflage 2016, Rn. 449a).
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Vorliegend ist es dem Antragsteller derzeit jedoch aufgrund der besonderen Umstände des Falles nicht zuzumuten, gegen seine Eltern gerichtlich auf Gewährung eines Prozesskostenvorschusses bzw. auf Erteilung einer Auskunft über deren Vermögensverhältnisse vorzugehen (vgl. zum Erfordernis der Zumutbarkeit der Geltendmachung des Anspruchs: BGH, Beschl. v. 10.7.2008, VII ZB 25/08, FamRZ 2008, 1842, juris Rn. 8; BAG, Beschl. v. 5.4.2006, 3 AZB 61/04, FamRZ 2006, 1117; Philippi in Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 115 Rn. 69).
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aa) Die Zumutbarkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs auf Gewährung eines Prozesskostenvorschusses bzw. auf Erteilung einer Auskunft über die Vermögensverhältnisse entfällt allerdings nicht bereits deshalb, weil der Anspruch nicht kurzfristig durchsetzbar ist und es dem Antragsteller daher unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht zuzumuten ist, zunächst ein gerichtliches Verfahren gegen seine Eltern zu führen. Hierzu hat der Senat im Beschluss vom 13. Mai 2019 (1 Bs 103/19) ausgeführt:
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„Ein Beteiligter, der Prozesskostenhilfe begehrt, darf allerdings nur dann auf den Vorschussanspruch verwiesen werden, wenn der Anspruch kurzfristig – auch im Wege einer einstweiligen Anordnung – durchsetzbar ist (vgl. Staudinger/Voppel, a.a.O., Rn. 84 m.w.N.). Dies wird bei vorläufigen Rechtsschutzverfahren häufig nicht der Fall sein, weil sich hierdurch eine unter Umständen unzumutbare Verzögerung ergeben könnte; hiervon ist auch das Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen Verfahren ausgegangen (Beschluss vom 2. April 2019, Abschnitt IV.2. der Gründe).
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Bei den Rechtsstreitigkeiten des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin wegen seiner Beschulung besteht indes insofern eine Besonderheit, als es allein in den Jahren 2017 und 2018 zu weit über 20 eiligen Verfahren (Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Vollstreckungsverfahren) vor dem Verwaltungsgericht gekommen ist, die zumeist der Antragsteller als Aktivpartei geführt hat. Hier liegt – nicht zuletzt im Hinblick auf die aus Sicht des Antragstellers hohe Wahrscheinlichkeit, weitere Verfahren führen "zu müssen" – eine Obliegenheit des Antragstellers nahe, unabhängig von einem konkret anhängigen oder beabsichtigten verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren zumindest Auskunft von seinen Eltern über deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu begehren. Bei einer Verletzung dieser Obliegenheit spricht einiges dafür, dem Antragsteller vorzuhalten, er habe die Unzumutbarkeit einer vorherigen Inanspruchnahme seiner Eltern selbst verschuldet (vgl. zu diesem Gedanken Staudinger/Voppel, a.a.O., Rn. 86a). Diese Überlegung liegt hier umso näher, als für die zahlreichen Verfahren – deren Berechtigung an dieser Stelle nicht bewertet werden soll – die Verpflichtung der Eltern des Antragstellers zur Gewährung eines Prozesskostenvorschusses im Grundsatz gegeben sein dürfte, so dass die Auskunftspflicht mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen dürfte. Hinzu kommt, dass die Verfahren auch nach Erreichen der Volljährigkeit des Antragstellers ersichtlich weiterhin jedenfalls mit Unterstützung der Eltern betrieben werden, die sich zugleich weigern, über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse Auskunft zu erteilen.“
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Daran hält der Senat im Grundsatz fest.
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bb) Dem Antragsteller ist jedoch aufgrund der besonderen Umstände des Falles im Hinblick auf die gebotene weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, juris Rn. 23) sowie unter Berücksichtigung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit nicht zuzumuten, den Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen seine Eltern bzw. auf Auskunftserteilung über deren Vermögensverhältnisse gerichtlich geltend zu machen. Dabei ist unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung sowie im Hinblick auf die Rechtsfolge, dass der Staat für die Kosten des Prozesses einzustehen hat, ein strenger Maßstab anzulegen.
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[Es folgen Ausführungen zu den spezifischen Umständen des Einzelfalls.]
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2. Es ist vorliegend nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bietet und nicht mutwillig erscheint, da der Antragsteller mit seinem Begehren erstinstanzlich obsiegt und die Antragsgegnerin hiergegen Beschwerde eingelegt hat, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
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3. Dem Antragsteller ist im Hinblick auf die Anforderungen des § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO ein zur Vertretung bereiter Anwalt beizuordnen. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass - sollte ein außerhalb Hamburgs ansässiger Rechtsanwalt beauftragt werden - die Beiordnung nur zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts erfolgt, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 3 ZPO.
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Referenzen
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- XII ZB 2/01 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 115 Einsatz von Einkommen und Vermögen 1x
- 3 AZB 61/04 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 121 Beiordnung eines Rechtsanwalts 2x
- 1 Bs 103/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 67 1x
- VwGO § 166 5x
- ZPO § 119 Bewilligung 2x
- 2 BvR 94/88 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 1605 Auskunftspflicht 1x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 2x
- BGB § 1360a Umfang der Unterhaltspflicht 3x
- §§ 114 ff. ZPO 1x (nicht zugeordnet)